BFH Beschluss v. - VII R 23/07

Zurechnung des Verschuldens eines in der Sozietät des Prozessbevollmächtigen angestellten Steuerberaters

Gesetze: FGO § 56, FGO § 120 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Handel mit Futtermitteln sowie Beimischungen für den landwirtschaftlichen Bereich. Zwischen ihr und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) ist streitig, ob die von ihr u.a. vertriebenen Silierhilfsmittel nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Aufgrund der Ergebnisse einer Betriebsprüfung erließ das FA geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen es die streitgegenständlichen Produkte gemäß § 12 Abs. 1 UStG dem Regelsteuersatz unterwarf. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1290 veröffentlichen Gründen ab. Die Revision wurde zugelassen. Das Urteil des FG wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt. Fristgerecht legte der Prozessbevollmächtigte am Revision ein, die er zunächst nicht begründete. Am —einen Tag nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist— wurde die Revisionsbegründung dem Bundesfinanzhof (BFH) per Telefax übermittelt.

Mit Schreiben vom wies die Geschäftsstelle des ursprünglich mit der Sache befassten V. Senats des BFH den Prozessbevollmächtigten auf die Fristversäumung und auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin. Daraufhin stellte der Prozessbevollmächtigte mit per Telefax übermitteltem Schriftsatz vom einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trägt der Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen vor, dass er innerhalb der mit der Prozessvertretung beauftragten Sozietät allein für das Mandat verantwortlich gewesen sei. Allerdings sei die Sachbearbeitung zur Vorbereitung der eigenen Sachbearbeitung durch einen angestellten Steuerberater und Diplom-Finanzwirt (M) erfolgt. Von diesem sei die Revisionsbegründungsfrist zunächst nicht notiert worden. Erst nach Rücksprache mit der Klägerin und der Fertigung der Revisionsschrift habe M entgegen einer bestehenden Organisationsregelung eine in der Sozietät beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte (B) mündlich angewiesen, die Revisionsbegründungsfrist zu berechnen und zu notieren. Die Frist sei von B falsch berechnet und auch falsch in das Fristenbuch eingetragen worden. Eine eigene Sachbearbeitung sei durch ihn, den Prozessbevollmächtigten, nicht mehr erfolgt. Die Revisionsbegründung habe M allein bearbeitet und am Abend des fertiggestellt. Aufgrund einer Vortragsveranstaltung sei es nicht mehr möglich gewesen, den Entwurf noch an diesem Abend zur Kenntnis zu nehmen. Eine Überprüfung und Übermittlung des Schriftsatzes an den BFH habe erst nach Fristablauf am erfolgen können.

Jede Rechtsanwaltsfachangestellte werde durch den für sie zuständigen Partner der Sozietät hinsichtlich der Beachtung und Berechnung von Fristen unterrichtet, angewiesen und entsprechend kontrolliert. Auch M sei in die Büroorganisation eingewiesen worden. In seiner Anwesenheit sei insbesondere die Berechnung der Frist nach § 116 FGO Gegenstand einer Bürobesprechung gewesen. In der Probezeit und in der Folgezeit sei es hinsichtlich der Aufgabenerfüllung durch M und B zu keinerlei Beanstandungen gekommen. Der Fehler, der zur Fristversäumung geführt habe, habe darin bestanden, dass M entgegen einer klar bestehenden Weisung die Frist nicht selbst berechnet, sondern dies B überlassen habe. Bei Aufnahme der Sachbearbeitung durch M am sei der Fehler M nicht aufgefallen. Die Gründe dafür seien für M heute nicht mehr nachvollziehbar.

Nach dem geschilderten Sachverhalt und der dargestellten Kanzleiorganisation, die durch die beigefügten eidesstattlichen Versicherungen belegt würden, sei das Fristversäumnis unverschuldet, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.

Die Klägerin beantragt, wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die angefochtenen Bescheide unter Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf die streitgegenständlichen Produkte entsprechend zu ändern.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Dabei könne es dahingestellt bleiben, ob der Klägerin Wiedereinsetzung gewährt werden könne.

II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Klägerin hat es versäumt, die fristgerecht eingelegte Revision innerhalb der nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beachtenden Frist zu begründen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen unverschuldeter Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kommt nicht in Betracht.

1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Das Urteil des FG wurde am zugestellt; folglich lief die Frist zur Begründung der Revision am ab. Die Revisionsbegründung ging jedoch erst am und damit nach Fristablauf beim BFH ein.

Da die Klägerin an der fristgerechten Begründung nicht unverschuldet verhindert war, kann ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.

a) Nach § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO muss sich ein Kläger das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Dies gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch für das Verschulden eines beim Prozessbevollmächtigten des Klägers zur selbständigen Bearbeitung von Sachen angestellten Rechtsanwalts oder Steuerberaters (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2001, 1575; Entscheidungen des 6 PB 16.03, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, 1007, und des , BFH/NV 2002, 807, m.w.N.). Dabei ist der angestellte, verantwortlich tätige Steuerberater, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, einem Bevollmächtigten des Klägers i.S. des § 85 Abs. 2 ZPO gleichgestellt (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 807, und vom V B 88/84, BFH/NV 1987, 335; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 56 Rz 10, m.w.N.). Nur für den Fall, dass ein angestellter Steuerberater lediglich zur büromäßigen Betreuung der in der Kanzlei eingehenden Rechtssachen —insbesondere mit der Fristenberechnung— eingesetzt ist, hat der BFH in Erwägung gezogen, dass sich ein Kläger das Verschulden einer solchen Bürokraft nicht zurechnen zu lassen braucht (BFH-Beschluss in BFH/NV 1987, 335).

Nach den eigenen, in der eidesstattlichen Versicherung gemachten Angaben des M gehört zu seinem Aufgabenbereich die Bearbeitung von Mandantenakten nach Aufnahme eines Mandats durch den Prozessbevollmächtigten bis zu deren Abschluss. Auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin führt in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags aus, dass M die Sachbearbeitung zur Vorbereitung der abschließenden Bearbeitung durch einen Partner der Sozietät weitgehend selbständig durchführt. Somit kann nicht angenommen werden, dass M, der selbst Angehöriger der steuerberatenden Berufe ist, in der Kanzlei nur mit unselbständigen Hilfs- und Bürotätigkeiten betraut wurde, so dass er seiner Funktion entsprechend lediglich als Bote oder vergleichbare Hilfsperson angesehen werden könnte.

Gegen eine solche Annahme spricht auch der Umstand, dass M auf dem Briefkopf der Sozietät zusammen mit dem Prozessbevollmächtigten und zwei weiteren Angehörigen der steuer- bzw. rechtsberatenden Berufe ohne haftungsbeschränkenden Zusatz geführt wird. Den den Namen beigefügten Fußnoten lässt sich zwar entnehmen, dass M im Gegensatz zu allen anderen im Briefkopf aufgeführten Diplom-Finanzwirten bzw. Steuerberatern und Rechtsanwälten kein Partner der Sozietät ist. Daraus geht jedoch nicht hinreichend deutlich hervor, dass M nicht als gleichberechtigtes Mitglied der Sozietät, sondern nur im Angestelltenverhältnis beschäftigt wird.

Wie der BGH wiederholt entschieden hat, will ein Ratsuchender, der eine Anwaltssozietät aufsucht und einen Auftrag erteilt, das Mandat allen ihm als Mitglied dieser Sozietät erscheinenden Anwälten übertragen. Diese Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn zwischen den Anwälten keine echte Sozietät besteht, sondern wenn die Anwälte nur nach außen hin durch gemeinsame Briefbögen den Anschein einer Sozietät erwecken, in Wirklichkeit aber sich nur zu einer Bürogemeinschaft verbunden haben oder ein Anstellungsverhältnis besteht oder aus anderen Gründen ein „Nichtsozius” in die gemeinsame „Anwaltsfirma” aufgenommen worden ist (, BGHZ 70, 247, m.w.N., und vom VI ZR 94/69, BGHZ 56, 355). In einem derartigen Fall erscheinen alle Anwälte als Mitglieder der Sozietät und erzeugen gegenüber dem Rechtsverkehr den Anschein, dass der eigentlich handelnde Anwalt sie sämtlich vertritt. Nach den Grundsätzen der Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht müssen sich alle Beteiligten an dem von ihnen gesetzten Rechtsschein festhalten lassen (BGH-Urteil in BGHZ 70, 247). Fehler eines Scheinsozius bei der Bearbeitung eines Mandats sind als solche der Sozietät zu behandeln (, NJW 2007, 2490).

b) Unter Beachtung dieser Grundsätze muss sich die Klägerin das Verschulden des in der Sozietät angestellten Steuerberaters und Diplom-Finanzwirts M zurechnen lassen. Wie bereits ausgeführt, war M in die Bearbeitung des Mandats mit einbezogen. In dieser Funktion hat er die Berechnung und Eintragung der Fristen veranlasst und selbständig die Revisionsbegründungsschrift verfasst. Nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils hat er die Akten nach abschließender Bearbeitung erstmals wieder am Tag des Fristablaufs in den Posteingang des Prozessbevollmächtigten gelegt. In Anbetracht des Umfangs dieser Aufgaben und des konkreten Geschehensablaufs kann entgegen der Behauptung des Prozessbevollmächtigten von einer Vorbereitung der eigentlichen Bearbeitung nicht die Rede sein. Vielmehr ist die Annahme gerechtfertigt, dass M den Fall weitgehend selbständig und auch abschließend bearbeitet hat, so dass der Prozessbevollmächtigte den Schriftsatz lediglich zu unterzeichnen brauchte. Da M ohne haftungsbeschränkenden Zusatz auf dem Briefkopf geführt wird und aus der von der Klägerin unterschriebenen Vollmacht die Sozietät als solche als Bevollmächtigte hervorgeht, wurde nach außen der Rechtsschein erweckt, M sei zusammen mit dem Prozessbevollmächtigten als Mitglied der Sozietät „gleichberechtigt” mit der Abwicklung des Mandats betraut. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass die dem BFH übermittelten Schriftsätze sowohl von M als auch vom Prozessbevollmächtigten unterschrieben worden sind. Bei dieser Sachlage kann sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht darauf berufen, er habe M lediglich als unselbständige Hilfskraft zur Vorbereitung der eigentlichen Bearbeitung eingesetzt.

c) Die Fristversäumung durch M war auch schuldhaft. Als Angehörigem der steuerberatenden Berufe hätte M die Berechnung der nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beachtenden Frist bekannt sein müssen. Spätestens nach Vorlage der Akten bei Ablauf der kanzleiintern notierten Vorfrist am ist er in das Stadium der Fachbearbeitung eingetreten. Von diesem Zeitpunkt trug er nach der Rechtsprechung des BFH die volle Verantwortung für die fristgerechte Bearbeitung der Sache (BFH-Beschlüsse vom I R 59/01, BFH/NV 2003, 181, und vom IV B 81/98, BFH/NV 1999, 1614). Auf die fehlerhafte Berechnung und Eintragung der Frist durch die Rechtsanwaltsfachangestellte B kann er sich daher nicht berufen. M hätte den Ablauf der Frist selbst prüfen müssen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1614, m.w.N.). Hätte er dies ordnungsgemäß getan, wäre ihm aufgefallen, dass die Frist am Tag der Fertigstellung des Schriftsatzes und Zuleitung an den Prozessbevollmächtigten ablief. In diesem Fall wäre eine fristgerechte Übermittlung an den BFH noch möglich gewesen. Das Verschulden von M muss sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann. Infolgedessen war die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 178 Nr. 2
DStR 2009 S. 296 Nr. 6
KAAAD-02656