BSG Urteil v. - B 12 KR 19/07 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB V § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1; SGB V § 189; SGB V § 188 Abs 2 Satz 1; SGB V § 188 Abs 3; SGB V § 9 Abs 2 Nr 1

Instanzenzug: SG Berlin, S 112 KR 406/07 vom

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er ab freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten ist.

Der 1974 geborene Kläger schloss 1997 eine Ausbildung zum Stuckateur ab. Nach kurzen Beschäftigungen und der Ableistung einer gesetzlichen Dienstpflicht bezog er zuletzt bis Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Anschließend befand sich der Kläger nach eigenen Angaben ohne Leistungsbezug bei seiner Familie in Spanien. Seit erhielt er - wohl unterbrochen von Zeiten der Obdachlosigkeit, in denen der Kläger keinerlei Leistungen bezog - vom Beigeladenen zu 2) Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Die vom Beigeladenen zu 2) eingeschaltete Fachärztin für psychotherapeutische Medizin hatte aufgrund einer Untersuchung bereits am festgestellt, dass der Kläger an einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung leide, die dringend einer Behandlung bedürfe. Derzeit liege Arbeitsunfähigkeit vor (Stellungnahme vom ).

Am forderte ein Mitarbeiter des Beigeladenen zu 2) den Kläger auf, einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu stellen. Im SGB-II-Antragsformular ist die Frage, ob der Kläger seiner Einschätzung nach mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen könne, mit braunem Kugelschreiber verneint mit der Begründung "psychisch eingeschränkt". Gleichzeitig ist mit rotem Stift das Feld "ja" angekreuzt. Nachdem das JobCenter Steglitz-Zehlendorf dem Kläger ab Arbeitslosengeld II (ALG II) zuerkannt hatte, stellte der Beigeladene zu 2) die Hilfe zum Lebensunterhalt ab ein (Bescheid vom ).

Vom 6. bis wurde der Kläger stationär im St. Hedwig-Krankenhaus behandelt. Der Entlassungsbrief nennt die Diagnose paranoide Schizophrenie. Die Agenturärztin (BA) schätzte am nach Aktenlage ein, dass der Kläger länger als sechs Monate auf unabsehbare Dauer nicht leistungsfähig für eine geregelte Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei. Nachdem der Rentenversicherungsträger den Antrag des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen bindend abgelehnt hatte (Bescheid vom ), hob das JobCenter die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung vom auf (Bescheid vom ). Seitdem bezieht der Kläger vom Beigeladenen zu 2) Leistungen nach dem SGB XII und erhält Krankenbehandlung nach § 264 Abs 2 SGB V.

Am erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten seinen Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung. Die Beklagte beschied ihn dahin, eine freiwillige Krankenversicherung sei mangels ausreichender Vorversicherungszeiten nicht möglich (Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ).

Der Kläger hat Klage erhoben. Das JobCenter Steglitz-Zehlendorf hat auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) erklärt, dass eine Rückforderung der dem Kläger bis Ende April 2006 zuerkannten SGB-II-Leistungen ebenso wenig beabsichtigt sei, wie die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs beim Beigeladenen zu 2). Das den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten ist.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt, der Kläger sei aufgrund seiner Beitrittserklärung zum freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden. Er habe die Voraussetzungen für den Beitritt zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt und insbesondere ALG II nicht zu Unrecht bezogen. Rechtsgrund für den Leistungsbezug seien die bindenden Bewilligungsbescheide des JobCenters Steglitz-Zehlendorf. Dieser Leistungsträger habe ausdrücklich erklärt, dass er eine rückwirkende Aufhebung der Bescheide nicht beabsichtige. Der Bezug des ALG II sei damit zumindest formell rechtmäßig. Die Beklagte sei hieran grundsätzlich gebunden.

Die Beklagte hat hiergegen Revision eingelegt. Sie begründet ihr Rechtsmittel im Wesentlichen wie folgt: Entgegen der Auffassung des SG Berlin sei auf die materielle Rechtmäßigkeit des Leistungsbezuges abzustellen. Dies werde durch die Gesetzesmaterialien belegt. Darüber hinaus widerspreche die Interpretation des SG Berlin dem Zweck des Gesetzes, das Recht zur freiwilligen Versicherung nur einem eng begrenzten Personenkreis vorzubehalten. Eine Bindung der Beklagten an die Entscheidung des JobCenters nach dem SGB II bestehe nicht. Eine solche Feststellungswirkung bestehe nur, wenn sie ausnahmsweise gesetzlich geregelt sei. Im vorliegenden Fall stehe fest, dass der Kläger spätestens seit dem , mit Rücksicht auf seinen Krankenhausaufenthalt ab wohl sogar ab diesem Zeitpunkt, nicht mehr erwerbsfähig iS des § 8 Abs 1 SGB II gewesen sei. Jedenfalls in solchen Fällen sei die gesetzliche Krankenkasse nicht wegen ihrer Rechtsbeziehungen zu dem Leistungsträger nach dem SGB II dazu verpflichtet, bei der Prüfung einer freiwilligen Krankenversicherung den Bewilligungsbescheid trotz fehlender Erwerbsfähigkeit zugrunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom aufzuheben und die Klage des Klägers und Revisionsbeklagten abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hatte das SG den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger ab dem freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden ist.

Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V in der hier einschlägigen Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom (BGBl I 3676) können der Versicherung beitreten Personen, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens vierundzwanzig Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens zwölf Monate versichert waren (Halbsatz 1). Nach Halbsatz 2 der Norm werden Zeiten der Mitgliedschaft nach § 189 SGB V und Zeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil ALG II zu Unrecht bezogen wurde, nicht berücksichtigt. Nach § 188 Abs 2 Satz 1 SGB V beginnt die Mitgliedschaft der in § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V genannten Versicherungsberechtigten mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht. Der Beitritt ist schriftlich zu erklären (§ 188 Abs 3 SGB V) und den Krankenkassen innerhalb von drei Monaten anzuzeigen (§ 9 Abs 2 Nr 1 SGB V).

Der Kläger hat durch seine form- und fristgerechte Erklärung vom zum wirksam eine freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten begründet. Er hat in der Zeit vom bis ALG II bezogen und war deshalb nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Er ist der Beklagten innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Pflichtmitgliedschaft mit Ablauf des (§ 190 Abs 12 SGB V) beigetreten. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die notwendige Vorversicherungszeit nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V sei nicht erfüllt, weil der Kläger ALG II in der Zeit ab dem ganz oder teilweise zu Unrecht bezogen habe iS von § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 2 SGB V. Vorliegend hat das JobCenter Steglitz-Zehnlendorf, eine Arbeitsgemeinschaft, dem Kläger in Wahrnehmungszuständigkeit ua für die Agentur für Arbeit als Leistungsträger (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II gemäß § 44b Abs 3 SGB II in der Fassung durch Art 1 Nr 21 Buchst b des Kommunalen Optionsgesetzes vom , BGBl I 2014) für die Zeit vom bis ALG II bewilligt. Weil die zugrunde liegenden Bewilligungen mit Bescheid vom nur zukunftsgerichtet für die Zeit ab aufgehoben wurden, für Zeiten vorher indes bestehen blieben und insofern auch Erstattungsansprüche zwischen den Trägern nicht geltend gemacht wurden, bestimmen die ergangenen Bewilligungs-Verwaltungsakte der Beigeladenen zu 2) damit weiterhin die unmittelbaren leistungsrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 2) nach dem SGB II (§ 77 SGG) und begründen die Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs. Zur Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von ALG nach dem SGB III hat der Senat außerdem bereits entschieden, dass schon die Zuerkennung von Rechten und Ansprüchen auf eine Sozialleistung genügt, um für den entsprechenden Zeitraum einen Krankenversicherungsschutz begründenden "Bezug" dieser Leistung anzunehmen. Mit dem Erlass des Bewilligungsbescheides steht dann für den gesamten Bewilligungszeitraum gleichzeitig fest, dass auch die Krankenversicherung der Arbeitslosen besteht (, USK 2003-9 mit Hinweis auf , SozR 4100 § 159 Nr 5). Für den Bezug von ALG II gilt nichts anderes. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und die gewählte Krankenkasse haben daher im Rechtsstreit über die Beitrittsberechtigung die Tatsache hinzunehmen, dass ein Verwaltungsakt über die Bewilligung von ALG II erlassen wurde, seinen Inhalt als gegeben zugrunde zu legen und in diesem Sinne den Verwaltungsakt zu beachten, selbst wenn er rechtswidrig sein sollte, es sei denn er ist nichtig (vgl zum allgemein anerkannten Inhalt der sog Tatbestandswirkung exemplarisch etwa , BGHZ 158, 19 und vom , I ZR 125/04, WRP 2007, 1359 = NVwZ-RR 2008, 154). Dem entspricht, dass die Rechtsprechung ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage des potenziell nach dem SGB II Leistungsberechtigten auf Feststellung der Zuständigkeit des hierfür zuständigen Trägers gerade auch im Blick auf den sich aus dem Leistungsbezug mittelbar ergebenden Versicherungsschutz ua nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V annimmt (vgl B 14/7b AS 16/07 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Anhaltspunkte dafür, dass die Bewilligungsverwaltungsakte der Beigeladenen zu 2) nichtig sind, gibt es nicht, sodass das SG zu Recht von der Bindungswirkung dieser Verwaltungsakte ausgegangen ist. "Zu Unrecht" iS von § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 2 SGB V, der seine hier maßgebliche Fassung mit Wirkung zum durch Art 2a des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom (BGBl I 3676) erhalten hat, könnte ALG II unter diesen Umständen grundsätzlich nur bezogen worden sein, wenn und soweit die ursprünglich ergangenen Bewilligungsverwaltungsakte durch die hierfür zuständige Stelle zurückgenommen, widerrufen oder aufgehoben worden sind. In derartigen Fällen bleibt es zwar für die Vergangenheit dennoch bei der ursprünglich durch den Bezug von ALG II begründeten Versicherungspflicht (§ 5 Nr 2a SGB V), doch folgt dann aus § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 2 SGB V, dass allein aus dem ungerechtfertigten Bezug kein Recht auf eine freiwillige Fortsetzung der früheren bestandsgeschützten Mitgliedschaft besteht. Dafür, dass auch ein Leistungsbezug auf der Grundlage eines bestandskräftigen Verwaltungsakts des zuständigen Trägers ausnahmsweise dennoch aus sonstigen Gründen des materiellen Rechts "zu Unrecht" iS des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 2 SGB V erfolgt sein könnte, wobei dies die Beklagte in eigener Kompetenz zu prüfen hätte, fehlt es demgegenüber an Anhaltspunkten jedenfalls für die hier zugrunde zu legende Rechtslage vor Änderung des § 44a SGB II mit Wirkung vom .

Entgegen der Rechtsansicht der Krankenversicherungsträger ist insofern eine Unterscheidung nach "formellen", dem Verwaltungsverfahrensrecht entstammenden und sonstigen, im einschlägigen Leistungsrecht des SGB II wurzelnden, "materiellen" Rechtsgründen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs nicht veranlasst. Da aus der Sicht der Gerichtsbarkeit alle Regelungen, aus denen sich Inhalt, Zustandekommen und Wirkungen von Entscheidungen der Verwaltung ergeben, dem sog materiellen Recht zugehören, hat die Beklagte bei ihrer (deklaratorischen) Entscheidung über die Wirksamkeit eines freiwilligen Beitritts auch eine bestandskräftige Bewilligung von ALG II zu beachten. Soweit darauf hingewiesen wird, auch andere Rechtsvorschriften des SGB stellten darauf ab, ob Leistungen "zu Unrecht" erbracht oder nicht erbracht worden seien, setzen diese Vorschriften gerade voraus, dass die Leistung ohne Verwaltungsakt erbracht wurde (§ 50 Abs 2 SGB X), regeln die Voraussetzungen der Rücknahme einer Leistungsablehnung (§ 44 Abs 1 SGB X) oder betreffen die Erstattung von Leistungen nach Erledigung des Verwaltungsaktes (§ 118 Abs 4 SGB VI). Ebenso kann Abweichendes auch dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Untersuchungsgrundsatz (§ 20 Abs 1 Satz 1 SGB X) nicht entnommen werden, der den Trägern der zweiten Gewalt zwar aufgibt, "den Sachverhalt von Amts wegen" zu ermitteln, damit aber nicht etwa selbst bereits die rechtlich relevanten Umstände festlegt, die Gegenstand einer derartigen Amtspflicht sind.

Die Gesetzesentwicklung zeigt schließlich, dass ein eigenständiges Überprüfungsrecht der Krankenkassen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Leistungsbewilligung bzw -gewährung nicht beabsichtigt gewesen ist. Bis zum hatten die Krankenkassen selbst im Verfahren zur Bewilligung von ALG II keinerlei Rechte als Beteiligte. Eine solche Beteiligung sah insbesondere § 44a SGB II in der hier maßgeblichen Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom (BGBl I 2014; § 44a SGB II aF) nicht vor. Nach dieser Fassung der Vorschrift stellt die Agentur für Arbeit fest, ob der Arbeitsuchende erwerbsfähig und hilfebedürftig ist (Satz 1). Teilt der kommunale Träger oder ein anderer Leistungsträger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre, die Auffassung der Agentur für Arbeit nicht, entscheidet die Einigungsstelle (Satz 2). Bis zur Entscheidung der Einigungsstelle erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Satz 3). Träger der gesetzlichen Krankenversicherung wie die Beklagte sind hiervon nicht erfasst. Vielmehr wäre ein Abstimmungsverfahren mit dem Ziel einer Klärung durch die Einigungsstelle allenfalls zwischen der Beigeladenen zu 2) und den in § 44a Satz 2 SGB II abschließend aufgeführten sonstigen Beteiligten durchzuführen gewesen. Zudem war in Fällen wie den vorliegenden bereits der Anwendungsbereich des § 44a SGB II aF nicht eröffnet. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn das JobCenter - anders als hier - Erwerbsunfähigkeit angenommen hätte und damit an seiner Stelle bereits damals insbesondere der Beigeladene zu 2) als leistungspflichtig in Betracht gekommen wäre. Selbst dann hätte im Übrigen das JobCenter unabhängig von der ordnungsgemäßen Einleitung des verwaltungsinternen Einigungsstellenverfahrens grundsätzlich einstweilen endgültig (vgl zur ab dem eröffneten Möglichkeit vorläufiger Entscheidungen § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1a SGB II idF von Art 1 Nr 5 des Freibetragsneuregelungsgesetzes vom , BGBl I 2407) ALG II zu erbringen gehabt. Da insofern Erwerbsfähigkeit zum Schutz des Hilfebedürftigen allein auf fiktiver Grundlage zu unterstellen gewesen wäre, wäre hier eine Überprüfung nach dem Maßstab des § 8 SGB II weder anfänglich noch nachträglich in Betracht gekommen (vgl zu alledem B 7b AS 10/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr 2). Dem gegenüber hat es bei der Annahme von Erwerbsfähigkeit durch den für die Bewilligung von ALG II zuständigen Träger sein Bewenden gleichermaßen gegenüber dem Leistungsempfänger, der nicht in Gefahr gerät, im Zuständigkeitsstreit der Verwaltungsträger "zwischen zwei Stühlen zu sitzen", wie gegenüber den im Fall vollständiger Erwerbsminderung zuständigen Trägern, die bei dieser Sachlage nicht in Gefahr geraten, selbst leistungspflichtig zu werden.

Erst durch § 44a SGB II in der ab dem geltenden Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom (BGBl I 1706) ist nunmehr sichergestellt, dass das Vorliegen von Erwerbs(un)fähigkeit jeweils positiv wie negativ Gegenstand der Verfahren vor der Einigungsstelle sein kann und sich die aktuell als zuständig in Betracht kommende Krankenkasse an diesem Verfahren beteiligen kann. Diese Beteiligung kann sich gleichzeitig zu Gunsten des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung auswirken, indem dieses auch davor bewahrt bleibt, erkennbar "schlechte Risiken" später im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung übernehmen zu müssen. Dazu, ob und wie sich das ab dem geltende Recht insbesondere im Blick auf den möglichen Erstattungsanspruch der Agentur für Arbeit/der ARGE "entsprechend § 103 SGB X" iVm der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X auf die Anrechenbarkeit von Vorversicherungszeiten im Rahmen des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 2 SGB V auswirkt, braucht indes vorliegend nicht eingegangen zu werden.

Für die hier maßgebende Rechtslage bedurfte es jedoch gerade im Hinblick auf die ab geltende Fassung von § 44a SGB II der Begründung, warum der von jeder ursprünglichen Beteiligung ausgeschlossenen Beklagten hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer bestandskräftigen Bewilligung von ALG II dennoch nachträglich eine umfassende eigene Prüfungsbefugnis zustehen sollte, wenn es um die Wirksamkeit des freiwilligen Beitritts geht. An derartigen Gründen fehlt es. Insbesondere mangelt es an ausreichenden Anhaltspunkten für eine spezialgesetzliche Begrenzung der Tatbestandswirkung. Der Wortlaut des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 2 SGB V ("zu Unrecht") steht der Anwendbarkeit der Ausschlussklausel - wie dargelegt - in allen Fällen der materiellen Rechtmäßigkeit entgegen. Auch die Erläuterungen der Entwurfsverfasser (vgl BT-Drucks 16/245 S 9) lassen nicht erkennen, dass im Zusammenhang der Einfügung der Worte "und Zeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen wurde" die Möglichkeit einer materiellen Rechtmäßigkeit aus Gründen der Tatbestandswirkung bzw der Bestandskraft überhaupt bedacht worden wäre und Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden haben könnte. Auch der dortige Hinweis, dass nicht die unzutreffende Annahme von Erwerbsfähigkeit das Recht zur freiwilligen Versicherung eröffnen solle, lässt sich damit in Einklang bringen, dass es gerade hieran fehlt, wenn der Bezug von ALG II seine Grundlage unabhängig von den gesetzlichen Voraussetzungen in einem Verwaltungsakt findet. Dass es entsprechender Überlegungen bedurft hätte, ergibt sich indes aus der Rechtsprechung. So hat etwa das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum sog Pensionisten-Privileg entschieden, dass unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs im Übrigen allein die Erteilung des Rentenbescheides an den im Versorgungsausgleich Ausgleichsberechtigten die Kürzung der Versorgung des Ausgleichsverpflichteten rechtfertigt und die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts von diesem hinzunehmen ist. Die durch Sachgründe gerechtfertigte Zuerkennung der Tatbestandswirkung verletze auch die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG nicht (vgl , BVerfGE 83, 182 = SozR 3-1100 Art 19 Nr 2; vgl ebenso zur Tatbestandswirkung eines Investitionsvorrangbescheides: , WM 2000, 246). Unter Berufung hierauf hat der erkennende Senat etwa in seinem Urteil vom (12 RK 15/90, BSGE 70, 99, 102 ff = SozR 3-1500 § 54 Nr 15 S 38 ff) dem Träger der Kriegsopferversorgung mangels eigener Betroffenheit ein Anfechtungsrecht gegen den Feststellungsbescheid verweigert, mit dem eine Krankenkasse die Mitgliedschaft eines schwerbeschädigten Rentners in der Krankenversicherung der Rentner verneint hatte. Vielmehr sei hier die Tatbestandswirkung des Statusbescheides der Krankenkasse hinzunehmen. Soll daher ein nicht anfechtungsberechtigter Dritt-Betroffener dennoch ausnahmsweise ganz oder teilweise von der Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes des zuständigen Trägers befreit werden, muss dies im Gesetz nachvollziehbar seinen Ausdruck finden.

Gegen das von der Beklagten für richtig gehaltene Verständnis des Begriffs "zu Unrecht bezogen" in § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Halbsatz 2 SGB V spricht schließlich, dass damit eine Begrenzung der Überprüfung auf Fälle der Leistungsgewährung bei unzutreffender Annahme der Erwerbsfähigkeit nicht vereinbar wäre. Jede Krankenkasse, die für die freiwillige Versicherung gewählt wird, hätte vielmehr ein unbeschränktes Überprüfungsrecht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung. Es könnten und müssten also von der Antragstellung bis zur Beurteilung der Bedürftigkeit alle für die Leistung von ALG II relevanten Tatsachen von den Krankenkassen selbstständig neu geprüft werden. Dass dies mit der Änderung von § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V gewollt sein könnte, wird aber ernstlich nicht einmal von der Beklagten oder - soweit erkennbar - anderen Krankenkassen geltend gemacht.

Unter diesen Umständen ist vorliegend nicht näher darauf einzugehen, dass das Vorliegen des eigenständigen Rechtsbegriffs der Erwerbs(un)fähigkeit iS des § 8 SGB II, der mit demjenigen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht notwendig identisch ist (vgl B 7b AS 10/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr 2 RdNr 18), im konkreten Fall nicht allein deshalb bejaht werden könnte, weil ein ärztlicher Sachverständiger zu diesem Ergebnis gelangt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
PAAAD-02783