BAG Urteil v. - 2 AZR 924/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 17; KSchG § 18

Instanzenzug: LAG Sachsen-Anhalt, 10 Sa 666/06 vom ArbG Dessau, 7 Ca 116/06 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Beklagte betreibt ein Fuhrunternehmen, das Transporte im nationalen und internationalen Fernverkehr durchführt. Gesellschafter der Beklagten sind K S sowie die Erbengemeinschaft nach F S. Die ihr übertragenen Fahraufträge erledigte die Beklagte mit 17 von der Firma F S GmbH & Co. angemieteten Lastkraftwagen und Sattelzugmaschinen. Die Fahraufträge wurden der Beklagten ausschließlich von der Firma F S S L GmbH in L, deren Gesellschafter mit denen der Beklagten personenidentisch sind, über eine Datenfernleitung elektronisch in das Büro in D erteilt.

Der am geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem als Kraftfahrer zu einem Bruttomonatsgehalt von durchschnittlich 1.827,00 Euro beschäftigt. Neben dem Kläger beschäftigte die Beklagte zuletzt noch 23 Kraftfahrer sowie drei Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich.

Am beschlossen die Gesellschafter der Beklagten die Stilllegung des Betriebs zum und beauftragten den Geschäftsführer der Beklagten D S die dazu erforderlichen Maßnahmen durchzuführen und allen Mitarbeitern fristgerecht zu kündigen.

Die Beklagte vereinbarte mit der Eigentümerin der Fahrzeuge die schrittweise Rückgabe der angemieteten Kraftfahrzeuge. Am informierte der Geschäftsführer der Beklagten ihren Auftraggeber von dem nunmehr eingeschränkten Fuhrangebot und teilte ihm weiter mit, spätestens zum werde der Betrieb eingestellt. Von den 17 Fahrzeugen gab die Beklagte bis zum acht Fahrzeuge zurück. Die Rückgabe der weiteren neun Fahrzeuge erfolgte am 18. und .

Am zeigte die Beklagte bei der Arbeitsagentur Dessau die beabsichtigte Massenentlassung von insgesamt 27 Mitarbeitern an. Mit Bescheid vom teilte die Agentur für Arbeit der Beklagten mit, die gemäß § 18 Abs. 1 KSchG festgesetzte Monatsfrist beginne am und ende am . Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter - mit Ausnahme zweier Schwerbehinderter - unter Einhaltung der jeweiligen Kündigungsfrist. Der Kläger erhielt am sein Kündigungsschreiben zum .

Mit Schreiben vom stellte die Beklagte alle Kraftfahrer unwiderruflich von der Arbeitsleistung ab dem frei. Danach fanden lediglich noch Abwicklungsarbeiten statt. Zum meldete die Beklagte ihr Gewerbe ab. Spätestens seit diesem Zeitpunkt beschäftigt sie keine Mitarbeiter mehr.

Der am gestellte Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist vom Amtsgericht Dessau-Roßlau mangels Masse abgelehnt worden.

Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und ua. behauptet, zum Zeitpunkt der Kündigung habe die tatsächliche Stilllegung des Betriebs zum Ablauf der Kündigungsfrist noch gar nicht festgestanden. Aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen der Beklagten mit dem Firmenverbund der F S Gruppe seien Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in diesen Firmen in Betracht zu ziehen gewesen. Es bestehe ein Gemeinschaftsbetrieb mit der F S S L GmbH, so dass sich die Sozialauswahl auch auf diesen Betrieb bzw. Betriebsteil hätte erstrecken müssen. Selbst wenn ein betriebsbedingter Grund zur Kündigung vorliegen würde, könne die Kündigung das Arbeitsverhältnis frühestens einen Monat nach Ablauf der regulären Kündigungsfrist auflösen. Die Sperrfrist sei nicht in die Kündigungsfrist einzurechnen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom zum beendet worden ist, sondern über den Ablauf der Kündigungsfrist unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt: Die Kündigung vom sei aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sozial gerechtfertigt. Sie habe den Betrieb stillgelegt. Die sukzessive Rückgabe der Fahrzeuge an die Eigentümerin sei in der Kündigungsfrist der Arbeitnehmer bedarfsabhängig erfolgt. Da sie weitere nennenswerte Betriebsmittel nicht besessen habe, seien andere organisatorische Maßnahmen zur Umsetzung des Stilllegungsbeschlusses vom nicht erforderlich gewesen. Eine Verpflichtung zur unternehmensübergreifenden Weiterbeschäftigung bestehe nicht, zumal auch weder bei der F S GmbH & Co. noch der F S S L GmbH freie Arbeitsstellen bestanden hätten. Es bestehe auch kein Gemeinschaftsbetrieb mit diesen Firmen. Er wäre im Übrigen auch durch die Stilllegungsentscheidung der Beklagten aufgelöst worden. Die Kündigungsfrist verlängere sich nicht um die Sperrfrist des § 18 KSchG.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten wegen Nichteinhaltung der Sperrfrist erst zum aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Die Revision hat es für den Kläger beschränkt auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 18 KSchG) zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren insgesamt weiter.

Gründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien sei nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Es bestehe ein dringendes betriebliches Erfordernis. Bei Ausspruch der Kündigung des Klägers hätten greifbare Anhaltspunkte für eine Betriebsstilllegung zum vorgelegen. Die spätere Entwicklung mit der tatsächlichen Stilllegung des Betriebs noch vor dem ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt bestätige die zum Kündigungszeitpunkt bestehende Prognose eines wegfallenden Beschäftigungsbedarfs zum . Die Beklagte habe unstreitig ihren Betrieb in D im September 2006 eingestellt. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei einem Unternehmen der F S Gruppe habe nicht bestanden. Eine Weiterbeschäftigungspflicht scheitere schon an der fehlenden Konzernbezogenheit des Kündigungsschutzgesetzes. Aufgrund der Stilllegung des D Betriebs der Beklagten sei auch keine unternehmensübergreifende Weiterbeschäftigung im Gemeinschaftsbetrieb mehr in Betracht gekommen. Mit dem Ablauf der Kündigungsfrist habe ein Gemeinschaftsbetrieb wegen der Auflösung jedenfalls nicht mehr bestanden. Die soziale Auswahl sei nicht fehlerhaft. Allen Mitarbeitern des Betriebs sei gekündigt worden. Die Mitarbeiter anderer Unternehmen der F S Gruppe seien nicht in die Sozialauswahl, da sie betriebsbezogen erfolge, einzubeziehen gewesen. Die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich auch nicht aus § 613a Abs. 4 BGB. Einen Betriebsübergang zum auf die F S S L GmbH habe der Kläger nicht dargelegt.

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde nicht gemäß § 18 KSchG um einen weiteren Monat hinausgeschoben. Die Sperrfrist des § 18 KSchG sei auch nach einer richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs der Entlassung weiterhin dahin zu verstehen, dass sie in zeitlicher Hinsicht zwischen Anzeigeerstattung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen sein müsse. Sie müsse nicht zusätzlich zur Kündigungsfrist hinzugerechnet werden. Aufgrund der Kündigungsfrist von fünf Monaten verlängere sich im Entscheidungsfall die Kündigungsfrist nicht.

B. Die Revision des Klägers ist nur zum Teil zulässig.

Die Revision ist nur beschränkt auf die Feststellung des Zeitpunkts des Wirksamwerdens der Kündigung vom vom Landesarbeitsgericht zugelassen worden und auch nur insoweit zulässig. Die weitergehende Revision des Klägers ist gemäß § 72 Abs. 1 ArbGG nicht statthaft. Sie wurde weder im Urteil des Landesarbeitsgerichts noch in einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 72a Abs. 5 ArbGG zugelassen.

Die Beschränkung eines Rechtsmittels muss sich aus Gründen der Rechtsmittelklarheit eindeutig aus dem angefochtenen Urteil ergeben ( - BAGE 7, 290, 294; - 2 AZR 480/97 - BAGE 89, 43). Aufgrund des Tenors der Entscheidung (Ziff. IV) und den Ausführungen des Berufungsgerichts in den Entscheidungsgründen (D) ist dies ohne weiteres der Fall.

II. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision im Urteilstenor (Ziff. IV, vgl. auch die Entscheidungsgründe D) für den Kläger beschränkt zugelassen "soweit der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung gemäß § 18 KSchG in Streit steht". Damit ist entgegen der Ansicht des Klägers die Nachprüfung der angefochtenen landesarbeitsgerichtlichen Entscheidung wirksam auf diese Streitfrage beschränkt worden.

1. Nach allgemeiner Ansicht ist eine beschränkte Zulassung der Revision möglich (vgl. bspw. - BAGE 47, 179, 182; - BGHZ 48, 134, 136; - XII ZR 92/01 - BGHZ 153, 358, 361).

2. Voraussetzung ist, dass die Beschränkung der Revision rechtlich zulässig ist. Die Zulassung darf nicht auf einzelne rechtliche Gesichtspunkte beschränkt werden, sondern muss einen abtrennbaren selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes, über den gesondert und unabhängig von dem restlichen Verfahrensgegenstand entschieden werden kann, zum Gegenstand haben ( - BAGE 47, 179 und - 2 AZR 772/94 - BAGE 81, 371; IVa ZR 292/85 - BGHZ 101, 276, 278; - V ZR 282/88 - BGHZ 111, 158, 166; zuletzt - NJW 2008, 2351, 2352). Unzulässig ist die Beschränkung der Zulassung der Revision auf einzelne von mehreren Anspruchsgrundlagen oder auf bestimmte Rechtsfragen ( - NJW 2003, 2529; - XII ZB 78/07 - aaO.).

3. Die danach vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Beschränkung der Revisionszulassung ist im Entscheidungsfall beachtlich. Sie betrifft nämlich nicht bloß einen rechtlichen Aspekt eines unteilbaren Streitgegenstandes (bspw. die Betriebsratsanhörung zur Kündigung), sondern einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Kündigungsstreits (vgl. - BAGE 81, 371, 375; - 2 AZR 480/97 - BAGE 89, 43). Die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung aufgelöst worden ist, lässt sich nämlich ohne weiteres von der Frage trennen, wann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wirkt bzw. wann ggf. das Arbeitsverhältnis konkret beendet wird (so schon - aaO.; vgl. auch -).

C. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie jedoch unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom fristgemäß zum und nicht erst einen Monat später beendet worden ist. Die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG hindert nämlich weder den Ausspruch einer Kündigung nach Anzeige der Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit noch verlängert die Sperrfrist die gesetzlichen Kündigungsfristen.

1. Nach § 18 Abs. 1 KSchG werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam. Bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist kann eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung keine Wirkung entfalten. Die Kündigung nach Anzeigenerstattung bleibt aber als Rechtsgeschäft grundsätzlich wirksam; sie beendet das Arbeitsverhältnis, sofern dieses Ende vor dem Ende der Sperrfrist liegen sollte, nur nicht zu dem in der Kündigungserklärung genannten Zeitpunkt (vgl. - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 13 = EzA KSchG § 17 Nr. 9; - 2 AZR 79/02 - BAGE 107, 318; ErfK/Kiel 8. Aufl. § 18 KSchG Rn. 11; APS/Moll 3. Aufl. § 18 KSchG Rn. 33; KR/Weigand 8. Aufl. § 18 KSchG Rn. 2b und 29; BBDK/Dörner KSchG Stand Mai 2007 § 18 Rn. 20; AnwK-ArbR/Dreher/Schmitz-Scholemann § 18 KSchG Rn. 8).

2. Nach der gesetzlichen Formulierung des § 18 Abs. 1 KSchG kann eine Kündigung schon unmittelbar nach Erstattung (Eingang) der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die Gesetzesfassung verbietet den Ausspruch der Kündigung vor dem Ablauf der Sperrfrist nicht, auch wenn man unter "Entlassung" im Sinne der Norm die Kündigung versteht (vgl. - BAGE 117, 281; siehe auch - 2 AZR 15/06 -; - 2 AZR 284/06 - ; - 6 AZR 219/06 - zum Begriff der Entlassung, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 24 sowie auch - [Junk] EuGHE I 2005, 885; vgl. weiter v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 18 Rn. 18; Stahlhacke/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1589; KFA-ArbR/Leschnig § 18 KSchG Rn. 4; Lembke/Oberwinter NJW 2007, 721, 726; - BB 2007, 2296). Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich lediglich entnehmen, dass die Entlassung - auch bei ordnungsgemäßer Anzeige - grundsätzlich nicht ohne Einhaltung einer Mindestfrist von einem Monat vollzogen werden kann. Geregelt wird insoweit der Vollzug der Entlassung. Das Wirksamwerden iSv. § 18 KSchG bezieht sich damit auf den Eintritt der Rechtsfolgen der Kündigung. Diese treten mit Ablauf der Kündigungsfrist ein. Der Gesetzeswortlaut umschreibt nur einen "Mindestzeitraum", der zwischen der Anzeigenerstattung und der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen muss.

3. Entgegen der Auffassung des Klägers steht dem auch nicht die Richtlinie 98/59/EG vom (Massenentlassungsrichtlinie - MERL) entgegen. Nach Art. 3 Abs. 1 MERL hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. Nach Art. 4 MERL (Entlassungssperre) gelten die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten Massenentlassungen frühestens dreißig Tage nach Eingang der in Art. 3 Abs. 1 MERL genannten Anzeige als wirksam; die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen bleiben unberührt. Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde jedoch die Möglichkeit einräumen, die Frist des Unterabsatzes 1 zu verkürzen. Nach Art. 4 Abs. 2 MERL muss die Frist des Absatzes 1 von der zuständigen Behörde dazu genutzt werden, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom (- C-188/03 - [Junk] EuGHE I 2005, 885) zur Frage des vorlegenden Gerichts, ob der Arbeitgeber Massenentlassungen vornehmen darf, bevor das Anzeigeverfahren nach Art. 3 und 4 MERL beendet ist, ausgeführt: "Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie besteht der Zweck der Anzeige darin, es der zuständigen Behörde zu ermöglichen, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Weiter muss die zuständige Behörde nach dieser Bestimmung die Frist des Art. 4 Abs. 1 für die Suche nach solchen Lösungen nutzen. ... Nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie werden die Massenentlassungen, dh. die Kündigungen der Arbeitsverträge, erst mit dem Ablauf der geltenden Frist wirksam" (Rn. 47 - 50). Nach der Rechtsprechung des EuGH entspricht diese Frist "folglich dem Mindestzeitraum, der der zuständigen Behörde für die Suche nach Lösungen zur Verfügung stehen muss (Rn. 51). Da nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen ausdrücklich unberührt bleiben, muss sich diese Bestimmung zwangsläufig auf den Fall bereits ausgesprochener Kündigungen beziehen, die eine solche Frist in Gang setzen" (vgl. Rn. 52 der genannten Entscheidung). Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs folgt somit, dass die Art. 3 und Art. 4 MERL einer Kündigung von Arbeitsverhältnissen während des durch sie geregelten Verfahrens nicht entgegenstehen, sofern diese Kündigung nach der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung bei der zuständigen Behörde erfolgt. Dh. eine Kündigung kann nach Anzeigenerstattung erfolgen, die betroffenen Arbeitnehmer dürfen nur nicht vor Ablauf der Monatsfrist des § 18 Abs. 1 KSchG - oder im Fall des § 18 Abs. 2 KSchG der längstens zweimonatigen Frist - aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Dementsprechend werden von der "Sperrfrist" nur solche Kündigungen unmittelbar erfasst, deren Kündigungsfrist kürzer als die Sperrfrist sind (vgl. zum Ganzen v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 18 Rn. 18; MünchKommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 18 KSchG Rn. 14; KR/Weigand 8. Aufl. § 18 KSchG Rn. 5; Lembke/Oberwinter NJW 2007, 721, 726; Bauer/Krieger/Powietzka DB 2005, 445, 447; Dornbusch/Wolff BB 2007, 2297, 2998; Reinhard RdA 2007, 207, 210; -).

4. Etabliert demnach § 18 Abs. 1 KSchG lediglich einen Mindestzeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so verlängert die gesetzliche Regelung die Kündigungsfrist nicht über diesen Mindestzeitraum hinaus oder verschiebt gar den Beginn der Kündigungsfrist (so im Ergebnis zutreffend: APS/Moll 3. Aufl. § 18 KSchG Rn. 33).

a) Die entgegenstehende Auffassung des Klägers lässt sich weder aus dem Wortlaut noch dem Zweck der in Rede stehenden Regelung ableiten. Den Rechtsauffassungen, die in § 18 KSchG eine "aufschiebende Rechtsbedingung" sehen oder eine "schwebende Unwirksamkeit der Kündigung" mit der Folge annehmen, dass die Kündigungsfrist erst mit Ablauf der Sperrfrist in Gang gesetzt wird (vgl. bspw. Ferme/Lipinski NZA 2006, 937, 939; Wolter AuR 2005, 135, 138; - BB 2007, 2296), folgt der Senat nicht. Sinn und Zweck der Regelung des § 18 Abs. 1 KSchG erfordern eine solche Verlängerung der individualrechtlichen Kündigungsfrist oder ein Hinausschieben des Kündigungsfristbeginns nicht. Die Sperrfrist des § 18 KSchG dient nämlich primär arbeitsmarktpolitischen Zwecken und soll der Arbeitsverwaltung die Möglichkeit verschaffen, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder wenigstens zur Verzögerung von Belastungen des Arbeitsmarkts einzuleiten und für anderweitige Beschäftigung der Entlassenen zu sorgen (vgl. insbes. - NJW 2006, 3161, 3164 mwN; zusammenfassend: KR/Weigand 8. Aufl. § 18 KSchG Rn. 3; zu dem Zweck der Regelungen der Massenentlassungsrichtlinie, vgl. Art. 4 Abs. 2 MERL, siehe auch - [Junk] Rn. 47, EuGHE I 2005, 885). Hiervon ausgehend besteht kein Bedürfnis, die Monatsfrist des § 18 Abs. 1 KSchG der - individuellen - Kündigungsfrist des betroffenen Arbeitnehmers - sofern diese über einem Monat liegt - noch hinzuzuaddieren (so im Ergebnis auch APS/Moll 3. Aufl. § 18 KSchG Rn. 33; Reinhard RdA 2007, 207, 210). Der Agentur für Arbeit steht die insoweit gesetzlich geregelte Frist für die Erfüllung ihrer arbeitsmarktpolitischen Aufgaben ohne weiteres und hinreichend zur Verfügung.

b) Der vorstehenden Lösung widerspricht auch nicht die Regelung zur sog. Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG. Ob § 18 Abs. 4 KSchG nach der neuen Auffassung vom Begriff der "Entlassung" überhaupt noch anwendbar und nicht teleologisch zu reduzieren ist, kann letztlich dahingestellt bleiben (vgl. bereits - NJW 2006, 3161, 3164; vgl. auch KR/Weigand 8. Aufl. § 18 KSchG Rn. 34; BBDK/Dörner KSchG Stand Mai 2007 § 18 Rn. 19; ErfK/Kiel 8. Aufl. § 18 KSchG Rn. 14). Aus der Regelung lässt sich jedenfalls das gegenteilige Ergebnis nicht begründen. Nach § 18 Abs. 4 KSchG bedarf es unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG einer erneuten Anzeige, wenn die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach den Absätzen 1 und 2 zulässig sind, "durchgeführt" werden. Das Gesetz spricht insoweit nicht von einem "Wirksamwerden" oder gar von einem Ablauf der Kündigungsfrist, sondern nur von einer "Durchführung der Entlassung". Damit ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein aktives Handeln, nämlich das "Umsetzen in die Tat" (Wahrig Deutsches Wörterbuch 8. Aufl. "Durchführung"), bspw. die "Verwirklichung, die Ausführung oder die Bewerkstelligung" (Duden Das Synonymwörterbuch 4. Aufl. "Durchführung") gemeint. Die Regelung lässt sich deshalb auch dahin verstehen, dass der Arbeitgeber - nach Anzeige der möglichen Entlassung bei der Agentur für Arbeit - verpflichtet wird, die Kündigungen innerhalb der 90-Tage-Frist "in die Tat umzusetzen", also zu erklären (so auch HaKo/Pfeiffer 3. Aufl. § 18 KSchG Rn. 19; BBDK/Dörner KSchG Stand Mai 2007 § 18 Rn. 19; Appel DB 2005, 1002, 1004; Bauer/Krieger/Powietzka BB 2006, 2023, 2026; anders: - "Durchführung" meint die "rechtliche Beendigungswirkung"; HWK/Molkenbur 3. Aufl. § 18 KSchG Rn. 13 mwN). Auch insoweit behielte die gesetzliche Regelung noch einen hinreichenden, wenn auch beschränkten Anwendungsbereich. Sie würde sog. "Vorratsmeldungen" verhindern helfen und der Agentur für Arbeit eine entsprechende Planbarkeit garantieren.

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
YAAAD-13981

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