BGH Urteil v. - X ZR 150/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 41; ZPO § 41 Nr. 6; ZPO § 178 Abs. 2; BGB § 130 Abs. 1 Satz 1; BGB § 1041; BGB § 1042; BGB § 1043; BGB § 1044; BGB § 1045; BGB § 1046; BGB § 1047; BGB § 1051

Instanzenzug: LG Bonn, 3 O 358/03 vom OLG Köln, 15 U 70/05 vom

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten, einem ihrer Söhne, die Rückauflassung des diesem übertragenen, 1.036 m2 großen und zunächst gemeinschaftlich bewohnten Hausgrundstücks. Mit notariellem Vertrag vom übertrug die Klägerin dem Beklagten das Grundstück unentgeltlich unter gleichzeitiger Bestellung eines lebenslangen, unentgeltlichen Nießbrauchs für sie. Der Beklagte verpflichtete sich, den Grundbesitz zu Lebzeiten der Klägerin ohne deren Zustimmung weder zu veräußern noch zu belasten; bei Verstoß gegen dieses Verfügungsverbot sollte die Klägerin zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt sein. Bei der Umschreibung des Grundstücks auf den Beklagten wurde zugunsten der Klägerin zur Sicherung des bedingten Rückübertragungsanspruchs eine Rückauflassungsvormerkung eingetragen.

Im Zug von auch von der Klägerin gebilligten Verwertungsbemühungen über eine Teilfläche des Grundstücks nahm der Beklagte Vermessungsleistungen der Stadt Siegburg in Anspruch; dies führte zu einer Auferlegung der Vermessungskosten und - nachdem diese nicht sogleich und nicht in voller Höhe beglichen wurden - im Juni 2003 zur Eintragung einer Zwangssicherungshypothek zugunsten der Stadt. Nachdem es zwischen dem Beklagten und seinem Bruder K. zu einem Zerwürfnis gekommen und der Beklagte im Frühjahr 2003 nach Bonn gezogen war, widerrief die Klägerin im März 2004 die Schenkung an ihn wegen groben Undanks. Die Eintragung der Zwangshypothek nahm die Klägerin zum Anlass, vom Vertrag zurückzutreten und die Rückauflassung des Grundstücks gerichtlich zu betreiben. Zu einer Zwangsversteigerung kam es in der Folgezeit nicht; vielmehr wurden die Vermessungskosten durch den Beklagten im November 2003 vollständig bezahlt. Die Zwangssicherungshypothek wurde daraufhin gelöscht.

Nachdem die Klägerin zunächst ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten erwirkt hatte, das wegen Verstoßes gegen das Verbot der Ersatzzustellung an den Gegner in § 178 Abs. 2 ZPO für wirkungslos erklärt wurde, hat das Landgericht den Beklagten zur Rückauflassung verurteilt. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte in erster Linie seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

Die Berufung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.

I. 1. Das Berufungsgericht hat die notarielle Vereinbarung vom ergänzend dahin ausgelegt, dass diese nicht auf das Verbot rechtsgeschäftlicher Veräußerung oder Belastung beschränkt sei, sondern dass das Rücktrittsrecht der Klägerin auch für den Fall bestehen solle, dass das Grundstück im Weg der Zwangsvollstreckung belastet werde.

2. a) Die Revision macht geltend, der Beklagte habe - was das Berufungsgericht nicht verkannt habe - lediglich die Verpflichtung übernommen, das Grundstück nicht zu veräußern oder ohne Zustimmung der Klägerin zu belasten. Das Gericht könne eine ergänzende Vertragsauslegung nicht schon dann vornehmen, wenn eine Frage, die sich als erheblich erweise, im Vertrag nicht geregelt sei. Erforderlich sei vielmehr eine planwidrige Lücke des Vereinbarten, weil die Parteien im Rahmen des von ihnen wirklich Gewollten die Frage als regelungsbedürftig angesehen hätten. Der Nießbrauch der Klägerin sei durch die nachrangige Belastung des Grundstücks mit der Sicherungshypothek nicht gefährdet gewesen; die vom Berufungsgericht angeführte Sicherung eines unbeschwerten Lebensabends für die Klägerin könne es allenfalls rechtfertigen, die Zwangsversteigerung des Grundbesitzes einer Veräußerung gleichzustellen, zu der es aber nicht gekommen sei. Auch von einer Belastung des Grundstücks unterscheide sich die Eintragung der Zwangssicherungshypothek grundlegend, denn sie gehe allen eingetragenen Rechten der Klägerin im Rang nach. Zudem hätte die Klägerin bei Einleitung eines Zwangsversteigerungsverfahrens noch ausreichend Zeit gehabt, ihr Rücktrittsrecht auszuüben. Weiter sei das Rücktrittsrecht nur für den Fall ausbedungen gewesen, dass die Belastung ohne vorherige Zustimmung der Klägerin erfolge; diese habe aber vor Eintragung der Zwangssicherungshypothek nicht eingeholt werden können. Mit einer vorsätzlichen Belastung ohne Zustimmung der Klägerin sei die Eintragung der Zwangssicherungshypothek, die nicht auf einem freien Entschluss des Beklagten beruhe, nicht zu vergleichen.

b) Diesen Revisionsrügen hält das Berufungsurteil stand.

aa) Die Auslegung der Individualvereinbarung zwischen den Parteien ist zunächst Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf überprüfbar, ob sie auf Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentliches Tatsachenmaterial außer Acht gelassen wurde, oder gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder gesetzliche Auslegungsregeln verstoßen worden ist (vgl. z.B. Sen.Urt. v. - X ZR 80/01, BGH-Report 2003, 150; Urt. v. - X ZR 88/90, NJW 1992, 1967, 1968; BGHZ 135, 269, 273). Derartige Fehler zeigt die Revision nicht auf. Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, dass die Vereinbarung die Belastung mit einer Zwangshypothek eines Dritten nicht erfasst.

bb) Im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Belastung mit der Zwangshypothek im Weg der ergänzenden Vertragsauslegung in die vertraglichen Regelungen einbezogen werden kann. Auch das ist im Revisionsverfahren nur eingeschränkt überprüfbar (, WM 2002, 1229).

cc) Zunächst hat das Berufungsgericht richtig gesehen, dass eine planwidrige Lücke des Vereinbarten (vgl. nur BGHZ 127, 138, 142) Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist. Eine solche planwidrige Lücke liegt dann vor, wenn die Parteien mit der getroffenen Regelung ein bestimmtes Ziel erreichen wollten, dies aber wegen der Lückenhaftigkeit des Vereinbarten nicht gelungen ist (, NJW-RR 2004, 554 = BGH-Report 2004, 425). In diesem Sinn begegnet die Bejahung der planwidrigen Lücke keinen durchgreifenden Bedenken. Dass der Beklagte den Grundbesitz ohne Zustimmung der Klägerin weder veräußern noch belasten durfte, hatte ersichtlich den Zweck, die Weiternutzung der Wohnung durch die Klägerin nicht zu gefährden. Eine derartige Gefährdung konnte auch durch die Belastung mit einer Sicherungshypothek eintreten, denn aus dieser rührte die Gefahr einer Zwangsverwertung des Grundstücks mit einem sich daraus ergebenden Eigentümerwechsel her. Die Klägerin musste selbst bei Berücksichtigung des Umstands, dass der rechtliche Bestand ihres Nießbrauchs durch die nachrangige Zwangssicherungshypothek nicht gefährdet war (vgl. §§ 44, 52 ZVG), befürchten, in für sie möglicherweise unübersehbare Auseinandersetzungen mit einem außenstehenden neuen Eigentümer verwickelt zu werden. Die Folgerung des Berufungsgerichts, auch dieser Fall habe dem Rücktrittsrecht unterworfen werden sollen, ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch , NJW 1994, 3299 = MDR 1995, 791). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Nießbraucherin nach §§ 1041 - 1047, 1051 BGB Verpflichtungen gegenüber dem neuen Eigentümer nach Durchführung einer Zwangsversteigerung treffen konnten (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. - 21 U 23/02, OLG-Report Frankfurt 2003, 306, 308).

II. Die Ausfüllung der Regelungslücke hatte nach dem hypothetischen Parteiwillen am Vertragsinhalt anzuknüpfen und darf sich nicht in Widerspruch zu dem tatsächlich Vereinbarten setzen (vgl. nur BGHZ 77, 302, 304). Dem wird die Unterstellung der Eintragung der Zwangshypothek unter das Verfügungsverbot jedenfalls dann gerecht, wenn die Zwangshypothek wegen eines dem Beklagten zuzurechnenden Verhaltens eingetragen worden ist. Hierzu hat das Berufungsgericht allerdings keine tragfähigen Feststellungen getroffen; denn es hat zwar zum einen ausgeführt, dass der Beklagte die Rechnung und mehrere Mahnungen über die Kosten der Vermessung erhalten habe, zum anderen aber unter Beweis gestellten Vortrag des Beklagten referiert, dass sein Bruder die Rechnung unterschlagen und die Klägerin mehrfach erklärt habe, sie werde für die Zahlung der Rechnung persönlich aufkommen. Das Berufungsgericht, das diesen Vortrag wegen nicht ausreichender Substantiierung als unbeachtlich angesehen hat, hat dabei nicht hinreichend beachtet, dass ein Sachvortrag bereits dann erheblich ist, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen, und dass die Angabe näherer Einzelheiten nur erforderlich ist, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind (vgl. nur Sen.Urt. v. - X ZR 77/89, NJW 1991, 2707, 2709). Das Berufungsgericht wird im wiedereröffneten Berufungsrechtszug Gelegenheit haben, dem weiter nachzugehen.

III. Keinen durchgreifenden Bedenken begegnet die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Rücktrittserklärung der Klägerin dem Beklagten vor der Bezahlung der Gebührenschuld an die Stadt Siegburg zugegangen ist. Dass die Rücktrittserklärung in einem Schriftstück erfolgte, das zugleich prozessuale Erklärungen enthielt, steht der Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über den Zugang, insbesondere der des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB, nicht entgegen (vgl. Bamberger/Roth/Wendtland, BGB, 2007, § 130 BGB Rdn. 4; Ahrens in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 2. Aufl. 2007, § 130 BGB Rdn. 3; Palandt/Heinrichs/Ellenberger, BGB, 67. Aufl. 2008, Überbl. vor § 104 Rdn. 37). Das Berufungsgericht hat in prozessual zulässiger Weise aus dem Verhalten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung den denkmöglichen und damit für das Revisionsgericht bindenden Schluss gezogen, dass der Beklagte den Zugang der Erklärung wahrheitswidrig - und damit in nicht beachtlicher Weise - bestritten habe. Damit durfte das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung von einem Zugang der Rücktrittserklärung vor Tilgung der Gebührenschuld ausgehen.

IV. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass die Eintragung der Zwangssicherungshypothek der Klägerin grundsätzlich den Rücktritt vom Übertragungsvertrag eröffnet hat, hat das Berufungsgericht nicht ausreichend geprüft, ob der Klägerin der Rücktritt nicht nach Treu und Glauben verwehrt war. Dies käme insbesondere dann in Betracht, wenn die Klägerin im Verhältnis zum Beklagten zugesagt oder sonst in zurechenbarer Weise den Eindruck vermittelt hätte, die Kosten für die Vermessung selbst zu tragen, oder wenn die Vermessung allein oder jedenfalls überwiegend im Interesse der Klägerin erfolgt wäre. Schon mangels vom Berufungsgericht getroffener Feststellungen hierzu sind die Überlegungen im Berufungsurteil, ein solches Versprechen sei eher zur Abwendung der drohenden Zwangsvollstreckung abgegeben worden, spekulativ. Dabei kann freilich auch Bedeutung erlangen, dass, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, der Beklagte die ihm von der Klägerin zur Begleichung der Vermessungskosten übergebenen 1.000 EUR nicht an die Stadt weitergeleitet hat.

V. Das Berufungsgericht hat sich - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der Frage befasst, ob die Klägerin das Grundstück auf Grund des Widerrufs der Schenkung wegen groben Undanks herausverlangen kann. Erforderlichenfalls wird es auch diese Prüfung nachzuholen haben.

VI. Der von der Revision geltend gemachte Verfahrensmangel der Gerichtsbesetzung in der Vorinstanz liegt nicht vor.

Der Richter am Landgericht Dr. Kaufmann, der am Berufungsurteil mitgewirkt hat, war nicht kraft Gesetzes nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Die Mitwirkung an zwei Beschlüssen, mit denen dem Beklagten Prozesskostenhilfe versagt worden ist, reicht hierfür nicht aus. Zwar hat der Beklagte insoweit sein Rügerecht nicht verloren (, in juris veröffentlicht). Jedoch kann der Auffassung der Revision nicht beigetreten werden, dass ein gesetzlicher Ausschlussgrund vorliege. Die Bestimmung des § 41 Nr. 6 ZPO setzt eine Mitwirkung beim Erlass der angefochtenen Entscheidung, also der erstinstanzlichen Sachentscheidung, voraus. Da der Richter weder an dieser noch an dem vorangegangenen Versäumnisurteil mitgewirkt hat, kommt es auf die streitige Frage, ob die Mitwirkung an dem Versäumnisurteil den Ausschlussgrund ausfüllte, nicht an.

Der den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten zurückweisende Beschluss des Landgerichts ist in einem Beschluss des Berufungsgerichts bestätigt worden, an dem Richter Dr. Kaufmann zudem nicht mitgewirkt hat. Die Mitwirkung an der Versagung der Prozesskostenhilfe füllt den Ausschlussgrund des § 41 Nr. 6 ZPO im Hinblick auf das Berufungsurteil nicht aus (vgl. BH, in juris veröffentlicht), zumal, da die Regelung in § 41 ZPO die Ausschließungsgründe abschließend aufführt und diese Vorschrift schon wegen der verfassungsmäßigen Anforderung, den gesetzlichen Richter im voraus möglichst eindeutig zu bestimmen, einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich ist (, NJW 2004, 163 m.w.N.).

Da der Ausschlussgrund nicht eingreift, greift auch die auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützte Rüge der Verletzung des gesetzlichen Richters nicht.

Fundstelle(n):
BAAAC-80724

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein