BGH Beschluss v. - 5 StR 495/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; JGG § 88

Instanzenzug: LG Berlin, vom

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten Ka. und S. wegen gefährlicher Körperverletzung zu Jugendstrafen von drei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren und elf Monaten, den Angeklagten K. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Der Verurteilung lag ein gewalttätiges Geschehen bei einer Schulfeier zugrunde.

1. Die Revisionen sind zum Schuldspruch unbegründet; dies gilt im Ergebnis auch für den Strafausspruch.

Auch die Bemessung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld richtet sich grundsätzlich in erster Linie nach erzieherischen Erfordernissen, während der äußere Unrechtsgehalt der Tat insoweit keine selbständige Bedeutung hat. Die Urteilsgründe müssen in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (vgl. BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8; BGH GA 1982, 416; ). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil noch gerecht.

Gerade die für die Strafzumessung des Landgerichts bei allen Angeklagten zentralen strafschärfenden Gesichtspunkte ("immense Gewaltbereitschaft", "geringe Hemmschwelle", "brutales Vorgehen", UA S. 40) sind solche, die nicht nur für das Ausmaß der verwirklichten Schuld, sondern auch für den bestehenden Erziehungsbedarf von erheblichem Gewicht sind. Dass jeder einzelne Angeklagte sich nach den Urteilsfeststellungen nicht nur ohne ersichtliche Bedenken dem gewalttätigen gruppendynamischen Geschehen überlassen, sondern jeweils aktiv an der Erreichung neuer Eskalationsstufen mitgewirkt hat, legt für sich schon das Bestehen deutlicher Erziehungsdefizite nahe. Angesichts der ins Einzelne gehenden Feststellungen des Urteils zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten ist dabei nicht zu besorgen, das Landgericht könnte bei der Strafzumessung verkannt haben, dass die Persönlichkeitsentwicklung zumindest bei den Angeklagten Ka. und S. bisher ohne größere Probleme verlaufen ist, alle Angeklagten unbestraft sind und aus Familien stammen, in die sie nach ihrer Haftentlassung zurückkehren können. Auch zu ihrem Verhalten in der Untersuchungshaft, das bei dem Angeklagten Ka. vorbildlich war, hat das Landgericht Feststellungen getroffen. Daher besteht kein durchgreifender Anlass für die Besorgnis, es könnte erzieherische Wirkungen der vollzogenen Untersuchungshaft auf die Angeklagten außer Acht gelassen haben (vgl. BGH StV 1986, 69). Schließlich hat das Landgericht den - auch unter erzieherischen Gesichtspunkten erheblichen - Umständen, dass die Angeklagten K. und Ka. teilgeständig waren, von ihren Familien bei der Wiedergutmachung des verwirklichten Unrechts durch Schmerzensgeldzahlungen unterstützt worden sind und alle Angeklagten Ansätze von Reue gezeigt haben, die ihnen zukommende Bedeutung beigemessen.

Die jeweils verhängten Jugendstrafen erscheinen auch im Ergebnis unter Erziehungsgesichtspunkten nicht unverhältnismäßig. Insoweit ist nämlich zu beachten, dass von einer dem verwirklichten Unrecht unangemessen milden Reaktion bestärkende Wirkungen auf jugendliche Täter ausgehen können (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 120).

Dass dem Landgericht bei der Bemessung der Jugendstrafe die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung der Angeklagten (vgl. BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 3) durchaus vor Augen standen, ergibt sich zum einen aus seinen Feststellungen zu der bisherigen schulischen und beruflichen Entwicklung der Angeklagten, die durch den Vollzug der Untersuchungshaft zum Stillstand gekommen ist. Zum anderen zeigt es sich in den Ausführungen unter Punkt V.3. der Urteilsgründe. Das Landgericht hat den Angeklagten darin einen Weg gewiesen, die mit der Aufhebung der Haftbefehle verbundene Chance zu nutzen, ihre unterbrochene Schul- oder Berufsausbildung wieder aufzunehmen, um "sich die Strafvollstreckung im offenen Vollzug zu erarbeiten" (UA S. 45).

2. Indes ist zur Kompensation einer während des Revisionsverfahrens eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein geringer Teil der gegen die Angeklagten verhängten Jugendstrafen als vollstreckt anzuordnen (vgl. BGHSt - GS - 52, 124; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 8, 10; BGH wistra 2002, 464).

a) Nach Eingang der Revisionsbegründungen der Angeklagten bis zum ist es zu einer Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gekommen. Nachdem die Akten mit Vermerk des Vorsitzenden der Strafkammer vom vom Landgericht an die Staatsanwaltschaft übersandt worden waren, gab die Staatsanwaltschaft erst am auf die auch mit der Verfahrensrüge geführte Revision des Angeklagten K. eine Gegenerklärung ab. Bei dem Generalbundesanwalt gingen die Akten am ein.

b) Der Senat erkennt eine allein auf die Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführende, nicht mehr hinnehmbare Verzögerungen von etwa sechs Monaten bis zum Eingang der Akten beim Generalbundesanwalt. Der damit vorliegende Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK ist entsprechend den Grundsätzen des Großen Senats des Bundesgerichtshofs für Strafsachen in dessen Beschluss vom (BGHSt 52, 124) - auch vom Revisionsgericht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 10) - zu kompensieren. Gerade in Jugendsachen sind die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte wegen des das Jugendgerichtsgesetz beherrschenden Erziehungsgedankens gehalten, alles zu tun, um unnötige Verfahrensverzögerungen auszuschließen (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15).

c) Der Senat hat sich bei der Bemessung der Höhe des als Kompensation für die Verfahrensverzögerung für vollstreckt zu erklärenden Teils der Jugendstrafen einerseits davon leiten lassen, dass sich eine die Angeklagten besonders belastende Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens nur noch darauf beziehen konnte, ob die sie verurteilenden erstinstanzlichen Erkenntnisse rechtskräftig werden würden (vgl. ). Bei der Beurteilung des Ausmaßes der Belastung, die die Verzögerung des Eintritts der Rechtskraft für die Angeklagten nach sich gezogen hat, ist einerseits zu berücksichtigen, dass sie sich in einer Phase der schulischen und beruflichen Orientierung befinden, in der Planungssicherheit besonders wünschenswert ist. Andererseits waren die gegen sie bestehenden Untersuchungshaftbefehle mit der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils aufgehoben worden und ihnen war damit die Chance eingeräumt worden, ihre Lebensumstände neu zu ordnen und zu stabilisieren und sich im Rahmen einer "Vorbewährung" günstige Ausgangspositionen für eine Einweisung in den offenen Jugendstrafvollzug und gegebenenfalls für eine frühzeitige Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 88 JGG zu verschaffen. Die Gefahr, dass der hier gewährte Ausgleich für die Verfahrensverzögerung zur Unterschreitung der zur Erziehung erforderlichen Dauer der Jugendstrafe führen könnte (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15), vermag der Senat angesichts des geringen als vollstreckt anzusehenden Teils der Jugendstrafen auszuschließen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
PAAAD-01250

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