Antrag auf Änderung eines Steuerbescheids nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO bis zum Ablauf der Einspruchfrist; Inhalt und Umfang der richterlichen Hinweispflicht; Geltendmachung des Übergehens eines Sachantrages nur mit einem Antrag auf Ergänzung des Urteils
Gesetze: AO § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a, AO § 163, FGO § 76, FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Beschwerdebegründung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) entspricht nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der gebotenen Weise dargelegt.
Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage voraus, die dem materiellen Recht oder dem Verfahrensrecht angehören kann, und deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit erforderlich und die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom IV B 67/04, BFH/NV 2006, 234, und vom IV B 121/06, BFH/NV 2007, 2241, jeweils m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat (BFH-Beschlüsse vom III B 89/03, BFH/NV 2004, 1221, und vom X B 137/04, BFH/NV 2005, 1563). Hat der BFH bereits früher über die Rechtsfrage entschieden, muss der Beschwerdeführer darlegen, weshalb er gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH zu dieser Frage im Interesse der Rechtssicherheit oder Rechtsfortbildung für erforderlich hält (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 33, m.w.N.).
a) Die Klägerin hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob das in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) verwendete Wort „Einspruchsfrist” als sog. „terminus technicus” zu verstehen sei oder ob dieser Begriff dahin auszulegen sei, dass lediglich noch keine Bestandskraft eingetreten sein dürfe.
Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO in der im Streitfall anzuwendenden Fassung darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt zugunsten des Steuerpflichtigen jedoch nur, soweit der Steuerpflichtige vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat.
Ist —wie hier— eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen beabsichtigt, muss der Steuerpflichtige also bis zum Ablauf der Einspruchsfrist einen bestimmten Antrag auf Änderung stellen. Dieses Erfordernis folgt, wie der BFH schon mehrfach entschieden hat, aus dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschrift und aus dem Gesetzeszweck (, BFHE 190, 285, BStBl II 2000, 283; vom X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II 2007, 503, und , BFH/NV 2007, 1265). Die von der Klägerin herausgestellte Rechtsfrage ist damit offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG in Einklang mit der Rechtsprechung des BFH getan hat. Aus welchem Grunde die Rechtsfrage dennoch klärungsbedürftig sein soll, hat die Klägerin nicht dargelegt.
Die Rechtslage hat sich im Übrigen auch durch die Neufassung von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO durch das Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften vom (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) nicht geändert (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1265). Hiernach ist eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen auch zulässig, soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft. Damit wurde aber lediglich aus Gründen der „Rechtssicherheit und Rechtsklarheit” (BTDrucks 14/1514, S. 47) die Befugnis der Finanzbehörde zum Erlass eines Abhilfebescheids ausdrücklich geregelt (vgl. , BFHE 203, 1, BStBl II 2004, 2, unter 2.b der Gründe).
b) Von grundsätzlicher Bedeutung soll nach Auffassung der Klägerin außerdem sein, ob von fachkundig vertretenen Beteiligten gestellte Klageanträge vom FG auszulegen seien und ob das FG auch gegenüber fachkundig Vertretenen auf sachdienliche Anträge hinwirken müsse.
Diese Fragen sind durch die Rechtsprechung des BFH ebenfalls bereits hinreichend geklärt. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH erforderlich ist.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung gelten für Prozesshandlungen, und damit auch für den Klageantrag, grundsätzlich die allgemeinen Auslegungsregeln. Maßgebend ist das Klagebegehren, das nach den allgemeinen Grundsätzen auszulegen ist. Die Vorschrift des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist dabei zu beachten (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327, unter C.II.4. der Gründe; , BFH/NV 2004, 352; Gräber/von Groll, a.a.O., Vor § 33 Rz 14, jeweils m.w.N.). Diese Auslegungsregeln gelten im Grundsatz unabhängig davon, ob der Beteiligte fachkundig vertreten ist oder nicht.
Aus dem von der Klägerin genannten (nicht veröffentlicht —n.v.—) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr hat der BFH auch in jener Entscheidung den Rechtsbehelf ausgelegt und ist unter Berücksichtigung seines gesamten Inhalts zu einem bestimmten Auslegungsergebnis gelangt. Im Rahmen dieser umfassenden Würdigung hat es der BFH in dem konkreten Einzelfall lediglich abgelehnt, den —von einem zur Vertretung vor dem BFH befugten Prozessbevollmächtigten eingelegten— Rechtsbehelf entgegen seiner ausdrücklichen Bezeichnung auszulegen und damit umzudeuten.
(2) In Bezug auf Inhalt und Umfang der richterlichen Hinweispflichten (§ 76 Abs. 2 FGO) geht die ständige Rechtsprechung des BFH davon aus, dass sie von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles (, BFHE 143, 431, BStBl II 1985, 690, 692, und vom VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790), von der Mitwirkung der Beteiligten (, BFHE 156, 38, 42, BStBl II 1989, 462, 464) und von deren individuellen Möglichkeiten (, BFHE 158, 462, BStBl II 1990, 188) abhängig sind. Die Hinweispflicht entfällt auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten nicht von vornherein (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 790, und , BFH/NV 2005, 1817). Sie kann in ihrer Intensität aber dadurch beeinflusst werden, ob der Beteiligte im Prozess durch einen Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe vertreten ist oder nicht (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 790; BFH-Beschlüsse vom VII B 186/95, BFH/NV 1996, 416, und vom X B 16/02, BFH/NV 2003, 1212; Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 55; Stöcker in Beermann/Gosch, FGO, § 76 Rz 51.1 und 51.2; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 76 FGO Rz 73; kritisch Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 104). So stellt das Unterlassen eines Hinweises bei steuerlich beratenen und durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten regelmäßig keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar (z.B. , BFH/NV 2007, 1176, m.w.N.). Dies gilt aber nicht, wenn die Umstände eine Ausnahme von dieser Regel erfordern (z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 231/00, BFH/NV 2001, 1012; vom II B 107/01, BFH/NV 2003, 182, jeweils m.w.N., und vom III B 7/03, BFH/NV 2004, 645).
Einen weiteren Klärungsbedarf hat die Klägerin —auch unter Berücksichtigung der von ihr genannten Urteile des Bundesgerichtshofs, des Kammergerichts und der Stimmen im Schrifttum— nicht dargelegt.
c) Soweit die Klägerin die Frage für grundsätzlich bedeutsam hält, ob die Frist für die Einlegung und die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu laufen beginne, wenn das FG dem Beschwerdeführer das Protokoll über die mündliche Verhandlung nicht übersende, fehlt es sowohl an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit als auch der Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO) und innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Überdies berührt die nach dem Vortrag der Klägerin unterbliebene Übersendung des Sitzungsprotokolls nicht das vorinstanzliche Urteil. Die Klägerin hat die Beschwerde im Streitfall zudem fristgerecht eingelegt und begründet.
Aus den genannten Gründen hat die Klägerin auch nicht hinreichend dargelegt, dass die Revision wegen dieser Frage nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO zuzulassen ist. Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten Anforderungen (, BFH/NV 2005, 698, m.w.N.).
2. Die Revision ist darüber hinaus nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Mit der Beschwerdebegründung wurde kein Verfahrensmangel in zulässiger Weise dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die ordnungsgemäße Darlegung eines Verfahrensmangels verlangt, dass die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen —ihre Richtigkeit unterstellt— einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ergeben (vgl. , BFH/NV 2006, 2297, m.w.N.). Hieran fehlt es im Streitfall.
a) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe die Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO, das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO) und auf ein faires Verfahren (vgl. dazu Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK, 5. Aufl., 2000, Rz 3b zu Art. 103, m.w.N.) dadurch verletzt, dass es sie nicht darauf hingewiesen habe, dass der Klageantrag richtigerweise auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 134 FGO i.V.m. §§ 578, § 580 Nr. 7 Buchst. b der Zivilprozessordnung) hätte lauten müssen, fehlt insbesondere die Darlegung, aus welchem Grund für das FG Anlass zu einem solchen Hinweis bestand (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom I B 98/02, BFH/NV 2003, 1191, und vom VI B 120/01, BFH/NV 2002, 208). Im Übrigen greift die Rüge auch der Sache nach nicht durch.
Zwar hat das Gericht gemäß § 76 Abs. 2 FGO darauf hinzuwirken, dass „sachdienliche Anträge gestellt” und „unklare Anträge erläutert ...” werden. Dabei beschränkt sich diese Verpflichtung nicht auf diejenigen Fälle, in denen die (Sach- oder Prozess-) Anträge der Beteiligten infolge Verkennung der Rechtslage nicht oder nicht richtig vorgebracht worden sind. Sie umfasst vielmehr auch solche Anträge, die ein Prozessbeteiligter aus Versehen, d.h. ohne dass dem Beteiligten der an sich erkennbare Mangel bewusst geworden ist, nicht oder nicht richtig gestellt hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1212, m.w.N.). Überdies können Hinweise nach § 76 Abs. 2 FGO zur Wahrung des Rechts auf Gehör geboten sein (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 16 „Hinweis- und Informationspflichten”).
Im Streitfall musste das FG die —fachkundig vertretene— Klägerin aber schon deshalb nicht auf die Restitutionsklage hinweisen, weil sie mit Schriftsatz vom selbst angekündigt hatte, sie werde vor dem FG „gesondert” die Wiederaufnahme des Verfahrens 12 K 1976/94 beantragen und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) möge zur „Vermeidung der neuen Klage und zwecks Erledigung dieser Klage…seine Position noch einmal überdenken”. Da sich die Klägerin hiernach offenkundig der Möglichkeit der Erhebung einer Restitutionsklage bewusst war und diese „gesondert” erheben wollte, bestand für das FG keine Verpflichtung, seinerseits auf die Restitutionsklage durch einen entsprechenden Hinweis hinzuwirken. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Restitutionsklage im Streitfall überhaupt sachdienlich gewesen wäre.
b) Die Rüge, das FG habe den (Hilfs-)Antrag der Klägerin auf abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) übergangen, ist ebenfalls unschlüssig. Denn das Übergehen eines Sachantrags kann nur mit dem (fristgebundenen) Antrag nach § 109 FGO auf Ergänzung des Urteils geltend gemacht werden (vgl. , BFH/NV 1996, 840, m.w.N.). Zudem hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, dass sie den vorgenannten (Hilfs-)Antrag vor dem FG überhaupt gestellt hat. Ausweislich des Sitzungsprotokolls über die mündliche Verhandlung hat die Klägerin nur beantragt, das FA zu verpflichten, die Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu ändern. Diesen Antrag hat das FG im Tatbestand seines Urteils zutreffend wiedergegeben und darüber entschieden. Der von der Klägerin genannte (Hilfs-)Antrag ist demgegenüber vom FG nicht als erhoben festgestellt worden (vgl. dazu , BFH/NV 1992, 670). Einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) hat die Klägerin nicht gestellt.
c) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe unter Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO die von ihr benannten Zeugen nicht vernommen, hat sie einen Verfahrensmangel schon deshalb nicht schlüssig dargelegt, weil sie nicht vorgetragen hat, dass diese Beweismittel ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG erheblich waren. Dies war zudem nicht der Fall.
3. Darüber hinaus hat das FG sein Urteil im Streitfall auch damit begründet, dass dem Klagebegehren neben der Versäumung der Antragsfrist des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO auch die Rechtskraft des Urteils vom 12 K 1976/94 entgegenstehe. Hat das FG sein Urteil auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (, BFH/NV 2008, 1345; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 28, m.w.N.). Hieran fehlt es im Streitfall schon deshalb, weil hinsichtlich der zuerst genannten, die Entscheidung der Vorinstanz tragenden Begründung —wie oben ausgeführt wurde— kein Zulassungsgrund gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt wurde. Aber auch in Bezug auf die weitere, die Vorentscheidung tragende Begründung hat die Klägerin keinen Revisionszulassungsgrund hinreichend dargelegt, selbst wenn sich die geltend gemachten Zulassungsgründe zumindest teilweise auch gegen die weitere (kumulative) Begründung der Vorentscheidung richten sollten.
4. Letztlich wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nach Art einer Revisionsbegründung auch gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Damit wird aber kein Revisionszulassungsgrund dargetan, wenn —wie im Streitfall— eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung nicht ersichtlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 234, und in BFH/NV 2007, 2241, jeweils m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAC-97225