Leitsatz
[1] Der Rechtsanwalt muss bei der Unterzeichnung einer Berufungsschrift auch dann überprüfen, ob sie an das zuständige Berufungsgericht gerichtet ist, wenn er diese Frage durch einen anwaltlichen Kollegen seiner Sozietät hat prüfen lassen.
Gesetze: ZPO § 233; ZPO § 574 Abs. 2
Instanzenzug: LG München I, 1 S 7114/08 vom AG Garmisch-Partenkirchen, 7 C 694/07 vom
Gründe
I.
Durch ihm am zugestelltes Urteil des Amtsgerichts ist der Beklagte verurteilt worden, sein Teileigentum in einer Wohnungseigentumsanlage nicht zum Betrieb eines Pizzaservice zu nutzen. Seine Berufung gegen dieses Urteil ist an das unzuständige Landgericht München II gerichtet worden und dort am , dem auf den folgenden Montag, eingegangen. Nach Abgabe der Sache an das zuständige Landgericht München I hat der Beklagte dort Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, der seine Sache in der beauftragten Sozietät bearbeitende Rechtsanwalt habe mit einem Kollegen der Sozietät besprochen, dass er selbst die Berufungsschrift erstelle, der Kollege das zuständige Berufungsgericht ermittele. Dieser habe die Prüfung aber wegen unvorhergesehener dringender anderer Arbeiten nicht durchführen können und die erfahrene und zuverlässige Sekretärin des die Sache bearbeitenden Rechtsanwalts gebeten, diesem auszurichten, er habe die Prüfung nicht durchführen können. An sich sei das Landgericht München II zuständiges Berufungsgericht; das könne sich durch die WEG-Novelle geändert haben. Die Sekretärin habe dem die Sache bearbeitenden Rechtsanwalt den Entwurf der Berufungsschrift aber mit dem unzutreffenden Bemerken vorgelegt, der Kollege habe mitgeteilt, zuständiges Berufungsgericht sei das Landgericht München II. Darauf habe dieser die an dieses Gericht gerichtete Berufungsschrift unterzeichnet.
Das Landgericht hat die Berufung unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der dieser die Durchführung des Berufungsverfahrens erreichen will. Die Kläger beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
1.
Sie ist zwar nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO unabhängig von einer Zulassung oder Nichtzulassung durch das Berufungsgericht von Gesetzes wegen statthaft, weil sie sich gegen einen Beschluss richtet, durch den die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Zulässig ist sie aber nach § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Das ist nicht der Fall.
2.
Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Zulassung ist insbesondere auch nicht deshalb geboten (dazu: Senat, BGHZ 151, 221, 227 ; Beschl. v. , V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; Beschl. v. , V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217), weil die Anforderungen, die das Berufungsgericht stellt, überzogen wären und der Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwerten (vgl. dazu: BVerfGE 40, 88, 91 ; 67, 208, 212 f. ; BVerfG NJW 1996, 2857; 2000, 1636; 2001, 1566; FamRZ 2002, 533; Senat , Beschl. v. , V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).
a)
Der Beklagte hat die Berufungsfrist versäumt, weil seine Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift am letzten Tag der Frist um 15.59 Uhr und damit zu einem Zeitpunkt bei dem unzuständigen Landgericht München II eingereicht haben, zu dem mit einer fristgerechten Weiterleitung im normalen Geschäftsgang (zu diesem Erfordernis: , NJW-RR 2000, 1730, 1731) nicht mehr zu rechnen war. Die Zulässigkeit der Berufung hing deshalb entscheidend von dem Erfolg des frist- und formgerecht gestellten Antrags des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und dieser wiederum davon ab, ob die Adressierung der Berufungsschrift an das unzuständige Gericht unverschuldet war. Das hat das Berufungsgericht im Wesentlichen mit der Begründung verneint, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe bei Unterzeichnung der Berufungsschrift auch prüfen müssen, ob sie an das zuständige Gericht gerichtet war. Dabei habe er sich weder auf die Angaben seiner Sekretärin noch auf die vermeintlich vorgenommene Prüfung der Zuständigkeit durch seinen Anwaltskollegen verlassen dürfen.
b)
Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die weder fortzubilden noch zu ergänzen ist und auch die Anforderungen an die Einlegung von Rechtsmitteln nicht überspannt.
aa)
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der Rechtsanwalt die Berufungsschrift selbst auf ihre Richtigkeit (, NJW-RR 1988, 1528, 1529; Beschl. v. , IVb ZB 33/89, NJW 1989, 2396; Beschl. v. , XII ZB 141/89, NJW 1990, 990; Beschl. v. , XII ZB 39/92, VersR 1993, 79; Beschl. v. , XII ZB 120/92, NJW-RR 1993, 254, 255; Musielak/Grandel, ZPO, 6. Aufl., § 233 Rdn. 45) überprüfen muss. Dazu gehört neben der Bezeichnung der Parteien (, VersR 1982, 191) auch die Bezeichnung des zuständigen Gerichts ( IVb ZB 99/87, VersR 1988, 251; Beschl. v. , VI ZB 33/92, VersR 1993, 1381 f.; für Fristverlängerungsantrag: , NJW 2000, 2511). Hätte der Prozessbevollmächtigte diese Prüfung angestellt, hätte er festgestellt, jedenfalls feststellen müssen, dass die Berufung im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG bei dem Landgericht München I einzulegen war.
bb)
Diese Prüfung durfte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht delegieren. Ein Rechtsanwalt darf zwar seinem Büropersonal die Ermittlung der (genauen) Postanschrift des Berufungsgerichts überlassen und muss diese Anschrift dann auch nicht überprüfen (, NJW-RR 1990, 1149, 1150; Senat , Urt. v. , V ZR 50/99, NJW 2000, 82; Musielak/Grandel, aaO, § 233 Rdn. 48). Das gilt aber nicht für die Angabe des Berufungsgerichts selbst. Sie ist ein nicht delegierbarer Kernbestandteil der Berufungsschrift.
cc)
Nichts anderes ergibt die von der Rechtsbeschwerde angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur, wie sie es nennt, Arbeitsteilung in Sozietäten. Danach sind die in einer Sozietät tätigen Rechtsanwälte gemeinsam verpflichtet, alles zu tun, um fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig einzureichen (Senat, BGHZ 124, 47, 50 f.) . Deshalb muss ein Rechtsanwalt, der im Postausgangsfach der Sozietät vergessene Post zur Post aufgeben will, prüfen, ob sich darunter eilige Sachen befinden, die schneller befördert werden müssen (, NJW-RR 2003, 490, 491), und mitgenommene Sendungen rechtzeitig in den Postkasten einwerfen, auch wenn er sie nicht bearbeitet hat (, NJW 1995, 1841). Das gilt erst recht für den Rechtsanwalt, der eine arbeitsteilig vorbereitete Berufungsschrift verantwortlich unterzeichnet. Bei dieser Art der Vorbereitung einer Berufungsschrift muss vor ihrer Absendung durch den prozessführenden Rechtsanwalt (oder seinen Vertreter) verantwortlich geprüft werden, ob die Koordination der Beiträge auch gelungen ist. Diese Prüfung kann sinnvoll nur durch den Rechtsanwalt erfolgen, der die Berufungsschrift unterzeichnet und damit für die Sozietät insgesamt die Verantwortung für deren Richtigkeit übernimmt. Dieser kann seiner Aufgabe nur gerecht werden, wenn er in seine Prüfung alle koordinierten Beiträge einbezieht und die Berufungsschrift insgesamt auf ihre Richtigkeit überprüft. Ein Ausblenden einzelner Elemente verfehlte den Zweck der Prüfung. Die erforderliche Prüfung beschränkt sich auf einen überschaubaren Kreis von Punkten und stellt deshalb auch keine übertriebenen Anforderungen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2009 S. 1750 Nr. 24
PAAAD-19771
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja