Leitsatz
Die Organisationsgewalt gibt den korporierten Religionsgemeinschaften die Befugnis, Untergliederungen zu bilden, und zwar gerade solche mit öffentlich-rechtlichem Status.
Die Zuerkennung der Körperschaftsrechte an eine solche Untergliederung ist ebenso wie ihre Aberkennung staatliche Mitwirkung an einem Organisationsakt der Religionsgemeinschaft, der inhaltlicher Überprüfung durch staatliche Behörden aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaft entzogen ist.
Gesetze: GG Art. 140; WRV Art. 137 Abs. 3; WRV Art. 137 Abs. 5; KiStG § 24 Abs. 1
Instanzenzug: VGH Baden-Württemberg, 1 S 1940/07 vom VG Freiburg, 4 K 1268/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
Die Klägerin, eine Israelitische Kultusgemeinde, wendet sich gegen einen Erlass, durch den das beklagte Kultusministerium ihr die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aberkannt hat.
Die beigeladene Israelitische Religionsgemeinschaft Baden ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Nach § 3 Abs. 1 ihrer Satzung ist Mitglied der Beigeladenen jede nach dem Religionsgesetz jüdische Person, die im Landesteil Baden ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die bestehenden jüdischen/israelitischen Gemeinden in Baden sind nach § 3 Abs. 2 der Satzung Untergliederungen der Beigeladenen. Über die Gründung und die Aufnahme von Gemeinden entscheidet nach § 3 Abs. 3 der Satzung der Oberrat (Delegiertenversammlung) der Beigeladenen.
Auf Antrag der Beigeladenen erkannte das beklagte Kultusministerium durch Erlass vom die Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (Kirchensteuergesetz - KiStG) in der Fassung vom (GBl. S. 369) als Körperschaft des öffentlichen Rechts an. Seit Mitte der neunziger Jahre kam es zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu Streitigkeiten namentlich über die Haushaltsführung der Klägerin und deren Überprüfung durch die Beigeladene. Der Oberrat der Beigeladenen beschloss in seiner Sitzung vom , die Klägerin aus der Beigeladenen auszuschließen. Diesen Beschluss erklärte das Schieds- und Verwaltungsgericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland auf eine Klage der Klägerin durch Urteil vom für unwirksam. Die Beigeladene hatte zuvor mit Schreiben vom bei dem beklagten Kultusministerium beantragt, der Klägerin die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung vom abzuerkennen. Durch allein an die Beigeladene gerichteten Erlass vom erkannte das beklagte Kultusministerium der Klägerin die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung vom ab.
Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Erlass vom aufgehoben. Auf die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen: Die Klägerin gehöre nicht zu den Körperschaften im Sinne des Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV, denen die Körperschaftsrechte von Verfassungs wegen und grundsätzlich unentziehbar zukämen. Ihr sei die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auch nicht eigenständig auf Grund einer Prüfung der Voraussetzungen des Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV verliehen worden. Die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts komme ihr vielmehr nur als Folge einer organisatorischen Entscheidung der Beigeladenen zu und habe ihr auf Grund einer gegenteiligen Entscheidung der Beigeladenen wieder entzogen werden können. Diese Entscheidung sei durch die behördliche Aberkennung der Körperschaftsrechte in die staatliche Rechtsordnung umgesetzt worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Die Klägerin möchte die Frage geklärt wissen,
ob die Beigeladene über Körperschaftsrechte einer Mitgliedsgemeinde zu befinden berechtigt ist oder ob dies ausschließlich in der Kompetenz des Beklagten liegt.
Auch unter Einbeziehung der Beschwerdebegründung ist damit keine Frage des revisiblen Rechts aufgeworfen, die noch einer Klärung im Revisionsverfahren bedürfte. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Anwendung irrevisiblen Landesrechts, nämlich auf der Grundlage von § 24 Abs. 1 KiStG, angenommen, der Beklagte sei allein auf einen wirksam gestellten Antrag der Beigeladenen hin verpflichtet, der Klägerin die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts abzuerkennen. In dem angestrebten Revisionsverfahren könnte zwar überprüft werden, ob § 24 Abs. 1 KiStG in dieser Auslegung mit Bundesrecht, nämlich Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV, vereinbar ist. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aber unmittelbar aus den einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung.
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 KiStG erlangen Kirchengemeinden die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts durch Anerkennung des Kultusministeriums. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Vorschrift dahin ausgelegt, dass sie nicht die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an eine Religionsgemeinschaft nach Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV zum Gegenstand hat. § 24 Abs. 1 Satz 1 KiStG betrifft in der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs vielmehr nur Untergliederungen einer Religionsgemeinschaft, die als solche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Untergliederungen (Gemeinden) sind nach diesem Verständnis nicht selbst Religionsgemeinschaften. Ihr Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann sich nur von demjenigen der Religionsgemeinschaft ableiten, der sie angehören.
Art. 140 GG, Art. 137 WRV steht nicht entgegen, zwischen der Verleihung der Körperschaftsrechte an eine Religionsgemeinschaft nach Art. 137 Abs. 5 WRV und der Zuerkennung von abgeleiteten Körperschaftsrechten an die Untergliederung einer Religionsgemeinschaft mit Körperschaftsstatuts zu unterscheiden und aus dieser Unterscheidung auch Folgerungen für die Aberkennung der Körperschaftsrechte zu ziehen.
Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG, Art 137 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 WRV vermittelt der Religionsgemeinschaft bestimmte öffentlich-rechtliche Befugnisse, die aus ihrem Status folgen und mit ihm unmittelbar verbunden sind. Dazu gehört insbesondere die Organisationsgewalt ( BVerwG 7 C 47.07 - NVwZ 2008, 1357). Die Organisationsgewalt gibt den korporierten Religionsgemeinschaften die Befugnis, Untergliederungen zu bilden, und zwar gerade solche mit öffentlich-rechtlichem Status ( - BVerfGE 102, 370 <371> ). Wie das Verhältnis zwischen der Religionsgemeinschaft und den von ihr gebildeten Untergliederungen ausgestaltet ist, insbesondere welche Selbständigkeit der Untergliederung im Verhältnis zu der Religionsgemeinschaft zukommen soll, bestimmt die Religionsgemeinschaft nach ihrem Selbstverständnis auf der Grundlage des ihr insoweit zukommenden Selbstbestimmungsrechts ( Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV).
Auch wenn die Befugnis, öffentlich-rechtliche Untergliederungen zu bilden, unmittelbar aus dem Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaft folgt, bedarf es doch der Mitwirkung des Staates, wenn die Untergliederung im Bereich der weltlichen Rechtsordnung rechtlich wirksam handeln soll, etwa als Steuergläubigerin im Recht der Kirchensteuer. Diese Mitwirkung ist im Land Baden-Württemberg in dessen § 24 KiStG geregelt. Die Zuerkennung der Körperschaftsrechte ist damit ebenso wie deren Aberkennung staatliche Mitwirkung an einem Organisationsakt der Religionsgemeinschaft, der inhaltlicher Überprüfung durch staatliche Behörden aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaft entzogen ist.
2.
Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem geltend gemachten Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die Klägerin macht geltend, das beklagte Kultusministerium habe sie vor seiner Entscheidung nicht nach § 28 VwVfG angehört. Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sind aber nur Mängel des gerichtlichen Verfahrens, nicht aber des Verwaltungsverfahrens. Mängel des Verwaltungsverfahrens sind Gegenstand der materiell-rechtlichen Beurteilung des Gerichtes, etwa im Hinblick darauf, ob ein angegriffener Verwaltungsakt wegen eines Verfahrensfehlers der Behörde rechtswidrig und damit aufzuheben ist.
Nimmt das Gericht beispielsweise zu Unrecht an, ein bestimmter Sachverhalt ergebe keinen Verfahrensfehler der Behörde, kann dies nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VwGO mit der Grundsatzrüge oder mit der Divergenzrüge angegriffen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, die unterbliebene Anhörung der Klägerin im Verwaltungsverfahren sei jedenfalls nach § 46 VwVfG unbeachtlich, weil die Aberkennung der Körperschaftsrechte als gebundene Entscheidung in der Sache nicht zu beanstanden sei. Die Klägerin hält diese Auffassung zwar für unrichtig, ohne indes insoweit die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VwGO darzulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstelle(n):
QAAAD-03584