Unbegrenzte Abzugsfähigkeit des Schulgeldes für eine deutsche Privatschule verfassungsrechtlich notwendig
Leitsatz
Es besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, den Besuch von Privatschulen jeder Art in gleicher Weise zu fördern. Dem Gesetzgeber steht insoweit ein weiter Entscheidungsspielraum zu, da es im freien Ermessen der Eltern liegt, ob sie ihre Kinder an einer öffentlichen Schule, einer begünstigten oder einer sonstigen Privatschule unterrichten lassen. Es besteht auch keine verfassungsrechtliche Not-wendigkeit für eine unbegrenzte Abzugsfähigkeit des gezahlten Schul-gelds.
Gesetze: EStG § 10 Abs. 1 Nr. 9, GG Art. 6, GG Art. 2. GG Art. 1
Instanzenzug:
Gründe
I. Die zusammen veranlagten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eltern von vier Kindern. Für den Privatschulbesuch der Kinder haben die Kläger im Streitjahr Schulgeld in Höhe von 250 € aufgewendet; dieses wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung zu 30 % zum Sonderausgabenabzug zugelassen.
Der Kläger ist nichtselbständig tätig. Die arbeitstäglichen Fahrten zwischen der Familienwohnung und seiner 90 km entfernten Arbeitsstätte absolviert er mit einem von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Firmenfahrzeug. Für die mögliche Privatnutzung und die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte setzte das FA Einnahmen nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG an, da kein Fahrtenbuch gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG geführt worden war, obwohl der Kläger geltend gemacht hatte, er habe das Firmenfahrzeug kaum privat genutzt.
Das hiergegen gerichtete Einspruchs- und Klageverfahren blieb erfolglos.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Revision machen die Kläger geltend, die Revision sei zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) habe. Die Kläger rügen, das Finanzgericht (FG) habe in seinem Urteil steuerrechtliche Vorschriften angewandt, die verfassungswidrig seien. Die grundsätzliche Bedeutung ergebe sich aus den Rechtsfragen, ob (1) § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gegen die Grundrechte verstoße, weil lediglich ein Anteil von 30 % der Ausgaben für das Schulgeld als Sonderausgaben zum Abzug zugelassen werde und (2) die Vorschrift des § 8 Abs. 2 EStG dadurch gegen Grundrechte verstoße, dass eine pauschale Hinzurechnung fiktiver Einnahmen erfolge, wenn kein „ordnungsgemäßes Fahrtenbuch” geführt werde und durch die Annahme eines Anscheinsbeweises dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit genommen werde, auf andere nachprüfbare Weise geltend zu machen, dass eine Privatnutzung des Firmenfahrzeuges nicht oder nur in einem bestimmten Umfang erfolgt sei. Der begrenzte Abzug des Schulgeldes verstoße gegen die Menschenwürde, die allgemeine Handlungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht sowie den durch Art. 6 des Grundgesetzes (GG) garantierten Schutz der Familie, vor allem auch deswegen, weil die gesetzte Grenze der Abzugsfähigkeit von 30 % keine rationale Grundlage habe. Die Rechtsfrage sei auch klärungsbedürftig, da es zwar Urteile zum begrenzten Sonderausgabenabzug von Schulgeld gebe; diese beträfen aber ausnahmslos Fragestellungen, die von der oben formulierten Rechtsfrage abwichen, da sie nicht die Frage thematisierten, in welcher Höhe das Schulgeld abziehbar sei. Die pauschale Zurechnung des angeblichen Nutzungswertes des Kraftfahrzeuges, ohne die Möglichkeit, einen anderen nachvollziehbaren und nachprüfbaren Nachweis außer dem des Fahrtenbuchs gemäß § 8 Abs. 2 EStG zu führen, verletze den Kläger in seinen Grundrechten aus Art. 12, 14, 2 und 1 GG, da der Gesetzgeber dadurch seine Typisierungsbefugnis überschritten habe. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber keine normative Äußerung dahingehend getroffen habe, was ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch sei.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO liegen teils nicht vor, zum Teil entspricht ihre Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 FGO.
1. Macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, so muss er u.a. substantiiert darauf eingehen, weshalb die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Zur schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit muss er außerdem begründen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist. Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der zu dieser Rechtsfrage bereits vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—).
Haben das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder der BFH bereits früher über die Rechtsfrage entschieden, muss der Beschwerdeführer begründen, weshalb er gleichwohl eine erneute Entscheidung zu dieser Frage für erforderlich hält. Hierzu muss er substantiiert vortragen, inwiefern und aus welchen Gründen die höchstrichterlich beantwortete Frage weiterhin umstritten ist, insbesondere welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der Rechtsprechung der FG und/oder in der Literatur gegen die Rechtsprechung des BFH vorgebracht worden sind (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 33).
2. In Bezug auf die begrenzte Abziehbarkeit des Schulgeldes begnügen sich die Kläger mit dem Hinweis darauf, dass es nach ihrer Recherche keine Entscheidungen des BVerfG oder des BFH zur Frage der Höhe des abziehbaren Schulgeldes gebe. Die existierenden Entscheidungen, vor allem der (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2004, 690), beträfen die bereits vorgelagerte Frage, ob Schulgeld für bestimmte Schulen nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abziehbar sei, thematisierten aber nicht die Frage der begrenzten Höhe der Abziehbarkeit des Schulgeldes.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob dieses Vorbringen als ausreichend substantiiert anzusehen ist, da in den Entscheidungen sowohl des BVerfG als auch des BFH grundsätzliche Aussagen zur Frage der Abziehbarkeit des Schulgeldes gemacht worden sind, mit denen sich die Kläger hätten auseinandersetzen müssen.
a) In dem von den Klägern ausdrücklich erwähnten Beschluss des BVerfG in HFR 2004, 690 stellt das BVerfG klar, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht gegen das Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums verstößt. Vielmehr habe der Gesetzgeber diesem Gebot prinzipiell durch den Familienleistungsausgleich (Kinderfreibetrag/Kindergeld, §§ 31 f., 62 ff. EStG) und die Ausbildungsfreibeträge (§ 33a Abs. 2 EStG) Rechnung getragen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei es nicht erforderlich, darüber hinaus die zivilrechtlichen Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern in voller Höhe zu berücksichtigen.
b) Der BFH hat in seinen beiden Urteilen vom X R 74/95 (BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617) und X R 144/95 (BFHE 183, 445, BStBl II 1997, 621) dargelegt, dass eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, den Besuch von Privatschulen jeder Art in gleicher Weise zu fördern, nicht bestehe; dem Gesetzgeber stehe insoweit ein weiter Entscheidungsspielraum zu, da es im freien Ermessen der Eltern liege, ob sie ihre Kinder an einer öffentlichen Schule, einer steuerlich begünstigten oder einer sonstigen Privatschule unterrichten ließen.
c) Obwohl der konkret von den Klägern in Frage gestellte Einzelaspekt nach der Abzugsfähigkeit des Schulgeldes über den 30 %-Anteil hinaus in diesen Verfahren nicht angesprochen wurde, so wird dennoch die Frage, ob verfassungsrechtlich ein Anspruch auf den unbegrenzten Abzug von Schulgeld besteht, inzidenter in den genannten Entscheidungen beantwortet. Da weder die steuerliche Verschonung des Existenzminimums, die Förderung der Familie noch die Förderung der Privatschulen —das ist der gesetzgeberische Zweck, der der Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG durch das Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz vom (BStBl I 1991, 51) zugrunde lag (BTDrucks 11/7833, 8)— überhaupt eine steuerliche Berücksichtigung des Schulgeldes erfordern, fehlt es erst recht an der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit für eine unbegrenzte Abzugsfähigkeit des gezahlten Schulgeldes.
d) Diese Auffassung wird auch im Schrifttum geteilt; zum Teil wird überhaupt die Möglichkeit, das Schulgeld —zum Teil— als Sonderausgabe abzuziehen, aus steuersystematischer und rechtspolitischer Sicht als kritisch angesehen (vgl. Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 Rz L 11 f. und L 93; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 270; Schlenker in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10 Rz 451; Thiel/Eversberg, Der Betrieb 1991, 118, 127). Im steuerrechtlichen Schrifttum wird —soweit erkennbar— von niemandem die Forderung erhoben, aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse das gesamte Schulgeld nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG steuerlich berücksichtigt werden. Auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung begegnet die Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Schulgeld auf 30 % keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Urteil des Schleswig-Holsteinischen ).
e) Das Vorbringen der Kläger ist zu wenig substantiiert, um berechtigte Zweifel an der gegebenen Rechtslage darzulegen und damit die Notwendigkeit einer erneuten verfassungsrechtlichen Überprüfung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu begründen, da teils nur sehr allgemeine verfassungsrechtliche und teils lediglich gesellschaftspolitische Aspekte vorgetragen werden.
3. In Bezug auf die pauschalierte private Nutzung eines vom Arbeitgeber überlassenen Kraftfahrzeuges erfüllt der Vortrag der Kläger nicht die Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 FGO.
a) Es fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der verschiedenen Senate des BFH, vor allem des VI. Senats, zur Frage, unter welchen Bedingungen die sog. 1 %-Regelung —außer durch den Nachweis eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs— durch Entkräftung des Anscheinsbeweises nicht zur Anwendung kommen kann, obwohl zu diesem Problem zahlreiche Entscheidungen des BFH ergangen sind (vgl. dazu unter anderem , BFHE 201, 499, BStBl II 2003, 472; vom VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116; BFH-Beschlüsse vom VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330; vom VI B 256/01, BFH/NV 2004, 1416; vom VI B 59/04, BFH/NV 2005, 1300; vom X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801, zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG, und vom VI B 43/05, BFH/NV 2006, 292).
b) Auch der schlichte Hinweis der Kläger auf die fehlende „normative Äußerung” des Gesetzgebers zur Frage, was ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch ist, reicht für ein substantiiertes Vorbringen i.S. des § 116 Abs. 3 FGO nicht aus. Der BFH hat in mehreren Urteilen die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Sätze 2 und 3 EStG) näher präzisiert (z.B. Urteile vom VI R 27/05, BFHE 211, 508, BStBl II 2006, 408; vom VI R 64/04, BFHE 211, 513, BStBl II 2006, 410; vom VI R 87/04, BFHE 212, 546, BStBl II 2006, 625). Die Kläger haben nicht dargetan, inwieweit noch ein weiterer grundsätzlicher Klärungsbedarf besteht.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 23 Nr. 1
DAAAC-97211