BFH Beschluss v. - X B 135/07

Übergehen eines Beweisantrags; Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht; Vorliegen eines erheblichen Rechtsanwendungsfehlers bei Schätzungen; Vorliegen einer Überraschungsentscheidung

Gesetze: FGO § 76, FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Die Beschwerdebegründung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) entspricht nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert eine ordnungsgemäße Begründung i.S. von § 116 Abs. 3 FGO, dass sich der Beschwerdeführer mit den Gründen der Vorentscheidung auseinandersetzt. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss aus sich heraus erkennen lassen, dass der Beschwerdeführer anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat (vgl. z.B. , BFHE 136, 521, BStBl II 1983, 48). Sie muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss erkennen lassen, welche Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Art nach Ansicht des Beschwerdeführers das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen und welche Gesichtspunkte dem entgegengestellt werden (BFH-Entscheidungen vom IX R 177/83, BFHE 143, 196, BStBl II 1985, 470; vom I R 108/81, BFHE 144, 40, BStBl II 1985, 523).

Eine Verweisung auf die Begründung in einem anderen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist deshalb grundsätzlich nicht ausreichend, denn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss aus sich selbst heraus erkennen lassen, dass der Beschwerdeführer sich mit der angegriffenen Entscheidung auseinandergesetzt hat. Ausnahmsweise reicht, dass eine Abschrift des in Bezug genommenen Schriftsatzes eingereicht und ausdrücklich zum Gegenstand des Vortrags gemacht wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII R 307/81, BFH/NV 1987, 793, und vom VIII R 104/83, BFH/NV 1988, 306, jeweils m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat der Kläger in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde zwar ausdrücklich auf sein Vorbringen in den Verfahren X B 92/07, X B 104/07, X B 105/07, X B 132/07 und X B 133/07 Bezug genommen, jedoch keine Abschrift der in jenen Rechtssachen eingereichten Schriftsätze beigefügt.

Der verbleibende Inhalt der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde genügt für sich allein den oben beschriebenen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung nicht.

2. Die vom Kläger gerügten Unrichtigkeiten im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sind nicht im Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern nur mit einem fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung beim Finanzgericht —FG— (§ 108 FGO) geltend zu machen (Senatsbeschluss vom X B 206/05, BFH/NV 2006, 1877).

3. Der Kläger legt einen Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht in der gebotenen Weise dar. Die Rügen, das FG habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch Nichterhebung angebotener Zeugenvernehmungen und Übernahme der Feststellungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) ohne eigene Ermittlungsmaßnahmen nicht hinreichend aufgeklärt, sind nicht schlüssig vorgetragen worden.

a) Die formgerechte Rüge mangelnder Sachaufklärung durch Nichterhebung angebotener Beweise setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die ermittlungsbedürftigen Tatsachen (Beweisthemen), die angebotenen Beweismittel, die genauen Fundstellen (Schriftsatz oder Terminsprotokoll, in denen die Beweismittel benannt worden sind, die das FG nicht erhoben hat), das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme, inwieweit das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann, darlegt und ausführt, dass —sofern die Voraussetzungen des § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind— bei nächster sich bietender Gelegenheit die Nichterhebung der Beweise gerügt worden ist oder dass die Absicht des FG, die angebotenen Beweise nicht zu erheben, nicht rechtzeitig erkennbar war, um dies noch vor dem FG rügen zu können (Senatsbeschluss vom X B 142/03, nicht veröffentlicht —n.v.—).

b) Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Mit dem Vorbringen, das FG habe die angebotenen Zeugen nicht vernommen, legt der Kläger den von ihm behaupteten Verfahrensfehler der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht in der gebotenen Weise dar. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich weitgehend in dem Vortrag, das FG habe von zwölf benannten Zeugen nur drei Zeugen vernommen. Es fehlen auch Ausführungen, dass die unterbliebenen Zeugenvernehmungen vom rechtskundig vertretenen Kläger rechtzeitig gerügt worden sind. Umstände, die darauf hindeuten, dass der Kläger an einer rechtzeitigen Rüge vor dem FG gehindert war, wurden ebenfalls nicht dargelegt.

Zu den unterbliebenen Vernehmungen der Zeugen H und K, deren Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom wiederholend beantragt wurde, fehlen jedenfalls Ausführungen dazu, welches Ergebnis diese Beweisaufnahmen hätten haben können und inwieweit das Urteil des FG auf den unterbliebenen Beweisaufnahmen beruhen soll.

c) Mangels Vortrags zum mutmaßlichen Beweisergebnis kann auch die weitere Rüge, das FG habe seine Fürsorge- und Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt, indem es dem —rechtskundig vertretenen— Kläger keine Gelegenheit und Hilfe bei der Formulierung seiner Beweisanträge für die beantragten Zeugenvernehmungen gewährt habe, nicht die Revisionszulassung zu begründen. Die Rüge, das FG habe seine Hinweispflicht verletzt, erfordert die substantiierte Darlegung, was ohne eine solche Rechtsverletzung —im Streitfall von den Zeugen hier vor allem von der Zeugin Z— noch Entscheidungserhebliches vorgetragen worden wäre (, IV B 131/06, BFH/NV 2008, 233).

4. Die weitere Rüge, das FG habe die Feststellungen des FA aus dem Fahndungsbericht ohne eigene Ermittlungen übernommen, führt nicht zur Zulassung der Revision. In der damit sinngemäß erhobenen Rüge der fehlerhaften Beweiswürdigung durch das FG liegt kein Verfahrensfehler, sondern ein Angriff auf die materiell-rechtliche Auffassung des FG. Diese rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision (s. hierzu z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 76 und 82, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

5. Sollten die Ausführungen des Klägers über die Voreingenommenheit der Richter des FG und deren Verhinderung einer Sachverhaltsaufklärung als (erneute) Rüge der Befangenheit bzw. der Ablehnung ihres früheren Befangenheitsantrags zu verstehen sein, würden die Einwände unbeachtlich sein bzw. die Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels nicht erfüllen. Der im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wiederholte Einwand, die Berufsrichter des erkennenden Senats beim FG seien befangen gewesen, ist unbeachtlich. Ein Ablehnungsgesuch (§ 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 1 ZPO) durch einen Beteiligten —hier den Kläger— ist grundsätzlich nur bis zur Beendigung der Instanz, also im Streitfall bis zur Beendigung des Verfahrens vor dem FG zulässig, da dem Antrag mangels Auswirkung auf die Sachentscheidung sonst das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (Senatsbeschluss vom X B 107/04, BFH/NV 2005, 1617; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 51 Rz 29).

6. Die vom Kläger gegen die Schätzung des FG erhobenen Einwände vermögen die Zulassung der Revision nicht zu begründen. Der Kläger legt einen erheblichen Rechtsanwendungsfehler des FG bei der Schätzung des Umsatzes, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen könnte (Senatsbeschlüsse vom X B 126/07, n.v.; vom X B 38/06, BFH/NV 2007, 757), nicht dar.

a) Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich (Senatsbeschluss vom X B 142/03,

n.v.). Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 36/07, n.v.). Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis der Schätzung als offensichtlich realitätsfremd darstellt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdeschrift darzulegen (Senatsbeschluss vom X B 218/06, BFH/NV 2007, 2273).

b) Dies ist nicht geschehen. Der Kläger legt nicht in der erforderlichen Weise dar, dass das Schätzungsergebnis des FG willkürlich und realitätsfremd ist.

Seine Ausführungen erschöpfen sich nach Art einer Revisionsbegründung in kritischen Äußerungen darüber, dass und warum die vom FG vorgenommene rechtliche Beurteilung und tatsächliche Würdigung des Streitfalles unrichtig sein soll. Es fehlen substantiierte Ausführungen dazu, warum die auf allen Ebenen der Schätzung gerügten Rechtsfehler im Streitjahr zu einem willkürlichen und realitätsfremden Schätzungsergebnis geführt haben sollen. Das FG hält im Streitjahr eine Hinzuschätzung steuerpflichtiger Umsätze zum Steuersatz 7 % in Höhe von 77 325 DM von den erklärten 206 831 DM auf 284 156 DM für schlüssig und wirtschaftlich möglich. Dem hält der Kläger nur Ausführungen zur unzutreffenden Anwendung der Bargeldverkehrsrechnung durch das FG als Schätzungsmethode entgegen, obwohl das FG sich für das Streitjahr dieser Schätzungsmethode überhaupt nicht bedient hat.

7. Die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) wegen einer Überraschungsentscheidung des FG und eines unterbliebenen Sachvortrags in der mündlichen Verhandlung wird nicht hinreichend dargelegt.

a) Die schlüssige Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Erlass einer Überraschungsentscheidung erfordert substantiierte Darlegungen dazu, was der Beschwerdeführer bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (Senatsbeschluss vom X B 36/07, n.v.). Das hat der Kläger unterlassen.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, das FG habe in der mündlichen Verhandlung vom einen Einigungsvorschlag unterbreitet, nach dessen Inhalt ihm keine Umsätze aus dem Verkaufsstand „E” hinzugeschätzt werden sollten. Er habe auf die dem Einigungsvorschlag zugrunde liegende tatsächliche und rechtliche Würdigung des FG vertraut und nicht erkennen können, dass das FG im Urteil die Zeugenaussagen anders würdigen, zu seinem Nachteil an Hinzuschätzungen festhalten und keinen weiteren Einigungsvorschlag machen werde.

Hierin liegt aber keine Überraschungsentscheidung. Die Zurechnung der Umsätze und die Schätzungsgrundlagen waren Gegenstand der Zeugenvernehmungen und somit zentraler Gegenstand der mündlichen Verhandlungen. Dass das FG die Aussage der Zeugen anders gewürdigt hat, als vom Kläger erwartet und es nach der Beweisaufnahme keinen Hinweis auf seine spätere Beweiswürdigung und das Schätzungsergebnis gegeben hat, verstößt nicht gegen das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs. Das FG ist hieraus weder zu einem Rechtsgespräch, noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung in dem Sinne verpflichtet, dass es die maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten vorher umfassend und im Einzelnen zu erörtern oder ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte, Schlussfolgerungen oder das Ergebnis seiner Gesamtwürdigung im Voraus anzudeuten oder mitzuteilen hätte (Senatsbeschluss vom X B 183/07, BFH/NV 2007, 2320). Es musste sich dem Kläger auch ohne Hinweis des FG geradezu aufdrängen, dass das FG —wie der Kläger selbst betont— den Einigungsvorschlag aus Gründen der Prozessökonomie vor der Beweisaufnahme und somit gerade zu einem Zeitpunkt gemacht hat, in dem die entscheidungserheblichen Tatsachen noch nicht festgestellt waren. Nach Ablehnung des Einigungsvorschlags durch die Beteiligten hat das FG die Beweisaufnahmen in den mündlichen Verhandlungen vom und durchgeführt. Es lag auf der Hand, dass das FG nunmehr in die Sachverhaltsaufklärung eintreten und auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts entscheiden werde. Welchen weiteren Vortrag der Kläger noch hätte bringen wollen und welchen Einfluss dieser auf die tatsächliche und rechtliche Würdigung des FG hätte haben können, wird von ihm nicht ausgeführt.

b) Das weitere Vorbringen des Klägers, das finanzgerichtliche Urteil sei überraschend zu einem Zeitpunkt ergangen, in dem der Kläger nicht habe damit rechnen müssen, wodurch ihm die Möglichkeit Einwendungen vorzubringen abgeschnitten worden sei, widerspricht dem Inhalt des Protokolls der Sitzung vom . In diesem ist der verkündete Gerichtsbeschluss aufgeführt, wonach die mündliche Verhandlung u.a. in diesem Verfahren, der Streitsache 10 K 249/03, geschlossen und die Entscheidung am Schluss der Sitzung verkündet werde (Bl. 84 der FG-Akte).

c) Mit der Rüge, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass der Sachbericht entgegen § 92 Abs. 2 FGO in den mündlichen Verhandlungen nicht vorgetragen und über die Sache kein Rechtsgespräch geführt worden sei, legt der Kläger den behaupteten Verfahrensmangel nicht schlüssig dar. Da etwaige Verstöße im Zusammenhang mit § 92 Abs. 2 FGO und § 93 Abs. 1 FGO zu den Mängeln gehören, auf die gemäß § 295 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO verzichtet werden kann (, n.v.), muss in der Beschwerdebegründung darauf eingegangen werden, ob eine solche Rüge in der nachfolgenden mündlichen Verhandlung erhoben worden ist oder aus welchem Grund dies nicht möglich war. Derlei Ausführungen fehlen. Zur Ausübung seines Rügerechts äußert sich der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht, obwohl er nach Aktenlage sein Rügerecht verloren hat. Es ergibt sich aus den Niederschriften der mündlichen Verhandlungen vom und , dass der wesentliche Inhalt der Akten für die zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Verfahren (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO) unter Einbeziehung der Streitsache vorgetragen und mit den Beteiligten erörtert worden (mündliche Verhandlung vom ) oder den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme vor Schließung der mündlichen Verhandlung am eingeräumt worden ist. Gemäß § 94 FGO i.V.m. § 165 ZPO ist (bis zum Nachweis der Fälschung und Protokollberichtigung, vgl. § 165 Satz 2 ZPO) davon auszugehen, dass das Protokoll richtig ist (Gräber/Koch, a.a.O., § 94 Rz 22). Der Kläger hat nach den Niederschriften zu den mündlichen Verhandlungen weder beantragt den Sachbericht des Streitfalles vortragen zu lassen noch hat er die Rüge erhoben, es sei kein Rechtsgespräch geführt worden.

Fundstelle(n):
GAAAC-81862