BFH Beschluss v. - I B 207/07

Verfahrensfehler bei fehlerhafter Beurteilung von Sachentscheidungsvoraussetzungen

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

I. Streitig ist vorrangig die Klagebefugnis nach der Rücknahme eines Verwaltungsakts.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, hatte sich gegenüber der im Ausland ansässigen Konzertagentur X verpflichtet, deren Tourneeveranstaltungen in Deutschland durchzuführen und hierüber mit der X jeweils Absprachen zu treffen. Die Klägerin beantragte bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) jeweils im Anschluss an Auftritte von Künstlergruppen unter Bezugnahme auf das (BStBl I 1983, 382) „die Freistellung von Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG der mitwirkenden Künstler, die an der von der X organisierten Europatournee…in Deutschland teilnahmen”. Das FA erteilte antragsgemäß Bescheinigungen „über die Freistellung von Steuerabzug gem. § 50a EStG” für vier Veranstaltungen. Mit Bescheid vom nahm das FA die Bescheinigungen gegenüber der Klägerin unter Hinweis auf § 130 der Abgabenordnung (AO) zurück und lehnte die Erteilung weiterer Bescheinigungen ab, da nicht die Klägerin, sondern die X Vertragspartnerin der ausländischen Künstler gewesen sei. Das Klageverfahren, mit dem geltend gemacht wurde, dass die Voraussetzungen des § 130 AO nicht erfüllt seien, da nicht ein Fehlverhalten der Klägerin, sondern eine unzutreffende rechtliche Betrachtung des FA zur Erteilung der Bescheinigungen geführt habe, blieb erfolglos (Finanzgericht —FG— München, Urteil vom 2 K 2701/03).

Die Klägerin beantragt unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtordnung (FGO), die Revision gegen das FG-Urteil zuzulassen.

Das FA hat zum Verfahren nicht Stellung genommen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Der von der Klägerin schlüssig geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor und das Urteil des FG kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

1. Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel bei der Entscheidung des FG über die Klage ausreichend bezeichnet i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Sie hat auch dargelegt, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, da ihre materiell-rechtlichen Einwendungen bisher nicht berücksichtigt wurden.

2. Das FG hat einen Verfahrensmangel herbeigeführt, indem es die Sachentscheidungsvoraussetzungen fehlerhaft beurteilt und zu Unrecht ein Prozessurteil statt eines Sachurteils gefällt hat (s. insoweit z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 78, 80; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 115 FGO Rz 104).

Nach § 40 Abs. 2 FGO ist die Klage —soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist— nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Klagebefugt ist damit, wer geltend macht, durch einen Verwaltungsakt selbst in seinen Rechten verletzt zu sein (z.B. , BFHE 133, 331, BStBl II 1981, 696; Senatsurteil vom I R 219/69, BFHE 104, 520, BStBl II 1972, 377). Ein Kläger muss dabei —soweit es um die Prüfung seiner Klagebefugnis geht— nicht tatsächlich beschwert sein. Es reicht aus, dass er nach seinem schlüssigen Vorbringen durch den Verwaltungsakt beeinträchtigt erscheint.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Klägerin hat beim FA durch einen Antrag auf Erteilung eines Verwaltungsakts (Bescheinigung) ein Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt; dem Antrag wurde durch die Erteilung des begehrten Verwaltungsakts jeweils entsprochen. Später hat das FA —durch eigenständigen und an die Klägerin als Adressatin gerichteten belastenden Verwaltungsakt— die Bescheinigungen zurückgenommen. Unabhängig von der Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigungen vorgelegen haben, kann die Klägerin insoweit geltend machen, durch die (nach ihrer Rechtseinschätzung rechtswidrige) Rücknahme in ihrer Rechtsposition berührt zu sein. Auch der rechtswidrig Begünstigte muss nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO eine Beeinträchtigung seiner Position hinnehmen.

3. Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, kann der BFH durch Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Auf die Frage, ob die Klägerin den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ausreichend dargelegt hat, kommt es nicht an; dieser Zulassungsgrund hätte auch keinen Vorrang gegenüber § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (s. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 74).

4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens trifft das FG im Rahmen seiner instanzbeendenden Entscheidung (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 116 FGO Rz 81 f.; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 116 Rz 68).

Fundstelle(n):
TAAAC-87354