BAG Urteil v. - 9 AZR 815/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 70; GG Art. 72; GG Art. 74; AWbG § 1; AWbG § 2; AWbG § 3; AWbG § 4; AWbG § 5; AWbG § 7; AWbG § 9; BGB § 269; SGB IV § 7; ZPO § 256

Instanzenzug: LAG Hamm, 18 Sa 243/07 vom ArbG Dortmund, 6 Ca 4876/05 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf bezahlte Freistellung aus dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).

Der Kläger ist seit Februar 2000 als Flugbegleiter für das beklagte Luftfahrtunternehmen tätig. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:

"1. Beginn, Art und Ende der Tätigkeit

Der Mitarbeiter wird ab im Bereich Flugbetrieb, dienstlicher Wohnsitz D, als Flugbegleiter/BAe eingestellt.

...

Es besteht Einvernehmen darüber, dass eine Mindestverweildauer an dem o. a. dienstlichen Wohnsitz von mindestens einem Jahr vereinbart wird.

Die Regularien des MTV § 4 Ziffer 6 bleiben jedoch unberührt, das heißt konkret, dass bei betrieblichen Erfordernissen eine Versetzung an einen anderen dienstlichen Wohnsitz erfolgen kann."

Der Sitz der Beklagten ist N. Dort liegt auch der Schwerpunkt ihrer Technik. Verwaltung und Personalabteilung befinden sich in Do. Dort wird das Arbeitsverhältnis abgerechnet. Von Do aus wird der Einsatz des Klägers durch monatlich erstellte Dienstpläne mit wechselnden Anflugzielen gesteuert. Die Ziele liegen idR außerhalb Nordrhein-Westfalens in Deutschland und anderen Teilen Europas.

Der Kläger nahm für das Jahr 2004 keinen Bildungsurlaub in Anspruch. Er verlangte im Herbst 2004 Bildungsurlaub für zwei Veranstaltungen im Jahr 2005. Es handelte sich um die Kurse "Spanisch für Anfänger I" in der Zeit vom 6. bis und "Spanisch für Anfänger II" in der Zeit vom 13. bis . Veranstalter war der A. e. V. in D, der als Einrichtung der Weiterbildung nach § 23 aF Weiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (1. WbG) anerkannt ist. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Schreiben vom ab. Die Kurse wurden im Jahr 2005 auf die Zeiträume vom 1. bis und 8. bis verlegt. Der Kläger verlangte unter dem erneut Bildungsurlaub für die verlegten Veranstaltungen. Die Beklagte lehnte den weiteren Antrag mit Schreiben vom ab. Sie bot dem Kläger zugleich folgende Vereinbarung an:

"a) Sie nehmen in der Zeit vom 1. bis an der vom A.-Bildungsforum durchgeführten Veranstaltung 'Spanisch Anfänger I' und in der Zeit vom 8. bis an der Veranstaltung 'Spanisch Anfänger II' in D teil.

b) Die E. AG wird Sie hierfür unbezahlt freistellen.

c) Sie lassen arbeitsgerichtlich klären, ob es sich bei den hier streitbefangenen Veranstaltungen um eine Bildungsmaßnahme handelt, die alle Voraussetzungen des AWbG NRW erfüllt, ob dieses Gesetz überhaupt auf fliegendes Personal mit ständig wechselndem Erfüllungsort anwendbar ist und ob es sich hier noch um eine zulässige Zusammenfassung gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 AWbG NRW handelt.

d) Sollten Sie rechtskräftig gewinnen, werden wir Ihnen die Vergütung für die Tage, an denen Sie unbezahlt freigestellt waren, nachzahlen."

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers antwortete darauf mit Schreiben vom ua.:

"Mein Mandant ist zunächst mit einer unbezahlten Freistellung für die Zeit der streitgegenständlichen Veranstaltung einverstanden, wird allerdings selbstverständlich eine Vergütung für diesen Zeitraum gerichtlich geltend machen."

Der Kläger nahm an den Veranstaltungen im August 2005 teil. Die Vergütung für die zehn Arbeitstage hätte 624,49 Euro brutto betragen.

Der Kläger meint, er habe für die Teilnahme an den beiden Veranstaltungen Anspruch auf Bildungsurlaub gehabt.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 624,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen;

2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihn in der Zeit vom bis und bis unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts zur Teilnahme an der Bildungsveranstaltung des A. e.V. Spanisch Anfänger I und Spanisch Anfänger II freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, das AWbG sei auf fliegendes Personal nicht anzuwenden. Bei diesem liege der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses nicht in Nordrhein-Westfalen. Der Landesgesetzgeber habe keine Regelungskompetenz für Sachverhalte außerhalb Nordrhein-Westfalens. Jedenfalls habe der Kläger die Bildungsurlaubsansprüche für die Jahre 2004 und 2005 nicht zusammenfassen können.

Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag als derzeit unbegründet abgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Es hat den Hilfsantrag dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Freistellung des Klägers für die Veranstaltungen im August 2005 festgestellt werden solle. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält die Beklagte an ihrem Antrag auf Abweisung der gesamten Klage fest. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

A. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Hilfsantrag zu Recht stattgegeben.

I. Der Hilfsantrag ist so zu verstehen, dass der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Freistellung von der Arbeitspflicht für die beiden Veranstaltungen des A. e. V. festgestellt wissen will, an denen er im August 2005 tatsächlich teilnahm.

1. Das Revisionsgericht hat den Antrag als prozessuale Willenserklärung selbst auszulegen (st. Rspr., vgl. für die Parteibezeichnung zB - Rn. 16; für das Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag Senat - 9 AZR 111/07 - Rn. 16, AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 39 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 27). Entscheidend ist, welchen Sinn die Erklärung aus objektiver Sicht nach dem tatsächlichen Vorbringen der klagenden Partei hat (vgl. - aaO.).

2. Der Kläger besuchte die Veranstaltungen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in den Zeiträumen vom 1. bis und 8. bis . Er wies bereits in der Klageschrift auf die Verlegung der Termine von Juni auf August 2005 hin. Für die Beklagte und das Gericht war deshalb ersichtlich, dass sich sein Begehren nicht auf die im Hilfsantrag versehentlich genannten Daten des Besuchs der ursprünglich für Juni 2005 vorgesehenen Veranstaltungen, sondern auf die Daten der tatsächlich im August 2005 besuchten Veranstaltungen bezog.

II. Der Hilfsantrag ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

1. Aus der vom Kläger angenommenen Freistellungspflicht in der Vergangenheit ergeben sich noch Rechtsfolgen für die Gegenwart (vgl. Senat - 9 AZR 104/04 - zu I 2 der Gründe, BAGE 114, 70). Der Kläger will Entgeltfortzahlungsansprüche festgestellt wissen.

2. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Freistellungs- und der Entgeltfortzahlungspflicht der Beklagten. Die Feststellungsklage ist nicht wegen Vorrangs der Leistungsklage unzulässig.

a) Der Vorrang der Leistungsklage gilt nicht uneingeschränkt. Eine Feststellungsklage ist zulässig, wenn mit ihr eine sachgerechte, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Überlegungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (vgl. nur - Rn. 16; - 3 AZR 358/06 - Rn. 15, EzA BetrAVG § 4 Nr. 7).

b) Diese Erfordernisse sind gewahrt. Das der Vollstreckung nicht zugängliche Feststellungsurteil ist geeignet, den Konflikt endgültig zu lösen und weitere Prozesse zu vermeiden.

aa) Zwischen den Parteien besteht lediglich Streit über das "Ob" der Freistellungspflicht, nicht über die Ausgestaltung der Vergütungsfortzahlungspflicht.

bb) Hinzu kommt, dass der Kläger zunächst einen Leistungsantrag gestellt hat. Das Arbeitsgericht hat diesen Antrag wegen der Vereinbarung vom rechtskräftig als derzeit unbegründet abgewiesen. Es hat den Vertrag dahin ausgelegt, dass dem Kläger vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Freistellungspflicht keine Entgeltfortzahlungsansprüche zustehen sollten (zu der Auslegung einer ähnlichen Vereinbarung Senat - 9 AZR 422/91 - zu I 3 a der Gründe).

III. Der Hilfsantrag ist begründet. Die Beklagte war verpflichtet, den Kläger in den Zeiträumen vom 1. bis und 8. bis unter Fortzahlung seines Arbeitsentgelts für die Teilnahme an den Veranstaltungen "Spanisch für Anfänger I und II" freizustellen (§ 3 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 1 bis 3, § 2 Satz 1 und § 7 Satz 1 AWbG).

1. Die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger ist Arbeitnehmer (§ 2 Satz 1 AWbG). Das Arbeitsverhältnis besteht seit dem Jahr 2000. Die Wartezeit des § 3 Abs. 3 AWbG von sechs Monaten war daher bei Antragstellung im Herbst 2004 und Mai 2005 verstrichen.

2. Der Kläger verlangte die Freistellung für die beiden Termine im Juni 2005 im Herbst 2004. Nach der Verlegung der Veranstaltungen von Juni auf August 2005 machte er auch die Freistellung für die Zeiträume vom 1. bis und 8. bis rechtzeitig - dh. mindestens sechs Wochen vor Beginn der ersten Bildungsveranstaltung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AWbG) - unter dem schriftlich geltend. Die Beklagte übte kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 Satz 1 AWbG aus. Sie stellte den Kläger für die beiden Veranstaltungen von seiner Arbeitspflicht frei und lehnte nur die Entgeltfortzahlung ab (vgl. Senat - 9 AZR 648/90 - zu A II der Gründe, BAGE 72, 200).

3. Der Anspruch des Klägers folgt nicht schon aus der Freistellung.

a) Das AWbG verpflichtet den Arbeitgeber in § 1 Abs. 1, den anspruchsberechtigten Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freizustellen. Die Freistellungspflicht ist ferner aus § 3 Abs. 7, § 4 Abs. 1 und 2 sowie § 5 Abs. 1 bis 4 AWbG zu ersehen. Der Weiterbildungsanspruch ist ein gesetzlich begründeter Freistellungsanspruch. Erfüllt der Arbeitgeber den gesetzlichen Freistellungsanspruch, ist er nach § 7 Satz 1 AWbG zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Er darf den Arbeitnehmer nach dem AWbG nicht unter dem Vorbehalt der Klärung von Rechtsfragen freistellen und die Vergütungsfortzahlung zunächst ablehnen (vgl. zum Hessischen Bildungsurlaubsgesetz Senat - 9 AZR 648/90 - zu A III 1 der Gründe, BAGE 72, 200). Die Abgabe einer Freistellungserklärung zum Zweck der Arbeitnehmerweiterbildung ist Voraussetzung der Entgeltfortzahlungspflicht nach § 7 Satz 1 iVm. § 1 Abs. 1 AWbG (vgl. Senat - 9 AZR 325/92 - zu 1 der Gründe, AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 8 = EzA Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 7 Nr. 15; - 9 AZR 422/91 - zu I 2 der Gründe; - 9 AZR 240/90 - zu II 1 der Gründe, BAGE 74, 99).

b) Die Beklagte erfüllte die Ansprüche des Klägers aus dem AWbG hier jedoch nicht. Sie gewährte ihm keinen Bildungsurlaub unter Vorbehalt. Vielmehr bot sie ihm unter dem unbezahlten Sonderurlaub und die spätere Vergütung der Freizeit für den Fall des rechtskräftigen Obsiegens des Klägers an. Dieses Angebot nahm der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom an. Eine solche Vereinbarung ist rechtlich wirksam. Sie macht es den Arbeitsvertragsparteien möglich, den Streit über die Qualität einer Bildungsveranstaltung und die Anspruchsberechtigung nachträglich gerichtlich auszutragen (vgl. Senat - 9 AZR 240/90 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 74, 99; - 9 AZR 648/90 - zu A III 2 der Gründe, BAGE 72, 200).

4. Die Erfordernisse der geltend gemachten gesetzlichen Weiterbildungsansprüche sind gewahrt.

a) Die Sprachkurse "Spanisch für Anfänger I und II" sind berufliche Arbeitnehmerweiterbildung iSv. § 1 Abs. 1 bis 3 AWbG.

aa) Der veranstaltende A. e. V. ist eine nach § 23 aF 1. WbG anerkannte Einrichtung. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts steht zwischen den Parteien außer Streit, dass die Sprachkurse nach den Bestimmungen des 1. WbG durchgeführt wurden und nicht der Gewinnerzielung dienten (§ 9 Abs. 1 AWbG).

bb) Die Sprachkurse entsprachen inhaltlich den Anforderungen, die § 1 Abs. 3 AWbG an berufliche Arbeitnehmerweiterbildung stellt.

(1) Veranstaltungen dienen der beruflichen Weiterbildung, wenn sie Kenntnisse für den ausgeübten Beruf oder jedenfalls Kenntnisse vermitteln, die im erlernten oder ausgeübten Beruf verwendet werden können (vgl. etwa Senat - 9 AZR 104/04 - zu II 1 c bb (1) der Gründe, BAGE 114, 70; - 9 AZR 510/96 - zu II 1 der Gründe, AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 23 = EzA Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 7 Nr. 26). Es genügt, wenn Kenntnisse vermittelt werden, die der Arbeitnehmer zum auch nur mittelbar wirkenden Vorteil des Arbeitgebers in seinem Beruf verwenden kann (vgl. Senat - 9 AZR 258/91 - zu A II 2 c aa der Gründe, BAGE 74, 218; - 9 AZR 261/90 - zu II 2 der Gründe, BAGE 73, 225; siehe heute § 1 Abs. 3 Satz 3 AWbG).

(2) Die Beklagte hat ihr früheres Bestreiten des Vortrags des Klägers zum Erfordernis des zumindest mittelbar wirkenden Vorteils für den Arbeitgeber in der Revisionsinstanz ausdrücklich fallengelassen. Zwischen den Parteien ist nun unstreitig, dass der Bildungsinhalt der im Unterricht vermittelten Spanischkenntnisse in der Tätigkeit des Klägers als Flugbegleiter zumindest mittelbar vorteilhaft für die Beklagte verwendet werden kann. Die Sprachkenntnisse weisen bei zukunftsorientierter Betrachtung in den Zeitpunkten der Entscheidungen der Beklagten einen objektiv nachvollziehbaren oder fördernden Bezug zu der Dienstleistungstätigkeit eines Flugbegleiters im internationalen Luftverkehr auf. Sie können bei der Arbeit verwendet und damit kontinuierlich nutzbringend eingesetzt werden (zum nötigen kontinuierlichen Berufsbezug und zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Arbeitgebers bei zukunftsgerichteter beruflicher Weiterbildung Senat - 9 AZR 510/96 - zu II 1, 2 b der Gründe, AP BildungsurlaubsG NRW § 1 Nr. 23 = EzA Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 7 Nr. 26). Die Nützlichkeit von Kenntnissen der spanischen Sprache wird durch das Übergewicht der englischen Sprache im internationalen Flugverkehr nicht ausgeschlossen. Der Kläger brauchte nicht darzulegen, dass er seine Tätigkeit künftig mithilfe der Spanischkenntnisse besser versehen kann (vgl. Senat - 9 AZR 510/96 - zu II 2 b (3) der Gründe, aaO.).

b) Der Kläger ist Anspruchsberechtigter iSv. § 2 Satz 1 AWbG.

aa) § 2 AWbG lautet:

"§ 2

Anspruchsberechtigte

Anspruchsberechtigt nach diesem Gesetz sind Arbeiter und Angestellte, deren Beschäftigungsverhältnisse ihren Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen haben (Arbeitnehmer). Als Arbeitnehmer gelten auch die in Heimarbeit Beschäftigten sowie ihnen Gleichgestellte und andere Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind."

bb) Diese Erfordernisse sind gewahrt. Der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses der Parteien iSv. § 2 Satz 1 AWbG befindet sich in Nordrhein-Westfalen. Dafür sprechen Wortlaut, Zusammenhang und Zweck des AWbG.

(1) Das "Beschäftigungsverhältnis" in § 2 Satz 1 AWbG entspricht nicht dem sozialversicherungsrechtlichen Begriff der Beschäftigung in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung "die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis". Es kann auf sich beruhen, ob und wie der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses vom arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitsverhältnisses abzugrenzen ist (zu der Kontroverse ErfK/Rolfs 9. Aufl. § 7 SGB IV Rn. 33 ff.). Entgegen der Ansicht der Revision stellt der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in § 2 Satz 1 AWbG nicht auf den Ort ab, an dem die Arbeitsleistungen tatsächlich erbracht werden. Beschäftigungsverhältnis nach § 2 Satz 1 AWbG ist bei einem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis.

(a) Erster Anhaltspunkt ist der Bezug des Beschäftigungsverhältnisses zum Arbeitnehmer in § 2 Satz 1 AWbG. Die rechtliche Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist das Arbeitsverhältnis, das durch den Arbeitsvertrag begründet wird.

(b) Auf dieses Verständnis deutet auch die Fiktion der Arbeitnehmereigenschaft in § 2 Satz 2 AWbG hin. In Heimarbeit Beschäftigte, ihnen Gleichgestellte und andere Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind, stehen nicht in einem Arbeitsverhältnis, sondern allenfalls in einem sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis. Sie sollen ebenfalls Anspruch auf Weiterbildung haben und werden insoweit wie Arbeitnehmer behandelt. Die Gesetzessystematik lässt erkennen, dass der Landesgesetzgeber mit dem Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in § 2 Satz 1 AWbG einen Oberbegriff für beide Personengruppen - Arbeitnehmer und wie Arbeitnehmer zu behandelnde Personen - verwenden wollte.

(2) Der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses der Parteien liegt in Nordrhein-Westfalen und damit im Geltungsbereich des AWbG.

(a) Sinn des Schwerpunkterfordernisses in § 2 Satz 1 AWbG ist die beschränkte Regelungskompetenz des nordrhein-westfälischen Landesgesetzgebers. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, das der konkurrierenden Gesetzgebung zuzuordnen ist (Art. 70, 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG), nicht abschließend mit Sperrwirkung für die Länder Gebrauch gemacht. Die Länder sind deshalb befugt, den Bildungsurlaub von Arbeitnehmern in ihrem Hoheitsgebiet gesetzlich zu regeln ( ua. - zu C I der Gründe, BVerfGE 77, 308; Senat - 9 AZR 104/04 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 114, 70; inhaltlich einschränkend für die politische Weiterbildung Kania Anm. EzA Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 7 Nr. 16 zu III; zum hessischen Schwerpunkterfordernis Schiefer Schulung und Weiterbildung im Arbeits- und Dienstverhältnis Rn. 387).

(b) Die beschränkte Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers ist gewahrt, wenn der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses bei Tätigkeiten mit wechselnden Einsatzorten mithilfe einer organisatorischen Zuordnung bestimmt werden kann. Für den Weiterbildungsanspruch ist es unschädlich, dass aus den Umständen kein Ort iSv. § 269 Abs. 1 2. Alt. BGB zu entnehmen ist, an dem die Arbeitspflicht gewöhnlich erfüllt wird.

(aa) Flugbegleiter im internationalen Flugverkehr haben keinen bestimmten Arbeitsort. Sie erbringen ihre Arbeitsleistungen überwiegend während des Flugs ohne Bezug zu einem bestimmten Land oder Staat. Das Flugzeug ist nur das "Arbeitsgerät" der Flugzeugbesatzung, das sich in verschiedenen Ländern und Staaten befinden kann. Die organisatorische Zuordnung zu einer konkreten Niederlassung und die teilweise Eingliederung in deren Organisationsstruktur begründen keinen gewöhnlichen Arbeitsort (Senat - 9 AZR 134/07 - Rn. 37 und 39 mwN, AP EGBGB nF Art. 27 Nr. 8 = EzA EGBGB Art. 30 Nr. 9; zum Problem des Erfüllungsorts für entsandte Arbeitnehmer allgemein - zu B V 3 b der Gründe, AP Brüsseler Abkommen Art. 5 Nr. 1 = EzA BGB § 269 Nr. 2).

(bb) Die Arbeitnehmergruppe der Flugbegleiter gehört dennoch zu den Anspruchsberechtigten des § 2 Satz 1 AWbG. Dafür spricht insbesondere der Gesetzeszweck. Gesetzgeberisches Ziel des Anspruchs auf bezahlte Freistellung von der Arbeit zur Weiterbildung aus §§ 2, 3 und 7 AWbG ist, die Weiterbildung in zeitlich größerem Rahmen zu ermöglichen, Arbeitnehmer sowie ihnen gleichgestellte Personen finanziell zu entlasten und sie damit zu motivieren, verstärkt Weiterbildungsbemühungen zu unternehmen (vgl. zum niedersächsischen Weiterbildungsanspruch Senat - 9 AZR 104/04 - zu II 2 d bb der Gründe, BAGE 114, 70). Diesem Gesetzeszweck liefe es zuwider, Arbeitnehmer, für die kein gewöhnlicher Arbeitsort ermittelt werden kann, vom Kreis der Anspruchsberechtigten auszunehmen.

(cc) Die Umstände, die nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zwischen den Parteien unstreitig sind, zeigen, dass der Kläger organisatorisch der Verwaltungseinheit in Do zugeordnet ist. Dort wird das Arbeitsverhältnis abgerechnet und von der Personalabteilung verwaltet. Ein starkes Indiz für eine organisatorische Eingliederung in Do ist vor allem, dass die Dienstpläne in Do erstellt werden. Mit ihnen wird entschieden, welche Flüge dem Kläger zugewiesen werden. Die Beklagte übt damit ihr Weisungsrecht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit aus (vgl. Senat - 9 AZR 134/07 - Rn. 48, AP EGBGB nF Art. 27 Nr. 8 = EzA EGBGB Art. 30 Nr. 9). Sie bestimmt mit den Flugplänen darüber hinaus die konkreten Arbeitsinhalte. Auf die mit einer Aufklärungsrüge der Revision beanstandete Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Einsätze des Klägers von Do aus erfolgten, kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass die Beklagte von dort aus ihr inhaltliches und zeitliches Direktionsrecht ausübt. In der Gesamtschau der unstreitigen Umstände liegt der organisatorische Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses in Do. Der Sitz der Beklagten in N ist für die organisatorische Abwicklung des Arbeitsverhältnisses von geringerer Bedeutung (kritisch zu den "Zwangswirkungen" für ein in einem anderen Land ansässiges Unternehmen Roßmann/Ebert TranspR 2004, 26, 27).

5. Der Weiterbildungsanspruch für das Jahr 2004 ging nicht am unter. Der Kläger fasste seine Freistellungsansprüche für die Jahre 2004 und 2005 von jeweils fünf Arbeitstagen im Kalenderjahr wirksam zusammen.

a) Eine Zusammenfassung der Ansprüche auf Arbeitnehmerweiterbildung für zwei Kalenderjahre iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG hat zum Ziel, die beiden Ansprüche zu einem Anspruch von zehn Kalendertagen zu vereinigen.

aa) Eine Zusammenfassung kommt nur in Betracht, wenn der Weiterbildungsanspruch aus dem laufenden Kalenderjahr im Zeitpunkt der Erklärung des Arbeitnehmers noch besteht. Der Erklärung muss zu entnehmen sein, dass der Anspruch auf Weiterbildung nicht in diesem, sondern im nächsten Jahr erfüllt werden soll (vgl. Senat - 9 AZR 126/89 - zu 3 b der Gründe, AP BildungsurlaubsG NRW § 3 Nr. 2 = EzA Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 3 Nr. 1). Eine Zusammenfassung im Vorgriff auf einen weiteren künftigen Weiterbildungsanspruch ist keine Anspruchsübertragung iSv. § 3 Abs. 4 iVm. § 5 Abs. 2 AWbG.

bb) Eine sog. Vorgriffszusammenfassung setzt im Fall der Teilnahme an mehreren Veranstaltungen ferner voraus, dass die bis zu zehntägige Freistellung zum Besuch inhaltlich-thematisch verbundener Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden soll (vgl. Senat - 9 AZR 126/89 - zu 3 a der Gründe, AP BildungsurlaubsG NRW § 3 Nr. 2 = EzA Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 3 Nr. 1).

b) Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

aa) Der Kläger verlangte im Herbst 2004, als der Weiterbildungsanspruch für das Jahr 2004 noch bestand, Bildungsurlaub von zehn Arbeitstagen für Zeiträume im Jahr 2005.

(1) Das AWbG sieht im Unterschied zu anderen Weiterbildungsgesetzen kein Einverständnis des Arbeitgebers mit der Zusammenfassung der Ansprüche vor (zu einem solchen Erfordernis zB - Rn. 40, NZA-RR 2008, 288). Der Kläger musste daher entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht binnen einer Woche seit der Mitteilung der verweigerten Freistellung durch die Beklagte seinerseits schriftlich mitteilen, er werde gleichwohl an der Bildungsveranstaltung teilnehmen. § 5 Abs. 4 Satz 1 1. Halbs. AWbG gilt für die Zusammenfassung von Ansprüchen nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG nicht. Dafür spricht nicht nur das fehlende Zustimmungserfordernis, sondern auch, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Zusammenfassung nicht angeben muss, welche Veranstaltungen er besuchen will (Senat - 9 AZR 126/89 - zu 3 b der Gründe, AP BildungsurlaubsG NRW § 3 Nr. 2 = EzA Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen § 3 Nr. 1). Bezeichnet der Arbeitnehmer die Veranstaltungen bei der Zusammenfassung nicht, kann der Arbeitgeber keine Freistellungserklärung abgeben.

(2) Der Kläger erhebt keinen Schadensersatzanspruch für einen untergegangenen Anspruch aus dem Jahr 2004. Er macht vielmehr den Erfüllungsanspruch geltend, der im Zeitpunkt der Zusammenfassung im Herbst 2004 noch bestand. Für den Erfüllungsanspruch kommt es auf ein Verschulden der Beklagten an der unterlassenen Freistellungserklärung zum Zweck der Weiterbildung nicht an.

bb) Die von derselben Bildungseinrichtung, dem A. e. V., in D durchgeführten Veranstaltungen "Spanisch für Anfänger I und II" in den Zeiträumen vom 1. bis und 8. bis hingen inhaltlich, zeitlich und organisatorisch zusammen.

B. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
DB 2009 S. 632 Nr. 12
GAAAD-15905

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein