Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 154 Abs. 2; StPO § 265; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3
Instanzenzug: LG Berlin, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 13 Fällen und wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg erzielt und im Übrigen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist. Die auf die Verletzung des § 265 i.V.m. § 154 Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge hätte hier lediglich Einfluss auf die Höhe der Gesamtstrafe, die schon wegen des Erfolgs der Sachrüge keinen Bestand hat.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte seine zu Beginn der abgeurteilten Tatserie elf Jahre alte Stieftochter über einen Zeitraum von etwa vier Jahren. Die Tat II. 16 der Urteilsgründe hat das Landgericht als sexuelle Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) abgeurteilt. Diese Würdigung hält auf der Grundlage der Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt erachtet der Senat das Vorhandensein einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB für nicht tragfähig begründet. Voraussetzung für die Annahme einer solchen Lage ist, dass das Opfer die Tat aus Angst vor Gefahren für Leib oder Leben über sich ergehen lässt, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (BGHSt 51, 280, 284; BGHSt 50, 359, 365). Dabei reicht es aus, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Schutzlose Lage 5, 7, 8). Ein solches schutzloses Ausgeliefertsein lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, da Feststellungen zu den äußeren Umständen des Tatgeschehens, etwa zum Tatort, zu den Fluchtmöglichkeiten oder zur Anwesenheit Dritter ebenso fehlen wie solche zur Aussicht auf Erfolg körperlichen Widerstands (vgl. BGHSt 50, 359, 362).
Darüber hinaus ist nicht dargelegt, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung nicht gegen den Täter zur Wehr gesetzt hat. Nach den Feststellungen war die Nebenklägerin verängstigt, da sie fürchtete, "anschaffen gehen" zu müssen. Das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens einer schutzlosen Lage erfasst aber nur solche Fälle, in denen ein möglicher Widerstand aus Angst vor körperlichen Gewalthandlungen unterbleibt. Es genügt hingegen nicht, dass das Opfer dies aus Angst vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGHSt 51, 280, 284; vgl. auch BGH NStZ 2003, 533, 534). Eine solche Angst vor körperlichen Einwirkungen wird durch die Feststellungen nicht getragen. Die hinsichtlich der Tat zu II. 2 festgestellte Drohung mit einem Messer ist angesichts der bis zur Tat II. 16 verstrichenen drei Jahre ohne Gewalthandlungen nicht geeignet, die Furcht der Nebenklägerin vor der Wiederholung eines solchen Geschehens zu belegen.
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass ein neuer Tatrichter ergänzende Feststellungen wird treffen können, die den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB belegen. Er verweist die Sache deshalb insoweit zurück. Sollten sich solche Feststellungen nicht treffen lassen, wird neben der schon bisher rechtsfehlerfrei erfolgten Würdigung als sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen ein Schuldspruch wegen Nötigung (§ 240 StGB) sowohl im Hinblick auf das Aussetzen mit dem Ziel, "anschaffen" zu gehen, als auch wegen der sexuellen Handlungen durch konkludente Drohung mit dem Zwang zur Prostitution in Betracht zu ziehen sein.
3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 16 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Da die Urteilsgründe eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausweisen, wird der neue Tatrichter dieser erneut - indes unter Berücksichtigung der bereits vorgenommenen Reduzierung der aufrecht erhalten gebliebenen Einzelfreiheitsstrafen - durch eine Kompensation Rechnung zu tragen haben. Dabei wird er nach den Maßgaben des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichthofs vom - GSSt 1/07 (NJW 2008, 860) vorzugehen haben. Das neue Tatgericht wird Strafzumessungserwägungen, die sich ohne entsprechenden Hinweis auf die eingestellten Taten und ohne neue Feststellungen hierzu beziehen, zu vermeiden haben.
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Fundstelle(n):
EAAAC-85204
1Nachschlagewerk: nein