BGH Beschluss v. - 1 StR 449/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 66 Abs. 1; StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3; StGB § 66 Abs. 2; StGB § 66 Abs. 3 Satz 2; StGB § 66a; StPO § 404 Abs. 1 Satz 1

Instanzenzug: LG Deggendorf, vom

Gründe

Der Angeklagte wurde wegen einer Reihe schwerwiegender Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern (Strafe wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zweimal je vier Jahre) oder Jugendlichen (Strafe für drei versuchte Vergewaltigungen eines Jugendlichen jeweils drei Jahre) sowie wegen wiederholten Verstoßes gegen ein Berufsverbot (im Rahmen einer Vorverurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen ausgesprochenes Verbot der Ausbildung, Betreuung und Beaufsichtigung von Jugendlichen bis 15 Jahren; drei Strafen von jeweils zehn Monaten) zu sieben Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung blieb vorbehalten (§ 66a StGB), Führungsaufsicht wurde angeordnet. Außerdem wurde der Angeklagte verurteilt, dem Nebenkläger F. , dem Opfer der Vergewaltigungsversuche, 6.000,-- € Schmerzensgeld zu zahlen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die erfolglos bleibt (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Senat verweist in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts, die auch durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO; Schriftsatz vom ) nicht entkräftet werden.

Ergänzend bemerkt der Senat zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (1.) und zur Zulässigkeit der Adhäsionsentscheidung (2.):

1. Der Angeklagte ist immer wieder wegen pädophiler Straftaten in Deutschland und im Ausland in Erscheinung getreten; er ist deshalb wiederholt rechtskräftig verurteilt worden und hat auch mehrfach Strafen verbüßt. Nach sachverständiger Beratung bejaht die Strafkammer rechtsfehlerfrei einen Hang zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen.

Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung liegen, ohne dass es auf Weiteres ankäme, schon allein im Hinblick auf die hier abgeurteilten Taten vor (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB sowie - von der Strafkammer nicht angesprochen - § 66 Abs. 2 StGB).

Von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer dennoch abgesehen. Der Angeklagte weigere sich nämlich, sich psychiatrisch explorieren oder beobachten zu lassen. Deshalb sei trotz beachtlicher Anhaltspunkte für diese Annahme nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, dass der Angeklagte im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB wegen seines Hanges für die Allgemeinheit gefährlich sei. Daher könne die Anordnung von Sicherungsverwahrung nur gemäß § 66a StGB vorbehalten werden.

Diese Erwägungen sind nicht rechtsfehlerfrei, beschweren den Angeklagten aber nicht.

a) Zwar folgt aus dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ohne weiteres, dass ein Angeklagter nicht aktiv an der Schaffung von Grundlagen für seine Verurteilung mitwirken muss (vgl. speziell zur Explorierung durch einen Sachverständigen LG Hagen StraFo 2008, 157), jedoch bedarf es zur Feststellung der Gefährlichkeit eines Hangtäters keiner Erkenntnisse, die nur mit dessen Zustimmung gewonnen werden können. Andernfalls stünde es letztlich im Belieben des Angeklagten, ob gegen ihn eine zum Schutz der Allgemeinheit erforderliche Maßregel angeordnet werden kann oder nicht. Vielmehr ergibt sich die Gefährlichkeit i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB regelmäßig schon allein aus der hier getroffenen Feststellung eines Hangs (BGH NStZ 2007, 464; BGHSt 50, 188, 196; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 3 jew. m.w.N.). Anderes kann - von hier nicht vorliegenden Besonderheiten hinsichtlich der drohenden Taten (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4) abgesehen - nur dann gelten, wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Urteilszeitpunkt neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen. Dabei müssen die Umstände als solche feststehen (BGH NStZ 2007, 464; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1). Sind nach der letzten Hangtat Umstände eingetreten, die zwar möglicherweise die künftige Gefährlichkeit in Frage stellen können, die aber noch keine eindeutige Beurteilung der Frage zulassen, ob deshalb die Gefährlichkeit entfallen ist oder nicht, so ist Raum für eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung gemäß § 66a StGB (vgl. , insoweit in NStZ 2007, 464 f. nicht abgedruckt).

b) Anhaltspunkte für nach den Taten eingetretene Umstände, die die hangbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten, sei es auch nur möglicherweise, in Frage stellen könnten, sind nicht ansatzweise zu erkennen. Die Strafkammer geht vielmehr in eingehender Würdigung aller zum Angeklagten und seinen Taten angefallener Erkenntnisse davon aus, dass - unbeschadet der von ihr zu Unrecht noch für erforderlich gehaltenen weiteren psychiatrischen Erkenntnisse - "beachtliche Anhaltspunkte" für eine Gefährlichkeit des Angeklagten bestünden. Der Angeklagte "gibt der Gesellschaft die Schuld, dass entsprechende Taten zu Straftaten werden". Im Übrigen legt auch, so die Strafkammer "die erhebliche Anzahl von rechtskräftig festgestellten Taten über wesentliche Lebensabschnitte" weitere Taten nahe. "Mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit liegt eine ungünstige Prognose vor".

c) Da somit die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vorliegen, hätte die Strafkammer zu entscheiden gehabt, wie sie das ihr danach eingeräumte Ermessen ausübt, gegen den Angeklagten Sicherungsverwahrung anzuordnen oder nicht. Für eine Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung war dagegen kein Raum (BGHSt 50, 188, 193).

d) Die von der Strafkammer vorgenommene Würdigung von Taten und Täter ergibt in ihrer Gesamtheit mit genügender Klarheit, dass sie sich letztlich nur durch das Fehlen der von ihr rechtsfehlerhaft für erforderlich gehaltenen zusätzlichen Erkenntnisse an der Anordnung von Sicherungsverwahrung gehindert gesehen hat. Unter diesen Umständen ist der Angeklagte durch die nur vorbehaltene Anordnung von Sicherungsverwahrung hier nicht beschwert (vgl. ).

2. Der Vertreter des Nebenklägers hatte in seinen Schlussausführungen beantragt, den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Nebenkläger zu verurteilen. Nach dem letzten Wort des Angeklagten wurde die Beweisaufnahme nochmals eröffnet. Nach zunächst anderweitigem Verfahrensgeschehen erfolgte der Hinweis, dass ein Adhäsionsantrag gemäß § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO bis zum Beginn der Schlussvorträge gestellt werden muss. Der Nebenklägervertreter wiederholte den genannten Antrag. Die übrigen Verfahrensbeteiligten (Staatsanwalt, Verteidiger, Angeklagter), so die Niederschrift der Hauptverhandlung, "wollten zu diesem Antrag keine Stellungnahme abgeben". Sodann wurde die Beweisaufnahme wieder geschlossen. Bei den anschließenden Schlussvorträgen nahm der Staatsanwalt lediglich Bezug auf sein früheres Plädoyer und wiederholte seine früheren Anträge.

Auf der Grundlage dieses Verfahrensgeschehens meint die Revision, die Strafkammer hätte dem Nebenkläger schon deshalb kein Schmerzensgeld zuerkennen dürfen, weil der hierauf gerichtete Antrag des Nebenklägervertreters zu spät gestellt worden sei. Es reiche nicht aus, wenn dieser Antrag erst nach einem ersten Schlussvortrag des Staatsanwalts gestellt werde und dieser in seinem zweiten Schlussvortrag, ohne auf den Antrag einzugehen, nur auf seinen ersten Schlussvortrag verweise.

Dies trifft nicht zu.

Ein Adhäsionsantrag ist deshalb gemäß § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO vor Beginn der Schlussvorträge zu stellen, weil (auch) der Staatsanwalt Gelegenheit haben muss, auch zu Schadensersatzansprüchen Stellung zu beziehen (BGHR StPO § 404 Abs. 1 Antragstellung 1). Deshalb reicht es aus, wenn in Fällen, in denen nach den Schlussausführungen die Beweisaufnahme wieder eröffnet wurde, der Antrag vor den erneuten (letzten) Schlussausführungen gestellt wird (vgl. Krekeler in AnwK-StPO § 404 Rdn. 4; Stöckel in KMR <47. EL> § 404 Rdn. 5; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 404 Rdn. 4). Auch bei einer solchen Fallgestaltung ist die Möglichkeit zu einer Stellungnahme eröffnet. Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, oder - wie hier - nicht, ist demgegenüber ohne Bedeutung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
TAAAC-92528

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