BGH Beschluss v. - 5 StR 143/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 154 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4

Instanzenzug: LG Zwickau, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem Fall sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage lag dem Angeklagten zur Last, er habe die am geborene Nebenklägerin zwischen April 1997 und Sommer 2000 in sieben Fällen sexuell missbraucht, davon in einem Fall zudem vergewaltigt.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vier dieser Vorwürfe verurteilt, wobei es den Beginn des Tatzeitraums auf Januar 1997 ausgedehnt hat. Das Verfahren wegen des nach der Anklageschrift zeitlich ersten Vorfalls (Tatzeit frühestens April 1997 bis ) sowie des ersten angeklagten Geschlechtsverkehrs im Zeitraum Juni 1999 bis Sommer 2000 und eines ebenfalls in diesen Tatzeitraum fallenden Oralverkehrs hat das Landgericht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

Seine Überzeugung vom festgestellten Tatgeschehen hat das Landgericht auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt, die es als glaubhaft angesehen hat. Als wesentlichen, für die Glaubhaftigkeit der Aussage sprechenden Umstand hat es hervorgehoben, dass die Nebenklägerin keine Tendenzen erkennen lasse, den Angeklagten zu Unrecht zu belasten. Zu Tage getretene Widersprüche im Aussageverhalten - vor allem hinsichtlich der Angaben zum ersten Geschlechtsverkehr - hat es auf eine begrenzte Erinnerungsfähigkeit bezüglich der am weitesten zurückliegenden Sachverhalte zurückgeführt.

2. Die - auch unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen hierfür (BGHR StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Beweiswürdigung 5; Brause NStZ 2007, 505, 511) - zulässig erhobene Verfahrensrüge, mit der ein Erörterungsmangel jenseits des unmittelbaren Urteilsgegenstandes geltend gemacht wird, greift durch.

Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass in einem Fall, in dem der Anklagevorwurf allein auf der Aussage einer Belastungszeugin aufbaut, wegen einiger dieser Taten das Verfahren aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wird, den Gründen für die Einstellung Beweisbedeutung für die allein entscheidende Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin zukommen kann; wird der Grund nicht mitgeteilt, liegt hierin ein Erörterungsmangel (BGHSt 44, 153, 160; BGHR StPO § 154 Abs. 2 Teileinstellung 1; BGH NStZ 2003, 164). An einem solchen Erörterungsmangel leidet auch das vorliegende Urteil, denn es teilt nicht mit, warum die weiteren drei angeklagten Taten nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind. Zu einer Erörterung der hierfür maßgeblichen Gründe hätte aber Anlass bestanden, da dieses prozessuale Vorgehen mit der Würdigung der Angaben der Nebenklägerin untrennbar zusammenhängen kann.

Die nicht mehr verfolgten Anklagepunkte betrafen Sexualstraftaten zu Lasten der Nebenklägerin, die im Hinblick auf die Begehungsweise gegenüber den ausgeurteilten Taten nicht von untergeordnetem Gewicht waren. Zwei Tatvorwürfe, wegen denen das Verfahren eingestellt worden ist, fielen in den jüngsten Tatzeitraum, so dass die Erwägungen des Landgerichts zur begrenzten Erinnerungsfähigkeit der Nebenklägerin für die am längsten zurückliegenden Taten die Einstellung nicht begründen konnten. Hierbei musste zudem Berücksichtigung finden, dass die Urteilsfeststellungen zum Aussageverhalten der Nebenklägerin betreffend die Angaben sowohl zum ersten Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten als auch zu den Begleitumständen ihrer Entjungferung weniger von einer begrenzten Erinnerungsfähigkeit als von bestimmten Behauptungen sich widersprechender und einander ausschließender Sachverhaltsvarianten geprägt sind.

Die Ausführungen im Rahmen der Kostenentscheidung, eine Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse sei bei der "vorliegenden Verdachtslage" unbillig, ist - anders als der Generalbundesanwalt zu erwägen gibt - hier ebenfalls nicht ausreichend, um dem Revisionsgericht die Gründe für die Einstellung zu vermitteln und mögliche Auswirkungen derselben auf die Beweiswürdigung auszuschließen. Denn die nicht belegte Einschätzung, es bestehe hinsichtlich der eingestellten Vorwürfe eine - wohl gar als gravierend bewertete - Verdachtslage, erklärt nicht, wieso eine Einstellung erfolgt ist. Angesichts des Umstands, dass die den Angeklagten diesbezüglich allein belastende Nebenklägerin bereits umfassend gehört worden war, drängen sich prozessökonomische Gründe hierfür ebenfalls nicht auf.

Die von der Revision mitgeteilte mündliche Kommentierung des Vorsitzenden für die Einstellung in der Hauptverhandlung, eine ausreichende Konkretisierung dieser Vorwürfe sei nicht möglich, lässt im Hinblick auf das festgestellte Aussageverhalten der Nebenklägerin einen möglichen Zusammenhang mit der Würdigung ihrer Angaben ebenfalls nicht entfallen. Im Gegenteil: Es ist auffällig, dass insbesondere der zeitlich erste Vorwurf, hinsichtlich dessen das Verfahren eingestellt worden ist, nach der Anklage durch verschiedene individualisierende Umstände konkretisiert war, so z. B. durch das Hinzukommen des anwesenden Bruders in der Wohnung in der Heubnerstraße. Anders als bei der polizeilichen Vernehmung ist ein solcher Vorfall von der Nebenklägerin bei der Staatsanwaltschaft in Abrede gestellt worden, indem sie dort mitgeteilt hat, "in der Heubnerstraße sei es zu Übergriffen nur gekommen, wenn niemand zu Hause gewesen sei". Dies hat sie in der Vernehmung in der Hauptverhandlung abweichend dahingehend geschildert, dass der Angeklagte in der "Heubnerstraße nachts über sie hergefallen" sei und es "Geschlechtsverkehr gegeben" habe, "als Benny im Zimmer war". Diese festgestellten Fragwürdigkeiten im Aussageverhalten sind geeignet, einen Zusammenhang der von der Einstellung erfassten Vorwürfe mit der Würdigung der Angaben zu den ausgeurteilten Vorwürfen als möglich erscheinen zu lassen, auch wenn das Landgericht insoweit unzutreffend mangelnde Konkretisierung angenommen haben mag.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Begründungsanforderungen zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gelangt wäre.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass angesichts der Beweissituation die bisherige Darlegung der Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin auch im Übrigen nicht frei von Bedenken ist. So führt das Landgericht aus, dass die Nebenklägerin den Angeklagten im Jahr 1996 bereits einmal im Sinne sexueller Übergriffe belastet hatte und damals sogar durch ein Glaubhaftigkeitsgutachten belegte "deutliche Hinweise" auf eine teilweise falsche Belastung hinsichtlich Häufigkeit und Ausmaß sowie der Schilderung von Anal- und Oralverkehr vorgelegen haben. Die Erklärung des Landgerichts, dies sei auf eine damals existente familiäre Konfliktsituation zurückzuführen, die aktuell nicht mehr vorliege, greift zu kurz. Denn es lässt unbeachtet, dass die Nebenklägerin diese - dem Verdacht der Falschbelastung ausgesetzten - Vorwürfe trotz Wegfalls der Konfliktsituation wiederholt hat. So ist bisher festgestellt, dass sie den Angeklagten im Rahmen ihrer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung im Jahre 2007 pauschal des Anal- und Oralverkehrs in der Kasernenstraße, also im Zeitraum von Dezember 1994 bis April 1996 bezichtigt und dies teilweise in der Hauptverhandlung aufrechterhalten hat. Eine mögliche, auch aktuell beibehaltene Falschbelastung lässt den Schluss des Landgerichts, die Nebenklägerin weise keine Belastungstendenz auf, fragwürdig erscheinen. Zudem wird zu beachten sein, dass in solchen Fällen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht und sich die Unwahrheit eines Teils der Aussage des Belastungszeugen herausstellt, außerhalb der Zeugenaussage liegende Gründe von Gewicht erforderlich sind, die es dem Tatrichter ermöglichen, dem Zeugen im Übrigen dennoch zu glauben. Diese gewichtigen Gründe sind im Urteil darzulegen (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.; BGH NStZ 2000, 496).

Bei den gegebenen Besonderheiten im Aussageverhalten der Nebenklägerin liegt die von der Verteidigung begehrte Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen nahe, gerade auch im Blick darauf, dass solches in dem im Jahr 1997 gegen den Angeklagten geführten Verfahren mit weitgehend negativem Ergebnis für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben der Nebenklägerin geschehen war. Ob hiermit ein anderer Sachverständiger zu beauftragen ist, muss das neue Tatgericht nach vorbereitender Prüfung der gesamten Akten- und Beweislage und Anhörung der Prozessbeteiligten entscheiden.

Der Senat verweist die Sache an ein anderes Landgericht zurück.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NAAAC-85198

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