Progressionsvorbehalt bei Krankengeld einer gesetzlichen Krankenversicherung; § 32b Abs. 1 Nr. 1b EStG verstößt nicht gegen Art. 3 GG
Leitsatz
Dem Progressionsvorbehalt gemäß
§ 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG
unterliegt (nur) das von einer gesetzlichen Krankenkasse gezahlte Krankengeld.
Das gilt unabhängig davon, ob der Krankengeldberechtigte in dieser
Krankenkasse freiwillig versichert oder pflichtversichert
ist.
Die Einbeziehung des Krankengeldes lediglich gesetzlicher
Krankenkassen verstößt nicht gegen
Art. 3
GG. Dies gilt sowohl für die Einbeziehung des von
einem freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten,
selbständig Erwerbstätigen bezogenen Krankengeldes als auch für
die gleichzeitige Nichteinbeziehung des Krankengeldes aus einer privaten
Krankenversicherung.
Gesetze: EStG § 32b Abs. 1 Nr. 1, GG Art. 3
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Krankengeld als Lohnersatzleistungen in Höhe von 11 685 DM zu Recht nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr gültigen Fassung in die Berechnung des Steuersatzes (Progressionsvorbehalt) einbezogen wurde.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog vom 13. April bis zum von der AOK Krankengeld in Höhe von insgesamt brutto 13 685 DM auf Basis des § 44 des Fünften Buches Sozialgesetzbuchs (SGB V, im Folgenden jeweils in der im Streitjahr geltenden Fassung). In dem Einkommensteuerbescheid für 1999 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) Leistungen nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in Höhe von 11 685 DM bei der Berechnung des Steuersatzes und setzte die Einkommensteuer auf 3 349 DM fest.
Den hiergegen eingelegten Einspruch begründete der Kläger damit, dass Krankengeld gemäß § 32b Abs. 1 EStG nur dann im Rahmen des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen sei, wenn es sich um vergleichbare Lohnersatzleistungen nach den Sozialgesetzbüchern handele. Er sei aber als Unternehmer freiwillig krankenversichert und zahle seine Beiträge selbst. Entsprechend seien die gezahlten Beiträge dann auch nur in beschränkter Form als Vorsorgeaufwendungen abzugsfähig. Erstattungen aufgrund solcher Versicherungen führten nicht zu Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterlägen. Weiterhin begründete der Kläger seinen Einspruch damit, dass die (freiwillige) Wahl einer (gesetzlichen oder privaten) Versicherung nicht entscheidend dafür sein könne, ob die gezahlten Lohnersatzleistungen dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Hätte er eine andere —private— Gesellschaft gewählt, wäre es nicht zu einer entsprechenden Bescheinigung und einer entsprechenden Berücksichtigung gekommen.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Seine hiergegen erhobene Klage begründete der Kläger zusätzlich damit, § 44 Abs. 3 SGB V regele, dass sich der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsgeldes bei Arbeitsunfähigkeit nach arbeitsrechtlichen Vorschriften richte. Arbeitsrechtliche Vorschriften könnten jedoch für einen selbständigen Unternehmer nicht in Frage kommen. Allein aus diesem Grunde unterliege die Zahlung des Krankengeldes nicht dem Progressionsvorbehalt. Es verstoße im Übrigen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn Zahlungen der AOK an einen freiwillig Krankenversicherten anders beurteilt würden als Zahlungen einer privaten Krankenversicherung.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 819 veröffentlichten Urteil ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG. Es könne zwar gesetzlich danach unterschieden werden, von wem das Krankengeld gezahlt werde, aber auch danach, wer das Krankengeld erhalte. Dabei seien die gesetzlich Pflichtversicherten von den nicht gesetzlich Pflichtversicherten zu unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehörten die Arbeitnehmer, deren Arbeitsentgelt nicht über der Beitragsbemessungsgrenze liege, zur zweiten Gruppe seien zum einen die Selbständigen und zum anderen die Arbeitnehmer mit einem Arbeitsentgelt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze zu zählen. Bei den Arbeitnehmern der ersten Gruppe finanziere der Arbeitgeber die Krankenversicherungsbeiträge zur Hälfte mit, und der Anspruch auf Krankengeld sei entsprechend dem Arbeitsentgelt, maximal jedoch aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze, in der Höhe begrenzt. Demgegenüber finanzierten die Selbständigen ihre Beiträge allein, ebenso wie die Arbeitnehmer, die sich freiwillig höher als gesetzlich vorgesehen versicherten, diese zusätzliche Beitragslast allein tragen müssten. Der Gesetzgeber habe durch das Steuerreformgesetz (StRG) 1990 vom (BGBl I 1988, 1093) nur das „gesetzliche” Krankengeld, nicht jedoch das „freiwillig” entweder bei einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse versicherte Krankengeld in den Progressionsvorbehalt einbezogen. Diese Auslegung ergebe sich aus dem Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, wonach es sich um „Krankengeld…nach dem Fünften, Sechsten oder Siebten Buchs Sozialgesetzbuch, dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte oder dem Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte” handeln müsse. Da er, der Kläger, als Selbständiger freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse versichert gewesen sei, habe er das Krankengeld nicht aufgrund der gerade genannten Vorschriften erhalten. Dies ergebe sich auch daraus, dass der Gesetzgeber von „vergleichbaren Lohnersatzleistungen” und nicht etwa allgemein von Einkommensersatzleistungen spreche.
Sollte der Progressionsvorbehalt entgegen seinem Wortlaut auf das Krankengeld des Klägers angewandt werden, so verstoße § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn die Krankengeldzahlungen der gesetzlichen Krankenversicherungen anders als die Krankengeldzahlungen der privaten Krankenversicherungen zu behandeln seien. Der vom FG zitierte (BStBl II 1995, 758) beziehe sich nicht auf die Zahlung von Krankengeld, sondern auf die Zahlung von Arbeitslosengeld. Deren Einbeziehung in den Progressionsvorbehalt sei verfassungsgemäß, da sie im Einklang mit der Gesetzesbegründung stehe, dass bei Arbeitslosen durch den Progressionsvorbehalt die Bereitschaft zur möglichst raschen Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit gefördert werden solle. Diese Erwägung der Arbeitsaufnahme treffe aber auf einen Krankengeldempfänger nicht zu, da Kranke nicht schneller dadurch gesundeten, dass das Krankengeld dem Progressionsvorbehalt unterliege. Vielmehr sei es sachgerecht und sozialpolitisch sinnvoll, Kranke, die Krankengeld von der gesetzlichen Krankenkasse erhielten, steuerlich nicht schlechter zu behandeln als Kranke, die von einer privaten Krankenkasse Krankengeld bezögen. Im Übrigen liege es im allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Interesse, möglichst viele Erwerbstätige an die gesetzlichen Krankenkassen zu binden. Im Schrifttum werde die Auffassung vertreten, die unterschiedliche Behandlung des Mutterschaftsgeldes je nach Rechtsgrundlage verstoße gegen Art. 3 GG (Handzik in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32b Rz 56); dies müsse auch für die Ungleichbehandlung des Krankengeldes gelten. Gegebenenfalls sei eine Entscheidung des BVerfG zu der hier streitigen Rechtsfrage einzuholen.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen den geänderten Bescheid für 1999 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom dahingehend zu ändern, dass die Leistungen der Krankenversicherung in Höhe von 13 685 DM abzüglich 2 000 DM Arbeitnehmerpauschbetrag nicht in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision sei unbegründet, da sowohl der Wortlaut des § 32b EStG als auch seine verfassungsgemäße Auslegung die vom Kläger begehrte Rechtsfolge nicht zuließen. Der Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG sei eindeutig. Das Tatbestandsmerkmal „oder vergleichbare Lohnersatzleistung” sei nicht der Streitgegenstand; das entscheidende Tatbestandsmerkmal „Krankengeld” erfahre grammatikalisch keine Einschränkung auf Lohnersatzleistungen. Wenn der Gesetzgeber die Ersatzleistungen nur auf Lohnersatzleistungen hätte beschränken wollen, hätte er dies auch entsprechend formulieren können. Zudem habe der Gesetzgeber das Krankengeld auch in anderen Vorschriften des Sozialgesetzbuches nicht lediglich auf Lohnersatz eingeschränkt, sondern als Erwerbsersatzeinkommen angesehen wie z.B. in § 18a Abs. 3 SGB IV. Die Gesetzesmotive unterstützten diese Auslegung. Folge man der Auffassung des Klägers, wonach die Bereitschaft zur möglicht raschen Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit gefördert werden solle, bleibe offen, warum freiwillig Versicherte von diesen Überlegungen ausgenommen werden sollten. Nach Sinn und Zweck des StRG 1990 sei der Anwendungsbereich des § 32b Abs. 1 EStG aber gerade deswegen erweitert worden, um weitere steuerfreie „Lohn- und Einkommensersatzleistungen” für an sich steuerpflichtige Einnahmen von der progressiven Besteuerung zu erfassen. Auch treffe es nicht zu, dass freiwillig Versicherte anders als Pflichtversicherte belastet wären. Ebenso sei die Beitragsbemessungsgrenze —für alle Versicherten gleich— eine Obergrenze.
Es bestehe weder das Erfordernis für eine verfassungskonforme Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in dem vom Kläger gewünschten Sinne noch bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Es sei auch nicht mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar, wenn bei der Anwendung des § 32b EStG die Arbeitnehmer oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze besser stünden als pflichtversicherte Arbeitnehmer. Es hieße Gleiches ungleich zu behandeln, die freiwillig bei einer gesetzlichen Krankenkasse Versicherten danach zu unterscheiden, ob sie selbständig oder unselbständig seien. Dagegen würde Ungleiches gleich geregelt, wenn privat versicherte Selbständige den gesetzlich Versicherten gleichgestellt würden, da die Versicherungssysteme der gesetzlichen und privaten Versicherungsträger sowohl in der Beitragsbemessung als auch im Leistungsumfang ungleich seien. Beide Systeme hätten ihre Vor- und Nachteile, daher sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die verschiedenartigen Versicherungssysteme unterschiedlich behandele und er die von gesetzlichen Versicherungen erbrachten Leistungen als Einkommensersatz bewerte, während er auf der anderen Seite den Ersatz von Verdienstausfall durch private Versicherer als Schadensersatz und damit nicht einkommenssteuerbaren Vorgang verstehe. Der Kläger sei durch die Wertungen des Gesetzgebers nicht beschwert, er sei vielmehr durch die ihm zustehenden Wahlmöglichkeiten begünstigt.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1999 ist rechtmäßig. Das FG hat zu Recht entschieden, dass das vom Kläger im Streitjahr 1999 gemäß § 44 Abs. 1 SGB V bezogene Krankengeld in Höhe von 11 685 DM gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegt (unten 1.). Die Einbeziehung des Krankengeldes der gesetzlichen Rentenversicherung in die Berechung des besonderen Steuersatzes nach § 32b EStG verletzt den Kläger nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 GG (unten 2.).
1. Hat ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in dem Veranlagungszeitraum Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld, Übergangsgeld oder vergleichbare Lohnersatzleistungen nach dem Fünften, Sechsten oder Siebten Buch Sozialgesetzbuch, dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte oder dem Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte erhalten, sind diese Bezüge dem Progressionsvorbehalt unterworfen (§ 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Diese Voraussetzungen treffen auf den Kläger zu, der als freiwillig Versicherter Krankengeld gemäß § 44 Abs. 1 SGB V erhalten hat.
a) Für eine von ihm vorgeschlagene einengende Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG auf Krankengeld, das von einem pflichtversicherten abhängig Beschäftigten bezogen wird, besteht kein Grund. In dem Wortlaut dieser Vorschrift findet sich keine grammatikalische Einschränkung des nach dem SGB V gewährten Krankengeldes dahingehend, dass der Krankengeldberechtigte pflichtversichert sein muss. Eine entsprechende Einschränkung ergibt sich auch nicht aus den in der weiteren Aufzählung der Ersatzleistungen genannten „vergleichbaren Lohnersatzleistungen nach dem Fünften, Sechsten oder Siebten Buch Sozialgesetzbuch” gewährt werden. Diese „vergleichbaren Lohnersatzleistungen” sind zusätzliche Leistungen, die in dem ansonsten abschließenden Katalog des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG aufgeführt sind (vgl. die Aufzählung der vergleichbaren Lohnersatzleistungen in der , Der Betrieb 2003, 2147). Ihrer Nennung kommt nicht die Funktion zu, andere vorher in dem Tatbestand genannten Leistungen von dem Progressionsvorbehalt auszunehmen.
b) Das weitere Argument des Klägers, nur das „gesetzliche Krankengeld” sei in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen, da der Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG (nur) von Krankengeld spreche, das auf unterschiedlichen „Gesetzen” beruhe, geht ebenfalls fehl. Der Gesetzeswortlaut bietet keinen Anhaltspunkt für eine solche Einschränkung, zumal auch die freiwillig Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen das Krankengeld aufgrund von § 44 SGB V erhalten (vgl. dazu auch das zur amtlichen Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats in der Rechtssache X R 53/06 vom ).
c) Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG im Rahmen des StRG 1990 bestätigt. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich ausgeführt, durch die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf „Lohn- und Einkommensersatzleistungen” solle erreicht werden, dass die progressive Besteuerung nach dem Jahresprinzip nicht unangemessen ermäßigt werde, wenn der Steuerpflichtige anstelle von der Besteuerung unterliegenden Einnahmen steuerfreie Ersatzleistungen erhalte. Während zunächst die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf bestimmte Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und dem Soldatenversorgungsgesetz beschränkt gewesen sei, sollten nunmehr aus Gründen der Gleichbehandlung die zusätzlich und abschließend genannten Leistungen ebenfalls in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden. Der Gleichmäßigkeit der Besteuerung werde insoweit Vorrang vor der damit verbundenen Verwaltungserschwernis eingeräumt (BTDrucks 11/2157, 149).
Damit werden nicht mehr nur Lohnersatzleistungen in den Progressionsvorbehalt einbezogen, sondern auch sonstige enumerativ aufgezählten „Einkommensersatzleistungen”, zu denen auch das vom Kläger bezogene Krankengeld zählt (so auch , BFHE 178, 369, BStBl II 1996, 96; Probst in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 32b EStG Rz 8; Frotscher, EStG, 6. Aufl., § 32b Rz 14).
2. § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG verletzt den Kläger nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 GG.
a) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Im Bereich des Steuerrechts, insbesondere des Einkommensteuerrechts, wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. , BFH/NV 2008, Beilage 4, 295, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG).
Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Besteuerung niedrigerer Einkommen angemessen ausgestaltet werden muss (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27; vom 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268; vom 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, und in BFH/NV 2008, Beilage 4, 295, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Der Gesetzgeber hat bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Er muss aber unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestandes die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne von Belastungsgleichheit umsetzen (BVerfG-Entscheidungen in BVerfGE 107, 27, und in BFH/NV 2008, Beilage 4, 295, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Diese Grundsätze zugrunde gelegt verstößt die Einbeziehung des Krankengeldes lediglich gesetzlicher Krankenkassen und nicht privater Krankenkassen in den Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht gegen Art. 3 GG (so auch , BFH/NV 1997, 22; die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, siehe Kammerbeschluss vom 2 BvR 2111/96, Steuer-Eildienst 1997, 170; Naujok in Lademann, EStG, § 32b EStG Rz 32c; Blümich/Wagner, § 32b EStG Rz 19; siehe auch HHR/Probst, § 32b EStG Rz 7 f.; Frenz, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32b Rz A 168; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 32b Rz 54 f.).
Dies gilt sowohl für die Einbeziehung des von einem freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten, selbständig Erwerbstätigen bezogenen Krankengeldes in § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG (unten b) als auch für die gleichzeitige Nichteinbeziehung des Krankengeldes aus einer privaten Krankenversicherung in den Progressionsvorbehalt (unten c).
b) Die Einbeziehung des aufgrund des SGB V gezahlten Krankengeldes in den Progressionsvorbehalt wird mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerechtfertigt (siehe oben unter II.1.c) und nicht —wie der Kläger meint— mit dem Zweck, den Versicherten zu einer schnelleren Arbeitsaufnahme zu motivieren. Dieses arbeitsmarktpolitische Argument war zwar der Grund für die vorherige Einbeziehung des Arbeitslosengeldes und anderer Lohnersatzleistungen in den Progressionsvorbehalt durch das Zweite Haushaltsstrukturgesetz vom (BGBl I 1981, 1523), die vom BVerfG im Kammerbeschluss in BStBl II 1995, 758 als verfassungsgemäß bestätigt wurde.
Es ist jedoch nicht zu beanstanden und entspricht der folgerichtigen Weiterentwicklung einer getroffenen Belastungsentscheidung, auch weitere Leistungen, die steuerpflichtige Einkünfte ersetzen und die vom Gesetzgeber zunächst als steuerfrei behandelt werden, ebenso wie das Arbeitslosengeld in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen, um zu verhindern, „dass die progressive Besteuerung nach dem Jahresprinzip nicht unangemessen ermäßigt wird” (BTDrucks 11/2157, 149).
c) § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG verstößt auch nicht deswegen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil er nur das Krankengeld einer gesetzlichen Krankenversicherung und nicht auch das einer privaten Versicherung in den Progressionsvorbehalt einbezieht. Der Gesetzgeber hat bei der Auswahl des Steuergegenstandes bzw. bei der Auswahl der Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen sollen, den ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraum verfassungskonform ausgefüllt.
Es ist dem Kläger zwar zuzugeben, dass er im Verhältnis zu einem ebenfalls Selbständigen, der eine entsprechende Krankenversicherung mit Anspruch auf Krankengeld bei einer privaten Versicherung abgeschlossen hat, insoweit ungleich behandelt wird, als das Krankengeld privater Versicherungen nicht in den Katalog des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG aufgenommen wurde. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers ist diese Ungleichbehandlung nicht willkürlich, sondern gerechtfertigt.
aa) Die gesetzliche Krankenversicherung unterscheidet sich von der privaten Krankenversicherung nicht nur durch die weitgehende Ausgestaltung als Pflichtversicherung in öffentlich-rechtlicher Organisationsform, sondern auch nach den unterschiedlichen Grundstrukturen, auf denen die jeweiligen Versicherungen aufbauen (siehe auch Ebsen, in von Maydell/Ruland/ Becker, Sozialrechtshandbuch, 4. Aufl., § 15 Rz 52).
Während die gesetzliche Krankenversicherung wesentlich durch das Solidarprinzip geprägt ist, folgt die private Krankenversicherung dem Äquivalenzprinzip. Die Bemessung der Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung bestimmt sich damit nach dem versicherten Risiko. Bei privaten Krankenversicherungsbeiträgen kann daher —anders als bei Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung— davon ausgegangen werden, dass einem höheren Beitrag ein äquivalent höherer Individualvorteil des Beitragszahlers entspricht (, BFH/NV 2008, Beilage 3, 228, m.w.N.). Ob der jeweilige Arbeitnehmer durch seine Beiträge über das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung individuell begünstigt oder belastet wird, hängt von Einkommenshöhe, Alter, Gesundheitszustand und Familienstand im Einzelfall ab.
bb) Neben der Abkopplung der Beitragshöhe vom versicherten Krankheitsrisiko ist grundsätzlich auch das Leistungsniveau weitgehend unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge. Lediglich das Krankengeld nach §§ 44 ff. SGB V knüpft der Höhe nach an das der Beitragsberechnung unterliegende Regelentgelt an. Dies gilt insbesondere für die freiwillig Versicherten, zu denen auch der Kläger gehört. Nach § 44 Abs. 2 SGB V kann die Satzung der gesetzlichen Krankenversicherung den Anspruch auf Krankengeld ausschließen oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen; im Gegenzug ist für diese Versichertengruppe der Beitragssatz entsprechend zu ermäßigen (§ 243 Abs. 1 SGB V; siehe auch Meyerhoff, in Schlegel/Voelzke, SGB V, § 44 Rz 57 ff.). Hiervon hat die Krankenversicherung des Klägers, die AOK, Gebrauch gemacht, genauso wie sie ihren freiwillig Versicherten, die selbständig erwerbstätig sind, gemäß § 11 Abs. 3 der Satzung die Möglichkeit eingeräumt hat, bereits früher Krankengeld zu beziehen. Daher ist hier die Ähnlichkeit mit dem Krankengeld einer privaten Krankenversicherung sehr groß.
cc) Dennoch durfte der Gesetzgeber zwischen den Krankengeldern der unterschiedlichen Krankenkassen differenzieren. Die gesetzlichen Krankenkassen nehmen als Träger öffentlicher Verwaltung die Aufgaben der Sozialversicherung i.S. des Art. 74 Nr. 12 GG wahr (siehe auch Art. 87 Abs. 2 GG; Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 87 Rz 49) und sind öffentlich-rechtliche Körperschaften. Während der Anspruch auf Krankengeld des Versicherungsnehmers einer privaten Versicherung auf dem Versicherungsvertrag beruht, ergibt sich der Anspruch auf Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung als Sozialleistung aus dem gesetzlichen Leistungskatalog des § 11 SGB V, der in Abs. 1 Nr. 4 auf die Leistungen zur Behandlung einer Krankheit in den §§ 27 bis 52 SGB V, also auch auf die Gewährung von Krankengeld gemäß § 44 Abs. 1 SGB V, verweist. Dass es die Möglichkeit gibt, den Krankengeldanspruch für freiwillig Versicherte in der Satzung der gesetzlichen Krankenversicherung gegen Gebührenreduzierung (vgl. dazu § 243 Abs. 1 SGB V) auszuschließen oder einzuschränken, ändert an der grundsätzlichen Qualifizierung dieses Leistungsanspruchs nichts. Er ist Teil des Sozialversicherungsverhältnisses und damit eines öffentlich rechtlichen Schuldverhältnisses, das zwar im Grundsatz dem Privatversicherungsverhältnis nachgebildet ist, jedoch durch das Prinzip des sozialen Ausgleichs modifiziert wurde (Kreikebohm/von Koch, in von Maydell/Ruland/Becker, a.a.O., § 6 Rz 8). Diese entsprechend den Geboten des Sozialstaats vorgenommene Ergänzung des Versicherungsprinzips ist auch die Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Krankengelder und gleichzeitig für die Gleichbehandlung der Krankengelder der gesetzlichen Krankenversicherungen mit den Leistungen der ebenfalls zur Sozialversicherung zählenden Arbeitslosenversicherung.
dd) Dieses Ergebnis wird zudem durch den Aspekt der Administrierbarkeit gestützt, da der Praktikabilität einer Steuerregelung im Interesse des Verifikationsprinzips eine besondere Bedeutung zukommt und nicht allein auf die Selbsteinschätzung des Steuerpflichtigen abgestellt werden kann (siehe die Gesetzesbegründung zum Alterseinkünftegesetz, BTDrucks 15/2150, 41). Durch § 32b Abs. 3 EStG werden die Träger der Sozialleistungen i.S. des Abs. 1 Nr. 1 verpflichtet, bei Einstellung ihrer Leistungen oder spätestens am Ende des jeweiligen Kalenderjahrs dem Empfänger die Dauer des Leistungszeitraums sowie die Art und Höhe der während des Kalenderjahrs gezahlten Leistungen zu bescheinigen. Nach § 32b Abs. 3 Satz 2 EStG ist der Empfänger auf die steuerliche Behandlung dieser Leistungen und seine Steuererklärungspflicht hinzuweisen. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Verfahren bereits bei Lohnersatzleistungen von der Bundesanstalt für Arbeit praktiziert worden sei und sich in der Praxis bewährt habe (BTDrucks 11/2157, 150).
Die Gewährleistung eines gleichmäßigen Gesetzesvollzugs rechtfertigt es damit auch, nur solche Ersatzleistungen in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen, die von einer überschaubaren Gruppe von öffentlich-rechtlichen Trägern von Sozialleistungen und nicht von einer Vielzahl privater Versicherungen erbracht werden, da so die Kontrollmöglichkeiten mit einem überschaubaren Aufwand gegeben sind. Dass dieser Aspekt der Administrierbarkeit und Kontrolle bei der Anwendung des Progressionsvorbehalts eine immer wichtigere Rolle spielt, zeigt im Übrigen auch die Änderung des § 32b Abs. 3 EStG durch das Jahressteuergesetz 2008 vom (BGBl I 2007, 3150), wonach die Sozialleistungsträger die Daten über die gewährten Leistungen für jeden Empfänger bis zum 28. Februar des Folgejahrs nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch amtlich bestimmte Datenfernübertragung zu übermitteln haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 739 Nr. 5
EStB 2009 S. 164 Nr. 5
StBW 2009 S. 6 Nr. 8
LAAAD-15990