Leitsatz
Der Ausschluss der Aufwendungen für potenzsteigernde Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn diese Mittel zur Behandlung anderer Krankheiten als der erektilen Dysfunktion eingesetzt werden.
Gesetze: BhV § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BhV § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 Buchst. a; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 33 Abs. 5
Instanzenzug: OVG Rheinland-Pfalz, 10 A 11087/07 vom VG Mainz, 6 K 921/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
I
Der Kläger ist Ruhestandsbeamter; er leidet an Bluthochdruck im Lungenkreislauf aufgrund verengter Blutgefäße (pulmonale Hypertonie). Da das zunächst eingesetzte Arzneimittel beim Kläger keine Wirkung zeigte, verordnete ihm der behandelnde Arzt das Arzneimittel "Cialis", das üblicherweise bei Potenzstörungen angewandt wird. Nach einigen Wochen wurde die Behandlung auf das neu zur Verfügung stehende, erheblich teurere Arzneimittel "Revatio" umgestellt. Zu den hierfür entstehenden Aufwendungen erhält der Kläger Beihilfe.
Seinen Beihilfeantrag für das Arzneimittel "Cialis" lehnte die Beklagte ab, weil Aufwendungen für potenzsteigernde Arzneimittel generell nicht beihilfefähig seien. Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom zurückgewiesen. In den Gründen der Berufungsentscheidung heißt es, der Ausschluss der Beihilfe zu Aufwendungen für potenzsteigernde Arzneimittel zur Behandlung krankheitsbedingter Potenzstörungen sei unwirksam. Ein derartiger Ausschluss ohne Rücksicht auf medizinische Indikation und therapeutische Funktion verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil er dem Zweck des Beihilfensystems zuwiderlaufe. Dieses sei darauf angelegt, in allen Krankheitsfällen finanzielle Unterstützung im Rahmen des Notwendigen und Angemessenen zu gewähren.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Sie beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der nicht vertretene Kläger stellt keinen Antrag und äußert sich nicht zur Sache.
II
Der Senat entscheidet über die Revision im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
Als Revisionsbeklagter unterliegt der Kläger nicht dem Vertretungszwang, weil er darauf verzichtet hat, sich im Revisionsverfahren zur Sache zu äußern ( BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4). Dies folgt aus § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO a.F., weil diese Regelung erst am , d.h. während des vorliegenden Revisionsverfahrens, ohne Übergangsregelung durch § 67 Abs. 4 VwGO abgelöst worden ist (Art. 13 Nr. 2, Art. 20 Satz 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom (BGBl. S. 2840 <2855>).
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Beihilfe zu den Aufwendungen für das Arzneimittel "Cialis" auf der Grundlage der Beihilfevorschriften des Bundes - BhV - zuerkannt.
1.
Diese Beihilfevorschriften sind nichtig, weil sie dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt nicht genügen. Sie sind nach dem Stand der 27. und 28. ÄndVwV vom und (GMBl 2004 S. 227 und 379) grundsätzlich weiter anwendbar ( BVerwG 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 <105 ff.>, vom - BVerwG 2 C 24.07 - Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 126 Rn. 10 f. und vom - BVerwG 2 C 2.07 - DVBl 2008, 1442). Dabei sind sie, obwohl es sich um Verwaltungsvorschriften handelt, weiterhin wie Gesetze auszulegen ( BVerwG 2 C 9.07 - ZBR 2009, 48 <49>). Dies gilt nach Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung vom (BGBl. I S. 326) für die vorher entstandenen Aufwendungen. Allerdings sind einzelne Regelungen unwirksam, die aus anderen Gründen gegen höherrangiges Recht verstoßen. Handelt es sich dabei um eine Regelung, die die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall ausschließt, so ist über deren Beihilfefähigkeit allein auf der Grundlage der beihilferechtlichen Kriterien der Notwendigkeit und der Angemessenheit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BhV zu entscheiden (Urteile vom a.a.O. Rn. 13 und vom a.a.O.).
2.
Aufwendungen in Krankheitsfällen sind dem Grunde nach notwendig im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BhV, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit oder der Besserung oder Linderung von Leiden dient ( BVerwG 2 C 11.06 - BVerwGE 127, 91 <92>). Die Aufwendungen sind der Höhe nach angemessen im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BhV, wenn und soweit keine gleich wirksame preisgünstigere Behandlung zur Verfügung steht. Aus den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergibt sich, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind:
Der behandelnde Arzt verordnete dem Kläger das potenzsteigernde Arzneimittel "Cialis" zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie erst, nachdem das zunächst eingesetzte konventionelle Arzneimittel wirkungslos geblieben war. Die Behandlung wurde auf das neue Arzneimittel "Revatio" umgestellt, sobald dieses Mittel verfügbar war. Eine preislich günstigere Alternative zu "Cialis" ist nicht ersichtlich.
3.
Die Beihilfe ist nicht aufgrund § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a BhV ausgeschlossen. Danach sind nicht beihilfefähig Aufwendungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nach den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen aufgrund von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Die Regelung stellt für die Beihilfefähigkeit auf den jeweiligen Inhalt der Arzneimittelrichtlinien - AMR - und somit auf die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ab. Diese Übertragung der Entscheidungskompetenz vom Dienstherrn auf ein Selbstverwaltungsorgan verschiedener Versichertengemeinschaften begegnet Bedenken im Hinblick auf die durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Fürsorgepflicht des Dienstherrn und die grundlegenden Strukturunterschiede zwischen den Systemen der Beihilfe und der gesetzlichen Krankenversicherung, war aber für die Dauer des Übergangszeitraums bis zur normativen Neuregelung des Beihilferechts des Bundes hinzunehmen (Urteil vom a.a.O. Rn. 18).
Nach Nr. 18.2 AMR sind insbesondere Arzneimittel ausgeschlossen, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen. Nach Nr. 18.3 AMR sind die nach Nr. 18.2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anlage 8 der Arzneimittelrichtlinien zusammengestellt. Das Arzneimittel "Cialis" ist in der Negativliste der Anlage 8 aufgeführt.
Regelungen, die krankheitsbedingte Aufwendungen trotz ihrer Notwendigkeit und Angemessenheit von der Beihilfefähigkeit ausnehmen, sind am allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Danach bleibt es dem Normgeber überlassen, aufgrund autonomer Wertungen die Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er eine Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Knüpft er nicht an ein personenbezogenes, d.h. von den Betroffenen gar nicht oder nur schwer zu beeinflussendes Merkmal an, so ist Art. 3 Abs. 1 GG nur verletzt, wenn sich im Hinblick auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs ein vernünftiger Grund für die Unterscheidung nicht finden lässt. Allerdings verlangt der allgemeine Gleichheitssatz die folgerichtige, d.h. gleichmäßige Anwendung des gewählten Differenzierungsmerkmals. Der Normgeber darf von den für maßgeblich erklärten Wertungen nur abweichen, wenn hierfür Gründe vorliegen, deren Gewicht die Abweichung nach Art und Ausmaß rechtfertigt ( BVerwG 2 C 1.04 - BVerwGE 123, 308 <313 f.>, vom - BVerwG 2 C 16.06 - Buchholz 237.3 § 71b BrLBG Nr. 1 Rn. 12 und vom a.a.O. Rn. 25, jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
Nach dem gegenwärtigen Beihilfensystem wird die Beihilfe als Hilfeleistung, die die Eigenvorsorge der Beamten ergänzt, unabhängig von einer finanziellen Notlage gewährt, um einen bestimmten Vomhundertsatz der Kosten in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen zu erstatten. Nach dem beihilferechtlichen Leistungsprogramm sind grundsätzlich diejenigen Aufwendungen beihilfefähig, die durch einen konkreten Anlass verursacht werden. So knüpft die Beihilfefähigkeit in Krankheitsfällen nicht an bestimmte Behandlungen oder Arzneimittel an ( BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 Rn. 22). Diese Anlassbezogenheit kommt in dem Grundsatz zum Ausdruck, dass in Krankheitsfällen die Behandlungskosten im Rahmen der Notwendigkeit und der Angemessenheit beihilfefähig sind. Von dieser im gegenwärtigen Beihilfensystem angelegten Sachgesetzlichkeit wird zu Lasten der hiervon betroffenen Beamten abgewichen, wenn krankheitsbedingte Aufwendungen trotz ihrer Notwendigkeit und Angemessenheit von der Beihilfegewährung ausgenommen werden. Die Vereinbarkeit eines derartigen Leistungsausschlusses mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG hängt davon ab, ob er durch einen zureichenden Grund sachlich gerechtfertigt ist (Urteile vom a.a.O. Rn. 26 und - BVerwG 2 C 12.07 - Buchholz 271 Landesbeihilferecht Nr. 30 Rn. 23).
Nach diesen Grundsätzen hat der Senat im Gegensatz zum Oberverwaltungsgericht den Ausschluss der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für potenzsteigernde Arzneimittel als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen, wenn die Mittel gegen Potenzstörungen eingesetzt werden. Der Senat hat es als zureichenden Grund angesehen, dass bei der Anwendung potenzsteigernder Arzneimittel die Erhöhung der Lebensqualität auch dann im Vordergrund stehe, wenn das Leiden auf eine Krankheit zurückzuführen sei. Auch in diesen Fällen hänge die Behandlungsbedürftigkeit der erektilen Dysfunktion vorwiegend von individuellen Bedürfnissen und damit nicht von biologisch-medizinischen Erfordernissen ab (Urteil vom a.a.O. Rn. 29).
Die Berufungsentscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Ausschluss der Aufwendungen für potenzsteigernde Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist daher unwirksam, soweit diese Mittel wie im vorliegenden Fall nicht zur Behandlung der erektilen Dsyfunktion, sondern zur medizinisch gebotenen Behandlung anderer Krankheiten eingesetzt werden. Insoweit fehlt es an einem zureichenden Grund, der die Abweichung von dem anlassbezogenen Leistungsprogramm des gegenwärtigen Beihilfensystems rechtfertigen könnte.
Es liegt auf der Hand, dass die Gründe, die den Beihilfeausschluss der Aufwendungen für potenzsteigernde Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion rechtfertigen, nicht geeignet sind, einen darüber hinausgehenden Ausschluss bei der Verordnung dieser Mittel für die Behandlung anderer Krankheiten zu tragen. Denn diese Gründe sind auf die Besonderheiten der Ursachen und der Behandlungsbedürftigkeit der erektilen Dysfunktion zugeschnitten. Demgegenüber richtet sich die Behandlung anderer Krankheiten wie der pulmonalen Hypertonie ausschließlich nach biologisch-medizinischen Erfordernissen.
Der Beihilfeausschluss kann in diesen Fällen auch nicht mit dem Gesichtspunkt der Missbrauchsgefahr begründet werden. Er ist hierfür nicht erforderlich, weil die Beihilfestellen Täuschungsversuchen, nämlich Angaben eines falschen Behandlungszwecks zur Umgehung des Beihilfeausschlusses bei Potenzstörungen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der Sachaufklärung wirkungsvoll begegnen können. Sie sind in der Lage festzustellen, ob ein potenzsteigerndes Arzneimittel im Einzelfall tatsächlich zur Behandlung einer anderen Krankheit eingesetzt wird. Dies ist in aller Regel nicht mit einem unzumutbar hohen Verwaltungsaufwand verbunden.
Die Beihilfestellen ermitteln den Sachverhalt von Amts wegen; sie bestimmen Art und Umfang der Ermittlungen (§ 24 Abs. 1 VwVfG). Sie können aufgrund von § 17 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 BhV, die den Nachweis der Aufwendungen durch Belege verlangen, auch die Angabe der ärztlichen Diagnose verlangen, um die Notwendigkeit ärztlicher Leistungen und Verordnungen zu prüfen. Dies umfasst auch die Forderung, die Diagnose inhaltlich zu konkretisieren und zu erläutern. Reicht dies nicht aus, so eröffnet § 5 Abs. 1 Satz 4 BhV bei begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der Diagnose die Möglichkeit, ein Gutachten des Amts- oder Vertrauensarztes einzuholen. Die Feststellungen können noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getroffen oder ergänzt werden. Verweigert der Beamte die gebotene Mitwirkung, entbindet er etwa den behandelnden Arzt nicht in dem für erforderlich gehaltenen Umfang von der Schweigepflicht, so hat er die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines Beihilfeanspruchs nicht dargelegt ( BVerwG 2 C 19.06 - Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 18 Rn. 12 f.).
4.
Nach alledem hat der Kläger einen Anspruch auf Beihilfe in Höhe von 571,91 EUR. Dies entspricht 70% der ihm entstandenen, um den Eigenbehalt von 60 EUR gekürzten Aufwendungen (§ 1 Abs. 3 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2; § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a; § 14 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 BhV).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
CAAAD-18358