BGH Urteil v. - 1 StR 383/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BtMG § 31

Instanzenzug: LG Stuttgart, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tat II. 1. der Urteilsgründe = angeklagte Tat 1, zwei Jahre Freiheitsstrafe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Diebstahl (Tat II. 2. der Urteilsgründe = angeklagte Tat 10, drei Jahre Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und 800 € als Wertersatz für verfallen erklärt. Von dem Vorwurf, in weiteren fünf Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt gewerbsmäßig Handel getrieben (angeklagte Taten 2 bis 6) und in drei Fällen Beihilfe zur bandenmäßigen unerlaubten Einfuhr von und zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge geleistet (angeklagte Taten 7 bis 9) zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen (1.).

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge dagegen, dass das Landgericht bei der Tat II. 1. der Urteilsgründe einen zu geringen Schuldumfang angenommen und den Angeklagten von den ihm zur Last gelegten Taten 2 bis 6 freigesprochen hat. Das Rechtsmittel hat lediglich hinsichtlich der Tat II. 1. Erfolg (2.). Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten zeigt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf (3.).

1. a) Nach den Feststellungen zur Tat II. 1. war der gesondert verfolgte S. der Kopf einer Gruppierung, die regelmäßig mindestens 25 kg Marihuana aus den Niederlanden nach Deutschland einführte, um es hier gewinnbringend zu verkaufen. An diesen vermittelte der Angeklagte Anfang Januar 2004 den ebenfalls gesondert verfolgten, ihm 2.300 € schuldenden, jedoch arbeitslosen und finanziell schlecht gestellten N. als Kurierfahrer, um einerseits diesem eine Verdienstmöglichkeit zu verschaffen und andererseits S. s Drogengeschäfte zu fördern. Er ging dabei davon aus, dass N. mehrere, zahlenmäßig nicht feststehende Kurierfahrten durchführen werde. Tatsächlich kam es im Zeitraum vom 10. Februar bis zu vier Beschaffungsfahrten, für die N. pro Fahrt 1.000 € als Kurierlohn erhielt und von denen er jeweils 200 € an den dies verlangenden Angeklagten für die erfolgte Vermittlung weitergab.

b) Zur Tat II. 2. hat das Landgericht festgestellt, dass S. im Frühjahr 2004 einer Darlehensforderung des Angeklagten nicht zu dessen Zufriedenheit entsprach. Der Angeklagte entwickelte deshalb den Plan, eine von N. transportierte Marihuanalieferung an sich zu bringen und auf eigene Rechnung binnen zwei Wochen zu verkaufen. Plangemäß kam es zu folgendem Tatgeschehen:

Am transportierte N. , der sich mit dem Plan einverstanden erklärt hatte, mit einem Audi A 6 in drei Taschen insgesamt 25 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt 5 % Tetrahydrocannabinol), die S. im Kofferraum verstaut hatte, von Maastricht nach Stuttgart-Bad Cannstatt. Dieses schon zuvor von S. s Gruppierung für Betäubungsmitteltransporte genutzte Fahrzeug war zunächst auf den bislang eingesetzten Kurierfahrer zugelassen gewesen, nun aber auf N. umgeschrieben worden, um bei etwaigen Kontrollen nicht aufzufallen. Für eine notwendige Reparatur war S. aufgekommen. Auf der gesamten Strecke fuhr N. ein von S. gelenktes, mit einem weiteren Angehörigen der Gruppierung besetztes Fahrzeug voraus, aus dem heraus er per Mobilfunktelefon vor Polizeikontrollen gewarnt werden sollte. Am Ziel stellte N. sein Auto auf einem mit S. verabredeten Parkplatz ab, dort allerdings nicht an der üblichen, gut ausgeleuchteten Stelle, sondern hiervon ein Stück entfernt im Dunkeln. Sodann ließ er sich mit dem Begleitfahrzeug nach Hause fahren. Während dessen brachen vom Angeklagten hiermit beauftragte Rumänen das Fahrzeug auf, nahmen die Taschen mit dem Marihuana an sich und übergaben sie an eine ebenfalls rumänische Bekannte des Angeklagten zur Weiterleitung an zwei von diesem eingeschaltete Männer. Je die Hälfte des Verkaufserlöses sollten zum einen der Angeklagte und N. , zum anderen die rumänischen Beteiligten erhalten.

2. a) Die Staatsanwaltschaft hat zwar sowohl bei der Einlegung der Revision als auch mit der Revisionsbegründungsschrift einschränkungslos beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben. Sie hat aber zur Begründung ihres Rechtsmittels ausgeführt, sie erhebe die Sachrüge "bezüglich der Anklagepunkte Ziffer 1 bis 6" (= Tat II. 1. der Urteilsgründe sowie angeklagte Taten 2 bis 6), und auch nur in diesem Rahmen nähere materiell-rechtliche Erwägungen vorgebracht. Soweit der Angeklagte von drei weiteren Tatvorwürfen freigesprochen worden sei, handele es sich um die "von der Revisionseinlegung nicht betroffenen Anklagepunkte Ziffer 7 bis 9". Auch wenn im Unterschied hierzu die Tat II. 2. von der Anfechtung nicht ausdrücklich ausgenommen worden ist, versteht der Senat ebenso wie der Generalbundesanwalt das gesamte Revisionsvorbringen so (vgl. BGH NStZ 1998, 210), dass das staatsanwaltschaftliche Rechtsmittel insofern weder den Schuld- noch den Strafausspruch angreifen will. In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat, dass - zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft - die Revisionsanträge nicht nur klar und widerspruchsfrei, sondern auch ohne weiteres deckungsgleich mit den Ausführungen zur Revisionsbegründung sein sollten. Das Revisionsverfahren wird nicht unerheblich erleichtert, wenn der Umfang der Anfechtung, also das Ziel des Rechtsmittels, nicht erst durch eine (nicht am Wortlaut haftende) Erforschung des Sinns des Vorbringens und seines gedanklichen Zusammenhangs unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ermittelt zu werden braucht (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 118).

b) Im dargelegten Rahmen wendet sich die Revision primär gegen die landgerichtliche Würdigung der Beweise. Sie ist lediglich hinsichtlich der Tat II. 1. erfolgreich, bei der sie die Bewertung des Schuldumfanges zu Recht als unzureichend ansieht.

aa) Bei der Zumessung der Strafe für die Tat II. 1. hat das Landgericht zwar ausgeführt, dass sich der Angeklagte bei der Vermittlung N. s bewusst war, dieser würde nicht nur eine, sondern mehrere Fahrten durchführen. "Nachdem aber nicht geklärt werden konnte, von welcher Anzahl Fahrten der Angeklagte ausgegangen ist, hat die Kammer zugunsten des Angeklagten unterstellt, dass sein Gehilfenvorsatz sich auf jedenfalls zwei Kurierfahrten mit jeweils 25 kg Marihuana erstreckt" hat. Für die Berechnung der Überschreitung des Grenzwertes zur nicht geringen Betäubungsmittelmenge ist sie daher von insgesamt 50 kg Marihuana ausgegangen.

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn der vom Landgericht angewendete Zweifelssatz setzt eine vorherige umfassende Würdigung der relevanten Indizien voraus (vgl. BGH NStZ 2001, 609; ). Eine solche Gesamtbetrachtung lässt sich den schriftlichen Urteilsgründen nicht entnehmen. In diese hätte insbesondere einbezogen werden müssen, dass der Angeklagte nach den Feststellungen mit der Vermittlung N. s bezweckte, diesem mit dem Ziel der Tilgung der Schulden in Höhe von 2.300 € eine Einnahmequelle zu verschaffen, und sich dementsprechend für alle vier Betäubungsmitteltransporte jeweils 200 € "Provision" auszahlen ließ. Mit Blick darauf hätte - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - zudem erwogen werden müssen, ob und ggf. inwieweit der Angeklagte bezüglich weiterer Betäubungsmitteleinfuhren mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Hierzu hätte sich das Landgericht schon deshalb veranlasst sehen müssen, da es festgestellt hat, der Angeklagte sei von mehreren, letztlich aber zahlenmäßig nicht feststehenden Kurierfahrten ausgegangen. Im Übrigen verlangt der Zweifelssatz nicht, von einer dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann auszugehen, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen. Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind vielmehr nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale Anknüpfungspunkte hat (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 166, 168; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18).

bb) Hingegen ist die den Freisprüchen von den angeklagten Taten 2 bis 6 zugrunde liegende Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatgericht. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Dies gilt selbst dann, wenn eine vom Tatgericht getroffene Feststellung "lebensfremd" erscheinen mag. Kann dieses vorhandene Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen (vgl. ). In diesem Sinne fehlerhaft ist eine Beweiswürdigung etwa dann, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH NStZ 1984, 180).

Hieran gemessen deckt die Revision keinen durchgreifenden Fehler auf. Das Landgericht hat die zu den angeklagten Taten 2 bis 6 erzielten Beweisergebnisse umfassend gewürdigt und dabei keine wesentlichen Gesichtspunkte unbeachtet gelassen. Es hat insbesondere die Angaben des Zeugen M. , der als "Finanzverwalter" S. s fungierte, vertretbar bewertet und dabei rechtlich unangreifbar dessen Einschätzung berücksichtigt, dass die von ihm geführten Listen auch ihre Grundlage in legalen Geschäften gehabt haben können. Der Senat teilt nicht die Besorgnis des Generalbundesanwalts, das Landgericht habe hierdurch zugunsten des - diese Vorwürfe pauschal bestreitenden - Angeklagten einen Sachverhalt unterstellt, für dessen Vorliegen nach den festgestellten Umständen nichts sprach. Denn neben der bereits dargelegten Einschätzung des Zeugen M. hat die Beweisaufnahme Anhaltspunkte für Darlehensgeschäfte ergeben, in die neben dem Angeklagten auch S. involviert gewesen sein kann. Im Übrigen hat das Landgericht die sonstigen Beweisergebnisse beanstandungsfrei in die Gesamtwürdigung eingestellt, wonach bei einer Durchsuchung von Wohnung und Auto des Angeklagten nichts gefunden worden ist, was auf ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln hingedeutet hätte, und Finanzermittlungen ebenfalls keine diesbezüglichen Hinweise erbracht haben. Soweit die Staatsanwaltschaft diese und andere Indizien herausgreift und sich gegen deren (entlastenden) Beweiswert wendet, handelt es sich um den im Revisionsverfahren unbehelflichen Versuch, die eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen. Bei der Bewertung der Indizien hat das Landgericht schließlich auch keine tatsächlich nicht existenten Erfahrungssätze herangezogen. Insgesamt ist es danach rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Überzeugung von der Begehung der fünf angeklagten Taten 2 bis 6 durch den Angeklagten nicht hat gewinnen können.

c) aa) Die unvollständige Beweiswürdigung bezüglich der Tat II. 1. führt insoweit zur Aufhebung des Schuldspruchs, da sich den Feststellungen nicht entnehmen lässt, auf welche der vier Beschaffungsfahrten sich der Gehilfenvorsatz des Angeklagten bezogen hat. Dies zieht die Aufhebung der Einzelstrafe von zwei Jahren, der Anordnung des Verfalls des Wertersatzes sowie der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Hingegen können die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - namentlich zu Anzahl und Umfang der Beschaffungsfahrten - aufrechterhalten bleiben, da sie keinen Rechtsfehler aufweisen. Sie können in der neuen Verhandlung ergänzt werden.

bb) Auch die Strafe für die rechtsfehlerfrei beurteilte Tat II. 2. hat Bestand. Der Senat kann angesichts der vom Landgericht angestellten Zumessungserwägungen und der daraus resultierenden Verhängung einer dreijährigen Freiheitsstrafe bei einer gesetzlich vorgesehenen Mindeststrafe von einem Monat (§ 31 BtMG) ausschließen, dass sie von dem (möglicherweise) zu gering angenommenen Schuldumfang der Tat II. 1. beeinflusst worden ist.

3. Die Revision des Angeklagten zeigt keinen materiell-rechtlichen Mangel zu seinem Nachteil auf. Sie meint allerdings, durch die Feststellungen zur Tat II. 2. würde die tateinheitlich zum Betäubungsmitteldelikt erfolgte Verurteilung wegen Diebstahls nicht getragen. Denn es fehle am erforderlichen Bruch fremden Gewahrsams, da zum Zeitpunkt des Aufbrechens des Fahrzeugs dessen Fahrer N. alleiniger Gewahrsamsinhaber gewesen sei. Dies trifft jedoch im Ergebnis nicht zu.

Für die Frage, wer den Gewahrsam an einer Sache innehat, kommt es nach ständiger Rechtsprechung entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Der Gewahrsamsbegriff wird wesentlich durch die Verkehrsauffassung bestimmt. Deshalb hängt das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft nicht in erster Linie, jedenfalls nicht allein von der körperlichen Nähe zur Sache und nicht von der physischen Kraft ab, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten wird oder aufrechterhalten werden kann (vgl. BGHSt 16, 271, 273).

Danach durfte das Landgericht bei seiner rechtlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangen, das dem Angeklagten mittäterschaftlich zuzurechnende Verhalten der das Fahrzeug aufbrechenden Rumänen erfülle den Diebstahlstatbestand. Denn insofern kam es auf die von der Revision ausführlich diskutierten Herrschaftsverhältnisse während der Fahrt aus den Niederlanden nach Stuttgart-Bad Cannstatt nicht an. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung war vielmehr, wer bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Rumänen die drei mit Marihuana gefüllten Taschen an sich brachten, den Gewahrsam am Fahrzeug nebst Inhalt hatte. Dies war - wenigstens in der Form des übergeordneten Mitgewahrsams - S. als Kopf der Bande und nicht der von ihm beauftragte, nicht zur Bande gehörende Kurier, zumal einerseits der von diesem vorzunehmende Transport beendet und andererseits S. am von ihm vorgegebenen Abstellort zunächst anwesend war, also trotz des Parkens des Schmuggelfahrzeugs an einer weniger hell erleuchteten Stelle unmittelbar auf das Auto und die darin befindlichen Taschen, die er nach den Feststellungen selbst eingeladen hatte, hätte zugreifen können. Auch der Umstand, dass deren Abhandenkommen nur kurze Zeit, nachdem N. mit dem Begleitfahrzeug nach Hause gefahren worden war, entdeckt wurde, spricht dafür. Hiergegen fiel der Umstand, dass sich die Betäubungsmittel in einem auf N. zugelassenen Auto befanden, nicht ins Gewicht, zumal es sich dabei um das von S. s Gruppierung seit langem genutzte Bandenfahrzeug handelte. Nach allem ist das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise innerhalb des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums geblieben.

4. Mit der Teilaufhebung des Urteils hat sich die vom Angeklagten eingelegte Kostenbeschwerde erledigt (vgl. BGHSt 25, 77, 79; 26, 250, 253; ).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
LAAAC-92107

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