BGH Beschluss v. - IX ZB 42/06

Leitsatz

[1] Ein vollstreckbares gerichtliches Urteil eines schweizerischen Gerichts oder ein gesetzliches Surrogat eines solchen Urteils stellt eine vollstreckbare Entscheidung im Sinne des Art. 31 Abs. 1 Luganer Übereinkommen dar, ohne dass in der Schweiz der Betreibungsweg beschritten und das Verfahren der definitiven Rechtsöffnung durchgeführt werden muss.

Gesetze: AVAG § 8 Abs. 1; AVAG § 15 Abs. 1; AVAG § 17 Abs. 3; ZPO § 574 Abs. 1; Lugano-Übk Art. 31 Abs. 1

Instanzenzug: OLG Schleswig, 16 W 59/05 vom LG Lübeck, 10 O 56/05 vom

Gründe

Der Antragsteller begehrt die Vollstreckbarerklärung einer Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, die ergangen ist, nachdem der Antragsgegner mitgeteilt hatte, dass er die Klage des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von CHF 2330,-- zuzüglich Verzugszinsen von 5 % seit anerkenne. In der Verfügung wurde der Prozess als durch Anerkennung der Klage erledigt abgeschrieben und der Antragsgegner verurteilt, die Kosten von CHF 285,-- und eine Umtriebsentschädigung von CHF 227,-- zu bezahlen.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Vollstreckbarerklärung weiter.

Das gemäß § 15 Abs. 1 AVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob ein rechtskräftiges vollstreckbares gerichtliches Urteil oder ein diesem gleichstehendes Surrogat nach schweizerischem Recht als vollstreckbare Entscheidung im Sinne des Art. 31 des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom (BGBl. 1994 II S. 2660; im Folgenden auch: LugÜ) anzusehen ist. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 15 Abs. 2 und 3, § 16 AVAG.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich ist gemäß § 8 AVAG für vollstreckbar zu erklären (§ 17 Abs. 3 AVAG).

1.

Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 1 LugÜ lägen nicht vor, weil es an der Vollstreckbarkeit der vorgelegten Entscheidung in der Schweiz fehle. Zwar stelle die hier streitgegenständliche Verfügung nach Schuldanerkennung ein gesetzliches Surrogat eines vollstreckbaren gerichtlichen Urteils dar. Der Gläubiger müsse aber zunächst den Betreibungsweg beschreiten und dem Schuldner einen Zahlungsbefehl zustellen lassen. Auf einen - einem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid vergleichbaren - Rechtsvorschlag des Schuldners müsse er das sogenannte definitive Rechtsöffnungsverfahren betreiben. Der Gläubiger könne beim Richter die definitive Aufhebung der Einstellungswirkung des Rechtsvorschlags verlangen, wobei der Schuldner - anders als beim provisorischen Rechtsöffnungsverfahren -nur mit Einwendungen gehört werde, welche die Tilgung, Stundung oder Verjährung der Schuld seit Erlass des Urteils beträfen. Bringe der Schuldner keine begründeten Einwendungen vor, werde der Rechtsvorschlag beseitigt und dem Gläubiger die definitive Rechtsöffnung erteilt; erst damit könne er in der Schweiz zur Vollstreckung im eigentlichen Sinne schreiten.

2.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung teilweise nicht stand. Das Beschwerdegericht hat den Begriff der vollstreckbaren Entscheidung in Art. 31 Abs. 1 LugÜ verkannt.

a)

Auf das vorliegende Verfahren findet das Übereinkommen von Lugano Anwendung, da die Schweiz nicht Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist, Art. 54b Abs. 2 Buchst. c LugÜ.

b)

Die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich stellt nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ein gesetzliches Surrogat eines vollstreckbaren gerichtlichen Urteils eines schweizerischen Gerichts dar. Dies wurde von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen (vgl. auch § 80 Abs. 2 des Schweizerischen Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, im Folgenden: SchKG). Gemäß Art. 25 LugÜ ist unter einer Entscheidung im Sinne dieses Übereinkommens jede von einem Gericht eines Vertragsstaates erlassene Entscheidung zu verstehen ohne Rücksicht auf die Bezeichnung.

c)

Ein vollstreckbares schweizerisches Urteil oder ein ihm gleichgestelltes Surrogat stellt eine vollstreckbare Entscheidung im Sinne des Art. 31 LugÜ dar, die auf Antrag eines Berechtigten in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden kann, ohne dass in der Schweiz der Betreibungsweg beschritten und die definitive Rechtsöffnung erwirkt worden sein muss.

(1)

Wie sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entnehmen lässt, betrifft der Begriff der Vollstreckbarkeit im Urteilsstaat lediglich die Vollstreckbarkeit in formeller Hinsicht, nicht aber die Voraussetzungen, unter denen die Entscheidung im Urteilsstaat tatsächlich vollstreckt werden kann (vgl. Eric Coursier/Fortis Bank SA, Sammlung 1999 S. 2543, 2571 Rn. 29). Diese Rechtsprechung ist zwar zu der mit Art. 31 LugÜ übereinstimmenden Bestimmung des Art. 31 EuGVÜ ergangen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelsachen ist jedoch nach den Erklärungen der Vertreter der Regierungen der Unterzeichnerstaaten des Luganer Übereinkommens (BGBl. 1999 II S. 2700 ff) auch bei dessen Auslegung zu berücksichtigen (vgl. z.B. MünchKomm-ZPO/Gottwald, 2. Aufl. LugÜ Protokoll Nr. 2 Rn. 4, 5).

(2)

Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des schweizerischen Betreibungsrechts steht der Vollstreckbarkeit im Sinne des Art. 31 LugÜ nicht entgegen. Die definitive Rechtsöffnung in diesem Sinne ist keine Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung schweizerischer Titel in Deutschland.

aa)

Nach schweizerischem Betreibungsrecht kann, wie das Beschwerdegericht festgestellt hat, der Schuldner nur mit Einwendungen gehört werden, welche die Tilgung, Stundung oder Verjährung der Schuld seit Erlass des Urteils betreffen. Bringt der Schuldner keine begründeten Einwendungen in diesem Sinne vor, wird sein Rechtsvorschlag beseitigt und dem Gläubiger die definitive Rechtsöffnung erteilt, womit dieser zur Vollstreckung im eigentlichen Sinne in der Schweiz schreiten kann. Damit entspricht dieses Verfahren funktional der deutschen Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO (Walter, ZZP 107 (1994), 301, 313; Keßler, Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gemäß Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ, S. 142). Das schweizerische Verfahren der definitiven Rechtsöffnung ist in derartigen Fällen deshalb ebenso wie die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO ein Verfahren, das das Vollstreckungsverfahren im Sinne des Art. 16 Nr. 5 LugÜ zum Gegenstand hat (vgl. 220/84, AS-Autoteile Service/Malhé, Sammlung 1985, 2267, 2277 f Rn. 12, 19).

bb)

Da die definitive Rechtsöffnung nach schweizerischem Recht dem Zwangsvollstreckungsverfahren im Sinne des Art. 16 Nr. 5 LugÜ zuzurechnen ist, fehlt es bereits an der internationalen Zuständigkeit schweizerischer Gerichte, wenn die Vollstreckung im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates durchgeführt werden soll (vgl. Keßler aaO S. 141/142 und die dort zitierte herrschende schweizer Rechtslehre; Walter, aaO S. 313). International zuständig sind ausschließlich die Gerichte im Vollstreckungsstaat. Dies schließt es aus, als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit im Sinne des Art. 31 LugÜ die Durchführung des Verfahrens der definitiven Rechtsöffnung in der Schweiz zu verlangen. Denn ein solches Verfahren könnte dort mangels internationaler Zuständigkeit gar nicht durchgeführt werden. Eine Auslegung, die dies trotzdem fordert, wäre mit einer völkerrechtsfreundlichen Handhabung des Luganer Übereinkommens nicht vereinbar, weil sie die Vollstreckbarerklärung in anderen Vertragsstaaten ausschlösse.

cc)

Der Schuldner kann die Einwendungen, die er im definitiven Rechtsöffnungsverfahren nach schweizerischem Recht erheben könnte, auch im deutschen Verfahren auf Vollstreckbarerklärung vorbringen. Er kann sie gemäß § 12 Abs. 1 AVAG im Verfahren der sofortigen Beschwerde vor dem Oberlandesgericht oder in einem späteren Verfahren nach Maßgabe des § 14 AVAG geltend machen.

3.

Die Beschwerdeentscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen richtig, § 17 Abs. 2 Satz 2 AVAG, § 577 Abs. 3 ZPO.

Die Auffassung des Landgerichts, es liege schon kein vollstreckbarer Titel vor, hat das Beschwerdegericht nach Prüfung des schweizerischen Rechts im Hinblick auf § 80 Abs. 2 SchKG für unzutreffend erachtet. Dies ist der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht gemäß § 17 Abs. 1 AVAG entzogen.

4.

Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2 AVAG, § 577 Abs. 5 ZPO.

Anerkennungshindernisse gemäß Art. 34 Abs. 2 LugÜ aus den in Art. 27 und 28 LugÜ angeführten Gründen sind nicht gegeben. Die erforderlichen Unterlagen nach Art. 46 ff LugÜ sind vorgelegt. Einwendungen nach § 12 Abs. 1 AVAG hat der Antragsgegner nicht geltend gemacht.

5.

Die Festlegung des Streitwertes richtet sich nach dem Wechselkurs bei Eingang der Rechtsbeschwerde am . Er betrug an diesem Tag nach Auskunft der Deutschen Bundesbank 1,5738.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 565 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 10/2009 S. 678
RIW 2009 S. 244 Nr. 4
WM 2009 S. 766 Nr. 16
ZIP 2009 S. 1031 Nr. 21
DAAAD-10848

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja