BFH Urteil v. - VI R 24/06

Arbeitslohn bei Leistungen aus einer durch Beiträge vom Arbeitgeber finanzierten Gruppenunfallversicherung

Leitsatz

1. Erhält ein Arbeitnehmer Leistungen aus einer durch Beiträge seines Arbeitgebers finanzierten Gruppenunfallversicherung, die ihm keinen eigenen unentziehbaren Rechtsanspruch einräumt, so führen im Zeitpunkt der Leistung die bis dahin entrichteten, auf den Versicherungsschutz des Arbeitnehmers entfallenden Beiträge zu Arbeitslohn, begrenzt auf die dem Arbeitnehmer ausgezahlte Versicherungsleistung.
2. Der auf das Risiko beruflicher Unfälle entfallende Anteil der Beiträge führt als Werbungskostenersatz auch zu Werbungskosten des Arbeitnehmers, mit denen der entsprechende steuerpflichtige Arbeitslohn zu saldieren ist.
Vergleichbar .

Gesetze: EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, EStG § 11 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in den Streitjahren (2000 und 2001) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bei einem Freizeitunfall im Jahr 1999 zog sich der Kläger eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung eines Fingers zu, bei einem weiteren Freizeitunfall im Jahr 2000 eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung eines Beines. Nach den Feststellungen einer Lohnsteuer-Außenprüfung beim Arbeitgeber des Klägers wurden dem Kläger in den Streitjahren aufgrund der beiden Freizeitunfälle von seinem Arbeitgeber jeweils Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung ausbezahlt. Der Arbeitgeber hatte aufgrund einer im Jahr 1997 geschlossenen Betriebsvereinbarung eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen und die Zahlung der Prämien übernommen, ohne diese der Lohnsteuer zu unterwerfen. Die Versicherung erstreckte sich auf Unfälle innerhalb und außerhalb des Berufes. Bis einschließlich dem Jahr 2000 stand die Ausübung der Rechte allein dem Arbeitgeber zu. Die Versicherung zahlte im Jahr 2000 eine Invaliditätsentschädigung in Höhe von 1 500 DM und im Jahr 2001 eine Invaliditätsentschädigung in Höhe von 8 400 DM an den Arbeitgeber, der sie an den Kläger weiterleitete.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) folgte der Auffassung der Lohnsteuer-Außenprüfung, dass zwar die vom Arbeitgeber gezahlten Versicherungsprämien nicht lohnsteuerpflichtig seien, hingegen die ausgezahlten Versicherungsleistungen als Arbeitslohn zu behandeln seien.

Mit Bescheiden vom änderte das FA zunächst die Bescheide des Jahres 1999 und 2000 und erhöhte den Arbeitslohn 1999 um 1 500 DM und den des Jahres 2000 um 8 400 DM. Auf den Einspruch des Klägers machte das FA die Erhöhung des Arbeitslohnes 1999 wieder rückgängig, da die Versicherungsleistungen im Jahr des Zuflusses und nicht im Jahr des Unfalles zu erfassen seien.

Mit zuletzt geänderten Einkommensteuerbescheiden 2000 und 2001 vom erhöhte das FA den Bruttoarbeitslohn des Klägers um die jeweils zugeflossenen Versicherungsleistungen, nämlich für das Jahr 2000 um 1 500 DM und für das Jahr 2001 um 8 400 DM.

Auf die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage folgte das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1757 veröffentlichten Gründen der Auffassung des Klägers, dass es sich bei den streitbefangenen Invaliditätsentschädigungen um nicht steuerbaren Schadensersatz für den erlittenen Gesundheitsschaden gehandelt habe.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Zwar hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die an den Kläger in den Streitjahren ausgezahlten Versicherungsleistungen selbst nicht als Arbeitslohn anzusehen ist. Im zweiten Rechtsgang wird das FG jedoch noch zu prüfen haben, inwieweit die vom Arbeitgeber des Klägers entrichteten Beiträge zur Gruppenunfallversicherung in den Streitjahren zu Arbeitslohn geführt haben und als Werbungskostenersatz geleistet worden sind.

1. Leistungen aus einer vom Arbeitgeber als Versicherung für fremde Rechnung abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung sind kein Arbeitslohn. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache VI R 9/05 entschieden, dass die aufgrund einer vom Arbeitgeber abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung an den Arbeitnehmer ausgezahlte Versicherungsleistung nicht zu Arbeitslohn führt. Zum Zufluss von Arbeitslohn im Zeitpunkt der Auszahlung einer Versicherungsleistung an den Arbeitnehmer führen vielmehr die vom Arbeitgeber zur Erlangung des Versicherungsschutzes des Arbeitnehmers bis zur Auskehrung der Versicherungsleistung erbrachten Beiträge, der Höhe nach begrenzt auf die an den Arbeitnehmer ausgezahlte Versicherungsleistung. Bei dem auf das Risiko beruflicher Unfälle entfallenden Teil der vom Arbeitgeber geleisteten Beiträge zu einer Gruppenunfallversicherung handelt es sich um Werbungskostenersatz. Der als Werbungskostenersatz anzusehende Beitragsanteil führt deshalb auch zu —fiktiv anzusetzenden— Werbungskosten des Arbeitnehmers, mit denen der entsprechende steuerpflichtige Arbeitslohn zu saldieren ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die Gründe seines zur Veröffentlichung bestimmten Urteils vom VI R 9/05.

2. Die Vorentscheidung ist von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) Ausgehend von den genannten Rechtsgrundsätzen führen im Streitfall die an den Kläger ausgezahlten Leistungen aus der von dessen Arbeitgeber abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung in Höhe von 1 500 DM (2000) und 8 400 DM (2001) nicht zu Arbeitslohn. Als Arbeitslohn zu erfassen sind vielmehr die bis zur Auszahlung der jeweiligen Versicherungsleistungen vom Arbeitgeber aufgebrachten, auf den Versicherungsschutz des Klägers entfallenden Prämienzahlungen, der Höhe nach jeweils begrenzt auf die an den Kläger ausgereichte Versicherungssumme. Dabei sind allerdings die bereits bei Auszahlung einer früheren Versicherungsleistung als Arbeitslohn erfassten Prämien bei einer späteren Versicherungsleistung nicht erneut zu erfassen. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen sind keine Umstände gegeben, nach denen im Streitfall von einem ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers an der Finanzierung des Unfallversicherungsschutzes auszugehen wäre; der Kläger hat solches auch nicht vorgetragen.

b) Das FG hat —nach seinem Rechtsstandpunkt zu Recht— keine Feststellungen zur Höhe der auf den Versicherungsschutz des Klägers entfallenden, von dessen Arbeitgeber bis zur Auszahlung der jeweiligen Versicherungsleistungen gezahlten Prämien getroffen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG diese Feststellungen nachzuholen haben; der auf den Kläger entfallende Teil der Prämien wird ggf. auch im Wege der Schätzung (§ 162 Abs. 1 der Abgabenordnung) zu bestimmen sein. Des Weiteren wird das FG zu prüfen haben, inwieweit die entsprechenden Beiträge auf das Risiko beruflicher Unfälle entfallen und damit als Werbungskostenersatz geleistet worden sind. Sollten sich insoweit keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen treffen lassen, kann auch dieser Anteil im Schätzungswege bestimmt werden, denn § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) findet auf der Einnahmenseite keine Anwendung (z.B. , BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30, m.w.N.). Sollte keiner der Beteiligten einen anderen Aufteilungsmaßstab substantiiert vortragen und nachweisen, so bestünden keine Bedenken, von einer hälftigen Aufteilung der durch die Versicherung abgedeckten beruflichen und privaten Risiken und damit einer hälftigen Aufteilung der Beiträge auszugehen.

Für die Bemessung des im Jahr 2000 zugeflossenen Arbeitslohns ist der auf den Kläger entfallende Anteil der Versicherungsprämien maßgeblich, den der Arbeitgeber des Klägers bis zur Auszahlung der Versicherungsleistung im Jahr 2000 geleistet hat. Für die Bemessung des im Jahr 2001 zugeflossenen Arbeitslohns ist der auf den Kläger entfallende Anteil der Versicherungsprämien maßgeblich, den der Arbeitgeber des Klägers bis zur Auszahlung der weiteren Versicherungsleistung im Jahr 2001 geleistet hat, vermindert um die bereits im Zeitpunkt der Auszahlung der ersten Versicherungsleistung als Arbeitslohn erfassten Beiträge. Dem Arbeitnehmer steht bei mehreren Versicherungsleistungen innerhalb verschiedener Veranlagungszeiträume kein Wahlrecht zu, inwieweit die vom Arbeitgeber erbrachten Beiträge jeweils als Arbeitslohn erfasst werden sollen. Allerdings scheidet —wie bereits ausgeführt— eine mehrfache steuerliche Erfassung derselben Prämienzahlungen als Arbeitslohn aus. Auch sind die in den Zeitpunkten der Versicherungsleistungen zugeflossenen Arbeitslöhne der Höhe nach jeweils auf die dem Kläger ausgekehrte Versicherungssumme zu begrenzen.

Im Übrigen wird das FG im zweiten Rechtsgang auch zu prüfen haben, ob eine Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG für außerordentliche Einkünfte in Gestalt von Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) zu gewähren ist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
HFR 2009 S. 783 Nr. 8
RAAAD-18502