BFH Beschluss v. - VIII B 28/08

Einwendungen gegen tatsächliche Feststellungen im Urteilstatbestand; Gesamtergebnis des Verfahrens; revisionsrechtliche Prüfung einer Ermessensentscheidung (hier: Prüfungsanordnung); Verletzung der behördlichen Sachaufklärungspflichten im Verwaltungsverfahren kein Verfahrensfehler

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, FGO § 108, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, ZPO § 295

Instanzenzug:

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Es kann offenbleiben, ob ihre Begründung den Anforderungen an die Darlegung der Gründe für die Zulassung der Revision gegen das angefochtene Urteil nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt. Jedenfalls liegen die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 FGO nicht vor.

1. Mit der Rüge unrichtiger Tatbestandsfeststellung wird kein Zulassungsgrund dargelegt. Das Finanzgericht (FG) hat seine rechtlichen Ausführungen in erster Linie auf die tatsächliche Feststellung gestützt, dass der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) selbst freiberufliche Einkünfte in seinen Steuererklärungen für den Streitzeitraum erklärt habe. Die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser im Urteil des FG festgestellten, in den Entscheidungsgründen wiedergegebenen Feststellung können grundsätzlich nicht mit der Verfahrensrüge im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden, sondern nur mit dem Antrag auf Tatbestandsberichtigung gemäß § 108 FGO (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom IX B 249/07, BFH/NV 2008, 1512; vom VI B 95/07, BFH/NV 2008, 956; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 108 Rz 1, jeweils m.w.N.). Zum Tatbestand gehören dabei auch Feststellungen tatsächlicher Art in den Entscheidungsgründen des Urteils (s. Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 108 Rz 3).

2. Die gerichtliche Prüfung von Ermessensentscheidungen kann sich nach § 102 Satz 1 FGO nur mit der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung befassen. Unbeachtlich sind deshalb auch die Ausführungen des Klägers zur Zweckmäßigkeit der Prüfungsanordnung, ebenso wie Einwendungen gegen einzelne Prüfungsmaßnahmen, die nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils sind.

3. Ein die Revisionszulassung gebietender Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist nicht festzustellen.

a) Das FG hat weder das Gesamtergebnis des Verfahrens („Inbegriff der Verhandlung”) außer Acht gelassen noch hat es dem Kläger durch eine Überraschungsentscheidung das rechtliche Gehör verwehrt. Der Kläger bezieht sich insoweit im Wesentlichen darauf, dass er durch seine Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ausdrücklich habe erklären lassen, dass es sich bei den für die Jahre 2002 und 2003 erklärten Einkünften aus selbstständiger Arbeit ausschließlich um Aufsichtsrats- und Beiratsvergütungen gehandelt habe. Gerade mit diesem Vortrag hat sich aber das FG in dem Urteil auseinandergesetzt (dort S. 8, dritter Absatz der Entscheidungsgründe). Soweit sich der Kläger gegen die Tatsachenwürdigung wendet, liegt darin nicht die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern die Rüge falscher materieller Rechtsanwendung, die nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. statt vieler , BFH/NV 2007, 890).

b) Das angefochtene Urteil ist keine Überraschungsentscheidung. Eine gerichtliche Entscheidung ist nur dann im revisionsrechtlichen Sinne überraschend und geeignet, § 96 Abs. 2 FGO zu verletzen, wenn sie sich maßgeblich auf einen zuvor weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren angesprochenen rechtlichen Gesichtspunkt stützt. Von einer Überraschungsentscheidung kann nicht deshalb gesprochen werden, weil sich die Hoffnung des Klägers auf einen Klageerfolg nicht erfüllt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Der Kläger hatte ausreichend Gelegenheit, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) Gehör zu verschaffen. Er hat seine Rechtsauffassung dazu im Klageverfahren auch tatsächlich vorgetragen. Das Urteil des FG, das sich —wenn auch mit abweichender Rechtsauffassung— auf diese Norm stützt, konnte den Kläger daher nicht überraschen (vgl. , BFHE 163, 98, BStBl II 1991, 278).

c) Die vom Kläger gerügte Verletzung der Sachaufklärungspflicht ist nicht darin begründet, dass das FG keine eigenen Ermittlungen angestellt hat, ob der Kläger in den Streitjahren tatsächlich freiberuflich tätig war oder nicht. Die Anordnung einer —gegebenenfalls wie hier: erweiternden— Prüfung ist eine Ermessensentscheidung, für deren gerichtliche Überprüfung es im Rahmen des § 102 FGO nach ständiger Rechtsprechung auf die erkennbaren tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Rechtsbehelfsentscheidung und die hierauf bezogenen Erwägungen der Finanzbehörde ankommt (s. , BFHE 174, 397, BStBl II 1994, 678, m.w.N.; vom X R 24/95, BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514). Erst im Klageverfahren ermittelte Sachverhalte sind deshalb grundsätzlich ungeeignet für die Entscheidungsfindung. Eine einmal unterstellte behördliche Verletzung der Sachaufklärungspflicht im Verwaltungsverfahren ist kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, der nur Verstöße gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts betrifft (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76, m.w.N.).

Sofern man die Tatsachenfeststellung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) im Verwaltungsverfahren als Grundlage seiner Ermessensentscheidungen als gleichwohl möglichen Gegenstand einer gerichtlichen Tatsachenprüfung ansehen wollte (so etwa Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 102 FGO Rz 5), hat der Kläger es jedenfalls unterlassen, den von ihm nunmehr geltend gemachten Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung zu rügen oder einen Beweisantrag zu stellen; er hat damit nach ständiger Rechtsprechung zugleich einen Rügeverzicht (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung) geleistet (s. etwa Beschluss des beschließenden Senats vom VIII B 187/05, BFH/NV 2007, 74; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 33, m.w.N.).

4. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Der Kläger sieht die grundsätzliche Bedeutung in der Klärung der Frage, inwieweit die Erweiterung einer Außenprüfung rückwirkend zulässig ist, wenn für den Erweiterungszeitraum die Prüfungsvoraussetzungen nach § 193 Abs. 1 AO nachweislich nicht vorgelegen haben. Da das FG aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen aber vom Gegenteil ausgegangen ist, wäre die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht klärungsfähig (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30, m.w.N.). Aus demselben Grund ist sie auch nicht geeignet, der Rechtsfortbildung zu dienen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO).

Fundstelle(n):
DAAAD-19013