Wiedereinsetzung bei einem Büroversehen
Gesetze: AO § 110
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen (Klägerinnen) sind Schwestern, die jede mit notariell beurkundetem Vertrag vom von ihrem Vater (V) schenkweise jeweils 1/8 Miteigentumsanteile an zwei Grundstücken übertragen erhielten, von denen eines mit drei Hallen und das andere mit einer Halle bebaut waren. Die vier Hallen waren im Zeitpunkt der Übertragung vermietet. Den Erklärungen zur Feststellung der Grundbesitzwerte lag das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen an, wonach das Grundstück mit den drei Hallen am einen Verkehrswert von . € und das andere Grundstück einen Verkehrswert von . € haben sollte.
Mit nach Erwerberinnen und Grundstücken getrennten Bescheiden vom stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Grundbesitzwerte der Miteigentumsanteile gesondert fest, wobei es den Grundbesitzwert des Grundstücks mit den drei Hallen mit . € und den des anderen Grundstücks mit . € angesetzt und eine Bewertung nach § 146 des Bewertungsgesetzes in der 2005 geltenden Fassung (BewG) vorgenommen hatte. Die Bescheide wurden antragsgemäß gegenüber V bekannt gegeben, waren aber gegenüber den Klägerinnen als Adressaten ergangen.
Gegen den Bescheid legte die Steuerberaterin (SB) des V in dessen Namen am Einspruch ein und machte geltend, einen niedrigeren gemeinen Wert gemäß § 146 Abs. 7 BewG nachgewiesen zu haben.
Zugleich beantragte sie hinsichtlich der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dazu trug sie vor, V habe die Bescheide im Büro „vorbeigebracht” und der langjährigen und immer zuverlässigen Angestellten D übergeben. Entgegen strikter Anweisung, per Post eingehende oder persönlich abgegebene Bescheide ihr, der SB, unverzüglich vorzulegen und Rechtsbehelfsfristen umgehend zu registrieren, habe D die Bescheide in die Steuerakten des V gelegt und vergessen. Dort seien sie erst am zufällig gefunden worden. Dem Antrag lag eine eidesstattliche Versicherung der D bei, die diesen Geschehensablauf bestätigte.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bezweifelte zunächst, dass der Einspruch den Klägerinnen zuzurechnen sei, da er „namens” des V eingelegt worden sei. Es ließ diese Frage aber auf sich beruhen, da jedenfalls keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Wer sich auf ein Büroversehen berufe, müsse darlegen, dass kein Organisationsmangel vorliege. Dies erfordere Ausführungen dazu, welche Maßnahmen gewährleisten sollten, dass Fristen weisungsgemäß notiert und kontrolliert werden, wann und wie die Bürokraft belehrt worden ist und wie die Einhaltung der Belehrungen überwacht wurde. Diesen Anforderungen entspreche der Vortrag der SB nicht. Die bloße Behauptung, D habe stets zuverlässig gearbeitet, sei zu unsubstantiiert. D solle in der Buchhaltung beschäftigt sein. Eine Zuverlässigkeit in diesem Arbeitsbereich lasse keinen Schluss auf die Zuverlässigkeit in dem „fristenrelevanten” Bereich zu. Es fehle auch an konkreten Angaben zum Inhalt und der Kontrolle der erwähnten Anweisungen für das Verhalten beim Eingang von Steuerbescheiden. Eine unverschuldete Fristversäumnis sei somit nicht nachgewiesen.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision tragen die Klägerinnen vor, das FG habe die Anforderungen an die Fristenkontrolle sowie die Darlegung eines Büroversehens überspannt und sei damit von einer Reihe von nach Fundstellen bezeichneten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen. Indem das FG nicht auf den seines Erachtens bestehenden Darlegungsmangel hingewiesen habe, habe es überdies gegen § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen und das Recht auf Gehör verletzt (§ 96 Abs. 2 FGO). Hätten sie, die Klägerinnen, den vermissten Hinweis erhalten, hätten sie ergänzend vorgetragen, dass D gelernte Steuerfachangestellte sei und als solche Steuererklärungen sowie Abschlüsse erstelle, an Betriebsprüfungen teilnehme und eingehende Steuerbescheide überprüfe. Sie sei regelmäßige Ansprechpartnerin für Mandanten. Seit Einführung des Fristenbuchs im Jahr 2002 sei D auch mit der Eintragung und Kontrolle der Fristen beauftragt.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Abweichungen der Vorentscheidung von den zitierten Entscheidungen des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) liegen ebenso wenig vor wie die gerügte Verletzung des Rechts auf Gehör durch Unterlassen eines Hinweises nach § 76 Abs. 2 FGO.
1. Das FG hat den Rechtssatz aufgestellt, ein Büroversehen habe der steuerliche Berater dann nicht zu vertreten, wenn er seinen Organisationspflichten nachgekommen sei, die Bürokraft, der das Büroversehen unterlaufen ist, sorgfältig ausgewählt und diese sowie die Organisation sorgfältig überwacht habe. Damit befindet sich das FG in Übereinstimmung mit dem BFH. Aus den von den Klägerinnen zitierten Entscheidungen des BFH ergibt sich nichts anderes.
Die Klägerinnen fassen den Inhalt dieser Entscheidungen in dem Rechtssatz zusammen, der steuerliche Berater dürfe sich der Hilfe von gut ausgebildetem, nach längerer Wahrnehmung zumeist fehlerfrei arbeitendem und sorgfältig überwachtem Personal bedienen. Dieser Rechtssatz weicht von demjenigen, den das FG aufgestellt hat, insofern ab, als die Erfüllung der Organisationspflichten und die Überwachung der Organisation als weitere notwendige Voraussetzungen für ein Nichtvertretenmüssen fehlen. Gleichwohl liegen keine abweichenden Entscheidungen i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO vor, die eine Revisionsentscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern würden. Der von den Klägerinnen den zitierten BFH-Entscheidungen entnommene Rechtssatz gibt nämlich deren Inhalt nur unvollkommen wieder.
a) In den Entscheidungen vom V R 62/91 (BFH/NV 1993, 251) sowie vom III B 51/99 (BFH/NV 2000, 575) heißt es, Voraussetzung für das Nichtvertretenmüssen eines Büroversehens sei, dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen habe, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet seien, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge trage. Mit den „getroffenen Vorkehrungen” sind dabei die „zu erfüllenden Organisationspflichten” im Sinne der Vorentscheidung gemeint und mit „Überwachung der Erfüllung der Anordnungen” die „Überwachung der Organisation”. Daher fehlt es an einer Abweichung, obwohl das Wort Organisationspflicht nicht fällt.
b) In den BFH-Beschlüssen vom VII B 150/02 (BFH/NV 2002, 1489) sowie vom VII B 118/02 (BFH/NV 2003, 801) ist sowohl von den zu treffenden Vorkehrungen als auch davon die Rede, dargelegt werden müsse, dass kein Organisationsfehler vorliege. Die Beschlüsse verdeutlichen, dass es sich insoweit um austauschbare Formulierungen ohne einen Unterschied in der Sache handelt.
c) Die Entscheidung des (BFH/NV 2003, 757) betrifft keinen Fall der Notierung und Überwachung von Rechtsbehelfsfristen, sondern die Angabe der Anschrift des Gerichts, an das ein Schriftsatz gerichtet war. Die zutreffende Adressierung wurde dabei ähnlich wie die Frankierung ausgehender Sendungen als rein büromäßige Aufgabe ohne jeden Bezug zu Rechtsfragen auch einfachster Art angesehen, bei der geringere Anforderungen an die Überwachung des Büropersonals zu stellen seien als bei der Erledigung solcher Aufgaben, die der Fristwahrung dienen. Auch dieses BFH-Urteil ist daher nicht geeignet, eine Abweichung der Vorentscheidung von der Rechtsprechung des BFH zu belegen.
2. Soweit die Klägerinnen vortragen, das FG sei bei den Anforderungen, die an die Darlegung eines nicht zu vertretenden Büroversehens zu stellen seien, von der Rechtsprechung des BFH —insbesondere von dem (BFHE 205, 9, BStBl II 2004, 564)— abgewichen, fehlt es bereits an einer Gegenüberstellung voneinander abweichender tragender Rechtssätze aus der Vorentscheidung sowie aus den zitierten Entscheidungen des BFH. Im Übrigen ist die Frage, ob die an die Darlegung der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellenden Anforderungen überspannt sind oder nicht, eine Frage des Einzelfalles. Der Sachvortrag in dem Fall, über den der BFH in BFHE 205, 9, BStBl II 2004, 564 zu entscheiden hatte und in dem sich die Aussage findet, die Darlegungsanforderungen dürften nicht überspannt werden, war jedenfalls wesentlich komplexer und substantiierter als der formelhafte Sachvortrag im Streitfall.
3. Das Unterbleiben des von den Klägerinnen vermissten Hinweises nach § 76 Abs. 2 FGO stellt keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO). Das FG war nicht verpflichtet, in der mündlichen Verhandlung eine Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens vorzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerinnen spätestens seit der Einspruchsentscheidung, in der konkrete Fragen zum Geschehensablauf gestellt wurden, um den bis dahin formelhaften Sachvortrag auszufüllen, damit rechnen mussten, dass ihr bisheriges Vorbringen nicht ausreichen werde. Gleichwohl haben sie ihren Sachvortrag in der Klagebegründung nicht ergänzt, sondern sich die Nachfragen „teilweise” geradezu verbeten.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1522 Nr. 9
OAAAC-83984