Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5
Instanzenzug: LG Osnabrück, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die tatrichterliche Beweiswürdigung. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verfahrens- und die Sachrüge erhebt, führt lediglich zum Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung.
I. Nach den Feststellungen waren der erheblich alkoholisierte Angeklagte und die ebenfalls stark angetrunkene und zusätzlich unter dem Einfluss verschiedener Medikamente stehende Geschädigte in der gemeinsamen Wohnung in einen längeren Streit geraten. Schließlich begab sich die Geschädigte in das Schlafzimmer und legte sich ins Bett. Nachdem der Angeklagte ihr gefolgt war, kam es nunmehr auch zu einem Gerangel, in dessen Verlauf der Angeklagte der Geschädigten mehrere Büschel Haare ausriss. Außerdem drückte er das Gesicht der auf dem Bauch liegenden, schimpfenden und schreienden Frau in der Absicht, sie zur Ruhe zu bringen, von hinten mindestens einige Sekunden, jedenfalls aber so lange auf das Kopfkissen, bis sie keinen Laut mehr von sich gab. Im zeitlichen Zusammenhang mit diesem Geschehen verstarb die Geschädigte.
II. Revision der Staatsanwaltschaft
1. Das Landgericht hat das Ausreißen der Haare und das Drücken des Kopfes in das Kissen als vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 StGB) gewürdigt. An einer Verurteilung wegen Totschlags (§ 212 StGB) oder Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) hat es sich gehindert gesehen, weil eine Kausalität des Handelns des Angeklagten für den Eintritt des Todes der Geschädigten nicht sicher festgestellt werden könne. Außerdem sei nicht nachweisbar, dass der Angeklagte diese Straftatbestände in subjektiver Hinsicht erfüllt habe. Wegen der auf jahrelangem Alkoholmissbrauch beruhenden kognitiven Defizite des Angeklagten, einer möglicherweise im Tatzeitpunkt vorliegenden affektiven Erregung und der hohen Alkoholisierung sei nicht feststellbar, dass der Angeklagte den Tod des Opfers gewollt oder mit ihm gerechnet und ihn billigend in Kauf genommen habe. Ebenso wenig sei sicher festzustellen, dass der Eintritt des Todes für den Angeklagten voraussehbar gewesen sei. Eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) scheide aus, weil die Tat nicht auf eine Lebensgefährdung angelegt gewesen sei.
Diese Ausführungen halten sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Soweit das Landgericht gemeint hat, nicht ausschließen zu können, dass allein die Alkoholisierung des Opfers im Zusammenwirken mit dem Medikamenteneinfluss eine Atemstörung und dadurch den Tod verursacht habe, hat es den Grundsatz "in dubio pro reo" vor einer ausreichenden Würdigung der erhobenen Beweise und damit rechtsfehlerhaft angewendet.
Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat ausgeführt, als Todesursache komme sowohl eine spurenarme Tötung, ein Erstickungstod zusammen mit der Alkoholbeeinflussung oder allein die Alkoholbeeinflussung zusammen mit der Medikamentenaufnahme in Betracht. Die ersten beiden Alternativen, bei denen die Kausalität des Handelns des Angeklagten für den Tod des Opfers zu bejahen wäre, hat der Sachverständige als "möglich" und "denkbar" bezeichnet. Demgegenüber hat er es als "nicht nahe liegend" bewertet, dass der Alkohol- und Medikamenteneinfluss allein ohne eine Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr tödlich gewesen sei, da bei der trinkgewohnten Geschädigten eine Alkoholbeeinflussung von 3 bis 5 Promille erforderlich gewesen sei, um tödlich zu wirken; es sei bei ihr aber nur von einer Blutalkoholkonzentration von 2,6 Promille auszugehen. Es sei jedoch gleichwohl "nicht auszuschließen", dass allein die Alkoholisierung im Zusammenwirken mit dem Medikamenteneinfluss eine Atemstörung verursacht und dadurch die Todesursache gesetzt habe.
Diesen Ausführungen folgend ist das Landgericht allein mit dem Hinweis darauf, es könne nicht festgestellt werden, wie lange das Anpressen des Kopfes des Opfers gegen das Kissen gedauert habe, von der letzten, fern liegenden Möglichkeit ausgegangen. Damit hat es nicht bedacht, dass der Zweifelssatz eine Entscheidungsregel ist, die das Tatgericht erst dann anzuwenden hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2005, 209; NStZ 2001, 609). Das Landgericht hätte deshalb vor Anwendung des Zweifelssatzes eine umfassende Würdigung aller relevanten tatsächlichen Umstände vornehmen müssen. Dabei wäre etwa zu erwägen gewesen, dass das Opfer bereits längere Zeit im Übermaß dem Alkohol zugesprochen und Medikamente eingenommen hatte, ohne dass es in der Vergangenheit zu lebensbedrohlichen Situationen gekommen war. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer dazu verhalten müssen, dass es der allgemeinen Lebenserfahrung widerspricht, dass die Geschädigte gerade in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit, dass sie von dem Angeklagten körperlich misshandelt und ihr Gesicht so lange in ein Kissen gedrückt wurde, bis sie sich nicht mehr rührte, allein aufgrund des Alkohol- und Medikamenteneinflusses verstorben sein soll. Statt eine solche Würdigung vorzunehmen und zu bedenken, dass eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist und die bloße gedankliche, abstrakt theoretische Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein könnte, die Verurteilung nicht hindern darf (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 261 Rdn. 2 jeweils m. w. N.), ist das Landgericht jedoch für den Fall, dass der Eintritt des Todes des Opfers völlig unabhängig von der verübten Gewalt als "zuviel Zufall" anzusehen sei, vorschnell auf die Prüfung der subjektiven Tatseite ausgewichen.
b) Auch die Verneinung der Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands jedenfalls der Körperverletzung mit Todesfolge und der gefährlichen Körperverletzung begegnet indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob dem Angeklagten hinsichtlich der Verursachung des Todes zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB), zunächst zutreffend darauf abgestellt, ob vom Angeklagten in seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Eintritt des Todes des Opfers vorausgesehen werden konnte.
Soweit die Strafkammer es jedoch für maßgebend gehalten hat, ob der Eintritt des Todes "insbesondere bei einem möglicherweise nur wenige Sekunden dauernden Drücken des Gesichts in das Kissen" für den Angeklagten voraussehbar gewesen sei, ist sie von einem unzutreffenden Ansatzpunkt ausgegangen. Zwar hat sie nicht festzustellen vermocht, wie lange der Angeklagte den Kopf des Opfers in das Kissen presste. Hierauf kommt es jedoch bei der Beurteilung der Vorhersehbarkeit des Todeseintritts für den Angeklagten nicht entscheidend an. Denn nach den Feststellungen wollte er das Gesicht der Geschädigten jedenfalls so lange in das Kissen drücken, bis diese ruhig war, unabhängig davon, wie viel Zeit hierfür konkret erforderlich war. Diesen Plan setzte er auch in die Tat um. Das Landgericht hätte deshalb die konkrete Absicht des Angeklagten zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen machen und prüfen müssen, ob vor diesem Hintergrund der Angeklagte vorhergesehen hat oder vorhersehen konnte, dass es zum Tod des Opfers führen kann, wenn dessen Gesicht so lange in ein Kissen gedrückt wird, bis es ruhig ist. Auf die Frage, ob das vom Täter verfolgte Handlungsziel früher eintritt, als er es sich möglicherweise vorgestellt hat, kommt es demgegenüber nicht an. Der Senat kann mit Blick auf die offensichtliche objektive Gefährlichkeit der Vorgehensweise des Angeklagten und den Umstand, dass sich die Vorhersehbarkeit nicht auf die einzelnen physichen Vorgänge erstrecken muss, die als Folge der Körperverletzung im konkreten Fall den Tod herbeiführen (vgl. Stree in Schönke/Schrö-der, StGB 26. Aufl. § 227 Rdn. 7 m. w. N.), nicht ausschließen, dass das Landgericht in diesem Fall auch bei Berücksichtigung der Beeinträchtigungen des Angeklagten die Voraussehbarkeit des Eintritts des Todes bejaht hätte.
bb) Die Ausführungen der Strafkammer zu den subjektiven Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB weisen denselben Rechtsfehler auf. Für die Beurteilung, ob die Tat des Angeklagten subjektiv auf eine Lebensgefährdung angelegt war (vgl. BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Lebensgefährdung 6), kommt es ebenfalls nicht darauf an, dass das Pressen des Gesichts auf das Kissen möglicherweise nur kurze Zeit dauerte. Vielmehr ist auch in diesem Zusammenhang entscheidend, dass der Angeklagte das Opfer so lange in das Kissen drücken wollte, bis es ruhig war, und dies auch tat.
2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat teilweise auch zu Gunsten des Angeklagten Erfolg (§ 301 StPO). Es führt zum Wegfall des Ausspruchs über die Strafaussetzung zur Bewährung; denn die Zeit der erlittenen Untersuchungshaft übersteigt die erkannte Strafe. Von der Möglichkeit, die Untersuchungshaft nicht auf die Strafe anzurechnen (§ 51 Abs. 1 Satz 2 StGB), hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Die erkannte Strafe ist deshalb bereits vollständig verbüßt und kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden (vgl. BGHSt 31, 25; BGH NJW 2002, 1356). Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos (vgl. BGHR StGB § 56 Aussetzung 1).
III. Revision des Angeklagten
Auf das Rechtsmittel des Angeklagten ist aus den dargelegten Gründen der Strafausspruch abzuändern, soweit die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist; im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Der geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels macht es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Gebühren und Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).
IV. Sofortige Beschwerde des Angeklagten
Die nicht begründete, jedoch ersichtlich gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten ist durch die Aufhebung des Urteils gegenstandslos.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAC-87845
1Nachschlagewerk: nein