Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 177; StGB § 179; StGB § 182; StPO § 473 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: LG Bielefeld, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an eine Minderjährige zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Wegen des weiteren Anklagevorwurfs, die nach der Einnahme der Betäubungsmittel Widerstandsunfähige sexuell missbraucht und misshandelt zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Die Nebenklägerin greift den (Teil-)Freispruch an und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg; die Revision des Angeklagten ist dagegen unbegründet.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich der zur Tatzeit 26 Jahre alte Angeklagte und die damals 15jährige Nebenklägerin nach einer Feier auf einen Spielplatz. Die Nebenklägerin stand merklich unter Alkoholeinfluss. Sie hatte außerdem ein Viertel einer "XTC-Tablette" (ein Amphetaminderivat) konsumiert, was der Angeklagte wusste. Sie bewegte sich in Schlangenlinien und musste dabei vom Angeklagten gestützt werden. Auf dem Spielplatz überließ der Angeklagte der Nebenklägerin, deren Alter ihm bekannt war, eine "Portion" eines Kokain-Amphetamin-Gemischs zum sofortigen Konsum. Danach kam es - zwischen 0.30 und etwa 2.00 bis 3.00 Uhr - auf einer nahe gelegenen Wiese zu sexuellen Kontakten zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin, die die Strafkammer nicht näher aufklären konnte.
Die Anklage geht davon aus, dass die Nebenklägerin zu diesem Zeitpunkt so deutlich unter der Wirkung des Alkohols, des Kokains und der Tablette stand, dass sie nur noch mitbekam, dass der Angeklagte ihr mit seiner Zunge durch das Gesicht leckte. Dann habe sie einen "Blackout" gehabt. Als sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich zu wehren, habe der Angeklagte mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr durchgeführt, wobei er auch entweder mit der Faust oder einem stumpfen Gegenstand größeren Durchmessers in ihre Scheide eingedrungen sei.
Festgestellt hat das Landgericht, dass die Nebenklägerin "am Ende des sexuellen Kontakts" bis auf die Socken entkleidet war, sie einen Dammriss ersten Grades von fünf Zentimetern Länge erlitten hatte und im Scheidenbereich sehr stark blutete. Sie konnte die Blutung nicht stoppen, geriet in Panik, lief nach Hause, wo sie zwischen drei und vier Uhr morgens eintraf, und musste zur Versorgung der Verletzung in ein Krankenhaus gebracht werden.
2. Der Angeklagte hat das Überlassen des Betäubungsmittels an die Nebenklägerin eingeräumt. Das ihm vorgeworfene weitere Geschehen hat er bestritten. Die Nebenklägerin habe ihn vielmehr auf der Wiese gestreichelt, ihm ein Kondom gegeben, sich ausgezogen, ihn zunächst oral befriedigt und, als er am Boden gelegen habe, sich auf ihn gesetzt und dann den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihm durchgeführt. Das Ganze habe etwa zehn Minuten gedauert. Möglicherweise sei er mit seinem Glied abgerutscht. Die Nebenklägerin habe dann geäußert, dass sie Schmerzen verspüre. Er habe sofort aufgehört. Die Nebenklägerin habe stark geblutet. Man habe anschließend noch geraucht und sich dann getrennt.
3. Das Landgericht hat der Nebenklägerin nicht geglaubt, dass sie das Bewusstsein verloren und keine Erinnerung mehr an das sexuelle Geschehen habe. Nach den sachverständigen Ausführungen des Toxikologen sei auszuschließen, dass sich die Nebenklägerin auf Grund des Einflusses von Alkohol, Arzneistoffen und Betäubungsmitteln in einem Zustand befunden habe, der zu einer Bewusstseinseintrübung oder gar zu einer Widerstandsunfähigkeit im Sinne des § 179 StGB bei ihr geführt habe. Die objektiv festgestellten Verletzungen der Nebenklägerin ließen "nicht zwingend" den Schluss zu, dass es nicht zu einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen sei. Der rechtsmedizinische Sachverständige Dr. Sch. habe zwar berichtet, dass bislang weder er noch seine Kollegen das Auftreten einer derartigen Verletzung nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr hätten feststellen können; der Rechtsmediziner habe gleichwohl nicht "mit absoluter Sicherheit" ausschließen können, dass dies nicht doch möglich sei. Da bei der Nebenklägerin keine Abwehrverletzungen hätten festgestellt werden können, sei auch eine Vergewaltigung nicht nachzuweisen. Die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzungsdelikts komme nicht in Betracht, weil nicht habe festgestellt werden können, welche Praktiken der Angeklagte und die Nebenklägerin ausgeübt hätten.
II.
Revision der Nebenklägerin
1. Die Revision der Nebenklägerin hat Erfolg. Zwar muss es das Revisionsgericht regelmäßig hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag; denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt jedoch, ob das Landgericht überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ-RR 2005, 147; BGH NStZ 2004, 35, 36). Das ist hier der Fall.
Das Landgericht stützt seine Auffassung, es sei möglicherweise zu einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin gekommen, darauf, dass der rechtsmedizinische Sachverständige nicht "mit absoluter Sicherheit" habe ausschließen können, dass der von der Nebenklägerin erlittene Dammriss ersten Grades von fünf Zentimetern Länge auch bei einem einverständlichen Geschlechtsverkehr entstehen könne. Diese Möglichkeit ist jedoch - wie sich aus dem Urteil selbst ergibt - rein denktheoretischer Art; denn der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass bisher weder er noch seine Kollegen das Auftreten einer solchen Verletzung nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr hätten feststellen können. Auf rein denktheoretische Möglichkeiten kann aber ein Freispruch nicht gestützt werden; denn eine absolute, das Gegenteil denknotwendig - "zwingend" - ausschließende und von niemanden anzweifelbare Gewissheit ist für eine Verurteilung nicht erforderlich. Es genügt vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß denktheoretisch mögliche Zweifel nicht zulässt. Das hat die Strafkammer nicht bedacht, jedenfalls ist dies aus den Urteilsgründen nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass sich nicht erschließt, warum die zur Tatzeit erst 15 Jahre alte Nebenklägerin bewusstseinsklar und freiwillig mit dem Angeklagten eine Sexualpraktik ausgeübt haben sollte, die bei ihr zu einer solch schwerwiegenden Verletzung führte. Obwohl sich dies aufdrängte, hat sich das Landgericht auch damit nicht auseinandergesetzt. Zu dieser Auseinandersetzung drängte insbesondere die auch aufgrund der Angaben des Angeklagten getroffene Feststellung (UA 11, 12, 14), dass die Nebenklägerin bereits vor dem Konsum des Kokain-Amphetamin-Gemischs deutliche Ausfallerscheinungen zeigte, sie merklich unter Alkoholeinfluss stand, sich in Schlangenlinien bewegte und vom Angeklagten gestützt werden musste.
2. Die Sache muss daher auf die Revision der Nebenklägerin neu verhandelt und entschieden werden. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter Feststellungen dazu zu ermöglichen, ob der Angeklagte der Nebenklägerin möglicherweise gezielt Substanzen (Betäubungsmittel) überlassen oder verabreicht hat, um gegen ihren Willen sexuelle Handlungen an ihr vornehmen zu können, das Betäubungsmittel-Delikt also gegebenenfalls in Tateinheit mit dem Folgedelikt steht (vgl. hierzu BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 9, 14; Fischer, StGB 55. Aufl. § 177 Rdn. 7 sowie BGH NStZ-RR 2006, 10, 11; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 353 Rdn. 6 a).
In der neuen Verhandlung wird es sich empfehlen, unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (vgl. BGH NStZ 2002, 490), nähere Feststellungen zur Persönlichkeit und zur Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zu treffen. Deren Aussagen sollten im Wesentlichen insgesamt mitgeteilt werden. In rechtlicher Hinsicht wird im Hinblick auf das mögliche strafrechtlich relevante Folgegeschehen neben den Tatbeständen der §§ 177, 179 StGB und Körperverletzungsdelikten gegebenenfalls auch § 182 StGB zu prüfen sein.
III.
Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der erhobenen Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler aufgezeigt. Die im Urteil getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch; auch die Strafzumessung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Da das Rechtsmittel der Nebenklägerin zur Urteilsaufhebung und zur Zurückverweisung der Sache führt, ist die Kostenbeschwerde des Angeklagten, mit der er sich gegen die Auferlegung der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin wendet, gegenstandslos (vgl. Meyer-Goßner aaO § 464 Rdn. 20). Die durch das (erfolglose) Rechtsmittel des Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin hat der Angeklagte nach § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
MAAAD-02518
1Nachschlagewerk: nein