BGH Urteil v. - IX ZR 132/07

Leitsatz

[1] Nach Insolvenzeröffnung fällig werdende Ansprüche auf Kosten und Zinsen werden von dem Recht auf abgesonderte Befriedigung erfasst (Fortführung von BGHZ 134, 195).

Gesetze: InsO § 49; InsO § 50; InsO § 39 Abs. 1 Nr. 1; InsO § 39 Abs. 1 Nr. 2; InsO § 169

Instanzenzug: LG Aachen, 1 O 400/06 vom OLG Köln, 2 U 137/06 vom

Tatbestand

Die klagende S. gewährte der P. oHG (fortan: Schuldnerin) in erheblichem Umfang Darlehensmittel. Zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen trat die Schuldnerin ihre Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gegen alle Kunden mit den Anfangsbuchstaben A bis Z an die Klägerin ab.

Am wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die von der Klägerin in Höhe von 1.782.738,01 € angemeldete Forderung wurde von dem Beklagten vollständig befriedigt. Der Beklagte zog weitere Forderungen über 370.552,83 € ein, die aufgrund der Globalzession an die Klägerin abgetreten waren.

Gegenstand der Klage ist eine unstreitige Restforderung der Klägerin wegen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandener Verzugszinsen und Verfahrenskosten in Höhe von 217.203,08 €. Auch insoweit beansprucht sie Befriedigung aus den von dem Beklagten eingezogenen Forderungen. Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in NZI 2007, 528 veröffentlich ist, hat ausgeführt, das Absonderungsrecht der Klägerin erstrecke sich auch auf ihre nach Insolvenzeröffnung bis zur Verwertung entstandenen Zins- und Kostenansprüche. Im Anwendungsbereich der Konkursordnung habe der Bundesgerichtshof entschieden (BGHZ 134, 195), dass sich die Regelung des § 63 Nr. 1 KO, wonach seit der Eröffnung des Verfahrens laufende Zinsen im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden könnten, nicht auf Absonderungsrechte beziehe. An dieser rechtlichen Würdigung habe sich nach dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung nichts geändert, weil § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO abweichend von § 63 Nr. 1 KO nach Insolvenzeröffnung entstandene Zinsforderungen berücksichtige und folglich aufgewertet habe. Damit vertrage es sich nicht, Zinsforderungen im Rahmen der Absonderung schlechter zu behandeln. Im Übrigen seien Absonderungsrechte für Verbindlichkeiten Dritter voll zu berücksichtigen, obwohl insoweit eine Insolvenzforderung gar nicht bestehe. Danach könne das Absonderungsrecht keinen geringeren Umfang haben, wenn es mit einer nachrangigen Insolvenzforderung verknüpft sei. Durch die Einbeziehung nachinsolvenzlicher Zins- und Kostenforderungen werde ein Wertungswiderspruch zwischen § 49 InsO einerseits und §§ 50, 51 InsO andererseits vermieden, weil bei der in § 49 InsO geregelten Verwertung unbeweglichen Vermögens gemäß § 109 Abs. 1 ZVG die Verfahrenskosten vorab aus dem Verwertungserlös zu begleichen seien und die Befriedigung in der Rangfolge der §§ 10 ff ZVG stattfinde.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

1. Der Bundesgerichtshof hat unter der Geltung der Konkursordnung aus den nachfolgenden, von dem Berufungsgericht zutreffend angeführten Erwägungen entschieden, dass sich das Recht auf abgesonderte Befriedigung auf nach Konkurseröffnung bis zur Verwertung entstandene Zins- und Kostenansprüche erstreckt (BGHZ 134, 195): Das Absonderungsrecht decke entsprechend der Reihenfolge des § 367 Abs. 1 BGB zunächst die Kosten, dann die Zinsen und zuletzt das Kapital ab. Die Bestimmung des § 63 Nr. 1 KO, nach deren Inhalt seit der Eröffnung laufende Zinsen im Konkursverfahren unberücksichtigt blieben, beziehe sich nicht auf Absonderungsrechte, die unabhängig vom Konkursverfahren (§ 4 Abs. 2 KO) zu befriedigen seien (BGHZ aaO S. 197). Der Gesetzgeber habe nach Eröffnung entstehende Forderungen dem Konkursverfahren lediglich entzogen, weil er derartige Ansprüche nicht als zur Zeit der Verfahrenseröffnung begründet (§ 3 Abs. 1 KO) angesehen habe. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger gebiete nicht, nach Konkurseröffnung entstandene Zinsen bei der Erlösbeteiligung außer Betracht zu lassen, weil er für außerhalb des Insolvenzverfahrens zu realisierende Rechte nicht gelte (BGHZ aaO S. 198). Da § 127 Abs. 1 KO dem Konkursverwalter ein eigenständiges Verwertungsrecht einräume, werde der Gläubiger nicht in die Lage versetzt, durch eine verzögerliche Verwertung seinen Zinsanspruch zu erweitern. Sei der Gläubiger zur Selbstverwertung befugt, könne ihm auf Veranlassung des Verwalters gemäß § 127 Abs. 2 KO von dem Konkursgericht eine Frist bestimmt werden, nach deren fruchtlosem Ablauf der Verwalter die Verwertung selbst vornehmen könne. Außerdem könne sich aus dem Sicherungsgeschäft ein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen einen Gläubiger ergeben, der die Verwertung schuldhaft verzögere (BGHZ aaO S. 199).

2. Diese Erwägungen entsprechen entgegen der Ansicht der Revision nach nahezu einhelliger Auffassung auch der nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung maßgeblichen Gesetzeslage (OLG Hamburg DZWIR 2003, 79, 80 mit zustimmender Anm. Flitsch; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. Rn. 59 vor §§ 49-52; MünchKomm-InsO/Ehricke, aaO § 39 Rn. 15; Jaeger/Henckel, InsO § 39 Rn. 13, § 52 Rn. 23; Braun/Bäuerle, InsO 3. Aufl. § 39 Rn. 6, § 52 Rn. 8; FK-InsO/Joneleit/Imberger, 4. Aufl. § 52 Rn. 3; HK-InsO/Eickmann, 4. Aufl. § 39 Rn. 7, 8, § 52 Rn. 11; HmbKomm-InsO/Lüdtke, 2. Aufl. § 39 Rn. 8; HmbKomm-InsO/Büchler, aaO Rn. 16 vor §§ 49 bis 51; § 52 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Andres, InsO § 39 Rn. 6; Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl. § 42 Rn. 4; Weis in Hess/Weis/Wienberg, InsO 2. Aufl. § 50 Rn. 11; Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 50 Rn. 19; Grub DZWIR 2002, 441, 443; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 49 Rn. 6 a.E.; vgl. aber auch ders., aaO § 50 Rn. 49, § 52 Rn. 8). Darum findet die Klageforderung ihre Grundlage in § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO.

a) In Abkehr von § 63 Nr. 1 und 2 KO sieht § 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO ausdrücklich vor, dass nach Insolvenzeröffnung bis zur Verwertung entstandene Zins- und Kostenforderungen am Insolvenzverfahren teilnehmen. Trotz der Einstufung dieser Ansprüche als nachrangige Insolvenzforderungen sind sie - was die Revision verkennt - im Vergleich zur gänzlichen Nichtberücksichtigung unter dem früheren Rechtszustand günstiger gestellt worden. Im Lichte der Entscheidung BGHZ 134, 195, 197, die das Absonderungsrecht bereits auf diese nicht am Konkursverfahren teilnehmenden Forderungen ausgedehnt hatte, spricht die gewandelte Rechtslage nachdrücklich dafür, die nunmehr ausdrücklich in das Insolvenzverfahren einbezogenen Zins- und Kostenforderungen weiterhin im Rahmen der abgesonderten Befriedigung zu beachten (MünchKomm-InsO/Ganter, aaO).

b) Für die Beurteilung der hier anstehenden Rechtsfrage ist es - anders als die Revision meint - ohne Bedeutung, dass die Realisierung der Absonderungsrechte abweichend von § 4 Abs. 2 KO gemäß §§ 50 ff, 166 ff InsO innerhalb des Insolvenzverfahrens stattfindet.

Trotz der Gefahren, die nach früherem Recht bei einer Selbstverwertung durch den Gläubiger aus einer verzögerlichen Verwertung und der damit verbundenen Erweiterung der Zinsforderung für die Masse entstehen konnten, hat der Bundesgerichtshof nachkonkursliche Zins- und Kostenansprüche der abgesonderten Verwertung unterworfen (BGHZ aaO S. 199). Da die Verwertung nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung in den Händen des Verwalters liegt und darum derartige Unzuträglichkeiten nicht mehr zu befürchten sind, besteht kein Anlass, abweichend von der früheren Entscheidung nunmehr nachinsolvenzliche Zins- und Kostenforderungen aus der abgesonderten Verwertung auszuklammern.

c) Dem Wortlaut des § 50 Abs. 1 InsO kann nicht - wie von der Revision befürwortet - entnommen werden, dass nach Insolvenzeröffnung begründete Nebenforderungen bei der abgesonderten Befriedigung außer Betracht bleiben.

aa) Eine Leistung des Schuldners wird gemäß § 367 BGB zunächst auf die Zinsen, dann auf die Kosten und zuletzt auf die Hauptleistung angerechnet. Gläubiger sind gemäß § 50 Abs. 1 InsO für die Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung aus dem Pfandgegenstand berechtigt. Aus der in beiden Vorschriften zum Ausdruck kommenden unterschiedlichen Forderungsreihenfolge wird vereinzelt hergeleitet, dass die Befriedigung auf die Hauptforderung und erst anschließend auf die Zinsen und Kosten erfolgt und darum die nach Verfahrenseröffnung entstehenden Zins- und Kostenforderungen bei der abgesonderten Befriedigung keine Beachtung finden (Uhlenbruck, aaO § 50 Rn. 49, § 52 Rn. 8).

bb) Ob die Tilgungsreihenfolge des § 367 BGB auch im Rahmen des § 50 Abs. 1 InsO gilt, kann dahinstehen, weil der Absonderungserlös aus den an die Klägerin abgetretenen Forderungen auch die nach Verfahrenseröffnung entstandenen Forderungen abdeckt (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 52 Rn. 30). Jedenfalls kann aus dem Wortlaut des § 50 Abs. 1 InsO, der sich allenfalls mit der Tilgungsreihenfolge, aber nicht mit dem Umfang der durch das Absonderungsrecht gesicherten Forderung befasst, nicht geschlossen werden, dass nach Insolvenzeröffnung begründete Zins- und Kostenforderungen bei der abgesonderten Befriedigung außer Betracht zu lassen sind. Die Tilgungsreihenfolge besagt nichts über die Reichweite des Absonderungsrechts.

cc) Für dieses Verständnis spricht eine weitere Erwägung: Übernimmt der Schuldner für eine Drittverbindlichkeit die dingliche Haftung, genießt das Absonderungsrecht in voller Höhe Geltung, obwohl der Sicherungsnehmer kein Insolvenzschuldner ist. Bei dieser Sachlage ist es allein folgerichtig, dass sich ein Absonderungsrecht, dem - anders als bei einer Drittbesicherung - eine Insolvenzforderung zugrunde liegt, auch auf die gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO nachrangigen Zins- und Kostenforderungen erstreckt (MünchKomm-InsO/Ganter, Rn. 59 vor §§ 49 bis 52). Der Nachrang des § 39 InsO wird folglich im Rahmen der abgesonderten Befriedigung durch §§ 49 ff InsO verdrängt (MünchKomm-InsO/Ganter, aaO Rn. 59b vor §§ 49 bis 52).

d) Die Berücksichtigung nachinsolvenzlicher Zins- und Kostenforderungen zugunsten gemäß §§ 50, 51 InsO Absonderungsberechtigter steht überdies mit den in § 49 InsO geregelten Rechtsfolgen abgesonderter Befriedigung aus unbeweglichem Vermögen in Einklang (Braun/Bäuerle, aaO § 39 Rn. 6).

Besteht das Absonderungsrecht an unbeweglichem Vermögen, bestimmt sich die abgesonderte Befriedigung gemäß § 49 InsO nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG). Gemäß § 44 Abs. 1, § 49 Abs. 1, § 109 Abs. 1, § 155 Abs. 1 ZVG sind die Verfahrenskosten vorweg zu berichtigen. Laufende Zinsansprüche finden ebenfalls Berücksichtigung (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG).

e) Schließlich lässt auch § 169 InsO entgegen der Ansicht der Revision nicht erkennen, dass nachinsolvenzliche Zins- und Kostenforderungen bei der abgesonderten Befriedigung außer Ansatz bleiben.

aa) Dem Gläubiger sind gemäß § 169 InsO vom Berichtstermin an laufend die geschuldeten Zinsen aus der Insolvenzmasse zu zahlen, solange ein Gegenstand, zu dessen Verwertung der Insolvenzverwalter nach § 166 InsO berechtigt ist, nicht verwertet wird. Die Bestimmung verfolgt den Zweck, absonderungsberechtigte Gläubiger vor einer Verzögerung der Verwertung durch den Insolvenzverwalter und die daraus folgenden Nachteile zu schützen (BGHZ 166, 215, 218 Rn. 13; MünchKomm-InsO/Lwowski/Tetzlaff, aaO § 169 Rn. 1). Der nach der Dauer der Verzögerung (MünchKomm-InsO/Lwowski/Tetzlaff, aaO § 169 Rn. 28, 34 ff) zu bemessende Zinsanspruch richtet sich gegen die Masse (MünchKomm-InsO/Lwowski/Tetzlaff, aaO § 169 Rn. 39).

bb) Von dem Anspruch auf Zinszahlung wegen einer Verzögerung der Verwertung durch den Insolvenzverwalter ist die Erhebung von Zinsansprüchen absonderungsberechtigter Gläubiger im Rahmen des Verwertungsverfahrens zu unterscheiden (MünchKomm-InsO/Lwowski/Tetzlaff, aaO § 169 Rn. 4; Grub DZWIR 2002, 441, 443). Von der Regelung des § 169 InsO ist die Befugnis absonderungsberechtigter Gläubiger unberührt, sich aus den Sicherheiten sowohl wegen aller rückständigen als auch wegen aller laufenden Zins- und Kostenansprüche zu befriedigen (MünchKomm-InsO/Lwowski/Tetzlaff, aaO § 169 Rn. 28; HK-InsO/Landfermann, aaO § 169 Rn. 16; A. Funk, Die Sicherungsübereignung in Einzelzwangsvollstreckung und Insolvenz 1996 S. 90 f). Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des § 169 InsO jedoch berücksichtigt, dass der Anspruch des absonderungsberechtigten Gläubigers auf Begleichung der nach Insolvenzeröffnung begründeten Zinsforderungen nur praktische Bedeutung erlangt, falls der Verwertungserlös tatsächlich die nachinsolvenzlichen Forderungen abdeckt (HK-InsO/Landfermann, aaO). Zum Schutze der Absonderungsberechtigten schuldet die Masse unabhängig von einer Deckung der stetig anwachsenden laufenden Zinsforderungen durch das Sicherungsgut gemäß § 169 InsO bereits Zinsen, wenn es zu einer Verzögerung der Verwertung kommt. Diese Zinspflicht dient dazu, das Sicherungsgut nicht durch zusätzliche, auf einer verzögerten Verwertung beruhende Zinsansprüche auszuhöhlen. Mit Hilfe des selbständigen, das Verwertungsrecht ergänzenden Anspruchs aus § 169 InsO wird vermieden, dass das Sicherungsgut wegen der aufgelaufenen Zinsen nicht mehr für eine umfassende Befriedigung des Gläubigers ausreicht (A. Funk, aaO). Damit unterstreicht § 169 InsO die Befugnis der absonderungsberechtigten Gläubiger, sich auch wegen nach Verfahreneröffnung entstandener Nebenforderungen aus dem Sicherungsgut zu befriedigen. Freilich vermindert sich die bei der Verwertung zu berücksichtigende Zinsforderung des Gläubigers um die ihm nach § 169 InsO von der Masse gezahlten Zinsen (HK-InsO/Landfermann, aaO).

Fundstelle(n):
DStR 2009 S. 57 Nr. 1
NJW 2008 S. 3064 Nr. 42
SJ 2008 S. 49 Nr. 25
WM 2008 S. 1660 Nr. 35
ZIP 2008 S. 1539 Nr. 33
AAAAC-87249

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja