BGH Urteil v. - XII ZR 79/07

Leitsatz

[1] a) Zur Auslegung der Vereinbarung einer Grundmiete von "monatlich x DM zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer, zur Zeit 15 %, = y DM" anhand der Vorstellungen der Vertragsparteien bei der Festlegung des Mietzinses, wenn der Vermieter nicht wirksam zur Steuerpflicht optieren konnte (Fortführung des Senatsurteils vom - XII ZR 292/02 - NJW-RR 2004, 1452).

b) Zur Entscheidungserheblichkeit der Behauptung des Vermieters, bei Abschluss dieses Vertrages habe die Mieterin ihre Bereitschaft erklärt, den verlangten Gesamtpreis unabhängig davon zu zahlen, ob sie selbst zum Vorsteuerabzug berechtigt sei und welche steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Vermieter wahrnehmen könne oder wolle.

Gesetze: UStG § 4; UStG § 9 Abs. 1; UStG § 9 Abs. 2

Instanzenzug: OLG Dresden, 5 U 1801/06 vom LG Dresden, 5 O 539/06 vom

Tatbestand

Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der Innungskrankenkasse Mittelsachsen, die vom Kläger mit Vertrag vom und Nachtragsvereinbarung über weitere Mietflächen vom Büroräume in M. für ihre Verwaltung gemietet hatte.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger über den jeweiligen "Nettobetrag" der Miete hinaus von Januar 1998 bis Februar 2001 die Beträge schuldete und für Mai 2001 bis August 2003 noch nachzuzahlen hat, die im Mietvertrag der Parteien als darauf entfallende und zusätzlich zu zahlende gesetzliche Mehrwertsteuer ausgewiesen sind.

Insoweit bestimmt § 3 - Mietzins - des Mietvertrages (in Klammern vom Senat angefügt sind die durch die Nachtragsvereinbarung geänderten Beträge):

"(1)

Die Grundmiete beträgt monatlich DM 18.710,25 (DM 24.005,25) zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer, zur Zeit 15 %:

DM 21.516,78 (DM 24.005,25)

Der Betrag der Grundmiete errechnet sich aus einem Preis von 25,-- DM/qm zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer.

(2)

Der Mieter trägt alle Betriebs- und Nebenkosten zuzüglich der jeweils geltenden Mehrwertsteuer.

(3)

Bis zur Abrechnung dieser Kosten zahlt der Mieter eine Betriebs- und Nebenkostenpauschale von 4,50 DM/qm zuzüglich Mehrwertsteuer, welche neben dem Mietzins als monatlicher Abschlag im Voraus zu zahlen ist."

Nachdem die Beklagte ebenso wie ihre Rechtsvorgängerin den der Mehrwertsteuer entsprechenden Betrag zunächst laufend an den Kläger gezahlt hatte, vertrat die Beklagte später die Auffassung, diese Beträge nicht zu schulden, und stellte ihre Zahlungen ab März 2001 in diesem Umfang ein.

Nach Abschluss eines neuen, den alten Vertrag ersetzenden Mietvertrages zum erhob der Kläger Teilklage auf Zahlung der streitigen Beträge für März und April 2001, die - inzwischen rechtskräftig - als unbegründet abgewiesen wurde.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger Nachzahlung der allein dem Grunde nach streitigen Beträge für die Monate Mai 2001 bis August 2003 in Höhe von insgesamt 61.635,46 EUR sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet war, die für Januar 1998 bis Februar 2001 von ihr als Umsatzsteueranteil geleisteten Beträge von insgesamt 79.679,18 EUR zu zahlen.

Das Landgericht wies die Klage als unzulässig ab, weil die Parteien im Oktober 2003 eine Prozessvereinbarung getroffen hätten, der zufolge die Entscheidung über die Teilklage hinsichtlich der streitigen Mehrwertsteuerfrage auch für die übrige Laufzeit des zum beendeten Mietvertrages verbindlich und abschließend sein sollte.

Das Oberlandesgericht, das eine solche Prozessvereinbarung verneint, wies die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurück, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird.

Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

Soweit das Berufungsgericht eine der Zulässigkeit der Klage entgegenstehende Prozessvereinbarung der Parteien verneint, weil diese die Entscheidung über die Teilklage nur für den Fall ihres Erfolges als auch für die übrigen Mietzeiträume verbindlich vereinbart hätten, hält dies der von Amts wegen vorzunehmenden uneingeschränkten rechtlichen Prüfung stand und wird von der Revision als ihr günstig auch nicht angegriffen.

Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht auch die Feststellungsklage als zulässig angesehen. Deren Zulässigkeit folgt allerdings nicht, wie das Berufungsgericht annimmt, aus der gerechtfertigten Erwartung, dass die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts den sich aus der Feststellung ergebenden Zahlungspflichten nachkommen werde. Der Feststellungsantrag betrifft nämlich Beträge, die die Beklagte bereits gezahlt hatte, und ist schon deshalb zulässig, weil mit rechtskräftiger Feststellung eines Rechtsgrundes für diese Zahlungen zugleich feststünde, dass der Beklagten insoweit ein Rückforderungsanspruch aus § 812 BGB, dessen sie sich berühmt und mit dem sie bereits die Aufrechnung gegenüber weiteren Mietzinsforderungen des Klägers erklärt hat, nicht zusteht (vgl. Zöller/Greger ZPO 27. Aufl. § 256 Rdn. 7). Dieses Feststellungsinteresse entfällt nicht dadurch, dass der Kläger es hier in Gestalt einer positiv formulierten Feststellungsklage verfolgt, weswegen der Senat deren Streitwert auch mit dem vollen Wert des streitigen Betrages bemessen hat. Darauf, ob auch davon auszugehen ist, dass die Beklagte nach entsprechender Feststellung die weiteren hier nicht streitgegenständlichen Mietzinsforderungen begleichen werde, kommt es nicht an.

1.

Zutreffend ist der - von beiden Parteien geteilte - Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass die Umsätze des Klägers aus der Vermietung der Büroräume an die Beklagte nach § 4 Nr. 12 a UStG von der Umsatzsteuer befreit waren und der Kläger auch nicht wirksam gemäß § 9 Abs. 1 UStG auf diese Befreiung verzichten konnte. Eine solche Option zur Umsatzsteuer wäre nämlich nur dann möglich gewesen, wenn die Beklagte Unternehmerin gewesen wäre und die Mieträume für unternehmerische Zwecke genutzt hätte. Dies gilt unabhängig davon, ob hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen § 9 Abs. 2 UStG entweder in der seit geltenden Fassung oder - nach der Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG § 9 Abs. 2 UStG - in der bis zum geltenden Fassung maßgeblich ist. Eine Nutzung für unternehmerische Zwecke liegt aber, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG nicht vor, wenn - wie hier - ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung als selbstverwaltete Körperschaft des öffentlichen Rechts Büroräume lediglich zu eigenen Verwaltungszwecken nutzt, und zwar auch dann nicht, wenn er hier nach § 10 des Mietvertrages mit Zustimmung des Vermieters zu einer gewerblichen Untervermietung berechtigt gewesen wäre.

Richtig ist ferner, dass eine solche Regelung des nationalen Steuerrechts, die das Optionsrecht von der eigenen Umsatzsteuerpflicht des Mieters und seiner Berechtigung zum Vorsteuerabzug abhängig macht, nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Sie ist vielmehr mit Art. 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie des Rates vom (77/388/EWG, ABl. L 145/77 S. 1) vereinbar, weil dem nationalen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des nach Art. 13 Teil C Buchstabe a der Richtlinie freigestellten Optionsrechts ein weites Ermessen zusteht (vgl. EuGH Rechtssache C-269/03 Slg. 2004, I-8067 ff. = DStRE 2005, 172 ff. Tz. 21 f.).

Mangels Erteilung einer Rechnung mit betragsmäßigem Ausweis der Mehrwertsteuer kommt auch eine Verpflichtung des Klägers zu deren Abführung aus § 14 Abs. 2 UStG a.F. bzw. § 14 c Abs. 1 UStG in der ab geltenden Fassung nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 292/02 - NJW-RR 2004, 1452, 1453) . Erst recht kann daher aus dieser Vorschrift auch keine Verpflichtung der Beklagten abgeleitet werden, zusätzlich zur vereinbarten Nettomiete "die jeweils gültige Mehrwertsteuer" zu zahlen, da der Vermieter es sonst in der Hand hätte, eine solche Verpflichtung des Mieters durch Ausstellung unrichtiger Mehrwertsteuerrechnungen herbeizuführen. Auch das greift die Revision nicht an.

2.

Die gleichwohl getroffene Vereinbarung im Mietvertrag, dass als Grundmiete 25 DM/m² zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer zu zahlen ist, geht somit ihrem Wortlaut nach ins Leere, da es keine "gültige Mehrwertsteuer" für nicht steuerpflichtige Vermietungsumsätze gibt und es auch nicht zur Disposition der Parteien steht, nach dem Gesetz steuerfreie Umsätze durch Vereinbarung steuerpflichtig zu machen (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 292/02 - NJW-RR 2004, 1452, 1453).

3.

Mit Erfolg greift die Revision aber die Auffassung des Berufungsgerichts an, die Klage sei unbegründet, weil sich auch im Wege der (ergänzenden) Auslegung des Vertrages keine Verpflichtung der Beklagten ergebe, Miete in Höhe des Gesamtbetrages zu zahlen, der sich im Falle einer wirksamen Option des Klägers zur Umsatzsteuer aus dem Betrag von 25 DM/m² zuzüglich der dann jeweils gültigen Mehrwertsteuer ergäbe.

a)

Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Ermittlung des Inhalts und der Bedeutung von Individualvereinbarungen grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Die Auslegung durch den Tatrichter kann deshalb vom Revisionsgericht grundsätzlich nur darauf geprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf im Revisionsverfahren gerügten Verfahrensfehlern beruht (vgl. BGHZ 150, 32, 37 m.N.).

Diese Voraussetzungen liegen hier aber vor.

b)

Eine von den Parteien irrtümlich getroffene Preisabsprache "zuzüglich Mehrwertsteuer" wird zwar im Zweifel dahin auszulegen sein, dass eine in Wirklichkeit nicht anfallende Mehrwertsteuer vom Schuldner auch nicht zu zahlen ist (vgl. - ZIP 1990, 1048, 1150).

Zumindest denkbar ist aber auch die Auslegung, dass die Parteien den zu zahlenden Mietzins unabhängig von den steuerrechtlichen Gegebenheiten auf den Betrag festlegen wollten, der in der Vertragsklausel

"(1)

Die Grundmiete beträgt monatlich DM 18.710,25 (DM 24.005,25) zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer, zur Zeit 15 %:

DM 21.516,78 (DM 27.606,04).

Der Betrag der Grundmiete errechnet sich aus einem Preis von 25,-- DM/qm zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer."

als Endpreis ("Grundmiete") ausgewiesen und durch Fettdruck hervorgehoben ist, und die Angabe eines "Netto-"Betrages lediglich erläuternden und ergänzenden Charakter in dem Sinne haben sollte, dass die Höhe des Mietzinses bei einer Veränderung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes entsprechend steigen oder fallen soll.

Eine solche Auslegung liegt zumindest dann nicht fern, wenn der Mieter sich bei Abschluss des Vertrages bereit erklärt hat, den vom Vermieter verlangten Gesamtpreis zu zahlen, und zwar unabhängig davon, ob er selbst zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und welche steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Vermieter wahrnehmen kann oder will, und erst recht, wenn er diesen Preis auch - wie hier - über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos zahlt.

Insoweit rügt die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht entsprechenden (bestrittenen) Vortrag des Klägers zu den wechselseitig geäußerten Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluss zwar zur Kenntnis genommen und in den Entscheidungsgründen auch erwähnt hat, dies aber nicht zum Anlass nimmt, eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des Vertrages zu prüfen. Es hätte daher zunächst die vom Kläger angebotenen Beweise (Zeugnis Z. und P. ) für dessen im Berufungsrechtszug wiederholte Behauptung erheben müssen, die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe sich in Kenntnis ihrer fehlenden Vorsteuerabzugsberechtigung mit dem vom Kläger geforderten Gesamtpreis einverstanden erklärt, weil sie ihn für angemessen erachtet habe und es ihr gleichgültig gewesen sei, ob der Kläger mit der gewählten Vertragsformulierung sein erklärtes Ziel habe erreichen können, die von ihm auf die Herstellungskosten gezahlte Mehrwertsteuer "zurückzuholen".

c)

Stattdessen hat das Berufungsgericht allein die Möglichkeiten einer ergänzenden Vertragsauslegung oder eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht gezogen, beide aber mit der Begründung verneint, aus dem Wortlaut des Vertrages ergebe sich weder eine Regelungslücke, noch sei die einseitige Vorstellung des Klägers über dessen Optionsmöglichkeit zur Umsatzsteuer gemeinsame Geschäftsgrundlage geworden, weil der Kläger ein Aushandeln der Miete unter diesem Gesichtspunkt nicht vorgetragen habe.

Dies hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Vorrangig vor der Frage ergänzender Vertragsauslegung oder eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage hätte zunächst geprüft werden müssen, ob der Vertrag angesichts der vom Kläger behaupteten Umstände in dessen Sinne auszulegen ist. Erst wenn dies zu verneinen ist, stellt sich die Frage einer ergänzenden Vertragsauslegung und hilfsweise die eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage.

Aber auch dann, wenn die Möglichkeit einfacher Vertragsauslegung hier zu verneinen wäre, hätte eine ergänzende Vertragsauslegung nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung abgelehnt werden dürfen.

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, kommt eine im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließende Regelungslücke in Betracht, wenn die Parteien die Höhe der Miete unter Berücksichtigung einer als möglich angesehenen Option des Klägers zur Umsatzsteuer und der sich daraus für ihn ergebenden Steuervorteile ausgehandelt haben, so dass nicht lediglich ein einseitiger Kalkulationsirrtum des Klägers vorlag, dessen Folgen dieser allein zu tragen hätte (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 292/02 - NJW-RR 2004, 1452, 1453) .

Entsprechender Vortrag ist zumindest als stillschweigendes Hilfsvorbringen in dem Vortrag des Klägers enthalten; auch insoweit rügt die Revision zu Recht, das Berufungsgericht habe die dafür angebotenen Beweise erheben müssen. Denn wenn die Behauptung des Klägers unbewiesen bliebe, die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe sich in jedem Falle mit der Zahlung der (höheren) Gesamtmiete einverstanden erklärt, wäre jedenfalls seinem weiteren Vortrag nachzugehen, er habe erklärt, im Hinblick auf seine Herstellungskosten auch auf die Zahlung des als Mehrwertsteueranteil bezeichneten Betrages angewiesen zu sein, und die Beklagte habe "die von ihm vorgegebene Mietpreisgestaltung gebilligt".

4.

Der Senat ist somit an die Auslegung des Berufungsgerichts nicht gebunden. Er kann jedoch die Auslegung nicht selbst vornehmen, da sie maßgeblich vom Ergebnis der Beweisaufnahme über die beiderseitigen Vorstellungen und Erklärungen bei Abschluss des Mietvertrages abhängen wird.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit zur Nachholung dieser Beweisaufnahme an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1068 Nr. 6
DB 2009 S. 1349 Nr. 25
HFR 2009 S. 834 Nr. 8
KÖSDI 2009 S. 16472 Nr. 5
NJW-RR 2009 S. 593 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 11/2009 S. 761
UR 2009 S. 273 Nr. 8
LAAAD-10880

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja