Keine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung bei der bloßen Behauptung der fehlerhaften Schätzung der Haftungsquote durch das FG; unzutreffende Beweiswürdigung kein Verfahrensmangel
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, AO § 69, AO § 71
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war zunächst kaufmännischer Leiter mit Einzelprokura und vom bis alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer GmbH. Im Juli 1995 wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Im Rahmen einer Umsatzsteuerprüfung wurde u.a. festgestellt, dass der Kläger für die Voranmeldungszeiträume Januar 1993 bis November 1994 überhöhte Vorsteuerbeträge geltend gemacht habe und dass die Umsätze für den Monat Dezember 1993 zu niedrig erklärt worden seien. Für rückständige Umsatz- und Körperschaftsteuern nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger mit Haftungsbescheid vom nach § 69 und § 71 der Abgabenordnung als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Einspruch führte zu einer Beschränkung der Haftung auf die Umsatzsteuer Dezember 1993 und November 1994 und zu einer Herabsetzung der Haftungssumme.
Die daraufhin erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Im Wege der Schätzung kürzte das Finanzgericht (FG) die der Haftung zugrunde liegenden Vorsteuerrückerstattungen für Dezember 1993 und November 1994. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte das FG aus, dass sich aus der Klagebegründung keine substantiierten Einwendungen gegen die von der Umsatzsteuerprüfung gemachten Feststellungen ergäben. Die ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten habe der Kläger zumindest grob fahrlässig verletzt, indem er im Haftungszeitraum entweder keine oder nicht wahrheitsgemäße Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben habe. Hinsichtlich der Haftungssumme für November 1994 bestünden gegen die vom FA ermittelte Haftungsquote von 47 % keine Bedenken. Hinsichtlich der Haftung für Umsatzsteuer für Dezember 1993 habe der Kläger für die gesamte Steuerschuld einzustehen. Im Streitfall habe sich das FA um die Aufklärung des Sachverhalts bemüht. In mehreren Schreiben und Besprechungen habe es um Mitteilung entsprechender Angaben ersucht. Jedoch habe der mitwirkungspflichtige Kläger bisher weder im verwaltungs- noch im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechende verwertbare Angaben zu dem Liquiditätsstatus der GmbH gemacht. Bei dieser Sachlage sei die Haftungsquote sachgerecht zu schätzen. Aufgrund des Verkaufs von 627 Zertifikaten im Jahr 1993, bei dem der GmbH über 6 Mio. DM zugeflossen seien, sei die GmbH in der Lage gewesen, die Umsatzsteuer 1993 in voller Höhe zu begleichen. Schließlich stünden der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme weder Fehler bei der Ermessensausübung durch das FA noch die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen.
Mit seiner auf sämtliche in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Zulassungsgründe gestützten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision. Zur Begründung trägt er vor, dass das FG die Haftungsquote nicht habe schätzen dürfen. Zudem habe es den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der anteiligen Haftung nicht sachgerecht angewandt. Insbesondere habe das FG nicht berücksichtigt, dass sich der Kläger ab dem Jahre 1996 jahrelang zunächst in Untersuchungs- und dann in Strafhaft befunden habe. Damit sei er in seiner Möglichkeit, Informationen zu erhalten und Auskünfte zu erteilen, völlig blockiert gewesen. Nach Aufgabe des Amtes als Geschäftsführer im März 1995 habe er keine Einblicke in die Buchungsunterlagen, Bilanzen und Kontoauszüge der GmbH gehabt. Hinzu komme, dass alle Unterlagen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden seien und dass sich die restlichen Unterlagen beim Konkursverwalter befunden hätten.
Verfahrensfehlerhaft habe das FG bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit auf den Monat Februar 1994 abgestellt und nicht berücksichtigt, dass zu diesem Zeitpunkt die durch die Zertifikatausgabe zugeflossenen Mittel bereits aufgebraucht gewesen seien. Zudem habe das FG unberücksichtigt gelassen, dass die GmbH zugesichert habe, 50 % der Beteiligungssumme in erstklassigen Bankpapieren anzulegen. Den Gesetzen der Logik und einer sachgerechten Schätzung stehe auch entgegen, dass das FG die Haftungsquote für November 1994 nach dem Verhältnis des Beteiligungsbetrags und der Rückzahlungen der Beteiligungen errechnet habe. Entgegen der Rechtsprechung sei lediglich ein Teil der Verbindlichkeiten zur Ermittlung der Haftungsquote herangezogen worden. Aus dem Umstand, dass an Anteilseigner 47 % des Beteiligungskapitals zurückbezahlt worden seien, könne nicht auf eine Tilgung der Gesamtverbindlichkeiten in dieser Höhe geschlossen werden.
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat keinen der geltend gemachten Zulassungsgründe in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt.
1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung oder der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im Streitfall auch klärungsfähig ist. Dazu ist darzulegen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtsfrage abhängt. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerde auch nicht ansatzweise gerecht. Eine konkrete Rechtsfrage, die nach den genannten Grundsätzen der Klärung bedarf, ist der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen. Vielmehr erschöpft sich das Vorbringen des Klägers in der Behauptung einer fehlerhaften Rechtsanwendung des FG. Dieses habe den Grundsatz der anteiligen Haftung nicht sachgerecht angewandt und die Haftungsquote im Wege der Schätzung unzutreffend ermittelt. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).
2. Ein Verstoß gegen Denkgesetze bei einer vom FG vorgenommenen Schätzung kann sich nur unter besonderen Umständen als materiell-rechtlicher Fehler von solchem Gewicht erweisen, dass eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO aufgrund willkürlich falscher Rechtsanwendung geboten wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt ein solcher Fall nur dann vor, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist. Das Ergebnis der Schätzung muss sich als offensichtlich realitätsfremd darstellen (, BFH/NV 2004, 1112, m.w.N.). Einen solch gravierenden und nicht hinnehmbaren Rechtsanwendungsfehler legt die Beschwerde nicht hinreichend dar. Sie behauptet lediglich, dass das Schätzungsergebnis des FG den Gesetzen der Logik widerspreche. Nach Ansicht des Senats ist es jedoch nicht als offensichtlich realitätsfremd anzusehen, dass das FG die Haftungsquote für November 1994 in Ermangelung weiterer konkreter Anhaltspunkte für vorgenommene Tilgungsleistungen der GmbH anhand der Rückzahlung des Beteiligungskapitals geschätzt hat.
3. Soweit die Beschwerde rügt, dass das FG verfahrensfehlerhaft eine Verletzung der dem Kläger obliegenden Mitwirkungspflicht angenommen und sich infolgedessen zur Schätzung der Haftungsquote befugt angesehen hat, genügt auch dieses Vorbringen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Im Kern des Vorbringens rügt der Kläger keinen Verstoß gegen verfahrensrechtliche Vorschriften, die er in der Beschwerdeschrift auch nicht benennt, sondern die vermeintlich unzutreffende Annahme einer —nach Ansicht der Beschwerde nicht vorliegenden— Pflichtverletzung des Klägers. Den Ausführungen des FG, er habe trotz mehrerer Schreiben und Besprechungen weder im verwaltungs- noch im finanzgerichtlichen Verfahren verwertbare Angaben gemacht, setzt der Kläger seine eigene Auffassung entgegen, nach der es ihm unter keinen Umständen möglich gewesen sei, die verlangten Angaben zu machen. Abgesehen davon, dass das Vorbringen —auch wegen fehlender Zeitangaben über die Dauer des Verbleibs der Unterlagen bei der Staatsanwaltschaft und beim Konkursverwalter— insgesamt nicht als schlüssig angesehen werden kann, das behauptete vollständige Unvermögen zu belegen, reicht es zur Darlegung eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht aus.
4. Mit seinen Ausführungen zur Berücksichtigung des Inhalts des Konzerngutachtens durch das FG und zur Zusicherung der GmbH, 50 % der Beteiligungssumme in Bankpapieren anzulegen, richtet sich der Kläger gegen die vom FG vorgenommene Beweiswürdigung. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind jedoch dem materiellen Recht zuzuordnen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 82, m.w.N.), so dass auch dieses Vorbringen den behaupteten Verfahrensverstoß nicht zu belegen vermag.
Fundstelle(n):
XAAAD-03278