BFH Beschluss v. - I B 197/07

Rückstellung wegen drohender Verluste aus einem länger laufenden Mietvertrag für eine Filiale; Anspruch auf rechtliches Gehör; Rüge einer Divergenz

Gesetze: EStG § 5 Abs. 4a, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2

Instanzenzug:

Gründe

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend begründet wurde, denn sie ist jedenfalls unbegründet.

1. Die Rüge, das Finanzgericht (FG) sei von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), ist nicht schlüssig erhoben.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) trägt im Wesentlichen vor, das FG stütze sich auf den Beschluss des Großen Senats des (BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735) und das (BFHE 185, 144, BStBl II 1998, 331). Diese Entscheidungen seien jedoch auf den Streitfall nicht anwendbar. Die Klägerin habe erstinstanzlich klargestellt, dass ein Teil der Mietverpflichtungen für ihre Filialen durch die wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr hätte erfüllt werden können. Eine Stilllegung der einzelnen Filialen sei unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten jedoch nicht gerechtfertigt gewesen, weil durch deren Fortführung wenigstens ein Teil der eingegangenen Verpflichtungen hätte erfüllt werden können. Da das FG die Rückstellungen nicht anerkannt habe und es sich um eine „Verbindlichkeit aus Verpflichtungen” handle, stehe das Urteil im Widerspruch zu den Entscheidungen des BFH.

Damit ist die Divergenz nicht hinreichend dargetan. Die Klägerin hat nicht, wie erforderlich, die behauptete Abweichung durch das Gegenüberstellen einander widersprechender abstrakter Rechtssätze aus der Entscheidung der Vorinstanz einerseits und den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits erkennbar gemacht (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2005, 1829), sondern macht im Wesentlichen geltend, das FG habe die Grundsätze der genannten BFH-Entscheidungen fehlerhaft im Streitfall angewendet. Selbst wenn dies zuträfe, rechtfertigte dies nicht eine Revisionszulassung wegen Divergenz. Denn eine Divergenz liegt nur vor, wenn das FG seine Entscheidung auf einen entscheidungserheblichen Rechtssatz stützt, der von einem entscheidungserheblichen Rechtssatz des BFH oder eines anderen FG abweicht, nicht dagegen, wenn ihm Rechtsfehler bei der Subsumtion unterlaufen.

2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zu.

a) Die Klägerin ist der Auffassung, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Aussage des BFH-Urteils in BFHE 185, 144, BStBl II 1998, 331, wonach ein Unternehmen eine Rückstellung bilden könne, wenn während der Restlaufzeit eines Mietvertrages die angemietete Sache nicht mehr genutzt werden könne, trotz des mittlerweile geltenden steuerrechtlichen Passivierungsverbots gemäß § 5 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG) für Rückstellungen aus drohenden Verlusten weiterhin anzuwenden sei. Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Denn es fehlt jegliches Vorbringen dazu, inwieweit dies im Streitfall, der die Jahre 1991 bis 1996 betrifft und § 5 Abs. 4a EStG noch nicht galt, entscheidungserheblich und damit klärungsfähig sein könnte.

b) Die von der Klägerin im Übrigen aufgeworfene Frage, ob eine Rückstellung nach diesem Urteil auch gebildet werden könne, wenn die Filiale zwar nicht geschlossen, sondern fortgeführt werde, dies aber nur deshalb geschehe, um die im Falle einer Schließung eintretenden Verluste zu mindern, lässt sich anhand der bisherigen Rechtsprechung beantworten.

aa) In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfen, weil während des Schwebezustands die (widerlegbare) Vermutung besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag wertmäßig ausgleichen. Ein Bilanzausweis ist nur geboten, wenn und soweit das Gleichgewicht solcher Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstand eines Vertragspartners gestört ist oder aus diesem Geschäft ein Verlust droht (BFH-Beschluss in BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735).

Ein Verlust droht, wenn der Wert der eigenen Verpflichtungen aus dem Geschäft den Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung übersteigt (sog. Verpflichtungsüberschuss). Bei Dauerschuldverhältnissen wie etwa der entgeltlichen Überlassung von Räumen zur Nutzung ist zur Ermittlung des Verpflichtungsüberschusses der Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung (Mietzins) mit dem Geldwert der Aufwendungen zu vergleichen, die zur Bewirkung der Leistungen erforderlich sind. Ist ein Mietvertrag auf der Beschaffungsseite abgeschlossen worden, ist der Wert des Sachleistungsanspruchs nach dem Beitrag zu bewerten, den die Mietsache zum Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens leistet. Im Regelfall ist eine Bewertung dieses Beitrags nicht möglich, weil die Auswirkungen der einzelnen Produktionsfaktoren auf das Betriebsergebnis nicht hinreichend objektivierbar sind. Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn das Geschäft sich als Fehlmaßnahme erweist, weil der Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Unternehmers für den Betrieb keinen Wert mehr hat (BFH-Beschluss in BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, m.w.N.). Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Mietsache im oder für den Betrieb nicht mehr genutzt werden kann, wenn sie also weder vom Unternehmen selbst genutzt noch untervermietet werden kann (BFH-Urteil in BFHE 185, 144, BStBl II 1998, 331).

bb) Eine Drohverlustrückstellung ist danach bei Mietverträgen in aller Regel ausgeschlossen, es sei denn das Geschäft erweist sich als Fehlmaßnahme. Ob eine Fehlmaßnahme vorliegt, beurteilt sich in erster Linie anhand der Umstände des Einzelfalls und obliegt, da den tatsächlichen Feststellungen zugehörig (§ 118 Abs. 2 FGO), dem FG. Weiterer Klärungsbedarf ist nicht ersichtlich.

3. Das FG hat keinen Verfahrensverstoß begangen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten (vgl. z.B. , BFH/NV 2005, 1617). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet.

Das FG hat den Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen, hieraus jedoch andere rechtliche Schlussfolgerungen gezogen als die Klägerin. Die Klägerin durfte nicht darauf vertrauen, das FG werde die von ihr eingereichten Unterlagen in ihrem Sinne würdigen und davon ausgehen, sie habe nachgewiesen, dass der Abschluss der Mietverträge für die Filialen als Fehlmaßnahme zu beurteilen sei. Das FG war auch nicht verpflichtet, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass sie die Unterlagen nicht als ausreichenden Nachweis für die Bildung der Drohverlustrückstellungen beurteilen werde.

Fundstelle(n):
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2008 S. 684
LAAAC-82760