Verletzung des Rechts auf Gehör; Vorliegen einer Überraschungsentscheidung
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist ein im März 2000 gegründeter eingetragener Verein, der nach seiner Satzung den Sport in allen Bereichen sowie die Kinder- und Jugendhilfe fördert. Diese Zwecke will er u.a. durch die Ermöglichung sportlicher Übungen und die Vorbereitung und Durchführung von Jugendfreizeitveranstaltungen verwirklichen.
Im August 2002 gab der Kläger eine Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2001 ab, in der er angab, Einnahmen in Höhe von 16 005,35 DM aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb „Getränkeverkauf” und im Rahmen von Zweckbetrieben „Fitnessstudio” in Höhe von 19 116,50 DM und „Kinder- und Jugendreisen” in Höhe von 31 390,51 DM erzielt zu haben. Beigefügt war der Erklärung eine Einnahme-Überschussrechnung, die unter anderem im ideellen Bereich Mitgliedsbeiträge in Höhe von 71 193,77 DM und im Bereich des Zweckbetriebes Einnahmen aus Sportveranstaltungen Tages-/Zehner-Karten in Höhe von 19 010,50 DM auswies. In der Erklärung führte die Klägerin eine Rücklage in Höhe von 14 774,61 DM für die Errichtung einer Sportanlage und 10 000 DM für Betriebsmittel auf.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) setzte die Körperschaftsteuer unter Berücksichtigung der Einnahmen und Ausgaben aus allen Betrieben fest. Eine Freistellung von der Besteuerung lehnte er unter Hinweis auf das zu diesem Zeitpunkt offene Klageverfahren zum Jahr 2000 ab.
Im Einspruchsverfahren forderte das FA vom Kläger eine Aufteilung der Mitgliedsbeiträge in echte und unechte, eine Aufstellung der gezahlten Aufwandsentschädigungen, die Miet- und Pachtverträge, eine Aufstellung des Anlagevermögens, Protokolle der Mitgliederversammlungen des Jahres 2001, einen ausführlichen Tätigkeitsbericht 2001 sowie die Gewerbeanmeldung für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Unter Hinweis darauf, dass ein Tätigkeitsbericht nicht erstellt worden sei und die Mitgliedsbeiträge allesamt echte Beiträge seien, reichte der Kläger lediglich ein Protokoll der Mitgliederversammlung aus dem November 2001 ein. Hiernach sollte ein Fitnessstudio eröffnet werden.
Das FG wies die auf den Erlass eines Freistellungsbescheids gerichtete Klage ohne mündliche Verhandlung ab.
Der Kläger stützt seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Er beantragt, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Die von der Beschwerde gerügte Verletzung des Rechts auf Gehör liegt vor. Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zu Grunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse; darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (§ 155 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Deshalb kann eine Verletzung des Rechts auf Gehör vorliegen, wenn das Gericht die Beteiligten nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt hinweist, den es seiner Entscheidung zu Grunde legen will und der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit dem auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen (vgl. z.B. Beschlüsse des , BFH/NV 2001, 1580; vom XI B 69/02, BFH/NV 2003, 293; vom III B 94/02, BFH/NV 2003, 1591).
2. Eine solche sog. Überraschungsentscheidung stellt das angefochtene Urteil dar.
Das Finanzgericht (FG) hat sein Urteil auf die Erwägung gestützt, es sei vom Kläger nicht nachgewiesen worden, dass seine tatsächliche Geschäftsführung im Streitjahr den Erfordernissen des § 63 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) genügt habe. Die Einnahmen-Überschussrechnung des Klägers gebe über diese Tatsache nicht ausreichend Aufschluss. Denn sie trenne nicht konsequent die einzelnen betrieblichen Bereiche. Die Angaben des Klägers in seiner Steuererklärung trügen den Anforderungen des § 63 Abs. 3 AO nicht hinreichend Rechnung. Es fehlten insbesondere eine Vermögensübersicht sowie die Mietverträge und nähere Auskünfte über die Vergütungen der Ausbilder.
In einem zuvor abgehaltenen Erörterungstermin hatte der Berichterstatter ausweislich des Terminsprotokolls darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Kläger um einen gemeinnützigen Verein handeln dürfte, und zwar unabhängig davon, ob der Betrieb des Fitnessstudios und die Veranstaltung von Jugendreisen als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb oder als Zweckbetrieb anzusehen seien. Hinsichtlich des Fitnessstudios könnten die Voraussetzungen des § 67a AO vorliegen. Darüber hinaus ergebe sich aus der Gewinnermittlung, dass in den Einnahmen Mitgliedsbeiträge enthalten seien und dem ideellen Bereich ein wesentlicher Teil der Aufwendungen zugeordnet worden sei. Daher könnte sich der Gewinn in diesem Bereich erheblich mindern. Daraufhin hatte das FA mitgeteilt, es schließe sich der rechtlichen Sicht des Berichterstatters an; der Kläger möge aber einen ausführlichen Tätigkeitsbericht sowie eine Darstellung der Mittelverwendung vorlegen.
3. Angesichts dieses Prozessverlaufs musste der Kläger nicht damit rechnen, dass das FG die Klage abweisen würde, weil er keine Vermögensübersicht eingereicht, die Mietverträge nicht vorgelegt, die Vergütungen der Ausbilder nicht benannt und die Entwicklung sowie die beabsichtigte Verwendung der Rücklagen nicht erläutert habe. Dies gilt umso mehr, als er nur durch seinen Vorstand vertreten war. Zudem hatte er auf mündliche Verhandlung verzichtet, so dass nicht mehr die Möglichkeit bestand, ihn in der mündlichen Verhandlung auf die Mängel hinzuweisen. Der Kläger hat zwar im Rechtsbehelfsverfahren, obwohl er hierzu vom FA aufgefordert worden war, weder Miet- und Pachtverträge noch eine Aufstellung über die Vergütung der Übungsleiter eingereicht. Nachdem sich das FA nach dem Erörterungstermin mit dem ursprünglichen Berichterstatter jedoch dessen Rechtsauffassung angeschlossen und mit dem Berichterstatter nur noch einen Tätigkeitsbericht und eine Darstellung der Mittelverwendung angefordert hatte, hätte das FG den Kläger darauf hinweisen müssen, dass es entgegen seiner ursprünglichen Äußerung u.a. die Vorlage einer Vermögensaufstellung sowie der Miet- und Dienstverträge für erforderlich erachte. Es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger nach einem entsprechenden Hinweis die angeforderten Unterlagen eingereicht und die Klage Erfolg gehabt hätte.
Fundstelle(n):
TAAAC-91410