Wissenschaftliche Äußerungen eines Richters kein Befangenheitsgrund
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist selbständig tätig. Er produziert Filme. In seinem Wohnhaus unterhält er ein Filmstudio mit Atelier.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) setzte wegen einer gewährten Vollziehungsaussetzung der Bescheide über Umsatzsteuer 1992 bis 1994 Zinsen gemäß § 237 der Abgabenordnung (AO) fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, dass die Einkünfte aus seiner freischaffenden Tätigkeit als Künstler mangels einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage nicht der Umsatzbesteuerung unterlägen. Seine Tätigkeit unterfalle der Kunstfreiheit. Diese werde gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) vorbehaltlos (schrankenlos) gewährt und könne daher nicht mittels eines einfachen Steuergesetzes eingeschränkt werden. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom als unbegründet ab. Die Festsetzung der Aussetzungszinsen sei in Beachtung der Vorgabe des § 237 AO erfolgt. Die vom Kläger behauptete Verfassungswidrigkeit des Umsatzsteuergesetzes (UStG) führe nicht zur Nichtigkeit der Umsatzsteuerbescheide für 1992 bis 1994 und folglich nicht zur Rechtswidrigkeit der Zinsfestsetzung.
Der Kläger hat, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten zu 1., Steuerberater X, gegen dieses Urteil fristgemäß Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Mit Schriftsatz vom hat er die Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof (BFH) A wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Ablehnung hat er im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Vorsitzende Richterin am BFH A nebenberuflich das Steuerrecht kommentiere und Aufsätze schreibe. Dadurch beeinflusse sie die Rechtsfindung nicht nur im Wege ihrer ureigensten Aufgabe, nämlich der Rechtsprechung. Aus seiner Sicht erscheine es nicht ausgeschlossen, dass die Vorsitzende Richterin am BFH A ihre nur dem Gesetz unterworfene Richtertätigkeit mit ihrer ständig ausgeübten kommerziellen Nebentätigkeit vermenge, sodass sie für ihn, den Kläger, nicht mehr als unabhängige und unparteiische Richterin zu erkennen sei.
Später hat er sein Vorbringen dahin ergänzt, dass das Publizieren der abgelehnten Richterin weit über eine wissenschaftliche Tätigkeit hinausgehe. Im Bereich der Staatsfinanzierung seien die Richter in einem Netzwerk eingebunden, das von der Finanzverwaltung bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) reiche.
Zudem habe sie als Vorsitzende Richterin des XI. Senats an den Beschlüssen vom XI B 139 bis 141/05, XI S 24/06 mitgewirkt. Diese Entscheidungen beträfen von ihm erhobene Nichtzulassungsbeschwerden und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wegen der Verletzung seines absoluten Freiheitsrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit dem „Mephisto-Beschluss” des (BVerfGE 30, 173). Die Vorsitzende Richterin am BFH A habe diesbezüglich eine Fülle schwerer Rechtsfehler persönlich zu verantworten. Soweit sie in ihrer Funktion als Berichterstatterin Voten verfasst habe, habe sie deutlich gemacht, dass sie die im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland herrschende Normenhierarchie mit Blick auf den Vorrang der Verfassung zur einfachgesetzlichen Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes offenbar wissentlich missachte. Er, der Kläger, meine, aus der Bearbeitung der Nichtzulassungsbeschwerden XI B 139 bis 141/05 erkennen zu können, dass die Vorsitzende Richterin am BFH A seine sich aus der Verfassung ergebenden Grundrechte nicht gebührend beachtet habe und im Streitfall nicht beachten werde. Die bei ihr bestehende Interessenkollision durch konträre (eigennützige) Auslegung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, um die Vorteile der Steuergesetze durch die eigene und die von Richterkollegen praktizierte wissenschaftliche Tätigkeit nutzen zu können, verletze das Gebot der Neutralität.
Die abgelehnte Richterin hat sich am dienstlich geäußert. Sie hält sich nicht für befangen.
Im Schriftsatz vom hat der Kläger den Richter am BFH F, der laut Geschäftsverteilungsplan des BFH als Vertreter der Richter am BFH C, D und E tätig wird, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Als Ablehnungsgründe hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Richter am BFH F nebenberuflich und kommerziell das Steuerrecht kommentiere, seinerseits die kommerzielle Tätigkeit der Vorsitzenden Richterin am BFH A kenne und dulde, bei Entscheidungen das seit dem nichtige UStG zugrunde gelegt habe und sowohl dienstlich als auch wirtschaftlich mit verschiedenen Richtern des Niedersächsischen FG verbunden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers zu den Befangenheitsanträgen Bezug genommen.
Die Verfassungsbeschwerde gegen die BFH-Beschlüsse vom XI B 139 bis 141/05, XI S 24/06 ist mit nicht zur Entscheidung angenommen worden.
Mit Beschluss des Senats vom ist das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die Richterin am BFH B für unzulässig erklärt und das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am BFH E als unbegründet zurückgewiesen worden. Wegen der Einzelheiten wird darauf verwiesen.
II. 1. Der Senat entscheidet ohne Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am BFH A, jedoch unter Mitwirkung der Richter am BFH B und E.
Zuständig für die Entscheidung sind nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats, der auf der Grundlage der Geschäftsverteilung 2008 für den BFH beschlossen wurde, die Richterin am BFH B als regelmäßige Vertreterin der Senatsvorsitzenden sowie die Richter am BFH D und E (vgl. Beschluss des Senats vom XI ER-S 4/07, Tz. II.1., 2., nicht veröffentlicht). Da der Richter am BFH F nicht für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zuständig ist, bedarf es keiner vorherigen Entscheidung über das gegen ihn gestellte Ablehnungsgesuch.
2. Das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende Richterin am BFH A ist jedenfalls unbegründet.
a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des abgelehnten Richters zu befürchten (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII B 8/98, BFH/NV 1999, 480; vom VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422). Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Misstrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422).
b) Die allgemeine Kommentierung des Steuerrechts und das Verfassen von Aufsätzen zu steuerrechtlichen Problemen durch einen Richter rechtfertigen in aller Regel kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters i.S. des § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO in einem konkreten anhängigen Gerichtsverfahren. Wissenschaftliche Äußerungen sind für sich genommen kein Befangenheitsgrund, selbst wenn sie eine für das Verfahren bedeutsame Rechtsfrage betreffen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 11/94, BVerfGE 98, 134; vom 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 122). Ein Befangenheitsgrund liegt deshalb insbesondere dann nicht vor, wenn die Meinungskundgabe in keiner äußeren oder inneren Beziehung zu den Verfahrensbeteiligten, zu dem anhängigen Streitstoff oder zu einer für die Entscheidung maßgebenden Rechtsauffassung steht (vgl. , Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 54 der Verwaltungsgerichtsordnung Nr. 68).
Danach gibt die wissenschaftliche Tätigkeit der Vorsitzenden Richterin am BFH A keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass wissenschaftliche Äußerungen im Zusammenhang mit dem anhängigen Beschwerdeverfahren erfolgt sind. Anhaltspunkte dafür, dass aufgrund der wissenschaftlichen Tätigkeit der abgelehnten Richterin die gebotene Neutralität bei der Beurteilung der Rechtsfragen im Streitfall nicht gewährleistet sein könnte, sind weder substantiiert vorgetragen worden noch sonst erkennbar.
c) Die Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am BFH A an den Verfahren XI B 139 bis 141/05, XI S 24/06 ist bei vernünftiger objektiver Würdigung aller Umstände aus der Sicht des Klägers ebenfalls nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
aa) Das Verfahren wegen Richterablehnung soll nicht vor unrichtigen bzw. für unrichtig gehaltenen Rechtsauffassungen des abgelehnten Richters schützen. Es dient vielmehr allein dazu, die Beteiligten vor Unparteilichkeit zu bewahren. Ein Ablehnungsgesuch kann daher grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass von einem Richter im Streitfall selbst oder in einem vorangegangenen Verfahren unrichtige Entscheidungen in formeller oder materiell-rechtlicher Hinsicht getroffen worden seien (vgl. BFH-Beschlüsse vom I B 117/96, BFH/NV 1997, 684; vom V B 67/99, BFH/NV 2000, 956, m.w.N.).
Behauptete Rechtsfehler eines Richters können eine Besorgnis der Befangenheit ausnahmsweise dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1997, 684; in BFH/NV 2000, 956). Die Fehlerhaftigkeit muss ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen.
Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzes beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht die Bedeutung und Tragweite der durch die Verfassung garantierten Rechte grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. , Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2008, 72, unter II.1.a der Gründe).
bb) Selbst wenn zu Gunsten des Klägers angenommen wird, dass die Vorsitzende Richterin am BFH A die in den Beschlüssen vom XI B 139 bis 141/05, XI S 24/06 vertretene Rechtsauffassung geteilt hat, liegen Anhaltspunkte für unsachliche Erwägungen oder Willkür nicht vor. Eine unsachliche Einstellung lässt sich nicht allein aus der vertretenen Rechtsauffassung ableiten. Umstände, die auf eine unsachliche Einstellung hindeuten könnten, sind weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger keine konkreten Umstände genannt, aus denen sich ergeben könnte, dass die abgelehnte Richterin nicht bereit wäre, ihre frühere Meinung kritisch zu überprüfen und das Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen (vgl. hierzu , Neue Juristische Wochenschrift 2002, 2396).
Die Beschlüsse des Senats vom XI B 139 bis 141/05, XI S 24/06 beruhen auch nicht auf Willkür. Willkür ist nur gegeben, wenn ein Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist (vgl. , BFHE 208, 404, BStBl II 2005, 457, m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Im Übrigen wurde die gegen die Beschlüsse des Senats eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
d) Weitere individuelle Ablehnungsgründe sind nicht in der gebotenen Weise dargelegt und glaubhaft gemacht worden.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt.
Fundstelle(n):
ZAAAD-19798