Vorlage des Postausgangsbuchs bei Bevollmächtigten zur Glaubhaftmachung des Absendevorgangs erforderlich
Gesetze: FGO § 56, FGO § 119 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Streitig ist, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Versäumung der Klagefrist) zu gewähren ist.
Am ging beim Hessischen Finanzgericht (FG) ein Fax der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, ein. In diesem Fax verwies die Klägerin auf eine am an das FG versandte Klageschrift, die sich gegen eine am zugestellte Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) richtete. Zugleich begehrte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Darlegung des Büroablaufs bei einer Schriftsatzfertigung. Dem Antragsschreiben der Klägerin waren diverse Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin beigefügt: Ein mit „Klage” überschriebenes Schriftstück, zwei Schreiben an die Klägerin bzw. an die Steuerberater der Klägerin (alle Schreiben mit Datum ) sowie ein Schreiben an das FA (Antrag auf Aussetzung der Vollziehung; Datum: - dieses Schreiben war beim FA am zu den Akten gelangt). Klage und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung seien am angefertigt und zur Abstimmung mit der Mandantin bzw. dem Steuerberater dorthin per Fax übersandt worden; der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei am (nach einer Änderung) erneut ausgedruckt und zusammen mit der Klageschrift am unterzeichnet und in den Postausgangskorb gelegt und sodann zur Aufgabe bei der Post von einem Mitarbeiter der Post abgeholt worden. Zum Ablauf des Postversands legte die Klägerin eine Versicherung an Eides Statt einer Kanzleimitarbeiterin vor, zum Ablauf der Schriftsatzerstellung eine Versicherung an Eides Statt des sachbearbeitenden Rechtsanwalts. Die Klage blieb —unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand— erfolglos ().
Die Klägerin begehrt eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 bzw. Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt nicht vor.
1. Das FG hat seine richterliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) nicht verletzt und damit der Klägerin das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO) nicht i.S. der §§ 119 Nr. 3, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO versagt.
Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist die Frage, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO zu gewähren ist. Das FG hat dazu auf die in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärten Voraussetzungen der Regelung verwiesen. Werde ein Wiedereinsetzungsantrag auf die Behauptung der fristgerechten Absendung eines beim Adressaten nicht eingegangenen Schriftsatzes gestützt, seien nach ständiger Rechtsprechung zum einen genaue Angaben dazu erforderlich, wann (an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten oder Abgabe in einer bestimmten Postfiliale) und von welcher Person der Schriftsatz zur Post gegeben worden sei. Ferner sei die Organisation der Fristenkontrolle nach Art und Umfang darzulegen. Schließlich seien diese Angaben durch geeignete Beweismittel glaubhaft zu machen. Dazu sei sowohl die Abgabe detaillierter eidesstattlicher Versicherungen der mit der Anfertigung und Absendung des Schriftsatzes unmittelbar befassten Personen als auch die Vorlage von Auszügen aus dem Fristenkontrollbuch und dem Postausgangsbuch erforderlich (Hinweis auf BFH-Beschlüsse vom VI B 147/05, BFH/NV 2006, 1509; vom VI B 54/06, BFH/NV 2006, 2282; vgl. auch Senatsbeschluss vom I R 13/96, BFH/NV 1997, 120; , BFH/NV 1994, 645). Dass die Vorlage des Postausgangsbuches bei Bevollmächtigten, die Rechtsberatung berufsmäßig ausüben, zur Glaubhaftmachung des Absendevorgangs regelmäßig erforderlich ist, wird in der Tat in der BFH-Rechtsprechung ständig hervorgehoben (vgl. u.a. , BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266; , BFH/NV 1995, 1002; Senatsbeschluss vom I B 40/04, juris).
a) Es ist im Zusammenhang mit dem Verbot überraschender Rechtsanwendung durch ein Gericht in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass das Gericht zu einem ausführlichen Rechtsgespräch mit den Beteiligten nicht verpflichtet ist (z.B. , BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt nicht, dass das Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert (z.B. , BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375) bzw. die einzelnen für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte im Voraus andeutet (z.B. , BFH/NV 2005, 1078). Allerdings darf das Gericht nicht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung machen und damit dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (z.B. , BFH/NV 1998, 325).
Diese Maßgabe ist zur Begrenzung des Umfangs der Prozessfürsorgepflicht bzw. der richterlichen Hinweispflicht des § 76 Abs. 2 FGO sinnentsprechend heranzuziehen (so in der Sache , BFH/NV 2006, 1507). Ist ein Beteiligter anwaltlich vertreten und ist der Verfahrensgegenstand auf der Grundlage feststehender Rechtsgrundsätze zu beurteilen, ist das Gericht unter Wahrung einer Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1507) nicht gehalten, darauf hinzuweisen, wie ein Beteiligter seinen Vortrag glaubhaft(er) gestalten könne ( (PKH), BFH/NV 2006, 1131).
b) Nach diesen Maßstäben hat das FG seine richterliche Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO nicht verletzt.
2. Soweit die Klägerin eine Divergenz tragender Rechtssätze des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs rügt, erfüllt dies die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nicht. Denn der Hinweis des FG, dass eidesstattliche Versicherungen zur Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Fristversäumnis nicht ausreichen würden, wenn die rechtzeitige Aufgabe eines Schriftstücks zur Post streitig sei, sondern dass vielmehr dargelegt werden müsse, weshalb objektive Beweismittel nicht vorgelegt werden könnten, ist jedenfalls nicht als ein die Entscheidung tragender Rechtssatz des FG anzusehen. Denn das FG ergänzt in dieser Urteilspassage nur seine die Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung tragende Würdigung des Vortrags der Klägerin im vorherigen Absatz der Entscheidungsgründe. Dort wird das Ergebnis, dass die Klägerin eine rechtzeitige Versendung der Klageschrift nicht glaubhaft gemacht habe, insbesondere darauf gestützt, dass im Aussetzungsantrag an das FA davon die Rede sei, dass die Klägerin derzeit eine Klage vorbereite, was gegen die Abfassung einer Klageschrift am spreche, und dass die Absendung der Klageschrift nicht durch ein Postausgangsbuch belegt worden sei.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
StB 2008 S. 352 Nr. 10
HAAAC-90108