EuGH Beschluss v. - C-415/06

Abzugsverbot für Verluste aus USA-Betriebsstätte, weil nach DBA diese Betriebsstätteneinkünfte nicht der deutschen Besteuerung unterliegen

Leitsatz

[1] Eine nationale Steuerregelung, wonach eine Gesellschaft, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat, bei der Ermittlung ihres Gewinns nicht die Verluste aus einer Betriebsstätte in einem Drittstaat abziehen kann, berührt vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art. 43 bis 48 EG. Diese Bestimmungen können bei einem Sachverhalt, der eine Betriebsstätte in einem Drittstaat betrifft, nicht geltend gemacht werden.

Gesetze: VerfO Art. 104 § 3 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), , ,

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 EG bis 58 EG.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Stahlwerk Ergste Westig GmbH (im Folgenden: Stahlwerk Ergste Westig) gegen das Finanzamt Düsseldorf-Mettmann (im Folgenden: Finanzamt) wegen des Abzugs der Verluste aus in einem Drittstaat ansässigen Personengesellschaften, deren sämtliche Anteile von Stahlwerk Ergste Westig gehalten werden.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

3 Stahlwerk Ergste Westig ist eine deutsche Gesellschaft, die in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Im Steuerjahr 1999, hielt sie 100 % der Anteile von zwei amerikanischen Personengesellschaften, die von dem vorlegenden Gericht als Betriebsstätten eingestuft werden.

4 Diese zwei Gesellschaften erlitten im genannten Steuerjahr 1999 Verluste in Höhe von 3 425 382 DM, die Stahlwerk Ergste Westig bei der Berechnung des Gesamtbetrags ihrer Einkünfte in Deutschland in diesem Steuerjahr abzog.

5 Das Finanzamt lehnte einen solchen Verlustabzug ab. Es begründete dies vor allem damit, dass Einkünfte aus Betriebsstätten nach Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom (BGBl. 1991 II, S. 355, im Folgenden: deutsch-amerikanisches Doppelbesteuerungsabkommen) von der Steuer in Deutschland befreit sind.

6 Die Klage von Stahlwerk Ergste Westig gegen diese Entscheidung des Finanzamts wies das ab.

7 Der mit dem Rechtsstreit befasste Bundesfinanzhof, stellt fest, dass eine Unvereinbarkeit der nationalen Steuerregelung mit dem Gemeinschaftsrecht voraussetze, dass nicht nur die Niederlassungsfreiheit, sondern auch die Freiheit des Kapitalverkehrs verletzt sei.

8 Der Bundesfinanzhof hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist es mit Art. 56 EG und Art. 58 EG vereinbar, wenn ein deutsches Unternehmen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb Verluste aus einer Betriebsstätte in einem Drittstaat (hier: die Vereinigten Staaten von Amerika) bei der Gewinnermittlung nicht abziehen kann, weil nach dem maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen entsprechende Betriebsstätteneinkünfte nicht der deutschen Besteuerung unterliegen?

2. Ist eine abkommensrechtliche Regelung mit dem vorgenannten Inhalt im Hinblick auf die Vorbehaltsklausel in Art. 57 Abs. 1 Satz 1 EG dann mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn die maßgeblichen Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens schon am 31. Dezember 1993 bestanden haben, der sich aus ihnen ergebende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten aber bis zum Jahr 1998 durch das innerstaatliche deutsche Recht aufgehoben wurde?

Zu den Vorlagefragen

9 Der Gerichtshof kann gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden, wenn die Antwort auf die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann.

10 Diese Verfahrensvorschrift ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

11 Mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht nämlich wissen, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr auf die steuerliche Behandlung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat, in Bezug auf das Ergebnis von dieser Gesellschaft gehörenden Betriebsstätten in einem Drittstaat anzuwenden sind.

12 Da der Bundesfinanzhof in den Entscheidungsgründen des Vorlagebeschlusses auch die Frage eines möglichen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit aufwirft, hat der Gerichtshofs zu bestimmen, an welcher Freiheit aus dem Vertrag die streitige Steuerregelung zu messen ist.

13 Zur Beantwortung dieser Frage ist es nach gefestigter Rechtsprechung erforderlich, auf den Gegenstand der streitigen Steuerregelung abzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom , Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnrn. 31 bis 33, vom , Fidium Finanz, C-452/04, Slg. 2006, I-9521, Randnrn. 34 und 44 bis 49, vom , Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnrn. 37 und 38, sowie vom , Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007 I-0000, Randnrn. 26 bis 34).

14 In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof festgestellt, dass nationale Vorschriften über den Besitz einer Beteiligung, die es ermöglicht, einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Baars, C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Randnr. 22, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 31, sowie Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 27).

15 Da das deutsch-amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen die Situation einer Betriebsstätte in den Vereinigten Staaten von Amerika betrifft, steht fest, dass es auf eine feste Geschäftseinrichtung anwendbar ist, durch die ein deutsches Unternehmen seine Tätigkeit ganz oder teilweise ausübt. Das Abkommen ist daher allein auf die Beteiligungen anwendbar, die es ermöglichen, einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen einer solchen Betriebsstätte auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Außerdem steht auch fest, dass im vorliegenden Fall die Betriebsstätten in den Vereinigten Staaten vollständig Ergste Westig gehören. Daraus folgt, dass der vorliegende Fall allein in den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit fällt.

16 Selbst wenn die im Ausgangsverfahren streitige nationale Steuerregelung beschränkende Auswirkungen auf den freien Kapitalverkehr haben sollte, sind diese Auswirkungen als eine zwangsläufige Folge der eventuellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen, so dass sie keine Prüfung anhand der Art. 56 EG bis 58 EG rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 33, Fidium Finanz, Randnrn. 48 und 49, sowie Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 34).

17 Daher brauchen die in Bezug auf die Vorschriften des Vertrags über den freien Kapitalverkehr gestellten Fragen nicht beantwortet zu werden.

18 Es ist zu berücksichtigen, dass die Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit keine Regelung enthalten, die den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen auf Sachverhalte erstreckt, die eine Niederlassung betreffen, die eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat in einem Drittstaat unterhält (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom , A und B, C-102/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28, und Urteil vom , Holböck, C-157/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 28). Daher können die Art. 43 EG bis 48 EG in einem Fall, in dem es um die Verluste aus einer Betriebsstätte in einem Drittstaat geht, nicht geltend gemacht werden.

19 Nach alledem ist auf die vorgelegte Fragen zu antworten, dass eine nationale Steuerregelung, wonach eine Gesellschaft, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat, bei der Ermittlung ihres Gewinns nicht die Verluste aus einer Betriebsstätte in einem Drittstaat abziehen kann, vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art. 43 bis 48 EG berührt. Diese Bestimmungen können bei einem Sachverhalt, der eine Betriebsstätte in einem Drittstaat betrifft, nicht geltend gemacht werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Fundstelle(n):
JAAAC-81138

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg