BFH Beschluss v. - II B 47/07

Ausdehnung einer steuerlichen Amnestie auf Steuerehrliche verfassungsrechtlich nicht geboten; Bewertung eines Pflichtteilsanspruchs; Fehlen von Entscheidungsgründen; keine Revisionszulassung bei Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des FG-Urteils einschließlich der Tatsachen- und Beweiswürdigung

Gesetze: StraBEG § 1, ErbStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, ErbStG § 2, GG Art. 3, FGO § 115, FGO § 76, FGO § 119 Nr. 6

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der einzige Abkömmling seines im Oktober 1994 verstorbenen Vaters (V). Der Antrag des Klägers, ihm einen Erbschein zu erteilen, blieb erfolglos. Sowohl das Notariat als auch das Landgericht (LG) und das Oberlandesgericht (OLG) kamen nach Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass V die gesetzliche Erbfolge ausgeschlossen habe. Die Klage des Klägers gegen das Land ., mit der er die Feststellung begehrt hatte, dass nicht das Land, sondern er selbst Erbe des V sei, hatte beim LG und beim OLG ebenfalls keinen Erfolg. Der Kläger einigte sich durch notariell beurkundete Verträge mit dem Land über die Höhe des ihm zustehenden Pflichtteilsanspruchs und dessen teilweise Erfüllung durch die Übertragung von Grundstücken aus dem Nachlass.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ging davon aus, dass der Kläger Pflichtteilsberechtigter sei, und setzte die Erbschaftsteuer in der Einspruchsentscheidung aufgrund eines steuerpflichtigen Erwerbs von 1 412 200 DM auf 155 342 DM (79 425,10 €) fest (Steuersatz von 11 %).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) stellte der Kläger zahlreiche Beweisanträge, um nachzuweisen, dass nicht das Land, sondern er selbst Erbe geworden sei. Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, durch die zuständigen Zivilgerichte sei die Erbenstellung des Landes rechtskräftig festgestellt worden. Diese Feststellung in Verbindung mit den vom Kläger mit dem Land geschlossenen Pflichtteilserfüllungsverträgen sei für die Festsetzung der Erbschaftsteuer verbindlich. Aus den Darlegungen des Klägers ergebe sich nicht, dass die zivilgerichtlichen Entscheidungen offenkundig rechtswidrig seien und deshalb ein Festhalten des FA und des FG daran schlechthin unerträglich wäre. Die beantragten Beweise seien daher nicht zu erheben. Zu Recht habe das FA den Pflichtteilsanspruch mit seinem Nominalwert angesetzt.

Der Kläger stützt die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz, Verfahrensmängel und Rechtswidrigkeit der Vorentscheidung.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Soweit ihre Begründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht, rechtfertigen die vorgebrachten Gründe nicht die Zulassung der Revision.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) im Hinblick auf die Auswirkungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes (StraBEG) vom (BGBl I 2003, 2928) zuzulassen. Das FG Köln hat zwar im Vorlagebeschluss vom 10 K 1880/05 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1878) die Auffassung vertreten, § 20 Abs. 1 und § 32a des Einkommensteuergesetzes seien durch die Regelungen des StraBEG mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar geworden, soweit Steuerehrliche erheblich ungünstiger besteuert würden, als es das StraBEG für Steuerstraftäter vorsehe.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diesen Vorlagebeschluss aber durch Beschluss vom 2 BvL 14/05 (Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 652) als unzulässig beurteilt und u.a. ausgeführt, dass das StraBEG nicht das Ziel gehabt habe, die Steuerhinterziehung zu belohnen, sondern einen Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu setzen. Das BVerfG verwies dazu auf sein Urteil vom   2 BvL 3/89 (BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652) und auf das (BFHE 156, 543, BStBl II 1989, 836), die zu der Amnestieregelung des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen vom (BGBl I 1988, 1093) ergangen sind und nach denen die Ausdehnung eines steuerlichen Amnestiegesetzes auf steuerehrliche Steuerpflichtige verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Wie das BVerfG in dem Urteil ausgeführt hat, braucht die in einer teilweisen Steuerbefreiung für den Steuerunehrlichen, der bisher steuererhebliche Tatsachen verschwiegen hat, bestehende Brücke zur Legalität derjenige nicht, der bereits ordnungsgemäß veranlagt worden ist.

2. Das Vorliegen einer Divergenz zum (BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198) hat der Kläger nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend dargelegt.

a) Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenz gehören u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen. Des Weiteren ist auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und eine identische Rechtsfrage handele (BFH-Beschlüsse vom VIII B 36/06, BFH/NV 2007, 2293; vom VIII B 83/07, BFH/NV 2008, 978, und vom VIII B 103/07, BFH/NV 2008, 980).

b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Das BFH-Urteil in BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198 betrifft die Frage, ob sich das FG im Hinblick auf die Feststellung einer Steuerhinterziehung die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafverfahrens zu eigen machen kann, wenn und soweit es zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese zutreffend sind. Dies hat der BFH jedenfalls für den Fall bejaht, dass keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen im Strafurteil erhoben werden. Im vorliegenden Verfahren geht es demgegenüber um die grundsätzliche Bindungswirkung der zivilgerichtlichen Entscheidungen in Verbindung mit den vom Kläger mit dem Land abgeschlossenen Verträgen über Höhe und Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs und somit um eine andere Rechtsfrage.

3. Die Rüge des Klägers, das FG habe seine Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt, hat keinen Erfolg.

a) Die Rüge ist zulässig. Ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil selbst, dass und weshalb das FG einen Beweis nicht erhoben hat, so genügt zur Bezeichnung des Verfahrensfehlers die schlichte Rüge der Nichterhebung des Beweises (BFH-Beschlüsse vom VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297; vom IV B 51/05, BFH/NV 2007, 1089, und vom VIII B 25/07, BFH/NV 2008, 241). Hinzukommen muss allerdings die weitere Auseinandersetzung mit dem Ablehnungsgrund des FG (so BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 241).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das FG hat in seinem Urteil die Ablehnung der Beweisanträge des Klägers begründet. Der Kläger hat sich mit den Ablehnungsgründen in seiner Beschwerdebegründung auseinandergesetzt.

b) Die Rüge ist jedoch unbegründet; denn das FG brauchte den vom Kläger gestellten Beweisanträgen nicht zu entsprechen.

aa) Auf die Erhebung eines von einem Beteiligten beantragten Beweises darf das FG im Regelfall nur dann verzichten, wenn es die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsache zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar oder völlig ungeeignet ist, den Beweis zu erbringen, oder die zu beweisende Tatsache nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG nicht rechtserheblich ist (BFH-Beschlüsse vom IX B 56/05, BFH/NV 2006, 954; vom X B 45/07, BFH/NV 2008, 96, und vom X B 34/07, BFH/NV 2008, 597). Die Unrichtigkeit der materiell-rechtlichen Auffassung des FG kann nicht mit der Verfahrensrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 954). Kein Verfahrensmangel liegt deshalb vor, wenn das FG einen Beweis nicht erhebt, auf den es lediglich nach der materiell-rechtlichen Ansicht eines Beteiligten ankommt.

bb) Diese Voraussetzungen für die Ablehnung von Beweisanträgen waren erfüllt. Nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG waren die Beweise, mit denen der Kläger seine Erbenstellung nachweisen wollte, wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung der zu der Frage der Erbenstellung ergangenen zivilgerichtlichen Entscheidungen in Verbindung mit den vom Kläger mit dem Land abgeschlossenen Verträgen über die Höhe und Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs nicht zu erheben. Tatsachen, die eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Bindungswirkung rechtfertigen könnten, hatte der Kläger nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG nicht vorgetragen. Eine Beweiserhebung erübrigte sich daher insoweit.

4. Der Kläger hat nicht schlüssig dargetan, dass die Vorentscheidung an einem als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zu wertenden Begründungsmangel leide.

a) Ein Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO und damit eine Verletzung der in § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO niedergelegten Pflicht des Gerichts, sein Urteil mit Gründen zu versehen, liegt vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung ganz oder zu einem wesentlichen Teil fehlt sowie wenn das FG selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat. Eine zu kurze, lücken- oder fehlerhafte Begründung stellt indes keinen Verfahrensmangel dar (, BFH/NV 2005, 1743, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom III B 59/06, BFH/NV 2007, 2245, und vom VIII B 79/07, BFH/NV 2008, 732). Nicht erforderlich ist, dass das FG in den Entscheidungsgründen jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen erörtert (, BFH/NV 2008, 401).

b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen eines Verfahrensmangels hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Er rügt lediglich die (vermeintliche) Unvollständigkeit der Begründung der Vorentscheidung in einzelnen Punkten.

5. Mit den Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung einschließlich der Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG macht der Kläger bloße Rechtsanwendungsfehler geltend, die die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 345/06, BFH/NV 2008, 23; vom IX B 54/07, BFH/NV 2008, 30, und vom IX B 199/06, BFH/NV 2008, 26). Das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (BFH-Beschlüsse vom VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799; vom VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25, und in BFH/NV 2008, 980).

Dem Vorbringen des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass ein sog. qualifizierter, zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO führender Rechtsanwendungsfehler vorliege. Ein solcher Rechtsanwendungsfehler ist gegeben, wenn er von erheblichem Gewicht und deshalb geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung zu beschädigen. Dies ist nur bei offensichtlichen materiellen oder formellen Rechtsanwendungsfehlern des FG im Sinne einer willkürlichen oder zumindest greifbar gesetzwidrigen Entscheidung der Fall. Eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalls genügt nicht (BFH-Beschlüsse vom IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896; vom II B 3/07, BFH/NV 2007, 2348, und vom VIII B 129/07, BFH/NV 2008, 973). Die Annahme einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung muss auf ganz ungewöhnliche Fallgestaltungen beschränkt bleiben (, BFH/NV 2008, 1116).

Dass diese Voraussetzungen eines sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers vorlägen, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. In sämtlichen zu der Frage seiner Erbenstellung ergangenen zivilgerichtlichen Entscheidungen wurde diese verneint. Der Kläger setzt insoweit lediglich seine Beurteilung der Sach- und Rechtslage an die Stelle der Bewertung der Zivilgerichte. Um die Unrichtigkeit dieser Entscheidungen nachzuweisen, stellte er in der mündlichen Verhandlung vor dem FG zahlreiche Beweisanträge. Die Feststellung offensichtlicher Fehler bedarf indes keiner umfangreichen Beweiserhebung.

6. Auch mit den Ausführungen zum Übermaßverbot macht der Kläger keinen Grund für die Zulassung der Revision geltend.

Die in der Einspruchsentscheidung festgesetzte Erbschaftsteuer beruht auf einem Steuersatz von 11 % und ist somit nicht übermäßig belastend. Dem Kläger verblieb nach Abzug der Erbschaftsteuer der Pflichtteil in Höhe des persönlichen Freibetrags von 90 000 DM ungeschmälert und im Übrigen zum weit überwiegenden Teil. Damit ist insoweit den verfassungsrechtlichen Anforderungen Genüge getan (vgl. , BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, unter C. I. 2.).

Der Ansatz des Pflichtteilsanspruchs mit dem Nominalwert konnte allerdings nach dem bis einschließlich 1995 geltenden Bewertungs- und Steuerrecht dazu führen, dass ein Pflichtteilsberechtigter im Vergleich zu einem Erben mit höherer Erbschaftsteuer belastet wurde, wenn sich im Nachlass Grundstücke befanden, die lediglich mit 140 % des Einheitswerts anzusetzen waren. Diese Rechtslage war zwar verfassungswidrig, durfte aber bis zum Ablauf des Jahres 1995 weiter angewandt werden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671; , BFHE 185, 267, BStBl II 1998, 395). Die relative Schlechterstellung des Erwerbs von Geldvermögen oder sonstigen mit dem gemeinen Wert anzusetzenden Wirtschaftsgütern gegenüber dem Erwerb von Grundstücken ist daher hinzunehmen, soweit die Erbschaftsteuer bis einschließlich des Jahres 1995 entstanden ist. Eine vergleichbare Übergangsregelung hat das BVerfG in seinem Beschluss vom   1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192) hinsichtlich der erneut verfassungswidrigen Ausgestaltung des ab 1996 geltenden Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts getroffen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1846 Nr. 11
YAAAC-90698