BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 749/08

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 66b Abs. 1 Satz 2; BVerfGG § 32

Instanzenzug: OLG Dresden, 1 Ws 70/08 vom LG Leipzig, 3 KLs 49b Js 111347/92 vom

Gründe

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 <56>; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens muss das Bundesverfassungsgericht dagegen die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334 <338>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Sowohl im Hinblick auf die den ursprünglichen Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung erweiternde Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB als solche (vgl. dazu aber jetzt ) als auch mit Blick auf die von dem Beschwerdeführer ebenfalls angegriffene Auslegung des Begriffs der "gegenwärtigen erheblichen Gefahr" durch die Fachgerichte ist eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), im Falle der Gerichtsentscheidungen durch Verkennung der Tragweite des Grundrechts, nicht von vornherein auszuschließen.

3. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

a) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet, so kann die Maßregel in der Zwischenzeit vollstreckt werden. Dabei handelt es sich zwar um einen erheblichen, grundsätzlich nicht wieder gutzumachenden Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person (vgl. BVerfGE 22, 178 <180>; 84, 341 <344>).

b) Ergeht die einstweilige Anordnung, wird die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet zurückgewiesen, so wiegen die damit verbundenen Nachteile hier jedoch schwerer. Nach den Ausführungen des Landgerichts Leipzig in dem angegriffenen Unterbringungsbefehl und in dem - noch nicht rechtskräftigen - Urteil vom sowie dem Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom besteht beim Beschwerdeführer noch die Gefahr, dass er auch zukünftig erhebliche (Sexual-) Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer körperlich schwer geschädigt würden. Diese Annahme der Fachgerichte ist auch nachvollziehbar begründet; sie fußt unter anderem auf den Ausführungen zweier Sachverständiger sowie auf der Tatsache, dass bei dem Beschwerdeführer im Jahr 2006 noch während der Unterbringung im Maßregelvollzug zahlreiche Zettel gefunden wurden, auf welchen der Beschwerdeführer Namen und Anschriften von Mädchen im Kindesalter nebst Bemerkungen zu deren körperlicher Entwicklung und ihrer Erreichbarkeit (u. a. Telefonnummern) vermerkt hatte. Dass das Landgericht diese Gefahr im Einklang mit den Sachverständigen als vor allem mittel- und langfristig bedeutsam angesehen hat und davon ausgegangen ist, "im Moment" sei kein Rückfall zu erwarten, vermag im Verfahren der einstweiligen Anordnung ebenso wenig zu einer anderen Beurteilung zu führen wie die vom Bevollmächtigten des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom erörterte Möglichkeit einer polizeilichen Dauerobservation des Beschwerdeführers. Schließlich ist davon auszugehen, dass es auch den Beschwerdeführer erheblich belasten würde, wenn er nach Freilassung auf Grund einstweiliger Anordnung bei einer Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde später dann doch wieder untergebracht würde.

4. Der Antrag des Beschwerdeführers, ihm für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm Rechtsanwalt L. beizuordnen, war mangels Erfolgsaussicht zurückzuweisen (vgl. § 114 Satz 1 ZPO).

Fundstelle(n):
KAAAC-95606