Einkommensteuerbescheid ist kein Grundlagenbescheid für die Gewerbesteuer; Verletzung des Rechts auf Gehör
Leitsatz
Aus § 7 GewStG ergibt sich das Recht des Steuerpflichtigen, eine vom Einkommensteuerverfahren unabhängige Prüfung des Gewerbeertrags zu verlangen und mit denselben Einwendungen wie bei der Einkommensteuer gegen die Höhe des Gewerbeertrags vorzugehen. In den Einkommensteuerbescheiden sind insoweit keine Grundlagenbescheide zu sehen, die die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte daran hindern, die steuerliche Einordnung der Einkünfte im Gewerbesteuerverfahren anders zu treffen als im Einkommensteuerverfahren.
Gesetze: GewStG § 7, GewStG § 35b, FGO § 96 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachte Verfahrensverstoß als Grund für die Zulassung einer Revision gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegt nicht vor. Das Finanzgericht (FG) hat bei der Urteilsfindung nicht gegen das Grundrecht der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO verstoßen.
1. Die Klägerin begründet den Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör damit, dass das FG auf ihr Klagebegehren, das sich sowohl aus den in der Klageschrift als auch den in der Stellungnahme vom zum Protokoll über den Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage gemachten Angaben ergebe, nicht eingegangen sei. Ihr Klagebegehren beziehe sich darauf, dass sie nicht nur —wie ausdrücklich beantragt— die Aufhebung der Gewerbesteuermessbescheide 1995 bis 1999 und die Feststellung der vortragsfähigen Gewerbeverluste auf den bis anstrebe, sondern mit der Klage auch die Einbeziehung der Verluste aus Gewerbebetrieb in die Einkommensbesteuerung erreichen wolle. Zur Begründung ihres Begehrens stützt sie sich auf zahlreiche Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) und einiger Finanzgerichte zum Begriff der Liebhaberei und zur Frage, wann von einer Gewinnerzielungsabsicht auszugehen ist.
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst vor allem das durch Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO gewährleistete Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Sie haben einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Weiterhin hat das Gericht seine Entscheidung zu begründen, wobei aus seiner Begründung erkennbar sein muss, dass eine Auseinandersetzung mit dem wesentlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten stattgefunden hat (, BVerfGE 54, 86, m.w.N.). Diese richterliche Pflicht geht jedoch nicht soweit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste, da davon auszugehen ist, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Es darf das Vorbringen außer Acht lassen, das nach seiner Auffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist. Das rechtliche Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 54, 86).
3. Legt man diese Grundsätze zugrunde, hat das FG nicht gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verstoßen.
a) Wird das Klagebegehren der Klägerin so umfassend ausgelegt, dass sie nicht nur die Aufhebung der Gewerbesteuermessbescheide und der Bescheide zur Feststellung der Gewerbeverluste, sondern vor allem auch die Berücksichtigung der gewerblichen Verluste bei ihrer Einkommensteuer erreichen will, war für die Ablehnung dieses Antrags eine Auseinandersetzung des FG mit der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung zum Liebhabereibegriff und zur Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich, da bereits aus formalen Gründen wegen der Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide ein Ausgleich der geltend gemachten gewerblichen Verluste mit anderen Einkünften nicht möglich war. Wie das FG zu Recht ausführt, hat auch nicht die Möglichkeit bestanden, über die Änderung der Gewerbesteuermessbescheide zu einer Änderung der Einkommensteuerbescheide zu gelangen. Insbesondere ist § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) nicht anwendbar. Die Vorschrift ermöglicht nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur eine Änderung des Gewerbesteuermessbescheids nach erfolgter Änderung des Einkommensteuerbescheids. Eine Bindung des Einkommensteuerbescheids an den Gewerbesteuermessbescheid besteht demgegenüber nicht (, BFH/NV 1989, 482). Deshalb konnte es auf die Frage der Liebhaberei und das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht nicht mehr ankommen; diesbezügliche Erörterungen des FG wären überflüssig gewesen.
b) Sieht man dagegen das Klagebegehren der Klägerin durch ihren ausdrücklich gestellten Antrag auf die Aufhebung der geänderten Gewerbesteuermessbescheide und Verlustfeststellungsbescheide begrenzt, ist die Begründung des FG hinsichtlich der Feststellungsbescheide zwar fehlerhaft; dieser Fehler rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision.
aa) Das FG verkennt, dass sich aus § 7 GewStG das Recht des Steuerpflichtigen ergibt, eine vom Einkommensteuerverfahren unabhängige Prüfung des Gewerbeertrags zu verlangen und mit denselben Einwendungen wie bei der Einkommensteuer gegen die Höhe des Gewerbeertrags vorzugehen (, BFHE 83, 466, BStBl III 1965, 667; Sarrazin in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 35b Rz 15 ff.; Blümich/Hofmeister, § 35b GewStG Rz 30). In den Einkommensteuerbescheiden sind insoweit keine Grundlagenbescheide zu sehen, die die Finanzverwaltung und das FG daran hindern, die steuerliche Einordnung der Einkünfte im Gewerbesteuerverfahren anders zu treffen als im Einkommensteuerverfahren (vgl. Selder in Glanegger/Güroff, GewStG, 6. Aufl., § 35b Rz 2). Das FG übersieht dies, als es wegen einer vermeintlichen Bindung an die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide aufgrund von § 35b GewStG nicht näher auf die steuerliche Einordnung der in Frage stehenden Verluste eingeht und die Frage nicht prüft, ob es sich bei der Vercharterung des Motorbootes um eine Liebhaberei handelt bzw. ob die Klägerin mit Gewinnerzielungsabsicht tätig gewesen ist.
bb) Dennoch liegt eine zur Revisionszulassung führende Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vor, da nach der ständigen Rechtsprechung des BFH bei der Prüfung, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, der materiell-rechtliche Standpunkt des FG zugrunde zu legen ist (siehe Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 79, m.w.N). Das FG ist erkennbar von einer Bindungswirkung der Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1999 als Quasi-Grundlagenbescheide für die gewerbesteuerlichen Verluste ausgegangen; insofern stellte sich für das FG die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zur Liebhaberei und Gewinnerzielungsabsicht nicht.
4. Sofern die Klägerin geltend macht, ihr Grundrecht auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt worden, dass das FG sie nicht gemäß § 65 Abs. 2 FGO zu einer erforderlichen Klageergänzung aufgefordert habe, behauptet sie eine Verletzung der Prozessfürsorgepflicht des FG nach § 76 Abs. 2 FGO, die regelmäßig auch eine Verletzung des Rechts auf Gehör darstellt (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 56, m.w.N.). Für die schlüssige Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs muss der Beschwerdeführer jedoch substantiiert darlegen, welches Vorbringen bzw. welches zusätzliche Klagebegehren des Beschwerdeführers das FG bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Bezieht sich —wie im Streitfall— der gerügte Verstoß nur auf einzelne Feststellungen, ist zusätzlich substantiiert darzulegen, wozu sich der Beschwerdeführer nicht hat äußern können, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (vgl. hierzu , BFH/NV 2004, 1665; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 14, m.w.N.). Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen der Klägerin ausreichend substantiiert ist, da das FG —im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin— das über den eigentlichen Klageantrag hinausgehende Klagebegehren, nämlich die Einbeziehung der gewerblichen Verluste in die Einkommensbesteuerung der Klägerin, in seinem Urteil sehr wohl berücksichtigt hat, wie sich sowohl der Darstellung des Erörterungstermins im letzten Absatz des Tatbestandes als auch den Erörterungen in den Urteilsgründen im letzten Absatz auf S. 5 des Urteils entnehmen lässt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1361 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2008 S. 14
XAAAC-81395