Zum Ende der Anlaufhemmung, wenn nach Anzeigeerstattung durch den Steuerpflichtigen die Einreichung einer Steuererklärung nachgefordert wird
Gesetze: AO § 170 Abs. 2, ErbStG § 30, ErbStG § 31
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt von ihrem Ehemann (E) aufgrund einer privatschriftlichen Vereinbarung vom schenkweise einen Anteil von 300 000 DM an einem dem E gegen eine KG zustehenden Darlehensanspruch. Dieser Vertrag wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) mit einem bei ihm am eingegangenen Schreiben übersandt. Durch privatschriftlichen Zusatzvertrag vom übertrug E der Klägerin schenkweise einen weiteren Darlehensanspruch in Höhe von 66 206,90 DM. Diesen Zusatzvertrag zeigte E dem FA mit einem am eingegangenen Schreiben an.
Das FA forderte die Klägerin mit Schreiben vom gemäß § 31 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zur Abgabe der Schenkungsteuererklärung auf; diese Erklärung ging am beim FA ein.
Durch Bescheid vom setzte das FA für den Erwerb aus den Darlehensübertragungsvereinbarungen vom und sowie für weitere Erwerbe Schenkungsteuer gegen die Klägerin fest. Der Einspruch, mit dem die Klägerin Festsetzungsverjährung geltend machte, hatte keinen Erfolg. Das FA verneinte den Eintritt der Festsetzungsverjährung, weil die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 1998, in dem die Steuererklärung der Klägerin bei ihm eingegangen war, zu laufen begonnen habe.
Das Finanzgericht (FG) nahm hinsichtlich des Erwerbs der Klägerin aus dem Darlehensübertragungsvertrag vom und dem Zusatzvertrag vom Festsetzungsverjährung an und setzte die Schenkungsteuer ohne Berücksichtigung dieser Erwerbe antragsgemäß auf 0 € herab. Die Klägerin bzw. der Schenker seien ihren Anzeigepflichten nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG ordnungsgemäß nachgekommen. Der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) sei durch die Anforderung der Steuererklärung nicht hinausgeschoben worden.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 Nr. 2 AO.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Entgegen der Rechtsauffassung des FG war der mit dem Erlass des angefochtenen Bescheids geltend gemachte Steueranspruch nicht wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen.
1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung und Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 1. Alt. AO). Bei einer Schenkung unter Lebenden entsteht die Schenkungsteuer mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Im Streitfall wurde die Schenkung mit Abschluss der Darlehensübertragungsvereinbarung vom und hinsichtlich des Zusatzvertrags am ausgeführt.
2. Abweichend von § 170 Abs. 1 AO beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist dann, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung, die Anmeldung oder die Anzeige eingereicht bzw. erstattet wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Ist die gemäß § 30 Abs. 1 oder 2 ErbStG bestehende Anzeigepflicht erfüllt worden und fordert das FA daraufhin gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG die Abgabe einer Schenkungsteuererklärung, endet die Anlaufhemmung erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Steuerentstehung.
a) Nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO wird die Anlaufhemmung alternativ durch die Einreichung der Steuererklärung bzw. -anmeldung oder durch die Erstattung der Anzeige beendet. Diese Vorschrift enthält keine ausdrückliche Regelung der Frage, ob bereits eine ordnungsgemäß erstattete Anzeige i.S. des § 30 Abs. 1 oder 2 ErbStG die Anlaufhemmung endgültig beendet oder ob —sofern das FA nach Anzeigeerstattung zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auffordert— diese Rechtsfolge erst in dem Zeitpunkt eintritt, in dem die Steuererklärung eingereicht wird und der Dreijahreszeitraum der Anlaufhemmung nicht schon vorher abgelaufen ist. Diese Frage ist im letzteren Sinne zu beantworten.
b) § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung, -anmeldung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird (, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687; vom II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780; vom II R 54/05, BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954). Diesen Sicherungszweck —und damit die Verlängerung der vom Gesetzgeber grundsätzlich für ausreichend gehaltenen Vierjahresfrist— verknüpft § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit der Erfüllung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter bzw. der für ihn zum Handeln Verpflichteten auferlegten Handlungspflicht (, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233). Diese Handlungspflicht erstreckt sich nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gleichermaßen auf die Einreichung einer Anzeige als auch —nach Aufforderung durch das FA— auf die Einreichung einer Steuererklärung.
c) Sofern das FA nach Erstattung der Anzeige zur Einreichung einer Steuererklärung gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG auffordert, rechtfertigt sich eine (weitere) Anlaufhemmung aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzungen der Anzeige (§ 30 Abs. 1 und 2 ErbStG) einerseits und der Steuererklärung (§ 31 ErbStG) andererseits (ebenso Moench/Kien-Hümbert, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 30 Rz 15). Für diesen Fall kann § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht entnommen werden, dass der Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung im Hinblick auf die Anlaufhemmung keine Bedeutung zukommen soll.
aa) Die Anzeigepflicht soll —lediglich— die möglichst vollständige Erfassung aller Erwerbe sicherstellen und dient in erster Linie dazu, dem FA die Prüfung zu erleichtern, ob und wen es im Einzelfall zur Abgabe einer Steuererklärung aufzufordern hat. Demgegenüber hat die Steuererklärung ein Verzeichnis der zum Nachlass gehörenden Gegenstände und die sonstigen für die Feststellung des Gegenstands und des Werts des Erwerbs erforderlichen Angaben zu enthalten (§ 31 Abs. 2 ErbStG) und soll so die Erbschaftsteuer- bzw. Schenkungsteuerfestsetzung ermöglichen (, BFHE 181, 351, BStBl II 1997, 73; vom II R 1/03, BFHE 208, 33, BStBl II 2005, 244).
bb) Diesen unterschiedlichen Zwecksetzungen der Anzeige bzw. der Steuererklärung ist bei der Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO dadurch Rechnung zu tragen, dass bei einer ordnungsgemäßen Erstattung der Anzeige erst die dem FA nachfolgend durch die Einreichung der angeforderten Steuererklärung vermittelte Kenntnis zur (endgültigen) Beendigung der Anlaufhemmung führt. Nach den Wertungen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO rechtfertigt sich der Beginn der Festsetzungsfrist nicht schon deshalb, weil das FA den Steuerpflichtigen bereits aufgrund der Anzeige zur Abgabe einer Steuererklärung auffordern und diese Aufforderung (etwa durch Anwendung von Zwangsmitteln, §§ 328 ff. AO) auch ggf. durchsetzen kann (a.A. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 30 Rz 37a). Die Rechtsprechung zum Begriff der Kenntnis i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, wonach die Finanzbehörde schon aufgrund der Anzeige regelmäßig die Schenkungsteuer —ggf. im Wege der Schätzung (§ 162 AO)— festsetzen oder von den Möglichkeiten des § 165 Abs. 1 Satz 1 und 4 AO Gebrauch machen könne (BFH-Urteil in BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954), kann nicht auf die Auslegung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO übertragen werden. Dem steht der von § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO abweichende Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, der ausdrücklich auf die Einreichung einer Steuererklärung abstellt, entgegen.
Die Vorentscheidung war, da sie den vorstehenden Rechtsgrundsätzen nicht entspricht, aufzuheben.
3. Die Sache ist spruchreif.
Die Klägerin ist durch den angegriffenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt.
Zwar sind die Klägerin bzw. E ihren aus § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG folgenden Verpflichtungen zur Anzeige der privatschriftlichen Darlehensübertragungsvereinbarungen vom und durch die beim FA am bzw. eingegangenen Schreiben nachgekommen. Die Festsetzungsfrist im Hinblick auf die Darlehensübertragungsvereinbarung vom begann jedoch gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des Jahres 1997, da die Klägerin in diesem Jahr —und damit noch innerhalb der in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bestimmten Drei-Jahres-Grenze— vom FA zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden war. Die Festsetzungsfrist im Hinblick auf die Darlehensübertragungsvereinbarung vom hat aufgrund der beim FA am eingegangenen Schenkungsteuererklärung, die die Klägerin entsprechend der Anforderung des FA eingereicht hat, erst mit Ablauf des Jahres 1998 begonnen. Da demgemäß die Festsetzungsfrist für die beiden vorgenannten Erwerbe erst mit Ablauf des Jahres 2001 bzw. 2002 endete, steht dem angegriffenen Schenkungsteuerbescheid vom Festsetzungsverjährung nicht entgegen.
Fundstelle(n):
AO-StB 2009 S. 41 Nr. 2
BFH/NV 2009 S. 173 Nr. 2
DStRE 2009 S. 376 Nr. 6
HFR 2009 S. 346 Nr. 4
JAAAD-02169