BFH Urteil v. - III R 93/06

Kein Anspruch auf Kindergeld für Ausländer, die zu Unrecht im Besitz eines deutschen Passes sind

Leitsatz

Ein Ausländer, der sich ohne Erfolg um die Anerkennung als Abkömmling eines Spätaussiedlers bemüht, ist nicht kindergeldberechtigt nach § 62 Abs. 1 EStG. Das gilt auch für die Zeiträume, in denen er zu Unrecht im Besitz eines deutschen Reisepasses ist.
Ein auf die Dauer des Verfahrens nach § 15 BVFG beschränktes Aufenthaltsrecht kann kindergeldrechtlich nicht einem der in § 62 Abs. 2 EStG aufgeführten Titel gleichgestellt werden.

Gesetze: EStG § 62 Abs. 1, AuslG § 30, AuslG § 32, AuslG § 69 Abs. 3, GG Art. 116

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) reiste im Juli 1996 mit seiner Frau und dem gemeinsamen Kind M aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Er wurde als Abkömmling einer Spätaussiedlerin registriert. Im August 1996 wurde ihm ein deutscher Reisepass ausgestellt, der bis Juni 1998 gültig war.

Im August 1996 beantragte der Kläger Kindergeld für M ab Juli 1996. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) gab dem Antrag statt. Der Kindergeldbescheid war gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO) hinsichtlich des Beginns und der Höhe der Kindergeldzahlungen vorläufig, weil der Anspruch auf Kindergeld von der Anerkennung als Aussiedler/Vertriebener abhängig sei.

Der Antrag des Klägers auf Ausstellung einer Bescheinigung für Abkömmlinge eines Spätaussiedlers wurde durch Bescheid vom abgelehnt. Im Juli 1998 beantragte der Kläger eine Aufenthaltsbefugnis nach § 32 des Ausländergesetzes (AuslG) 1990, die am erteilt wurde.

Die Familienkasse hob durch Bescheid vom die Festsetzung von Kindergeld auf und forderte für den Zeitraum Juli 1996 bis Oktober 2000 einen Betrag von 12 180 DM zurück.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Während des Revisionsverfahrens hat die Familienkasse mit Bescheid vom Kindergeld ab September 1998 festgesetzt. Die Beteiligten haben daraufhin insoweit den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt (§ 138 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Zum nunmehr streitigen Zeitraum (Juli 1996 bis August 1998) führt die Familienkasse aus, der Umstand, dass der Kläger einen deutschen Pass besessen habe, begründe keinen Anspruch auf Kindergeld, weil er letztlich nicht als Spätaussiedler anerkannt worden sei. Auch nach der Neuregelung des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestehe kein Anspruch.

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er führt aus, er habe sich von Anfang an legal in der Bundesrepublik aufgehalten, da er als Statusdeutscher i.S. des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) registriert worden sei. Er habe einen deutschen Pass besessen und dürfe daher nicht nach den Grundsätzen des Ausländerrechts behandelt werden. Bis

zum Abschluss des Verfahrens über den Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft habe er keine ausländerrechtliche Genehmigung benötigt.

II. 1. Hinsichtlich des Kindergeldes für die Zeit ab September 1998 haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Insoweit ist das Urteil des FG gegenstandslos geworden. Im Übrigen (Kindergeld für Juli 1996 bis August 1998) ist die Revision begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

2. Ein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 EStG besteht nicht.

a) Der Kläger besaß nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, auch war er nicht Statusdeutscher i.S. des Art. 116 Abs. 1 Alt. 2 GG. Seine Bemühungen, als Abkömmling eines Spätaussiedlers anerkannt zu werden, hatten keinen Erfolg. Der Kläger war Ausländer (§ 1 Abs. 2 AuslG 1990), so dass sich die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 2 EStG richtet.

b) Der Umstand, dass der Kläger zeitweise im Besitz eines deutschen Reisepasses war, führt nicht zu der Annahme, er sei deshalb kindergeldrechtlich als Deutscher zu behandeln gewesen (s. Senatsurteil vom III R 16/05, BFHE 221, 43, BFH/NV 2008, 1576). Der Kläger erlangte nicht dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit, dass ihm ein deutscher Pass ausgehändigt wurde. Dieser wurde vielmehr zu Unrecht ausgestellt, wie sich im Verfahren über die Anerkennung als Abkömmling eines Spätaussiedlers zeigte. Der Reisepass des Klägers war unrichtig, weil die darin eingetragene deutsche Staatsangehörigkeit nicht zutraf (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 des Passgesetzes —PassG— i.V.m. § 11 Nr. 2 PassG).

3. Dem Kläger steht auch kein Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG n.F. zu.

a) Die Neuregelung ist mit Wirkung vom in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen —wie im Streitfall— das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom —AuslAnsprG—, BGBl I 2006, 2915). Die Gesetzesänderung war eine Reaktion auf den (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114), in dem dieses den nahezu wortgleichen § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes 1993 als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG 1990 abhing.

Der Senat hat mit Urteilen vom III R 93/03 (BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234) sowie vom III R 54/02 (BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457) entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abhängig machte, bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG). An den Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.

b) Im Streitfall hatte der Kläger für den Zeitraum Juli 1996 bis August 1998 keine ausländerrechtliche Genehmigung, die ihm einen Anspruch auf Kindergeld einräumte. Sein Hinweis auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11 S 1136/07 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungsreport 2008, 841), in dem ausgeführt wird, dass ein Ausländer, der aufgrund eines Aufnahmebescheids nach § 26 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in das Bundesgebiet eingereist ist, für die Dauer des Verfahrens auf Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung (§ 15 BVFG) ein eigenes Aufenthaltsrecht außerhalb des Ausländerrechts hat, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Bei den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln sowie bei Vorliegen der jeweiligen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen ist typisierend von einem Daueraufenthalt in der Bundesrepublik auszugehen. Ein auf die Dauer des Verfahrens nach § 15 BVFG beschränktes Aufenthaltsrecht kann deshalb kindergeldrechtlich nicht einem der in § 62 Abs. 2 EStG aufgeführten Titel gleichgestellt werden.

c) Auch für die Zeit ab der erstmaligen Beantragung bis zur Erteilung der Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG (Juli 1998 und August 1998), in der sein Aufenthalt gemäß § 69 Abs. 3 AuslG 1990 als erlaubt galt, stand dem Kläger kein Kindergeld zu. Der Kindergeldanspruch von Ausländern hängt —wie ausgeführt— nach § 62 Abs. 2 EStG u.a. vom Besitz bestimmter aufenthaltsrechtlicher Titel nach dem AufenthG ab oder —für Zeiträume vor 2006— von bestimmten ausländerrechtlichen Genehmigungen nach dem AuslG 1990, die in sinngemäßer Anwendung des § 101 AufenthG in aufenthaltsrechtliche Titel umzuqualifizieren sind (Senatsurteile in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457). Solange ein Ausländer nicht erstmals im Besitz einer entsprechenden ausländerrechtlichen Genehmigung oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels ist, hat er keinen Anspruch auf Kindergeld (Beschlüsse des , BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169; vom VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696, und in BFH/NV 2008, 1576).

4. Der Senat weist darauf hin, dass im Streitfall ein teilweiser Billigkeitserlass nach § 227 AO gerechtfertigt sein könnte, weil —wie aus den Akten zu ersehen ist— das Kindergeld, auch soweit es später zurückgefordert wurde, bei der Berechnung der Höhe der zeitweise gewährten Sozialhilfeleistungen als Einkommen des Klägers angesetzt wurde und eine nachträgliche Korrektur der Leistungen zu seinen Gunsten nicht möglich ist (, Die Öffentliche Verwaltung 2004, 793, m.w.N.; s. auch Senatsurteil vom III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298, a.E.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 138 Abs. 2 FGO, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, im Übrigen auf § 135 Abs. 1 FGO. In dem Umfang, in dem die Familienkasse dem Klagebegehren durch Erlass des während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheides vom entsprochen hat, sind ihr die bis dahin entstandenen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (Senatsurteil

vom III R 32/01, BFHE 204, 108, BStBl II 2004, 270), somit in Höhe von 67 %, dem Kläger in Höhe von 33 %. Die weiteren Kosten sind dem Kläger aufzuerlegen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 749 Nr. 5
XAAAD-17956