Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 54; StGB § 56 Abs. 2; StGB § 174 Abs. 1; StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1; StGB § 174 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 182 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug: LG Neuruppin, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, sowie wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt (Einzelstrafen: einmal zehn Monate, zweimal acht Monate, siebenundzwanzigmal sechs Monate, zweimal vier Monate Freiheitsstrafe) und hat deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt hinsichtlich der Gesamtstrafenbildung und der Strafaussetzung zur Bewährung vertreten wird, hat keinen Erfolg.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte in den Fällen 1 bis 5 der Urteilsgründe dem zur Tatzeit elf bis dreizehn Jahre alten Kind J. an die unbedeckte Brust und an das Geschlechtsteil gefasst sowie einmal dessen Hand an seinen Penis geführt und außerdem im Fall 6 dem zur Tatzeit neun oder zehn Jahre alten Kind P. an die unbedeckte Brust und an das Geschlechtsteil gefasst. Hinsichtlich der Geschädigten S. hat der Angeklagte in den Fällen 7 und 8 diese im Alter von dreizehn Jahren geküsst beziehungsweise deren nackten Körper gestreichelt und in den übrigen Fällen unter Ausnutzung ihrer fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung mit ihr als Person unter sechzehn Jahren den Beischlaf vollzogen.
2. Das angefochtene Urteil lässt im Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.
a) Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerdeführerin, das Landgericht hätte hinsichtlich der Geschädigten S. nicht nur die Voraussetzungen des § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB bejahen, sondern tateinheitlich hierzu auch ein Vergehen des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB ausurteilen müssen, weil der Angeklagte im Turnverein Trainer der Geschädigten war und deshalb ein Obhutsverhältnis bestanden habe.
Voraussetzung für ein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 Abs. 1 StGB ist, dass ein Verhältnis besteht, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Minderjährigen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (vgl. BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 1 und 2; Fischer, StGB 55. Aufl. § 174 Rdn. 4). Ob ein solches Obhutsverhältnis, das auch bei einer Tätigkeit als Trainer bestehen kann (BGHSt 17, 191, 192/193 - Fußballtrainer; BGH NStZ 2003, 661 - Tennistrainer), vorliegt, ist nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (BGHSt 19, 163; 33, 340, 344; 41, 137, 139).
Die Voraussetzungen für die Annahme eines Obhutsverhältnisses sind, wie das Landgericht ohne Rechtsirrtum annimmt, hier nicht erfüllt. Es fehlt an dem Vorliegen einer Pflicht, die Lebensführung der Minderjährigen zu überwachen und zu leiten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wurden die Trainierenden durch elterliche Fahrgemeinschaften zur Sporthalle gebracht; die betreffenden Eltern nahmen als Zuschauer am gesamten Trainingsbetrieb teil. Die Aufgabe des Angeklagten im Trainingsbetrieb beschränkte sich auf die Vermittlung der turnerischen Fähigkeiten und der für den Wettkampfbetrieb erforderlichen Disziplin. Weitergehende Betreuungsaufgaben im Sinne einer Erziehungsleistung wurden von ihm weder erwartet noch tatsächlich geleistet.
b) Die auf die Beanstandung des Schuldspruchs vorzunehmende umfassende Überprüfung des Urteils (§ 301 StPO) hat ergeben, dass die Verurteilung des Angeklagten in den ersten sechs Fällen allein wegen eines nicht verjährten tateinheitlichen Falles des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (allerdings Fall 5, nicht Fall 6) im Ergebnis zutrifft.
3. Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung der Strafrahmen sowie die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe sind nach Maßgabe der insoweit eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungskompetenz (vgl. m.w.N. - und vom - 5 StR 387/07 und 5 StR 508/07) nicht zu beanstanden.
a) Die Revisionsführerin ist der Ansicht, die Höhe der Einzelstrafen lasse befürchten, dass die Strafkammer dem Geständnis sowie dem Zeitablauf zwischen Taten und Urteil zu großes Gewicht beigemessen habe.
Diesen Angriffen der Revision auf die Strafzumessung kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Strafzumessung ist Aufgabe des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. In die tatrichterliche Strafzumessung kann nur eingegriffen werden, wenn diese Rechtsfehler aufweist, etwa weil sie einseitig, widersprüchlich oder unvollständig ist. Dabei ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 349), auch die Darlegung sämtlicher Erwägungen ist insoweit weder möglich noch nötig (). Hieran gemessen ist die Strafzumessung des Landgerichts rechtsfehlerfrei.
b) Auch die Gesamtstrafenbildung ist nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das Landgericht innerhalb des durch § 54 StGB vorgegebenen Rahmens die Gesamtwürdigung der Person des Täters und seiner Taten in den Vordergrund gestellt (BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 5, 7, 10). Die verhältnismäßig maßvolle Erhöhung der Einsatzstrafe aufgrund des Seriencharakters der Taten trägt ungeachtet der im Ergebnis sehr milde bemessenen Gesamtstrafe dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten noch ausreichend Rechnung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der begangenen Taten (vgl. BGHR aaO 2, 8, 12). Der Senat sieht in der lediglich ergänzenden Erwähnung der Aussetzungsfähigkeit der verhängten Gesamtstrafe (UA S. 25) noch keine unstatthafte Verknüpfung der Strafzumessung mit der Bewährungsfrage.
Die Annahme der Strafkammer, es sei zu erwarten, dass der Angeklagte im Falle seiner Inhaftierung sowohl wegen seines zierlichen Körperbaus als auch wegen der Art der von ihm begangenen Straftaten von Mitgefangenen schlecht behandelt werde und er deshalb als besonders haftempfindlich gelten müsse, ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht rein spekulativ (vgl. nur UA S. 25, 26 zur verbreiteten Darstellung der Tat in der Öffentlichkeit). Auch ist nicht zu besorgen, die Strafkammer habe dem Umstand, dass der Angeklagte nicht mehr als Trainer tätig werden könne, ein zu großes milderndes Gewicht beigemessen. In den vergangenen 13 Jahren war die Trainertätigkeit der zentrale Lebensinhalt des Angeklagten. Bei keiner Tat bestand ein Obhutsverhältnis aufgrund der Tätigkeit als Trainer.
c) Schließlich macht die Beschwerdeführerin zu Unrecht geltend, die in § 56 Abs. 2 StGB neben der günstigen Prognose geforderten "besonderen Umstände" seien nicht gegeben und deshalb hätte die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden dürfen.
Ob besondere Umstände in der Tat und in der Täterpersönlichkeit vorliegen, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu entscheiden. Diese Würdigung obliegt - ebenso wie die Strafzumessung - dem Tatrichter. Eine Strafaussetzung zur Bewährung kommt in Betracht, wenn sie trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, nicht als unangebracht erscheint und den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderläuft (vgl. BGHSt 29, 370, 371; st. Rspr., z. B. BGH, wistra 1997, 22). Die "besonderen Umstände" müssen dabei umso gewichtiger sein, je näher die Strafe an der Zweijahresgrenze liegt (BGH wistra 1985, 147, 148). Dabei lässt sich der Begriff der "besonderen Umstände" nicht so scharf abgrenzen, dass in allen denkbaren Fällen nur eine allein richtige Entscheidung möglich wäre. Das Revisionsgericht hat in Grenzfällen die Wertung des Tatrichters hinzunehmen (Fischer aaO § 56 Rdn. 25).
Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Tatrichters, "besondere Umstände" im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB lägen vor, nicht zu beanstanden. Das angefochtene Urteil enthält eine Abwägung zwischen Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründen. Die Strafkammer hat die besonderen Umstände im Zusammentreffen verschiedener Strafmilderungsgesichtspunkte - nicht vorbestraft, weitgehendes Teilgeständnis, die Taten liegen teilweise länger zurück - gesehen und ist im Rahmen ihrer Abwägung zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt. Rechtsfehlerhaft ist dies nicht, nicht zuletzt auch im Blick darauf, dass keine Einzelstrafe von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe verhängt worden ist (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Begründungserfordernis 1, 2).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
GAAAC-94631
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