BVerwG Beschluss v. - 7 B 20.08

Leitsatz

Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans für einen Braunkohlentagebau greift nicht in das Grundrecht der Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG ein.

Gesetze: GG Art. 11 Abs. 1; GG Art. 14 Abs. 3; BBergG § 48 Abs. 2

Instanzenzug: VG Aachen, 9 K 691/00 vom OVG Münster, 11 A 1194/02 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, durch den das Bergamt Düren einen Rahmenbetriebsplan der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen für den Braunkohlentagebau Garzweiler II zugelassen hat. Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks im Ortsteil Immerath der Stadt Erkelenz. Das Grundstück ist mit einem von ihm selbst genutzten Wohnhaus bebaut. Der Rahmenbetriebsplan sieht vor, dass das Grundstück des Klägers im Jahr 2017 für den Tagebau in Anspruch genommen werden soll.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Zulassung des Rahmenbetriebsplans abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers durch das angefochtene Urteil zurückgewiesen und dabei unter anderem ausgeführt: Die großflächige Inanspruchnahme von Grundstücken für den Braunkohlentagebau sei auch angesichts der dadurch bedingten Umsiedlung zahlreicher Menschen mit öffentlichen Interessen vereinbar. Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans sei nicht als Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 GG zu werten.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

1. Der Kläger wirft die Frage auf,

ob die Zulassung eines bergrechtlichen Rahmenbetriebsplans für ein großflächiges Tagebauvorhaben, in dessen Zuge mehrere Ortschaften devastiert und die dort lebenden Menschen umgesiedelt werden müssen, in das Recht der betreffenden Menschen auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG eingreift.

Die Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie ist nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort ohne Weiteres aus der einschlägigen Verfassungsbestimmung und der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung ergibt.

Die Freizügigkeit, die Art. 11 Abs. 1 GG gewährleistet, hat das Recht zum Inhalt, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen ( - BVerfGE 110, 177 <190>; Beschluss vom - 1 BvR 2722/06 - NVwZ 2008, 780 <785>). Das Recht, einen Wohnsitz zu nehmen, schließt unmittelbar das Recht ein, an dem gewählten Wohnsitz zu bleiben.

Ebenso wie die Möglichkeit des Zuzugs an einen bestimmten Ort hängt auch die Möglichkeit des Verbleibs an dem einmal gewählten Ort von rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ab, die durch Art. 11 Abs. 1 GG nicht erfasst und garantiert werden (so der Sache nach - juris; BVerwG 1 B 23.72 - Buchholz 11 Art 11 GG Nr. 7). Dazu gehört das Eigentum an einem Grundstück, das rechtlich die Möglichkeit sichert, dort seinen Wohnsitz zu begründen und ihn zu behalten. Gegen eine Enteignung und damit gegen den Entzug der Möglichkeit, an diesem konkreten Ort von seinem Grundrecht Gebrauch zu machen, schützt nicht Art. 11 Abs. 1 GG, sondern allein Art. 14 Abs. 3 GG.

Ebenso setzt das Grundrecht der Freizügigkeit voraus, dass an dem zum Wohnsitz gewählten Ort eine solche Nutzung rechtlich überhaupt zulässig ist. Die Freizügigkeit bezieht sich nur auf Orte, die zum Wohnen und zum Aufenthalt im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung verfügbar sind. Das Grundrecht der Freizügigkeit zielt nicht darauf ab, Möglichkeiten der Wohnsitznahme oder des Aufenthalts durch planungsrechtliche Entscheidungen erst zu schaffen (Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage, Art. 11 Rn. 29; Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, S. 1142 f.). Der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG wird deshalb auch umgekehrt durch bau- oder planungsrechtlichen Entscheidungen nicht berührt, die für ein bestimmtes Gebiet eine Nutzung vorsehen, die der Besiedlung dieses Gebietes entgegensteht, und für dieses Gebiet eine andere als die bisherige Nutzung erzwingen. Entzieht eine Planung einer Fläche die bisher gegebene Möglichkeit der Besiedelung, ist damit ebenfalls nur der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 oder Abs. 3 GG betroffen (im Ergebnis ebenso: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom - VfGBbg 27/97 - LKV 1998, 395 <406>; Beschluss vom - VfGBbg 44/00 - ZfB 1991, 45 <50 f.>; Durner, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 11 Rn. 121 ff.; Rittstieg, in Alternativkommentar-Grundgesetz, Art. 11 Rn. 31; Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 9. Auflage, Art. 11 Rn. 7 f., anderer Ansicht: Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Auflage, Art. 11 Rn. 22).

Auch in den Fällen bergbaubedingter Umsiedlung wird der Zwang, den angestammten Wohnsitz zu verlassen, nicht durch die Zulassung des Rahmenbetriebsplans, sondern durch die ihm nachfolgende Grundabtretung (Enteignung) ausgelöst. Für diese entfaltet die Zulassung des Rahmenbetriebsplans keine enteignungsrechtliche Vorwirkung im fachplanerischen Sinne. Zugleich verhindert die planungsrechtliche Sicherung des Gebiets für den Braunkohlenabbau, dass an anderer Stelle in derselben Gemeinde erneut ein Wohnsitz begründet werden kann, weil das Gebiet insgesamt nunmehr planungsrechtlich für eine andere Nutzung vorgesehen ist. Die Notwendigkeit der Umsiedlung ist mithin ausschließlich Folge von staatlichen Entscheidungen, die allein den Schutzbereich des Art. 14 GG berühren.

Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans berührt nicht deshalb auch den Schutzbereich der Freizügigkeit, weil dieses Grundrecht als Recht auf Heimat zu verstehen ist und es insoweit Zusammenhänge grundrechtlich sichert, die von der Eigentumsgarantie nicht erfasst werden (so aber: Baer, Zum "Recht auf Heimat" - Art. 11 GG und Umsiedlungen zugunsten des Braunkohlentagebaus, NVwZ 1997, 27). Unter Heimat wird hierbei ein freiwillig gewählter, identitätsstiftender, territorial bezogener und gesicherter Zusammenhang verstanden (Baer, NVwZ 1997, 27 <30>). Die Bedeutung der so verstandenen Heimat mag den Wunsch begründen, an dem einmal gewählten Wohnsitz zu bleiben. Dennoch ist nicht dieser identitätsstiftende Zusammenhang als solcher Schutzgut des Grundrechts auf Freizügigkeit. Dass in Folge der Zulassung eines Rahmenbetriebsplans das Bergbauunternehmen versuchen wird, die benötigten Grundstücke, sei es freihändig, sei es im Wege der Grundabtretung, zu erwerben, macht den Verlust der Wohnmöglichkeit an dem einmal gewählten Ort zwar zu einem Schicksal vieler. Das ändert aber nichts daran, dass für den einzelnen Grundrechtsträger der Verbleib in der Heimat mit dem Eigentum an einem zum Wohnen geeigneten Grundstück (oder mit einem vom Eigentum abgeleiteten Nutzungsrecht) abhängt. Die Auflösung eines als Heimat empfundenen Ortes ist Folge des Eigentumserwerbs durch den Vorhabenträger.

2. Weil danach die Zulassung des Rahmenbetriebsplans schon keinen Eingriff in den Schutzbereich der Freizügigkeit darstellt, stellen sich die weiteren Fragen nicht, mit denen der Kläger geklärt wissen möchte, welchen auch ungeschriebenen Schranken das Grundrecht unterliegt sowie ob und unter welchen Voraussetzungen die Zulassung des Rahmenbetriebsplans von einer solchen Grundrechtsschranke gedeckt sein kann.

3. Falls einer bergrechtlichen Betriebsplanzulassung auf der Grundlage der Entscheidung gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 BBergG enteignungsrechtliche Vorwirkung zukomme, möchte der Kläger ferner die Frage geklärt wissen,

ob die Enteignung nur dann den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG genügt, wenn die Durchführung des Vorhabens unter Inanspruchnahme des Grundstücks zwingend erforderlich ist, um überwiegende Interessen des Allgemeinwohls zu verwirklichen.

a) Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie unter einer Voraussetzung gestellt wird, die nicht zutrifft. Die Zulassung eines bergrechtlichen Rahmenbetriebsplans hat keine enteignungsrechtliche Vorwirkung. Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich ausgegangen (Seite 21 des Urteils). Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des BVerwG 7 C 11.05 - BVerwGE 126, 205 <Rn. 26> = Buchholz 406.27 § 48 BBergG Nr. 7).

Der Kläger gebraucht den Begriff in dem Sinne, wie er im Planfeststellungsrecht verstanden wird. Enteignungsrechtliche Vorwirkung bedeutet danach, dass der Planfeststellungsbeschluss die Zulässigkeit einer Enteignung einzelner Grundstücke für das planfestgestellte Vorhaben abschließend feststellt. Weiteren nachfolgenden Enteignungsschritten kann nicht mehr die Unzulässigkeit des Vorhabens entgegengehalten werden. Dem nachfolgenden Enteignungsverfahren ist der festgestellte Plan unverändert zugrunde zu legen. Er bindet in dieser Gestalt die Enteignungsbehörde. Im Enteignungsverfahren kann das "ob" der Enteignung nicht mehr in Frage gestellt werden ( und 323/69 - BVerfGE 45, 297 <319 f.>; - BVerfGE 74, 264 <282>; Beschluss vom - 1 BvR 300/06 u.a. - NVwZ 2007, 573).

Eine solche enteignungsrechtliche Vorwirkung kommt einem Planfeststellungsbeschluss oder einer anderen (Planungs-)Entscheidung nur dann zu, wenn sie aufgrund gesetzlicher Vorschrift ausdrücklich angeordnet ist ( BVerwG 4 NB 16.90 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 51 = NVwZ 1991, 873; - NVwZ 2004, 377 <379>). Das ist für die Zulassung des Rahmenbetriebsplans nicht geschehen.

Das Oberverwaltungsgericht spricht zwar davon, der Kläger sei durch die Zulassung des Rahmenbetriebsplans in einer Weise betroffen, die einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung nahe komme. Es leitet daraus aber Folgerungen nur für die Prüfung der Frage her, ob das Tagebauvorhaben öffentlichen Interessen im Sinne des § 48 Abs. 2 BBergG widerspricht, weil seine Verwirklichung daran scheitern muss, dass die dafür erforderliche Inanspruchnahme des Eigentums privater Dritter nicht durch Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist. Diese Prüfung nimmt es an Hand des Maßstabs vor, der auch bei Planungsentscheidungen mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung angelegt wird. Dabei geht es nur um eine Vergleichbarkeit des inhaltlichen Maßstabes, nicht aber um eine Gleichheit der Bindungswirkung für ein nachfolgendes Enteignungsverfahren.

Das Bundesverwaltungsgericht hat ebenfalls angenommen, die Zulassung des Rahmenbetriebsplans sei nicht ohne Bedeutung für das bergrechtliche Grundabtretungsverfahren ( BVerwG 7 C 11.05 - a.a.O.). Es hat dies aber nur mit Blick auf § 77 Abs. 2 Satz 1 BBergG angenommen. Durch die bestandskräftig gewordene Zulassung des Rahmenbetriebsplans könne festgestellt sein, dass das Vorhaben einer technisch und wirtschaftlich sachgemäßen Betriebsplanung und Betriebsführung entspreche und die Benutzung der Grundstücke für das Abbauvorhaben unter diesem Gesichtspunkt notwendig sei. Hingegen hat das Bundesverwaltungsgericht nicht angenommen, mit der bestandskräftigen Zulassung des Rahmenbetriebsplans sei abschließend und für das Grundabtretungsverfahren verbindlich darüber entschieden, dass das Vorhaben im Sinne des § 79 Abs. 1 BBergG dem Wohl der Allgemeinheit dient.

b) Die aufgeworfene Frage ist auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie unabhängig von einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung der Zulassung nur auf die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 1 BBergG bezogen wird. Das Tagebauvorhaben widerspricht öffentlichen Interessen im Sinne des § 48 Abs. 2 BBergG, wenn seine Verwirklichung daran scheitern muss, dass die dafür erforderliche Inanspruchnahme des Eigentums privater Dritter schon generell, also unabhängig von den Verhältnissen des einzelnen Grundstücks, nicht durch Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist.

In diesem Zusammenhang ist aber in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein Vorhaben im enteignungsrechtlichen Sinne erforderlich nicht erst dann ist, wenn es einem unabweisbaren Bedürfnis entspricht. Vielmehr reicht es aus, wenn es vernünftigerweise geboten ist ( BVerwG 4 A 11.02 - BVerwGE 120, 1 <3> = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 12; BVerwG 4 A 2001.06 - BVerwGE 127, 95 <Rn. 33 ff.> = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 25). Diesen Maßstab hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend zugrunde gelegt. Seine Anwendung auf den Einzelfall wirft klärungsbedürftige Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht auf.

c) Die in diesem Zusammenhang beiläufig erhobene Rüge mangelnder Aufklärung des Sachverhalts führt nicht auf einen Verfahrensfehler, auf dem das angefochtene Urteil beruhen könnte. Denn die von dem Kläger vermisste Beweiserhebung hätte zur Voraussetzung gehabt, dass das Oberverwaltungsgericht von einem anderen, nämlich engeren Begriff der Erforderlichkeit ausgegangen wäre. Von seinem zutreffenden Rechtsstandpunkt aus bedurfte es der beantragten Beweiserhebung hingegen nicht. Jedenfalls hat der Kläger hierfür nichts dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
ZAAAC-93777