BGH Urteil v. - XI ZR 377/06

Leitsatz

[1] Die fehlende Verbindung eines sog. Protokollurteils, das lediglich die nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO erforderlichen Bestandteile enthält, mit dem Verhandlungsprotokoll, das die Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO umfasst, kann nicht mehr nachgeholt werden, wenn die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils abgelaufen ist.

Gesetze: ZPO § 540 Abs. 1 Satz 2

Instanzenzug: LG Saarbrücken, 14 O 468/04 vom OLG Saarbrücken, 8 U 485/05 vom

Tatbestand

Die Klägerin, eine Bank, nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaft in Anspruch.

Der Beklagte übernahm mit schriftlicher Erklärung vom gegenüber der Klägerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Betrag von 21.000 € zur Sicherung aller bestehenden, künftigen und bedingten Forderungen der Klägerin gegen die Tochter des Beklagten und deren Ehemann aus der Kontoüberziehung von drei im Einzelnen bezeichneten Konten. Nachdem die von den Hauptschuldnern zur Ablösung der verbürgten Verbindlichkeiten beabsichtigte Aufnahme eines Existenzgründungsdarlehens aus unter den Parteien umstrittenen Umständen nicht zustande kam, kündigte die Klägerin gegenüber der Tochter des Beklagten mit Schreiben vom das gesamte Kreditverhältnis aus wichtigem Grund und stellte ihre Forderungen fällig.

Die Klägerin behauptet einen Sollstand der drei Konten von insgesamt 30.967,61 €. Mit der Klage verlangt sie von dem Beklagten die Zahlung von 21.000 € aus der Bürgschaft.

Das Landgericht hat die Klage zugesprochen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Das am Schluss des Termins, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündete Urteil enthält neben dem vollständigen Rubrum lediglich die Urteilsformel und die Unterschriften der Richter. Das Sitzungsprotokoll, das von der Vorsitzenden des Berufungszivilsenats und einer Justizangestellten unterschrieben worden ist, nimmt das Urteil, mit dem es nicht verbunden ist, einen beigefügten Tatbestand und einen vor der Sitzung erteilten Hinweis in Bezug. In diesem hatte das Berufungsgericht den Parteien nach Vorberatung mit näherer Begründung mitgeteilt, dass die Berufung des Beklagten keine Aussicht auf Erfolg habe.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.

Gründe

Da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, war über die Revision des Beklagten durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81).

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

Auf die Revisionsrüge des Beklagten unterliegt das Urteil des Berufungsgerichts bereits deshalb der Aufhebung, weil das Berufungsurteil nicht den Anforderungen des § 540 Abs. 1 ZPO entspricht.

1. Bei dem Berufungsurteil handelt es sich um ein sog. Protokollurteil nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

a) Ein Protokollurteil bedarf keiner Begründung, wenn die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO an die Stelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen tretenden Darlegungen bereits in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden sind (§ 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es kann prozessordnungsgemäß in der Weise ergehen, dass ein Urteil, welches alle nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO erforderlichen Bestandteile enthält, von den mitwirkenden Richtern unterschrieben und mit dem Sitzungsprotokoll verbunden wird, um so den inhaltlichen Bezug zu den in das Sitzungsprotokoll "ausgelagerten" Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO herzustellen (BGHZ 158, 37, 41; , NJW 2005, 830, 831, vom - I ZR 276/03, WM 2007, 1192, 1193 Tz. 16 und vom - XII ZR 164/03, NJW-RR 2007, 1567 Tz. 9). Da die Frist zur Einlegung der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils beginnt (§§ 548, 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO), sind in diesem Fall sowohl das Urteil als auch das Protokoll zuzustellen ( aaO).

Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass das Sitzungsprotokoll - sofern es neben den erforderlichen Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO zugleich sämtliche nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO erforderlichen Angaben enthält - von allen mitwirkenden Richtern unterschrieben wird. Dann stellt diese Urkunde zugleich die Sitzungsniederschrift und das vollständige Urteil dar (, NJW-RR 2007, 1567 Tz. 10).

b) Ein ordnungsgemäßes Protokollurteil ist hier auf keinem dieser beiden möglichen Wege erstellt worden, wobei vorliegend nur die erste Möglichkeit in Betracht kommt. Das mit den Angaben nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO und mit der Unterschrift der Richter (§ 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO) versehene Urteil enthält weder die Berufungsanträge noch die Feststellungen und Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO, so dass dem Revisionsgericht anhand der dort enthaltenen Angaben eine Überprüfung des angefochtenen Urteils nicht möglich ist. Diese Angaben enthalten lediglich das Sitzungsprotokoll und der in Bezug genommene "Tatbestand". Diese Urkunden sind aber mit dem Protokollurteil nicht verbunden worden (vgl. hierzu BGHZ 158, 37, 41; , NJW 2005, 830, 831; , FamRZ 2007, 1314, 1315 Tz. 16). Auf diese Verbindung kann nur verzichtet werden, wenn das Protokollurteil die in das Protokoll aufgenommenen Feststellungen und Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO ebenfalls enthält (vgl. , WM 2007, 1192, 1193 Tz. 16); dies ist jedoch hier nicht der Fall.

c) Im vorliegenden Fall kann die Verbindung der Urkunden nicht mehr nachgeholt werden, weil seit der Verkündung des Urteils mehr als fünf Monate verstrichen sind. Insoweit gilt dieselbe Einschränkung wie beim Nachholen einer fehlenden richterlichen Unterschrift (vgl. hierzu , WM 2007, 806, 807 Tz. 9 und vom - XII ZR 164/03, NJW-RR 2007, 1567, 1568 Tz. 14, jeweils m.w.Nachw.). Mit der Fristenregelung der §§ 517, 548 ZPO wird die Zeit für die nachträgliche Abfassung, Unterzeichnung und Übergabe an die Geschäftsstelle des bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefassten Urteils begrenzt; darin kommt die gesetzliche Wertung zum Ausdruck, Fehlerinnerungen der an der Entscheidung beteiligten Richter zu vermeiden und damit zur Rechtssicherheit beizutragen ( GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603, 2604; , WM 2006, 1822, 1823 Tz. 14). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn das Nachholen der Verbindung eines Urteils mit Tatbestand und Gründen auch noch nach dem Ablauf der 5-Monats-Frist zulässig wäre, weil die Herstellung einer solchen Verbindung einer nachträglichen Abfassung des Urteils gleichkäme. Die Gefahr, dass das richterliche Erinnerungsvermögen im Einzelfall nicht mehr ausreicht, um durch die Verbindung von Urteil und Protokoll zu dokumentieren, dass die Darlegungen in dem nur vom Vorsitzenden und der Justizangestellten unterschriebenen Protokoll dem Ergebnis der Beratung entsprechen, wird in dem Maß größer, in welchem der Zeitabstand zwischen der Urteilsberatung und der nachgeholten Verbindung des Urteils mit dem Protokoll zunimmt.

2. Das Berufungsurteil kann auch nicht als Stuhlurteil nach § 310 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO aufrechterhalten werden, weil es entgegen § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mit Gründen versehen ist (§ 547 Nr. 6 ZPO), sondern nur die Urteilsformel enthält (vgl. BGHZ 158, 37, 43).

II.

Das angefochtene Urteil war demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 1521 Nr. 21
WM 2008 S. 1331 Nr. 28
TAAAC-82727

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja