Leitsatz
[1] a) Die Verletzung des Anspruchs des Rechtsbeschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob sie sich auf das Ergebnis auswirkt.
b) Die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist und ihre Eintragung im Fristenkalender müssen nicht in jedem Fall auf dem Handaktenbogen notiert werden. Auch die Anbringung entsprechender Vermerke auf dem jeweiligen Schriftstück genügt den an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens zu stellenden Anforderungen.
c) Ein Rechtsanwalt darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass eine ausgebildete und bisher zuverlässig arbeitende Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung, auch wenn sie nur mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt (st.Rspr., vgl. z.B. Sen. Beschl. v. - II ZB 20/07, NJW 2008, 576). Betrifft jedoch die mündlich erteilte Einzelweisung die Notierung einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist, müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine solche nur mündlich erteilte Weisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt (st.Rspr., vgl. z.B. , NJW-RR 2007, 1430, 1431).
Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 2
Instanzenzug: OLG Celle, 9 U 190/07 vom LG Stade, 8 O 5/07 vom
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Gesellschafter und früheren Geschäftsführer auf Zahlung und Feststellung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen das ihr am zugestellte Urteil vom durch ihre erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom fristgerecht Berufung eingelegt. Am hat die Klägerin durch die mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragte "S. Rechtsanwaltsgesellschaft MBH", die mit Schriftsatz vom dem Berufungsgericht die Vertretung der Klägerin angezeigt hatte, die Berufung begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die am abgelaufene Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin vorgetragen:
Nach telefonischer Erteilung des Mandats für die Durchführung des Berufungsverfahrens am habe der in der Anwaltskanzlei S. mit der Sache befasste Rechtsanwalt Dr. F. am Vormittag des folgenden Tages die ihm zu diesem Vorgang übersandten Unterlagen, darunter das erstinstanzliche Urteil und die Berufungsschrift, auf den Schreibtisch der in der Kanzlei für die Fristennotierung zuständigen Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten Frau D. gelegt und erklärt, dass in dieser Sache zunächst eine Berufungsbegründungsfrist notiert und dann eine neue Akte angelegt werden müsse. Zwar habe die Sekretärin des Rechtsanwalts Dr. F. , Frau G. , noch an diesem Tag eine Akte angelegt; die Notierung der Berufungsbegründungsfrist sei jedoch unterblieben. Bei Frau D. handele es sich um eine sehr zuverlässige Mitarbeiterin mit mehrjähriger Berufserfahrung, die seit September 2007 mit der Fristennotierung und Fristenkontrolle betraut gewesen sei und diese Tätigkeit beanstandungsfrei erledigt habe. Warum sie die Berufungsbegründungsfrist nicht notiert habe, sei nicht mehr nachvollziehbar, weil sie sich an den Vorgang nicht erinnern könne.
Ebenfalls am habe Rechtsanwalt Dr. F. ein kurz nach 12.00 Uhr im Büro seiner Sekretärin eingegangenes Telefax der Klägerin, in dem sie - wie bei der telefonischen Mandatierung am Vortag angekündigt - das vorläufige Aktenzeichen des Berufungsgerichts mitgeteilt habe, vom Faxgerät in sein Büro mitgenommen und habe den Bestellungsschriftsatz an das Berufungsgericht diktiert. Er habe das Schreiben zusammen mit der diktierten Kassette seiner Sekretärin mit der Weisung übergeben, die neue Akte nach dem Schreiben des Diktats vorzulegen. Entgegen der erteilten Weisung habe Frau G. das einige Tage später gefertigte Schreiben ohne die Handakte zur Unterschrift vorgelegt. Die Gründe hierfür seien nicht mehr aufklärbar. Die Handakte sei Rechtsanwalt Dr. F. von einer Kanzleimitarbeiterin erstmals am vorgelegt worden, nachdem die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts an diesem Tag durch einen Anruf in der Kanzlei darauf hingewiesen habe, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Berufungsbegründung eingegangen sei.
Das Mandat ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten habe die Klägerin mit Schreiben vom beendet.
II.
1.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Fristversäumung sei auf ein Organisationsverschulden im Büro der mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragten Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen. Es könne offen bleiben, ob die Klägerin dargelegt und glaubhaft gemacht habe, dass der Fristenkalender ordnungsgemäß geführt werde. Die Büroorganisation ihrer Prozessbevollmächtigten genüge jedenfalls deshalb den an eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle zu stellenden Anforderungen nicht, weil die Fristwahrung nicht nur durch Führen eines Fristenkalenders, sondern auch durch Notieren der Fristen auf den Handakten zu sichern sei. Wie sich aus dem auf Anforderung vorgelegten Handaktenbogen ergebe, sei dies im vorliegenden Fall unterblieben. Wären Rechtsanwalt Dr. F. die Handakten wieder vorgelegt worden, hätte er bemerkt oder bemerken müssen, dass die erforderliche Gegenkontrolle zur Sicherung der Fristwahrung unterblieben sei.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
2.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO. Auch wenn über die Zulässigkeit der Berufung noch nicht entschieden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werden (, NJW-RR 2004, 1150; Musielak/Grandel, ZPO 6. Aufl. § 238 Rdn. 7). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
a)
Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde ist dies allerdings nicht schon deshalb der Fall, weil der angefochtene Beschluss keine Darstellung des Sachverhalts enthält. Zwar müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand sowie die Anträge der Parteien erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den erforderlichen gesetzmäßigen Gründen versehen (Sen. Beschl. v. - II ZB 27/07, NJW-RR 2008, 1455 Tz. 4; , NJW 2008, 1670, 1671 Tz. 4 m.w.Nachw.). Das Fehlen einer Sachdarstellung bleibt hier jedoch folgenlos, weil sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel mit noch hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben.
b)
Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist jedoch deshalb erforderlich, weil der angefochtene Beschluss den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung ausschließlich darauf gestützt, dass die Fristenkontrolle im Büro ihrer mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragten Prozessbevollmächtigten jedenfalls deshalb unzureichend organisiert gewesen sei, weil die Wahrung der Berufungseinlegungs- und begründungsfristen nur durch Führung eines Fristenkalenders und nicht auch durch Eintragung der Fristen auf den Handakten gesichert werde. Mit dieser Erwägung hat das Berufungsgericht übergangen, dass nach der - von der Klägerin vorgelegten und in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch zur Darstellung der Fristenkontrolle in Bezug genommenen - eidesstattlichen Versicherung der mit der Fristenkontrolle beauftragten Rechtsanwaltsfachangestellten Frau D. in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Fristen nebst Vorfristen gerade nicht nur im Fristenkalender notiert werden, sondern zur Gegenkontrolle auf dem jeweiligen Dokument vermerkt wird, dass die Fristen notiert wurden. Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruht auf dem Gehörsverstoß. Hätte das Berufungsgericht diesen Vortrag berücksichtigt, hätte es ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht darin sehen können, dass ihre Büroorganisation keine Sicherung der Fristwahrung durch Eintragung der Fristen auf bzw. in den Handakten vorsehe. Die Frist und ihre Eintragung im Fristenkalender muss nicht in jedem Fall auf dem Handaktenbogen notiert werden. Auch die Anbringung entsprechender Vermerke auf dem jeweiligen Schriftstück genügt den an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens zu stellenden Anforderungen (vgl. Sen. Beschl. v. - II ZB 25/05, DStR 2006, 1614; , NJW 2008, 1670 ff.).
Selbst wenn man die Darstellung der Büroorganisation in der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleimitarbeiterin D. für erläuterungsbedürftig halten wollte, weil sich aus ihr nicht mit hinreichender Deutlichkeit ergebe, dass auf dem betreffenden Schriftstück auch vermerkt wird, welche Frist im Fristenkalender notiert wurde, gilt nichts anderes. In diesem Fall hätte das Berufungsgericht die Klägerin, die - wie aus der Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs ersichtlich - diesem Gesichtspunkt mangels Kausalität für die Fristversäumung keine maßgebende Bedeutung beigemessen hatte, nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf seine Bedenken hinweisen und ihr Gelegenheit zur Äußerung geben müssen (vgl. Sen.Beschl. v. aaO S. 1615).
Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob sie sich auf das Ergebnis auswirkt (vgl. , NJW 2004, 367, 368; Zöller/Heßler, ZPO 27. Aufl. § 574 Rdn. 13 a).
3.
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt, weil sie nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO). Sie muss sich das Verschulden ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.
Der Senat kann unentschieden lassen, ob es schon ein Verschulden des Rechtsanwalts Dr. F. darstellt, dass er sich die nach Mandatsübernahme angelegte Akte nicht zur eigenen Kontrolle der Notierung der Fristen hat vorlegen lassen (vgl. , FamRZ 2001, 1143, 1145). Die Fristversäumung beruht jedenfalls deshalb auf einem (Organisations-)Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, weil die Befolgung der an Frau D. mündlich erteilten Weisung, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen, nicht hinreichend abgesichert war.
Allerdings darf sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass eine ausgebildete Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung, auch wenn sie mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt (st.Rspr., vgl. z.B. , NJW 2000, 2823; Beschl. v. - VI ZR 419/01, VersR 2003, 792, 793; Sen. Beschl. v. - II ZB 20/07, NJW-RR 2008, 576 Tz. 15). Wird aber ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist nur mündlich vermittelt, müssen nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine solche nur mündlich erteilte Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt (vgl. , NJW 1992, 574; Beschl. v. aaO; Beschl. v. - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, 436; Beschl. v. - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430, 1431 Tz. 9; Beschl. v. - XI ZB 14/07, NJOZ 2008, 2162, 2163 f. Tz. 6).
Abgesehen davon bestand im konkreten Fall besondere Veranlassung, die nur mündlich angeordnete Eintragung der Berufungsbegründungsfrist durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen. Denn aus den Frau D. - mit der Weisung, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen - übergebenen Unterlagen war nicht ohne weiteres erkennbar, dass eine solche Frist eingetragen werden musste. Es war ihnen schon nicht zu entnehmen, dass die Klägerin die Kanzlei S. mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt hatte, wie dies nach Übersendung der Unterlagen tatsächlich geschehen war. Ebenso wenig war ihren zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das landgerichtliche Urteil zugestellt worden. Hinzu kommt, dass nur aus einem genauen Studium der Unterlagen ersichtlich war, dass eine Berufungsbegründungsfrist lief und dass in einer bei den Unterlagen befindlichen E-Mail der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten an die Klägerin vom zudem das Fristende unzutreffend mitgeteilt war.
Den oben näher geschilderten Anforderungen sind die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht gerecht geworden. Der mit der Sache befasste Rechtsanwalt Dr. F. hat die Fachangestellte Frau D. weder im konkreten Fall ausdrücklich angewiesen, seine Anordnung, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen, sofort auszuführen, noch waren unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten Vorkehrungen, z.B. durch eine allgemeine Weisung, Aufträge zur Eintragung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen sofort und vorrangig zu erledigen, dagegen getroffen, dass die Ausführung einer entsprechenden mündlich erteilten Weisung unterblieb (, NJW 2003, 1269, 1270; Roth in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 233 Rdn. 38 Stichwort "Büroverschulden", lit. e a.E.).
Die von Rechtsanwalt Dr. F. - nach Mitteilung des vorläufigen gerichtlichen Aktenzeichens am Nachmittag des gleichen Tages - seiner Sekretärin erteilte mündliche Anweisung, ihm nach dem Schreiben des Diktats die Handakte vorzulegen, stellt keine hinreichende Absicherung der gegenüber Frau D. am Vormittag mündlich angeordneten Eintragung einer Berufungsbegründungsfrist dar. Rechtsanwalt Dr. F. konnte sich nicht darauf verlassen, dass in dieser Sache am gleichen Tag ein Fax der Klägerin eintreffen würde. Abgesehen davon hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag seine Sekretärin nicht deshalb zur Vorlage der Handakte angewiesen, um die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist zu kontrollieren, sondern um die schriftliche Mandatsbestätigung zu diktieren.
Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die Vorlage der Handakten durch die Sekretärin wiederum als Folge eines eigenen (Organisations-)Verschuldens unterblieben ist. Denn das Wiedereinsetzungsgesuch enthält zur Zuverlässigkeit von Frau G. keinerlei Angaben.
Im Wiedereinsetzungsantrag ist nur vorgetragen, dass "aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen" die Vorlage der Akte unterblieben ist, obwohl das diktierte Schreiben dem Anwalt zur Unterschrift vorgelegt worden ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2009 S. 619 Nr. 12
NJW 2009 S. 1083 Nr. 15
QAAAD-14036
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja