BAG Urteil v. - 2 AZR 720/06

Leitsatz

[1] Nimmt der im Kündigungsschutzprozess in erster Instanz unterlegene Arbeitgeber die von ihm eingelegte Berufung in der Berufungsverhandlung zurück, so wird damit der vom Arbeitnehmer erstmals durch Anschlussberufung verfolgte Auflösungsantrag unzulässig.

Gesetze: KSchG § 9

Instanzenzug: ArbG Bremen-Bremerhaven, 10 Ca 290/05 vom LAG Bremen, 3 Sa 222/05 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund eines von der Klägerin im Berufungsverfahren gestellten Auflösungsantrags.

Die Klägerin trat 1992 als Pflegehelferin in die Dienste der Beklagten, die Seniorenheime betreibt. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos, hilfsweise fristgerecht zum . Der zuvor angehörte Betriebsrat hatte der Kündigung zugestimmt. Die Beklagte hatte die Kündigung mit Vorwürfen wegen des Verhaltens der Klägerin begründet.

Die Klägerin hat die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht und Weiterbeschäftigung beantragt. Sie hat die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe im Wesentlichen bestritten. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Die Beklagte hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt und erneut Abweisung der Klage beantragt. Die Klägerin hat Zurückweisung der Berufung und zugleich Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG beantragt.

Das Protokoll über die Berufungsverhandlung hat, soweit von Interesse,

den folgenden Wortlaut:

"Die Sach- und Rechtslage wird mit den Parteien erörtert. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärt: 'Ich nehme die Berufung zurück.'

lt. vom Tonträger vorgespielt und genehmigt

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt:

'Ich halte den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufrecht',

und verliest den Antrag aus dem Schriftsatz vom .

Demgegenüber beantragt der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, den Auflösungsantrag als unzulässig und hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen."

Das Landesarbeitsgericht hat das Arbeitsverhältnis entsprechend dem Antrag der Klägerin zum aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 11.000,00 Euro verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Abweisung des Auflösungsantrags der Klägerin.

Gründe

Die Revision ist begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es lägen Auflösungsgründe nach § 9 KSchG vor. Der Auflösungsantrag der Klägerin sei auch trotz der zuvor erfolgten Berufungsrücknahme nicht unzulässig geworden. Nach dem Gesetz könne der Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Die Verhandlung sei in der Regel beendet, wenn der Vorsitzende mitteile, es werde nun beraten, und eine Entscheidung verkündet. Hier sei die Berufungsverhandlung nicht mit der Berufungsrücknahme beendet worden, zumal der Auflösungsantrag bereits vor Rücknahme der Berufung rechtshängig gewesen sei. Daran ändere auch der Wegfall des Zustimmungserfordernisses für die Berufungsrücknahme durch das Zivilprozessreformgesetz nichts.

B. Dem stimmt der Senat nicht zu. Der Auflösungsantrag ist unzulässig.

I. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG können Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Auflösungsantrag bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen. Hier war die Berufungsinstanz bereits beendet, als die Klägerin den Auflösungsantrag stellte.

1. Die Klägerin hatte in erster Instanz mit ihrem Kündigungsschutzantrag obsiegt. Einen Auflösungsantrag hatte sie nicht gestellt. Sie konnte eine Berufung mit dem Ziel, einen Auflösungsantrag zu stellen, nicht einlegen, weil sie nicht beschwert gewesen wäre (vgl. die allgemeine Auffassung: - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 23 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 30; KR-Spilger 8. Aufl. § 9 KSchG Rn. 97; APS-Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 103; ErfK/Kiel 8. Aufl. § 9 KSchG Rn. 39; v. Hoyningen-Huene/Linck 14. Aufl. § 9 KSchG Rn. 32; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 9 Rn. 23; AnwK-ArbR/Eylert § 9 KSchG Rn. 56; Thüsing/Laux/Lembke-Arnold KSchG § 9 Rn. 23; HWK-Pods/Thies 2. Aufl. § 9 KSchG Rn. 8).

2. Im Streitfall hatte allein die Beklagte Berufung eingelegt. Damit konnte das arbeitsgerichtliche Urteil zunächst nicht rechtskräftig werden. Das Verfahren wurde in der Berufungsinstanz fortgesetzt. Der Klägerin war nunmehr die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen einer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässigen Anschlussberufung den Auflösungsantrag zu stellen (APS-Biebl aaO). Diese Möglichkeit entfiel jedoch wieder, nachdem die Beklagte die Berufung zurückgenommen hatte. Der Zustimmung durch die Klägerin bedurfte die Rücknahme nicht (§ 516 Abs. 1 und 2 ZPO). Da bei der Erklärung der Berufungsrücknahme die Berufungsfrist bereits abgelaufen war, trat mit Rücknahme der Berufung die Rechtskraft des angefochtenen Urteils ein. Damit war eben die Lage eingetreten, die auch eingetreten wäre, wenn die Beklagte keine Berufung eingelegt hätte. Auch in diesem Fall hätte die Klägerin keinen Auflösungsantrag stellen können. Der Arbeitgeber kann demnach unter den hier gegebenen Voraussetzungen durch Berufungsrücknahme den Auflösungsantrag zu Fall bringen (KR-Spilger 8. Aufl. § 9 KSchG Rn. 99; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 9 Rn. 23; Thüsing/Laux/Lembke-Arnold KSchG § 9 Rn. 23; aA Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 2003). Die Wirkungen der unselbständigen Anschlussberufung entfallen ohne Weiteres mit der Rücknahme des Hauptrechtsmittels ( -NJW 2006, 2124). Die Sachanträge sind dann unzulässig.

3. Der gegenteiligen Auffassung des Landesarbeitsgerichts (ebenso: Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 2003) folgt der Senat nicht. Wenn das Landesarbeitsgericht hervorhebt, der Antrag könne bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden, so ist dies zwar an sich richtig. Nicht genügend in Betracht gezogen ist dabei aber, dass der Antrag, wie das Gesetz ebenfalls ausdrücklich festhält, nur so lange gestellt werden kann, als die Berufungsinstanz noch nicht abgeschlossen ist. Der Abschluss der Berufungsinstanz muss aber jedenfalls dann angenommen werden, wenn das zunächst angefochtene Urteil nicht mehr angefochten, sondern in Rechtskraft erwachsen ist. Sachanträge, die der Rechtskraft entgegenstehen, sind von diesem Zeitpunkt an nur noch in hier offenkundig nicht gegebenen Ausnahmekonstellationen (§§ 580 ff. ZPO) möglich. Auch der Bundesgerichtshof stellt in ähnlichen Prozesslagen die auf Grund der Berufungsrücknahme eintretende Rechtskraft des zunächst angefochtenen Urteils in den Vordergrund ( - BGHZ 173, 374).

C. Die Beklagte muss die Kosten des Rechtsstreits tragen, soweit sie den Feststellungsantrag der Klägerin betreffen (§§ 91, 516 ZPO), wobei über die Kosten des ersten Rechtszugs bereits rechtskräftig entschieden ist. Die Kosten des erfolglos gebliebenen Auflösungsantrags (Anschlussberufung) und der Revision muss die Klägerin tragen. Da die Anschlussberufung nach Rücknahme der Berufung fortgesetzt worden ist, ist hier eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, dass der Berufungskläger, der die Berufung zurücknimmt, auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen hat. In solchen Fällen ist eine Kostenaufteilung nach dem Wert der Berufung und der unselbständigen Anschlussberufung gerechtfertigt ( - MDR 2007, 788).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2008 S. 1561 Nr. 29
DB 2008 S. 1636 Nr. 30
NJW 2008 S. 2605 Nr. 35
WAAAC-83844

1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein