Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Führung eines Fristenkontrollbuches und Ausgangskontrolle; kein nachträgliches Vorbringen nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO
Gesetze: FGO § 56 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klage der Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) auf Erlass von Erbschaftsteuer in Form der Jahressteuer (§ 23 des Erbschaftsteuergesetzes) aus sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen (§ 227 der Abgabenordnung —AO—) blieb ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts, das die Revision zugelassen hat, wurde der Antragstellerin am zugestellt.
Mit am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsatz legte die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Revision ein, die sie mit am beim BFH eingegangenen Schriftsatz begründete.
Bereits am hatte die Antragstellerin beim BFH durch ihren Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Prozessbevollmächtigte hatte den Antrag damit begründet, dass er die Revision bereits am verfasst habe, das Original dieses Schriftsatzes aber nicht in den Postausgang gelangt war, sondern zusammen mit dem Duplikat in der Akte abgeheftet wurde. Er habe den Fehler erst am entdeckt, nachdem die Antragstellerin ihm weitere Unterlagen zur Bearbeitung ihres Prozesskostenhilfeantrags übermittelt gehabt hätte.
Der Prozessbevollmächtigte trug in einem am beim BFH eingegangenen Schriftsatz weiter vor, dass er nach Bearbeitung der Akte die Frist im Fristenkontrollbuch ausgetragen habe. Die Revisionsschrift sei wohl während Umbauarbeiten in den Kanzleiräumen ab Herbst 2008 beim Verpacken seines Arbeitszimmers versehentlich mit dem Duplikat in die Akte einsortiert worden. Es handele sich um ein einmaliges, entschuldbares Büroversehen.
Mit einem weiteren vom eingegangenen Schriftsatz begehrt die Antragstellerin für das Revisionsverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH hat keinen Erfolg.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin in dem beabsichtigten Revisionsverfahren bietet bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO), weil die Revision aller Voraussicht nach wegen Versäumens der Revisionsfrist als unzulässig zu verwerfen ist.
1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Die Revisionsfrist begann im Streitfall mit der Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils mit Ablauf des und endete somit mit Ablauf des . Die Antragstellerin hat die Revision jedoch erst am und damit verspätet beim BFH eingelegt.
2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumens der Revisionsfrist wird wahrscheinlich nicht zu gewähren sein, da die Antragstellerin die Frist zur Einlegung der Revision nach summarischer Prüfung schuldhaft versäumt hat. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist ihr gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (BFH-Beschlüsse vom VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; vom I B 136/99, BFH/NV 2000, 1108; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl. 2006, § 56 Rz 6 und 8).
Nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren. Dabei schließt jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit und einmaliges Verschulden— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu begründen. Das erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb dieser Zweiwochenfrist (ständige Rechtsprechung des BFH, s. z.B. die Entscheidungen vom X R 82/92, BFH/NV 1993, 611; vom X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221; vom VI B 62/99, BFH/NV 2001, 928, 929; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 40 ff., jeweils m.w.N.). Nach Ablauf der Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO können weitere Gründe nur berücksichtigt werden, soweit sie die bisherigen Gründe erläutern, präzisieren oder ergänzen; wesentliche Lücken können dann nicht mehr geschlossen und Widersprüche nicht mehr beseitigt werden (BFH-Entscheidungen vom X R 66/99, BFH/NV 2002, 358; vom X R 95/93, BFH/NV 1997, 40, und in BFH/NV 1993, 611, jeweils m.w.N.).
Dieser Begründungspflicht ist der Prozessbevollmächtigte hier nicht nachgekommen. Sein Vortrag lässt bei summarischer Prüfung nicht glaubhaft erscheinen, er habe die Revisionsfrist nicht schuldhaft versäumt.
Gelangt ein Schriftsatz —wie hier durch doppeltes Abheften in der Akte— schon nicht in den Postausgang, ist die Handhabung der Postausgangskontrolle, die grundsätzlich das Führen eines Postausgangsbuchs beinhaltet, im Allgemeinen und im Streitfall darzulegen (näher dazu: BFH-Entscheidungen vom X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266; vom X R 87/97, BFH/NV 1999, 621; Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20 „Fristenkontrolle” und „Postausgangskontrolle"; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 110 AO Rz 76). Insbesondere darf eine Frist im Fristenkalender erst gelöscht werden, nachdem das Schriftstück im Postausgangsbuch eingetragen wurde (BFH-Entscheidungen vom I B 166/02, BFH/NV 2003, 1193; vom I R 90/97, BFH/NV 1999, 512, m.w.N.). Insoweit fehlt im Wiedereinsetzungsantrag des Prozessbevollmächtigten vom jeglicher Vortrag. Auch in seinem nachgereichten Schriftsatz vom trägt er weiter lediglich vor, dass die Frist im Fristenkalender gelöscht wurde. Er führt jedoch nicht aus, ob er vorher das Schriftstück in das Postausgangsbuch eingetragen hat und —wenn ja— warum er die Versendung des Schriftstücks durch Kontrolle des Postausgangsbuchs nicht sicherstellen konnte.
Auch ein Umzug —die Zulässigkeit der Berücksichtigung dieses nachgeschobenen Vorbringens unterstellt— rechtfertigt grundsätzlich keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (, BFH/NV 2005, 1856). Im Übrigen ist der Vortrag des Prozessbevollmächtigten insoweit ungeeignet, ein fehlendes Verschulden darzulegen, da ein Umzug ab Herbst 2008 nicht zum Versäumen einer Frist im Juli 2008 führen kann.
Diese Darlegungsmängel ließen sich nicht nachträglich heilen. Der Prozessbevollmächtigte hätte die genauen Umstände der Fristversäumnis in einem Umfang zu ergänzen, der über die nach Ablauf der Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO zulässigen Erläuterungen, Präzisierungen und Ergänzungen hinausgehen müsste. Daher gab es für den BFH keine Veranlassung zur weiteren Sachaufklärung.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Fundstelle(n):
IAAAD-09861