BGH Beschluss v. - 3 ARs 24/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: PUAG § 18; PUAG § 36 Abs. 1; GG Art. 44 Abs. 1 S. 1; GG Art. 44 Abs. 2 S. 1; StPO § 244 Abs. 2

Gründe

Das Begehren des Antragstellers richtet sich gegen die Anordnungen des Vorsitzenden des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestags, behördliche Aktenstücke, die der Antragsteller bei seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss als Handakten bei sich führte, während einer Unterbrechung und nach Beendigung der Vernehmung an den Beauftragten des Bundeskanzleramts auszuhändigen.

I.

1.

Der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestags wurde am eingesetzt, um - in Ergänzung des Berichts der Bundesregierung vom an das parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages "zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des Internationalen Terrorismus" - offene Fragen u. a. im Zusammenhang mit dem Einsatz von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes (BND) während des Irakkriegs in Bagdad und der Weiterleitung hieraus gewonnener Informationen an US-Dienststellen zu klären (Komplex IV des Untersuchungsauftrags; vgl. BTDrucks. 16/90, 16/1179, 16/3028, 16/3191, 16/5751, 16/6007).

Der Antragsteller ist Referatsleiter "Auswertung" beim BND und war zuständig für die inhaltliche Koordination des Sondereinsatzteams des BND in Bagdad (SET) und für die Weiterleitung von Informationen an US-Stellen.

Am fasste der Untersuchungsausschuss den Beschluss (Beweisbeschluss 16-420), den Antragsteller insbesondere zum Komplex IV des Untersuchungsauftrags als Zeuge zu vernehmen. Zur Vorbereitung dieser Beweisaufnahme hatte der Untersuchungsausschuss aufgrund entsprechender Beweisbeschlüsse (16-16 und 16-419) zuvor von der Bundesregierung "Schriftgut des Bundesnachrichtendienstes" zu dem Komplex BND/Irak unter Versicherung der Vollständigkeit der Aktenvorlage übersandt erhalten und mit Beweisbeschluss 16-438 weitere Akten angefordert.

Die Vernehmung des Antragstellers als Zeuge erfolgte in der Sitzung des Untersuchungsausschusses vom . Ausweislich der dem Antragsteller durch den BND erteilten Aussagegenehmigung vom war es ihm nicht gestattet, dienstliche oder auf dienstlichen Erkenntnissen beruhende Dokumente dem Untersuchungsausschuss vorzulegen. Die Aushändigung solcher Schriftstücke bedurfte vielmehr einer gesonderten Genehmigung des Dienstherrn.

Als der Antragsteller während seiner Vernehmung Informationen aus einer mitgeführten Handakte - bestehend aus amtlichen Dokumenten - vortrug, entstand bei einigen Ausschussmitgliedern der Eindruck, deren Inhalt stimme nicht mit den von der Bundesregierung zum Komplex BND/Irak vorgelegten Akten überein, die Aktenvorlage durch die Bundesregierung sei daher entgegen entsprechender Zusicherungen nicht vollständig. Das Ersuchen des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, die mitgeführten Handakten dem Ausschuss vorzulegen, lehnte der Antragsteller unter Hinweis auf die Einschränkung seiner Aussagegenehmigung ab. Auf entsprechende Aufforderung des Vorsitzenden übergab er die Akten jedoch während einer Unterbrechung sowie erneut nach Beendigung seiner Vernehmung an den während der Ausschusssitzung anwesenden Vertreter des Bundeskanzleramts, in dessen Gewahrsam sie verblieben.

Noch in der Sitzung vom fasste der Untersuchungsausschuss den (Beweis-)Beschluss, die Akten, die der Antragsteller bei seiner Vernehmung bei sich führte, beizuziehen. Am leitete das Bundeskanzleramt mit Zustimmung des Präsidenten des BND diese Dokumente dem Untersuchungsausschuss zu.

2.

Der Antragsteller ist der Auffassung, das Verlangen des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, die bei der Vernehmung mitgeführten amtlichen Handakten dem Vertreter des Bundeskanzleramts auszuhändigen, habe einer Rechtsgrundlage entbehrt. Durch die rechtswidrigen Anordnungen des Vorsitzenden sei er gezwungen worden, den Beschränkungen der ihm erteilten Aussagegenehmigung zuwider zu handeln und sich damit der Gefahr auszusetzen, von seinem Dienstherrn disziplinarrechtlich belangt zu werden. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die Anordnungen des Ausschussvorsitzenden.

Er beantragt ferner,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zu einer entsprechenden Genehmigung des Dienstherrn des Antragstellers bzw. hilfsweise bis zu einer Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache davon Abstand zu nehmen, die vom Antragsteller übergebenen Akten vom Bundeskanzleramt herauszuverlangen, sowie

hilfsweise

festzustellen, dass die gegenüber dem Antragsteller am getroffenen Anordnungen des Vorsitzenden des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestags rechtswidrig waren.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses tritt den Anträgen entgegen und beantragt deren Abweisung. Durch die Herausgabe der Aktenstücke an den Untersuchungsausschuss aufgrund eines entsprechenden Beweisbeschlusses habe sich die Hauptsache erledigt. Zudem sei ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers nicht zu erkennen, da sich die Dokumente bis zur Übergabe an den Untersuchungsausschuss ausschließlich im Gewahrsam des Bundeskanzleramts, mithin ausschließlich in der Verfügungsgewalt der dem BND vorgesetzten dienstaufsichtsführenden Obersten Bundesbehörde befunden hätten.

3.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragsschrift vom und die Erwiderung des Antragsgegners vom nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Dem Begehren des Antragstellers bleibt der Erfolg versagt. Die Anträge sind unzulässig.

1.

Für die Bescheidung der Anträge ist die Zuständigkeit des Senats begründet.

a)

Die gerichtliche Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten aus Untersuchungsverfahren des Deutschen Bundestags hat durch § 36 PUAG eine grundsätzliche Regelung erfahren. Zuständiges Gericht für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags ist nunmehr gemäß § 36 Abs. 1 PUAG allein der Bundesgerichtshof, soweit nicht aufgrund gesetzlicher Zuweisung die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begründet ist (BTDrucks. 14/2363 S. 21; 14/2518 S. 16). Streitigkeiten in diesem Sinne sind dann gegeben, wenn der Bundestag, einer seiner Untersuchungsausschüsse oder Teile dieser Organe einer der Beteiligten an einer gerichtlich ausgetragenen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einem Untersuchungsverfahren ist (BTDrucks. 14/5790 S. 21). Daraus folgt, dass gegen Maßnahmen des Untersuchungsausschusses oder Teile dieses Organs auch seitens privater Betroffener nur der Bundesgerichtshof angerufen werden kann (vgl. Klein in Maunz/Dürig Komm. zum GG Art. 44 Rdn. 237).

Für die Entscheidung über das Begehren des Antragstellers, mit dem sich dieser gegen Anordnungen des Vorsitzenden als Teil des Untersuchungsausschusses wendet, ist daher, da eine vorrangige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht besteht, der Bundesgerichtshof berufen.

b)

Innerhalb des Bundesgerichtshofs ist die funktionelle Zuständigkeit des Senats begründet, da das Gesetz für eine Fallgestaltung wie die vorliegende eine spezielle und damit vorrangige Kompetenzzuweisung an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nicht vorsieht (Klein aaO Rdn. 238 ff.). Die Kompetenzen des Ermittlungsrichters sind im PUAG einzeln aufgezählt und damit abschließend geregelt und einer analogen Anwendung nicht zugänglich. Eine Entscheidungsbefugnis des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs bei Zwangsmaßnahmen sieht das Gesetz indes nur dann vor, wenn der Untersuchungsausschuss in Ermangelung einer eigenen Entscheidungskompetenz nach den entsprechenden Vorschriften des PUAG auf die richterliche Anordnung von Ordnungshaft, Haft, Durchsuchungen oder Beschlagnahmen anträgt (vgl. BTDrucks. 14/2363 S. 21). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. An seiner im Beschluss vom geäußerten Auffassung hält der Senat nicht fest.

2.

Die Anträge sind unzulässig.

a)

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls nach welchen Vorschriften der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft ist. Das im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und in der Hauptsache ursprünglich verfolgte Rechtsschutzziel, die Herausgabe der Handakten des Antragstellers an den Untersuchungsausschuss zu unterbinden, hat sich jedenfalls durch die am mit Zustimmung des Dienstherrn des Antragstellers erfolgten Vorlage der Dokumente an den Untersuchungsausschuss erledigt.

b)

Ein trotz dieser Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Feststellung der Rechtslage besteht nicht.

Ein nachträgliches Rechtsschutzinteresse des Betroffenen kommt nur in Fällen der Wiederholungsgefahr, der fortwirkenden Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff, sowie bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen in Betracht, in denen sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (vgl. BVerfGE 96, 27, 40; BVerfG NJW 2003, 1514). Der vorliegende Sachverhalt ist keiner dieser Fallgruppen zuzuordnen. Eine substantiierte Behauptung einer Wiederholungsgefahr ist dem Sachvortrag des Antragstellers nicht zu entnehmen. Es ist aber auch nicht zu erkennen, dass der Antragsteller durch die Übergabe der Behördenakten an den Vertreter des Bundeskanzleramts tiefgreifend in seinen Grundrechten beeinträchtigt worden ist.

aa)

Zwar weist der Antragsteller zu Recht darauf hin, dass für die beanstandeten Anordnungen des Ausschussvorsitzenden eine gesetzliche Grundlage nicht bestanden hat.

Die Rechtsgrundlage für das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses bildet Artikel 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 77, 1, 40 f., 48). Die Verweisung auf die sinngemäß anzuwendenden Vorschriften über den Strafprozess gilt auch für § 244 Abs. 2 StPO, der das Gericht verpflichtet, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Dem Untersuchungsausschuss stehen hierfür alle in der Strafprozessordnung bezeichneten Beweismittel und ebenso die dort bezeichneten Instrumente der Beweisbeschaffung und Beweissicherung zur Verfügung (Klein aaO Rdn. 206). Allerdings findet die sinngemäße Anwendung strafprozessualer Vorschriften dort ihre Grenze, wo das Untersuchungsausschussgesetz ausdrücklich eine abweichende Regelung trifft.

Für die hier in Frage stehende Erlangung eines Urkundenbeweises enthält § 18 PUAG eine spezielle Regelung, soweit die Verpflichtung zur Vorlage von Behördenakten an den Untersuchungsausschuss erstrebt wird. Die Herausgabe in privatem Gewahrsam befindlicher Unterlagen an den Ausschuss regeln die §§ 29 und 30 PUAG. Eine Rechtsgrundlage für das beanstandete Vorgehen des Ausschussvorsitzenden bieten diese Vorschriften indes schon deshalb nicht, weil das Verlangen des Antragsgegners nicht auf eine Übergabe der Akten an den Untersuchungsausschuss oder Teile dieses Organs gerichtet war. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass Maßnahmen, die der Erzwingung der Herausgabe der Unterlagen unmittelbar an den Untersuchungsausschuss gedient hätten, dem Richtervorbehalt nach § 18 Abs. 3 bzw. § 29 Abs. 3 PUAG unterlegen hätten und nicht vom Untersuchungsausschuss oder von dessen Vorsitzenden hätten angeordnet werden dürfen.

Das Vorgehen des Ausschussvorsitzenden war jedoch auch bei sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der Strafprozessordnung nicht gerechtfertigt. In Betracht kommen könnte allenfalls eine vorläufige Sicherung potentieller Beweismittel entsprechend der Regelung des § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO. Der Senat braucht indes nicht zu entscheiden, ob der Untersuchungsausschuss oder Teile dieses Organs überhaupt befugt sind, selbst vorläufige Anordnungen zur Beweissicherung zu treffen (vgl. zum Streitstand die Hinweise bei Klein aaO Rdn. 206 m. N.). Eine solche vorläufige Maßnahme hätte jedenfalls das Vorliegen von Gefahr im Verzug vorausgesetzt. Dies wird jedoch vom Antragsgegner nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.

bb)

Das rechtsgrundlose Vorgehen des Ausschussvorsitzenden hat jedoch nicht zu einer Beeinträchtigung der Rechte des Antragstellers geführt. Eine solche wäre allenfalls dann in Betracht gekommen, wenn der Antragsteller, wie er behauptet, infolge der vom Antragsgegner veranlassten Übergabe der Behördenakten an den Vertreter des Bundeskanzleramts mit disziplinarischen Maßnahmen seines Dienstherrn zu rechnen gehabt hätte. Dies lag jedoch von Anfang an fern. Nach den Beschränkungen in der Aussagegenehmigung war dem Antragsteller untersagt, die von ihm mitgeführten amtlichen Dokumente des BND dem Untersuchungsausschuss vorzulegen. Die Aushändigung der Akten erfolgte jedoch nicht an den Ausschuss, sondern an einen Vertreter der dem Bundesnachrichtendienst vorgesetzten Behörde (§ 1 Abs. 1 BND-Gesetz), in deren Gewahrsam sie bis zur ordnungsgemäßen Übergabe an den Untersuchungsausschuss, die mit Zustimmung des Dienstherrn des Angeklagten erfolgte, verblieben. Der Dienstherr des Antragstellers hat überdies bestätigt, dass disziplinarrechtliche Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller zu keinem Zeitpunkt getroffen wurden und wegen des vorliegenden Sachverhalts auch in Zukunft nicht beabsichtigt sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
XAAAD-18325

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