Anpassung eines Folgebescheids an einen geänderten Grundlagenbescheid
Leitsatz
1. Sind in einem Gewinnfeststellungsbescheid für einen Gesellschafter nur ein Anteil am laufenden Gewinn und kein Anteil an einem nach §§ 16, 34 EStG privilegierten Veräußerungsgewinn festgestellt worden und sind in einem diesen Bescheid ändernden Feststellungsbescheid genau die umgekehrten Regelungen getroffen worden, berechtigt und verpflichtet § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO das Finanzamt, die Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Gesellschafter den im Änderungsgewinnfeststellungsbescheid getroffenen Regelungen anzupassen.
2. Dies gilt auch, wenn in der zu ändernden Einkommensteuerfestsetzung weder ein laufender noch ein steuerbegünstigter Gewinnanteil des Gesellschafters erfasst worden ist.
Gesetze: AO § 171 Abs. 10, AO § 182, EStG § 16, EStG § 34
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau wurden für das Streitjahr 1984 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war im Streitjahr neben seiner Ehefrau und anderen Gesellschaftern an der X GmbH & Co. KG i.L. (im Folgenden: KG) als Kommanditist beteiligt.
Im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1984 vom war die Einkommensteuer des Klägers und seiner Ehefrau auf 0 DM festgesetzt worden. Gewinnanteile des Klägers und seiner Ehefrau an der KG waren in diesem Bescheid nicht erfasst worden, weil diese Gewinnanteile seinerzeit mit 0 DM festgestellt waren. Später wurde der Gewinnfeststellungsbescheid betreffend die KG geändert und darin ein nicht näher bezifferter Anteil des Klägers am laufenden Gewinn der KG festgestellt. Die daraus resultierende Erhöhung der Einkommensteuer 1984 für den Kläger meldete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) zur Konkurstabelle an, weil zwischenzeitlich —am — über das Vermögen des Klägers das Konkursverfahren eröffnet worden war. Die mit dieser Anmeldung durch das FA geltend gemachte Einkommensteuerforderung gegen den Kläger wurde vom Konkursverwalter bestritten. Am wurde das Konkursverfahren mangels Masse eingestellt.
Zuvor —in der Einspruchsentscheidung betreffend den Gewinnfeststellungsbescheid 1984 für die hatte das zuständige FA einen Anteil des Klägers am laufenden Gewinn der KG in Höhe von 1 037 184 DM festgestellt. In der mündlichen Verhandlung des anschließenden, die Gewinnfeststellung betreffenden Klageverfahrens vom einigten sich die Beteiligten dieses Prozesses u.a. darauf, dass der mit 1 037 184 DM festgestellte Gewinnanteil des Klägers an der KG nicht als laufender, sondern als i.S. des § 52 Abs. 21 Satz 4 i.V.m. §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) begünstigter Gewinn festzustellen sei. Anschließend erklärten die Beteiligten dieses Verfahrens den Rechtsstreit wegen Gewinnfeststellung übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Am erließ das zuständige FA einen entsprechenden Änderungsbescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung der KG für 1984.
Mit dem angefochtenen, auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten Einkommensteueränderungsbescheid 1984 vom setzte das FA die im Gewinnfeststellungsbescheid vom vorgenommenen Änderungen um und erfasste den Anteil des Klägers am Gewinn der KG in Höhe von 1 037 184 DM als tarifbegünstigten (Veräußerungs-)Gewinn. Mit der dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger geltend, das FA sei zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1984 nicht berechtigt gewesen. Das FA habe im Rahmen des Konkursverfahrens keinen wirksamen Titel erlangt, weil der Konkursverwalter die Einkommensteuerforderung 1984 bestritten habe. Nach Abschluss des Konkursverfahrens habe es das FA versäumt, innerhalb der nach § 171 Abs. 13 AO in ihrem Ablauf gehemmten Festsetzungsfrist einen Einkommensteuerbescheid zu erlassen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 5 veröffentlichten Urteil stattgegeben. Es vertrat die Ansicht, dass das FA zum Erlass des angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheids 1984 nicht berechtigt gewesen sei, weil die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt dessen Erlasses bereits abgelaufen gewesen sei. Der Lauf der Festsetzungsfrist sei weder nach § 171 Abs. 13 AO noch nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt gewesen.
Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts, namentlich der §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Es beantragt (sinngemäß), die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er trägt u.a. vor, dass infolge der Nichtigkeit des ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheids 1984 betreffend die KG auch der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1984 vom nichtig gewesen sei. Dieser nichtige Einkommensteuerbescheid habe daher auch nicht gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid geändert werden können.
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Entgegen der Ansicht des FG war das FA gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO berechtigt, den angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid zu erlassen.
1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, die Festsetzung der zutreffenden Steuer im Folgebescheid sicherzustellen, wobei der materiellen Richtigkeit des Folgebescheids der Vorrang vor der Bestandskraft eines bereits früher ergangenen Folgebescheids eingeräumt wird.
a) Solange die im Grundlagenbescheid gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen von der Finanzbehörde im Folgebescheid nicht berücksichtigt worden sind, ist die dem Grundlagenbescheid zugedachte Aufgabe nicht erfüllt. Deshalb wird die Berechtigung und Verpflichtung der Finanzbehörde zur Anpassung des Folgebescheids nicht dadurch beseitigt, dass der Inhalt des Grundlagenbescheids nicht oder nicht richtig in den Folgebescheid übernommen wurde (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. , BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711; vom II R 15/91, BFH/NV 1994, 1; vom XI R 50/96, BFHE 181, 388, BStBl II 1997, 261). Aus dem Wortlaut des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO lässt sich keine Einschränkung einer Änderungsbefugnis herleiten. Nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist die Änderung des Folgebescheids zur Herbeiführung eines materiell-rechtlich richtigen Ergebnisses vielmehr selbst dann geboten, wenn damit eine zuvor versäumte Anpassung nachgeholt wird. Die Änderungsbefugnis und -verpflichtung wird durch den Regelungsinhalt des Grundlagenbescheids bestimmt. Ob der Finanzbehörde früher Auswertungsversäumnisse oder Anpassungsfehler unterlaufen sind, ist unbeachtlich (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 1, und ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. ferner z.B. v.Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 175 Rz 19 ff., 26 und 40, m.w.N.; ferner Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 175 AO Rz 4, m.w.N.).
b) Die Aufgabe der Finanzbehörde, den Folgebescheid an die im Grundlagenbescheid getroffenen Regelungen anzupassen, reicht indessen nur soweit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids (zu deren Umfang vgl. § 182 Abs. 1 AO) verlangt. Die Änderung des Grundlagenbescheids darf daher nicht zum Anlass genommen werden, Besteuerungsgrundlagen des Folgebescheids zu ändern, die durch den Regelungsinhalt des Grundlagenbescheids nicht beeinflusst werden; eine Gesamtaufrollung der im Folgebescheid erfassten Besteuerungsgrundlagen scheidet aus (vgl. z.B. , BFH/NV 1999, 157, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Wie das FG zutreffend erkannt hat, folgt hieraus auch, dass ein Grundlagenbescheid, welcher den Regelungsgehalt des Folgebescheids nicht berührt, keine Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auslöst. Eine Korrektur des Folgebescheids kann nicht auf diese Vorschrift gestützt werden, soweit der Grundlagenbescheid, bezogen auf seinen Inhalt für den Folgebescheid, nur mehr als „Wiederholung” zu werten ist (vgl. z.B. , BFHE 194, 305, BStBl II 2001, 471).
2. Nach diesen Maßstäben war das FA nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO berechtigt und verpflichtet, den angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid zu erlassen.
a) Die Grundlage zum Erlass des angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheids 1984 bildete der am rechtswirksam und innerhalb der Feststellungsfrist erlassene Änderungsbescheid über die Feststellung des Gewinns der KG für 1984. In diesem Feststellungsbescheid war der Anteil des Klägers am laufenden Gewinn der KG mit 0 DM und der nach den §§ 16 und 34 EStG steuerbegünstigte Gewinn des Klägers mit 1 037 184 DM festgestellt worden. Da in dem vor Ergehen dieses Gewinnfeststellungsbescheids gegenüber dem Kläger erlassenen Einkommensteuerbescheid 1984 dessen gewerbliche Einkünfte aus der Beteiligung an der KG mit 0 DM angesetzt worden waren, stimmten die im Gewinnfeststellungsbescheid 1984 vom getroffene Regelung und die im Rahmen der bisherigen Einkommensteuerfestsetzung erfasste Besteuerungsgrundlage nicht (mehr) überein mit der Folge, dass das FA gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu einer Anpassung der Einkommensteuerfestsetzung an die im Grundlagenbescheid (Gewinnfeststellungsbescheid) getroffenen Feststellungen berechtigt (und verpflichtet) war.
b) Diese Anpassungsberechtigung und -verpflichtung kann entgegen der Ansicht des FG nicht mit der Erwägung in Abrede gestellt werden, dass der Gewinnfeststellungsbescheid vom gegenüber dem vorherigen Gewinnfeststellungsbescheid vom in Bezug auf die hier relevanten, den Kläger betreffenden Feststellungen nur mehr „wiederholende” und daher keine Anpassungspflicht i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auslösende Regelungen (vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 194, 305, BStBl II 2001, 471) enthalten habe. Letzteres traf nämlich nicht zu und lässt sich insbesondere nicht auf die Argumentation des FG stützen, dass sich die im Gewinnfeststellungsbescheid vom getroffenen „Feststellungen zur Gewinnhöhe und zur Einkunftsart” gegenüber den Regelungen im vorherigen Gewinnfeststellungsbescheid vom nicht geändert hätten.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH enthält ein Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns (einer Mitunternehmerschaft) die Zusammenfassung einer mehr oder minder großen Zahl rechtlich selbstständiger Feststellungen (Regelungen) einzelner Besteuerungsgrundlagen. Das zuständige FA hat in einem solchen Bescheid Feststellungen über alle Umstände zu treffen, welche die Besteuerung gemeinschaftlicher Einkünfte beeinflussen und nach dem Sinn und Zweck des Gewinnfeststellungsverfahrens (vgl. hierzu z.B. Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler —HHSp—, § 180 AO Rz 151 ff.) vorab mit Bindungswirkung für die Veranlagung der Beteiligten festgestellt werden sollen (Söhn in HHSp, § 180 AO Rz 227, m.w.N.). So gehören zum notwendigen Inhalt des Gewinnfeststellungsbescheids insbesondere Regelungen über die (Gewinn-)Einkunftsart, die Steuerbarkeit und Steuerpflicht der Einkünfte, die Höhe der Einkünfte, die beteiligten Personen, über das Bestehen einer Mitunternehmerschaft, die Verteilung der Einkünfte auf die beteiligten Personen und den Zeitraum, in dem die Einkünfte erzielt worden sind (vgl. z.B. Söhn in HHSp, § 180 AO Rz 228, m.w.N. aus der Rechtsprechung). In einem Gewinnfeststellungsbescheid muss ferner mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten („einheitlich”) nicht nur über die Steuerpflicht dem Grunde nach, sondern auch über die Steuerpflicht der Höhe nach (Regelbesteuerung - begünstigte Besteuerung) entschieden werden (Söhn in HHSp, § 180 AO Rz 231). Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. die zahlreichen Nachweise bei Söhn in HHSp, § 180 AO Rz 231, Fn 3 auf S. 74) gehört zu den notwendigen und eigenständigen Regelungen in einem solchen Bescheid deshalb auch die Feststellung, ob der Gewinn(-anteil) eines Beteiligten (Gesellschafters) zu den laufenden, der Regelbesteuerung unterliegenden oder zu den außerordentlichen Einkünften i.S. der §§ 16, 34 EStG rechnet.
bb) Hieraus folgt ohne Weiteres, dass der Gewinnfeststellungsbescheid 1984 vom , auch soweit er die gewerblichen Einkünfte des Klägers anbelangte, die im vorhergehenden Feststellungsbescheid vom getroffenen Regelungen nicht bloß wiederholte, sondern änderte. Denn während der vorherige Bescheid einen laufenden Gewinnanteil des Klägers in Höhe von 1 037 184 DM festgestellt und dementsprechend keinen nach den §§ 16, 34 EStG privilegierten Veräußerungsgewinn erfasst hatte, traf der nunmehr maßgebende Bescheid vom genau die umgekehrten Regelungen.
cc) Im Hinblick hierauf berechtigte und verpflichtete § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO das FA, die Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Kläger den im Änderungsgewinnfeststellungsbescheid vom getroffenen Regelungen anzupassen. Dem steht nach den unter II.1.a dargelegten Grundsätzen auch nicht entgegen, dass es das FA (nach Einstellung des Konkursverfahrens innerhalb der in § 171 Abs. 13 AO vorgesehenen Drei-Monats-Frist) unterlassen hatte, den Einkommensteuerbescheid 1984 an die Regelungen anzupassen, die im Gewinnfeststellungsbescheid 1984 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom getroffen worden waren.
c) Dem FG kann unter den gegebenen Umständen auch nicht darin gefolgt werden, dass dem Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids der Ablauf der Festsetzungsfrist (vgl. §§ 169 ff. AO) entgegengestanden habe. Gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO endet die Festsetzungsfrist, soweit für die Festsetzung einer Steuer (hier: Einkommensteuer 1984) ein Feststellungsbescheid (hier: Gewinnfeststellungsbescheid 1984) bindend ist, nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Im vorliegenden Fall hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom innerhalb dieser Zwei-Jahres-Frist nach Bekanntgabe des Gewinnfeststellungsbescheids vom erlassen.
d) Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht führte die Nichtigkeit des ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheids 1984 nicht (automatisch) auch zur Nichtigkeit des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids 1984 vom . Selbst wenn dies zuträfe, hätte dies auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen, vom FA —wie dargelegt— zutreffend auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten und auf der Grundlage des (wirksamen) Gewinnfeststellungsbescheids 1984 vom ergangenen Einkommensteuerbescheids 1984 keinen Einfluss. Denn die letztgenannte Vorschrift verpflichtet das FA unter den dort genannten und hier erfüllten Voraussetzungen nicht nur zur Änderung eines früheren (wirksamen) Einkommensteuerbescheids, sondern ebenso zum Erlass eines erstmaligen Einkommensteuerbescheids.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1436 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2008 S. 5
JAAAC-83977