BFH Beschluss v. - XI B 30/08

Kein Klärungsbedarf bei bereits geklärter Rechtsfrage; Verzichtbarer Verfahrensmangel

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 116, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 76

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Grundstückgesellschaft, die von den Eheleuten A und B als A & B GbR (GbR) gegründet und am in eine GmbH & Co. KG umgewandelt wurde. Neben der A & B GbR gab es im Streitjahr 2003 unter der Bezeichnung „GbR X” eine weitere Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen A und B.

Im Rahmen ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 2003 machte die Klägerin auch Vorsteuern geltend, die auf das Bauvorhaben der „GbR X” entfielen. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) diese Vorsteuern teilweise entsprechend einer Abtretung und im Übrigen aufgrund einer schriftlichen Anweisung der GbR sowie des A erstattet hatte, erließ es einen Jahresteuerbescheid 2003, mit dem diese Vorsteuern zurückgefordert wurden. Die Klägerin legte sowohl gegen die Umsatzsteuerfestsetzung als auch gegen die mit der Festsetzung verbundene Abrechnungsverfügung erfolglos Einspruch ein. Den die Abrechnungsverfügung betreffenden Einspruch verwarf das FA als unzulässig. Mit ihrer dagegen eingelegten Klage beantragte die Klägerin die Änderung der Abrechnungsverfügung dahingehend, dass Vorsteuern in Höhe von 367 426,73 € nicht als getilgte Beträge behandelt werden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, da die GbR hinsichtlich der Vorsteuererstattungen als Leistungsempfängerin anzusehen sei. Die Erstattungen seien in Höhe von 38 218,34 € aufgrund einer von der GbR angezeigten Abtretung an den Steuerberater S (§ 37 Abs. 2 Satz 3 der AbgabenordnungAO—) und im Übrigen entsprechend ihrer Anweisung auf das unter der Bezeichnung „GbR X” geführte Konto des A überwiesen worden. Mit der Zahlung auf ein Konto des A habe das FA erkennbar an die GbR leisten wollen, zu deren Gunsten der Erstattungsanspruch festgesetzt worden sei. Für diese Leistung fehle es an einem materiellen Rechtsgrund und durch die Änderung des Umsatzsteuerbescheides sei auch der formelle Rechtsgrund nachträglich entfallen.

Ihre Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützt die Klägerin auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensfehler (Verletzung der Sachaufklärungspflicht).

Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision müssen innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).

1. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Steuerpflichtige, der das FA anweist, einen Erstattungsbetrag an einen Dritten auszuzahlen, auch dann Erstattungsberechtigter und damit der nach § 37 Abs. 2 AO zur Rückzahlung verpflichtete Leistungsempfänger ist, wenn der Erstattungsanspruch materiell-rechtlich dem die Leistung empfangenden Dritten zusteht, hat keine grundsätzliche Bedeutung.

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und Handhabung des Rechts betrifft (, BFH/NV 2004, 1524, m.w.N.). Weiterhin muss die Rechtsfrage im Revisionsverfahren klärungsbedürftig und auch klärungsfähig, d.h. entscheidungserheblich sein.

b) Im Allgemeinen besteht kein Klärungsbedarf mehr, wenn eine Rechtsfrage bereits vor dem BFH geklärt worden ist (, BFH/NV 2005, 1486). So liegen die Verhältnisse im Streitfall. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Dritter als tatsächlicher Empfänger einer Zahlung dann nicht als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO anzusehen und daher nicht zur Rückzahlung verpflichtet, wenn die Behörde aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungsberechtigten an diesen Dritten gezahlt hat (, BFH/NV 2001, 1117; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1486). Denn in diesem Falle erbringt die Finanzbehörde ihre Leistung mit dem Willen, einen Anspruch des Anweisenden mit befreiender Wirkung zu erfüllen. Vorliegend erfolgte die Zahlung an die „GbR X” aufgrund wirksamer Zahlungsanweisungen der GbR. Diese war Erstattungsberechtigte i.S. von § 37 Abs. 2 AO, da sich aus den von ihr abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen jeweils negative Umsatzsteuerbeträge ergaben. Das FA folgte den Anweisungen der GbR und zahlte den jeweiligen Erstattungsbetrag auf das von der GbR bezeichnete Konto, um diese Ansprüche zu erfüllen.

c) Soweit die Klägerin vorträgt, es sei trotz zahlreicher höchstrichterlicher Entscheidungen noch nicht geklärt, ob in Anweisungsfällen die Person des Erstattungsberechtigten nach materiellem oder nach formellem Recht zu bestimmen sei, ergibt sich auch daraus keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

aa) Es ist zwar umstritten (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 27 ff., m.w.N.), ob ein rechtlicher Grund i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO bereits dann fehlt, wenn auf die Leistung nach materiellem Recht kein entsprechender Anspruch besteht (sog. materielle Rechtsgrundtheorie) oder der Rechtsgrund erst mit der Aufhebung oder Änderung des der Zahlung zugrunde liegenden Bescheides entfällt (sog. formelle Rechtsgrundtheorie).

bb) Diese Streitfrage ist vorliegend aber schon deswegen nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsbedürftig, weil eine Rückzahlungspflicht der Klägerin aus beiden Ansichten folgt. Mit dem Erlass des Umsatzsteuer-Schätzbescheides 2003 vom sowie des geänderten Umsatzsteuerbescheides 2003 vom entfiel der formelle Rechtsgrund für die erstatteten Vorsteuern. Da der Rückforderungsanspruch auch nicht auf Vorsteuern beruht, die der Klägerin zustanden, fehlt es auch an einem materiellen Rechtsgrund. Ob es sich dabei um Vorsteuern handelt, die materiell-rechtlich einem Dritten („GbR X”) zustehen oder die überhaupt nicht bestehen, ist für die Frage des Rückzahlungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO nicht bedeutsam.

2. Auch die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge (Verletzung der Sachaufklärungspflicht) ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Dabei kann offenbleiben, ob der behauptete Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt, denn er kann im vorliegenden Beschwerdeverfahren jedenfalls nicht mehr geltend gemacht werden.

a) Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO durch Übergehen von entscheidungserheblichen Beweisanträgen (vgl. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 91, 113, m.w.N.).

b) Liegt —wie im Streitfall— ein verzichtbarer Verfahrensmangel vor, so geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch dadurch, dass der in der maßgeblichen mündlichen Verhandlung anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte den Verfahrensverstoß nicht gerügt hat (, BFH/NV 2000, 597).

c) Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass in der mündlichen Verhandlung vom das Unterlassen der Einholung der schriftsätzlich beantragten Zeugeneinvernahme durch ihren fachkundigen Prozessbevollmächtigten gerügt worden ist. Auch sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die rechtzeitige Rüge des behaupteten Verfahrensfehlers aufgrund des Verhaltens des FG nicht möglich gewesen wäre. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung schloss der Vorsitzende —nach Stellung der Anträge und streitiger Weiterverhandlung der Beteiligten— die Sitzung mit der Ankündigung, eine Entscheidung werde am Schluss der Sitzung ergehen, ohne dass die Klägerin die Aufmerksamkeit des Gerichts auf ihre Beweisanträge gelenkt bzw. deren Übergehen gerügt hätte. Dem dadurch bewirkten Verlust des Rügerechts kann die Klägerin nicht entgegenhalten, sie habe das Übergehen ihrer Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung deshalb nicht rügen können, weil sie erst durch das angefochtene Urteil von der Nichterhebung des Zeugenbeweises erfahren habe. Denn der —durch ihren Prozessbevollmächtigten— in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertretenen Klägerin war die mangelnde Ladung der benannten Zeugen zum Termin erkennbar. Darüber hinaus fehlten nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung jegliche Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht am Schluss der Sitzung keine Sachentscheidung, sondern —zwecks Beweisaufnahme— eine Vertagung verkünden würde.

Fundstelle(n):
BAAAC-95272