Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 140; WRV Art. 137 Abs. 3; EG Art. 141; MVG § 19 Abs. 2; MVG § 19 Abs. 3; MVG § 56; MVG § 60; BetrVG § 37 Abs. 3; BetrVG § 37 Abs. 6; TzBfG § 4 Abs. 1 S. 1
Instanzenzug: LAG Hamm, 13 Sa 62/07 vom ArbG Detmold, 1 Ca 729/06 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Freizeitausgleich.
Der beklagte Verein betreibt Wohlfahrtspflege. Der Kläger ist bei ihm seit 1988 als pflegerische Hilfskraft beschäftigt. Seine wöchentliche Arbeitszeit beträgt mit 19,25 Stunden die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft. Im Betrieb des Beklagten findet das Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland idF vom (MVG) Anwendung.
Der Kläger ist Mitglied der Mitarbeitervertretung. In der Zeit vom 17. bis nahm er an einem Seminar "Einführung in das Mitarbeitervertretungsrecht" teil. Die Schulungszeit betrug insgesamt 40 Stunden. Der Beklagte rechnete dem Kläger davon 19,25 Stunden als Arbeitszeit an.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Freizeitausgleich im Umfang von weiteren 19,25 Stunden zu. Andernfalls werde er gegenüber vollzeitbeschäftigten Mitgliedern der Mitarbeitervertretung benachteiligt. Er hat in der Revisionsinstanz beantragt
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm Freizeitausgleich im Umfang von weiteren 19,25 Stunden zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, zur Gewährung eines Ausgleichs für Zeiten der Schulungsteilnahme, die über die persönliche Arbeitszeit des Klägers hinausgingen, sei er nicht verpflichtet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren in Form eines Feststellungsantrags weiter.
Gründe
Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Freizeitausgleich nicht zu. Das haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.
I. Für die Entscheidung sind die staatlichen Gerichte zuständig.
1. Die staatliche Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz erstreckt sich auch auf die Kirchen und ihre karitativen Einrichtungen. Bei Streitigkeiten, bei denen es ausschließlich um die Anwendung kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts geht, ist zwar die Zuständigkeit staatlicher Gerichte ausgeschlossen. Dies folgt aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV und findet in § 118 Abs. 2 BetrVG, § 112 BPersVG seinen einfachgesetzlichen Ausdruck. Fragen des bürgerlichen Rechts unterliegen aber als Streitigkeiten aus einem für alle geltenden Gesetz iSv. Art. 137 Abs. 3 WRV grundsätzlich der staatlichen Gerichtsbarkeit. Maßgeblich für die Abgrenzung ist der jeweilige Streitgegenstand ( - zu 1 der Gründe, BAGE 71, 157; - zu II der Gründe mwN, AP MitarbeitervertretungsG-EK Schleswig-Holstein § 22 Nr. 1; Kirchlicher Arbeitsgerichtshof - M 02/08 - zu II 1 der Gründe, ZMV 2008, 198; Richardi Arbeitsrecht in der Kirche 4. Aufl. S. 365). Sind die staatlichen Gerichte zuständig, müssen sie auch das kirchliche Recht anwenden, wenn von ihm die Entscheidung des Rechtsstreits anhängt. Insoweit sind sie zu einer eigenen Auslegung befugt, es sei denn die Kirchen hätten sich eine Vorfragenkompetenz vorbehalten (Richardi aaO.).
2. Danach sind im Streitfall die Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung berufen. Der Anspruch des Klägers auf - bezahlten - Freizeitausgleich resultiert aus dem individuellen Arbeitsverhältnis. Er kommt wirtschaftlich einem Vergütungsanspruch gleich. Zwar bedarf es zur Entscheidung der Auslegung und Anwendung kirchenrechtlicher Bestimmungen. Gleichwohl ist Streitgegenstand ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Dies hat die Eröffnung des staatlichen Rechtswegs zur Folge.
Es besteht auch keine Vorfragenkompetenz kirchlicher Gerichte. Zwar sind gem. §§ 56 ff. MVG zu kirchengerichtlichen Entscheidungen im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihres Diakonischen Werks Kirchengerichte erster und zweiter Instanz berufen. Sie entscheiden jedoch gem. § 60 Abs. 1 MVG "unbeschadet der Rechte des Mitarbeiters" auf Antrag über "Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung dieses Kirchengesetzes zwischen den jeweils Beteiligten ergeben". Beteiligte im Sinne dieser Bestimmung sind die Mitarbeitervertretungen und die kirchlichen Dienststellen. Die Zuständigkeit der Kirchengerichte ist damit kirchenrechtlich auf Streitigkeiten zwischen diesen beschränkt. Sowohl daraus als auch aus der Formulierung "unbeschadet der Rechte des Mitarbeiters" und dem Umstand, dass es dem MVG an entsprechenden Verfahrensregelungen mangelt, wird deutlich, dass den Kirchengerichten eine Vorfragenkompetenz im Rahmen individualrechtlicher Streitigkeiten nicht zukommt.
II. Der zulässige Antrag ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger 19,25 Stunden vergütete Freizeit zu gewähren.
1. Ein solcher Anspruch des Klägers folgt nicht aus § 611 BGB iVm. § 19 Abs. 3 MVG.
a) Nach dieser Bestimmung ist den Mitgliedern der Mitarbeitervertretung für die Teilnahme an Tagungen und Lehrgängen, die ihnen für die Tätigkeit der Mitarbeitervertretung erforderliche Kenntnisse vermitteln, die dafür notwendige Arbeitsbefreiung ohne Minderung der Bezüge oder des Erholungsurlaubs bis zu einer Dauer von vier Wochen während einer Amtszeit zu gewähren. Diesen Anspruch hat der Beklagte erfüllt. Der Kläger ist für die einwöchige Schulungszeit von seinen Arbeitspflichten befreit worden und hat sein Gehalt in Form einer Zeitgutschrift weiter bezogen.
b) Einen weitergehenden Anspruch in Form von Freizeitausgleich für diejenigen Lehrgangszeiten, die über den Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit des Mitglieds der Mitarbeitervertretung hinausgehen, sieht § 19 Abs. 3 MVG nicht vor. Zwar ist dem Mitglied der Mitarbeitervertretung nach der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 5 MVG "auf Antrag Freizeitausgleich zu gewähren", wenn "die Aufgaben der Mitarbeitervertretung aus dienstlichen Gründen nicht innerhalb der Arbeitszeit wahrgenommen werden (können)". § 19 Abs. 3 MVG nimmt aber für die Zeiten einer Lehrgangsteilnahme auf § 19 Abs. 2 Satz 5 MVG nicht Bezug. Hierin unterscheidet sich die Rechtslage nach dem MVG von der nach dem BetrVG. § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG verweist für die Behandlung von Schulungszeiten außerhalb der persönlichen Arbeitszeit auf die mit § 19 Abs. 2 Satz 5 MVG vergleichbare Regelung des § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Liegen Schulungszeiten "wegen Besonderheiten der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung" - zu denen auch die Beschäftigung in Teilzeit gehört - außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds, wird das einem "betriebsbedingten Grund" iSv. § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ausdrücklich gleichgestellt. Dies führt zu einem - auf die Differenz zur Dauer der täglichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft begrenzten - Anspruch auf Freizeitausgleich des teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds. Der kirchliche Gesetzgeber hat in § 19 Abs. 3 MVG eine Gleichstellung von Besonderheiten der Arbeitszeitgestaltung und "dienstlichen Gründen" iSv. § 19 Abs. 2 Satz 5 MVG demgegenüber nicht vorgenommen.
2. Der Anspruch des Klägers auf vergüteten Freizeitausgleich folgt nicht aus § 19 Abs. 2 Satz 5 MVG iVm. § 611 BGB.
Die Regelungen des § 19 Abs. 2 MVG gelten nicht für Zeiten der Schulungsteilnahme. Auf die Frage, ob eine Schulungsteilnahme außerhalb der persönlichen Arbeitszeit auf "dienstlichen Gründen" im Sinne des Satzes 5 der Bestimmung beruht, kommt es deshalb nicht an. Die Teilnahme an Tagungen und Lehrgängen ist ausschließlich Gegenstand von § 19 Abs. 3 MVG. Das zeigt die Systematik des Gesetzes. Es setzt in § 19 Abs. 3 MVG die Lehrgangsteilnahme nicht mit allgemeiner Mitarbeitervertretungstätigkeit iSv. § 19 Abs. 2 MVG gleich, um in Abs. 3 nur die inhaltlichen Anforderungen an die Lehrgänge zu regeln. Es sieht stattdessen die Lehrgangsteilnahme als eigenständige Aufgabe an, für die § 19 Abs. 3 MVG auch den Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung gesondert begründet. Die Eigenständigkeit der Regelung zeigt sich auch darin, dass der Befreiungsanspruch zeitlich auf vier Wochen begrenzt ist.
3. Der Anspruch folgt nicht aus § 611 BGB iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG. Dabei kann dahinstehen, ob Mitarbeitervertretungstätigkeiten überhaupt in den Anwendungsbereich von § 4 Abs. 1 TzBfG und der ihm zugrunde liegenden Richtlinie 97/81/EG des Rates vom zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit fallen.
Gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Danach kann der Kläger einen vergüteten Zeitausgleich für die außerhalb seiner Arbeitszeit liegenden Schulungszeiten nicht verlangen. Zwar wird er insoweit schlechter behandelt als vollzeitbeschäftigte Mitglieder der Mitarbeitervertretung, die für die Teilnahme am selben Lehrgang ihren vollen - doppelt so hohen - Vergütungsanspruch behalten. Dies beruht jedoch auf sachlichen Gründen. Die Ungleichbehandlung ist Konsequenz der Ausgestaltung des Amtes eines Mitarbeitervertreters als unentgeltliches Ehrenamt.
a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 MVG üben die Mitglieder der Mitarbeitervertretung ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt aus. Sie erhalten weder eine Amtsvergütung noch ist die Mitarbeitervertretungstätigkeit eine zu vergütende Arbeitsleistung. Entsprechend dem aus § 19 Abs. 2 MVG und dem Grundsatz der Ehrenamtlichkeit in § 19 Abs. 1 Satz 1 MVG folgenden Lohnausfallprinzip steht ihnen nur dasjenige Entgelt zu, das sie verdient hätten, wenn sie an Stelle der Mitarbeitervertretungstätigkeit die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht hätten. Das schließt es aus, dass die Mitglieder der Mitarbeitervertretung auch nur einen geringen Teil ihrer Vergütung wegen oder aufgrund ihres Amts erhalten. Das Lohnausfallprinzip gilt uneingeschränkt und wird auch nicht von der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 5 MVG durchbrochen. Der Freizeitausgleich für die danach außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit durchgeführte Mitarbeitervertretungstätigkeit betrifft lediglich die Folgen einer auf das Betreiben des Arbeitgebers vorgenommenen Abweichung von dem Grundsatz, demzufolge die Mitarbeitervertretungstätigkeit während der Arbeitszeit vorzunehmen ist. Es handelt sich im Ergebnis um ein zeitlich verschobenes Arbeitsentgelt für eine sonst in der persönlichen Arbeitszeit anfallende Mitarbeitervertretungstätigkeit, die nur infolge eines dem Arbeitgeber zuzurechnenden Umstands in die Freizeit verlegt worden ist (so für § 37 BetrVG in seiner bis zum geltenden Fassung - zu II 4 b aa der Gründe, BAGE 85, 224).
b) Das Ehrenamtsprinzip wahrt die innere Unabhängigkeit der Mitarbeitervertreter. Sie können sich stets vergegenwärtigen, dass besondere Leistungen des Arbeitgebers auf ihr Votum keinen Einfluss genommen haben können. Das Ehrenamtsprinzip sichert außerdem ihre äußere Unabhängigkeit. Es trägt entscheidend dazu bei, dass die von der Mitarbeitervertretung repräsentierten Arbeitnehmer davon ausgehen können, die Vereinbarung zwischen Mitarbeitervertretung und Arbeitgeber sei nicht durch die Gewährung oder den Entzug materieller Vorteile für die Mitglieder der Mitarbeitervertretung beeinflusst. Das begründet oder stärkt die Akzeptanz der von der Mitarbeitervertretung mit zu tragenden Entscheidungen, die auch mit Nachteilen für die Belegschaft oder einzelne Arbeitnehmer verbunden sein können. Die durch das Ehrenamtsprinzip gesicherte Unabhängigkeit der Mitglieder der Mitarbeitervertretung gegenüber dem Arbeitgeber ist damit maßgebliche Voraussetzung für eine sachgerechte Durchführung von Mitwirkung und Mitbestimmung nach dem MVG (zu § 37 BetrVG - zu II 4 b bb der Gründe, BAGE 85, 224).
c) Der kirchliche Gesetzgeber hat die Konsequenzen des Lohnausfallprinzips für Zeiten der Schulungsteilnahme teilzeitbeschäftigter Mitglieder der Mitarbeitervertretung nicht modifiziert. Auch wenn das Beispiel des § 37 Abs. 6 BetrVG in seiner geltenden Fassung zeigt, dass eine solche Modifizierung mit dem Grundsatz des Ehrenamts vereinbar wäre, liegt darin keine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Teilzeitkräfte iSv. § 4 Abs. 1 TzBfG.
4. Der Anspruch folgt auch nicht aus § 611 BGB iVm. Art. 141 EG. § 19 Abs. 3 MVG ist mit dem Grundsatz der Entgeltgleichheit für Frauen und Männer vereinbar.
Als unmittelbar geltendes Primärrecht der Gemeinschaft und allgemeines Gesetz iSv. Art. 137 Abs. 3 WRV bindet Art. 141 EG allerdings auch den kirchlichen Gesetzgeber. Auch fällt der Ausgleich für Mitarbeitervertretungstätigkeit unter den Entgeltbegriff der Bestimmung (für Betriebsratstätigkeit - [Bötel] Rn. 12 ff., AP Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 108; - zu II 2 der Gründe, BAGE 85, 224). Selbst wenn unterstellt wird, dass die Regelung in § 19 Abs. 3 MVG Personen eines Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen kann, liegt aber eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger sich auf eine mittelbare Benachteiligung von Frauen - nur diese kommt im vorliegenden Zusammenhang ernsthaft in Frage - überhaupt berufen könnte. Die mögliche Benachteiligung ist durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt. Auch sie findet ihre Berechtigung in dem erläuterten Ehrenamtsprinzip. Die zur Benachteiligung wegen Teilzeit angestellten Erwägungen gelten im Zusammenhang mit Art. 141 EG gleichermaßen (vgl. - zu II 4 der Gründe, aaO.; Kirchlicher Arbeitsgerichtshof - M 02/08 - zu II 3 c der Gründe, ZMV 2008, 198).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
VAAAD-17815
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein