Leitsatz
[1] Das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren kann sich auch durch ein Ereignis erledigen, das schon vor Rechtshängigkeit eingetreten ist.
Gesetze: ArbGG § 78ArbGG § 83 Abs. 3ArbGG § 83a Abs. 2ArbGG § 84ArbGG § 92ZPO § 91aZPO § 261 Abs. 1ZPO § 567BetrVG § 99
Instanzenzug: ArbG München, 33 BV 419/05 vom LAG München, 6 TaBV 8/06 vom
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die prozessuale Erledigung eines Antrags auf Zustimmungsersetzung.
Die Arbeitgeberin unterhält Film- und Fernsehstudios. Sie bietet deren Nutzung und zudem Dienstleistungen an, die mit der Produktion von Filmen zusammenhängen. Im Juli 2004 schloss sie mit einer Kundenfirma einen längerfristigen Miet- und Dienstleistungsvertrag. Im Juli 2005 kam man überein, dass von der Arbeitgeberin künftig ein Kameramann und ein Kamera-Assistent gestellt würden. Seitdem stellte sie mehrere Kamera-Assistenten abwechselnd jeweils tageweise oder für eine Folge von Tagen ein. Für den - und nur für diesen Tag - beabsichtigte sie, den Kamera-Assistenten B einzustellen. Am unterrichtete sie den Betriebsrat. Dieser widersprach der Einstellung mit Schreiben vom .
Mit einem am beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz beantragte die Arbeitgeberin die Ersetzung seiner Zustimmung. Der Antrag wurde dem Betriebsrat am zugestellt. Im Gütetermin vom hat die Arbeitgeberin "den Rechtsstreit" für erledigt erklärt. Der Betriebsrat widersprach. Der Vorsitzende der Kammer hat sodann den Beschluss verkündet: "Das Verfahren wird eingestellt". Dagegen hat der Betriebsrat Beschwerde beim Landesarbeitsgericht eingelegt. Er hat die Auffassung vertreten, die Einstellung des Verfahrens sei fehlerhaft. Ein erledigendes Ereignis sei nicht eingetreten, weil der Zeitpunkt des Endes der Beschäftigung von Herrn B vor Eintritt der Rechtshängigkeit des Zustimmungsersetzungsantrags gelegen habe. Das Verfahren habe deshalb fortgesetzt und der ursprüngliche Antrag der Arbeitgeberin als unzulässig abgewiesen werden müssen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter, den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin abzuweisen. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Verfahren hat sich erledigt. Das Arbeitsgericht durfte es einstellen.
I. Der Senat hatte gem. § 96 Abs. 1 Satz 1, § 41 Abs. 2 ArbGG unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden.
1. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens über eine Rechtsbeschwerde nur dann ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter, wenn die Rechtsbeschwerde sich - was statthaft ist ( - BAGE 105, 195) - gegen einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts über eine sofortige Beschwerde iSv. § 83 Abs. 5 ArbGG iVm. § 78 Satz 1 ArbGG, §§ 567 ff. ZPO richtet. Dies folgt aus § 78 Satz 3 ArbGG und § 72 Abs. 6 ArbGG iVm. § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist die sofortige Beschwerde nur gegeben gegen Beschlüsse und Verfügungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist und die eine mündliche Verhandlung nicht erfordert haben.
2. Das ist hier nicht der Fall. Der vom Betriebsrat angefochtene Einstellungsbeschluss des Arbeitsgerichts konnte nur auf Grund mündlicher Verhandlung ergehen. Es handelt sich um einen das Verfahren beendenden Beschluss auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung von § 83a Abs. 2 ArbGG. Ihm hatte die Prüfung vorauszugehen, ob sich der Verfahrensgegenstand erledigt hat. Dem Beschluss liegt deshalb eine materiell-rechtliche Erkenntnis zugrunde. Eine Entscheidung im Erkenntnisverfahren bedarf gem. § 83 Abs. 4, § 80 Abs. 2, § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 128 Abs. 1 ZPO grundsätzlich der mündlichen Verhandlung. Die vom Betriebsrat eingelegte Beschwerde richtet sich deshalb gegen einen Beschluss des Arbeitsgerichts iSv. § 84 ArbGG. Über die Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht nach § 91 Abs. 1 ArbGG entschieden. Damit handelt es sich bei der vorliegenden Rechtsbeschwerde um eine solche nach § 92 ArbGG.
II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat das Verfahren zu Recht eingestellt. Das Verfahren ist erledigt. Die Arbeitgeberin hatte eine darauf gerichtete Erklärung abgegeben; ein erledigendes Ereignis ist eingetreten.
1. Allerdings durfte der Einstellungsbeschluss des Arbeitsgerichts nicht durch den Vorsitzenden allein ergehen. § 83a Abs. 2 ArbGG gilt nur für den Fall übereinstimmender Erledigterklärungen. Das Verfahren bei einseitig bleibender Erledigterklärung durch den Antragsteller ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen. Da über die einseitige Erledigterklärung durch Beschluss im Erkenntnisverfahren gem. § 84 ArbGG entschieden wird, hat die Entscheidung unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu ergehen. Die fehlerhafte Besetzung des Arbeitsgerichts wirkt sich indes auf das weitere Verfahren nicht aus. Sie ist durch die Beschwerdeentscheidung des Landesarbeitsgerichts überholt.
2. Erklärt im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Antragsteller das Verfahren für erledigt und stimmt einer der übrigen Beteiligten dem nicht zu, ist die Erklärung als - nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige - Änderung des ursprünglichen Sachantrags dahin zu verstehen, dass das Gericht die Erledigung des Verfahrens feststellen möge. Der Antragsteller begehrt eine feststellende Sachentscheidung des Inhalts, dass das Verfahren erledigt ist. Da im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren die Beendigung des Verfahrens selbst bei übereinstimmenden Erledigterklärungen aller Beteiligten nicht von selbst eintritt, sondern gem. § 83a Abs. 2 ArbGG der förmlichen Einstellung durch den Vorsitzenden bedarf, ist die einseitige Erledigterklärung zugleich als Antrag dahin aufzufassen, das Gericht möge das Verfahren einstellen. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren hat das Gericht in diesem Fall nur zu prüfen, ob ein erledigendes Ereignis tatsächlich eingetreten ist. Darauf, ob der Antrag bis dahin zulässig und begründet war, kommt es - anders als im Urteilsverfahren - nicht an (st. Rspr. seit - BAGE 65, 105, zu B I 3, 4 der Gründe).
3. Hier hat die Arbeitgeberin im Gütetermin vom "den Rechtsstreit" - und damit das Verfahren - für erledigt erklärt. Der Betriebsrat hat dem widersprochen. Ein erledigendes Ereignis liegt vor. Dies gilt, obwohl das zur Gegenstandslosigkeit des Antrags führende Ereignis schon vor Beginn der Rechtshängigkeit eintrat.
a) Erledigende Wirkung haben tatsächliche Umstände im Zivilprozess, im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren und im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren jedenfalls dann, wenn sie nach Rechtshängigkeit eintreten und dazu führen, dass das Begehren des Antragstellers im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden müsste ( - Rn. 18, BAGE 117, 123 mwN; - BGHZ 83,12). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Hielte die Arbeitgeberin ihr Begehren auf Zustimmungsersetzung aufrecht, müsste dieses zwar als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen werden, dies aber nicht auf Grund eines erst nach Beginn der Rechtshängigkeit eingetretenen Ereignisses.
aa) Der Antrag der Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zu einer nur für den beabsichtigten Einstellung des Herrn B zu ersetzen, ist gegenstandslos geworden. Gegenstand des Antrags nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist die betriebsverfassungsrechtliche Befugnis des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat, die beabsichtigte personelle Maßnahme auf der Grundlage eines bestimmten Zustimmungsersuchens gem. § 99 Abs. 1 BetrVG auch angesichts der vorgebrachten Verweigerungsgründe gegenwärtig und zukünftig als endgültige durchzuführen ( - Rn. 18, AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 52 = EzA BetrVG 2001 § 99 Versetzung Nr. 3; - 1 ABR 1/05 - Rn. 23, BAGE 117, 123 mwN). Verfahrensgegenstand ist nicht die Frage, ob die Maßnahme zu einem früheren Zeitpunkt - dem der Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat oder dem der erstmaligen Antragstellung bei Gericht - betriebsverfassungsrechtlich zulässig war ( - BAGE 113, 218, zu B I 1 der Gründe). Auf der Grundlage des Zustimmungsersuchens vom stellt sich die Frage nach der Befugnis zu gegenwärtiger und künftiger Beschäftigung von Herrn B mit Ablauf des als des einzig vorgesehenen Tags seiner Beschäftigung nicht mehr.
bb) Der zur Gegenstandslosigkeit des Antrags führende Ablauf des geplanten Beschäftigungszeitraums lag vor dem Beginn der Rechtshängigkeit. Rechtshängig wurde der Antrag gem. § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO erst mit Zustellung des Antragsschriftsatzes an den Betriebsrat am .
b) Der Ablauf des hat gleichwohl zur Erledigung des Verfahrens geführt. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren haben zur Gegenstandslosigkeit des Antrags führende Umstände auch dann erledigende Wirkung, wenn sie vor Rechtshängigkeit eintreten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Antrag zu diesem Zeitpunkt bei Gericht anhängig war.
aa) Für den Zivilprozess lehnt der Bundesgerichtshof eine solche Möglichkeit ab. In der Entscheidung vom (- V ZR 50/91 - BGHZ 83, 12) hat er ausgeführt, die Feststellung, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, setze nach einseitiger Erledigterklärung des Klägers voraus, dass die Klage erst nach Eintreten der Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden sei. Vorher sei ein Rechtsstreit im Sinne der Zivilprozessordnung nicht vorhanden. Erst durch die Zustellung der Klage würden das Prozessrechtsverhältnis, die Parteien und der Streitgegenstand bestimmt. Im Stadium der bloßen Anhängigkeit liege noch keine "Hauptsache" vor ( - V ZR 50/91 - aaO, zu I 1 der Gründe). Auch sei andernfalls keine befriedigende Kostenentscheidung möglich. Nach nur einseitiger Erledigterklärung sei durch Urteil zu entscheiden, ob sich die Hauptsache erledigt habe oder nicht. Dementsprechend sei entweder die Erledigung festzustellen oder die Klage hinsichtlich des ursprünglichen Antrags abzuweisen. Die Kostenentscheidung dieses Urteils ergehe nach § 91 ZPO und nicht nach § 91a ZPO. Für sie sei es unerheblich, wem die Kosten nach der materiellen Rechtslage bei Einreichung der Klage oder Eintritt des erledigenden Ereignis hätten auferlegt werden müssen. Die zu treffende Kostenentscheidung könne deshalb nicht gewährleisten, dass sie der materiellen Rechtslage im Einzelnen entspreche.
bb) Ob dem Bundesgerichtshof trotz der Änderung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO durch das ZPO-Reformgesetz für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren noch zu folgen ist, muss nicht entschieden werden (Zweifel bei Zöller/ Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 91a Rn. 6). Die für seine Auffassung dargelegten Gründe tragen jedenfalls für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren nicht. Sie werden dessen Besonderheiten nicht gerecht.
(1) § 91a ZPO und § 83a Abs. 2 ArbGG unterscheiden sich bereits im Wortlaut. Nach § 91a ZPO kann eine Partei "den Rechtsstreit in der Hauptsache" für erledigt erklären. Nach § 83a Abs. 2 ArbGG besteht für die Beteiligten dagegen die Möglichkeit, "das Verfahren" für erledigt zu erklären. Die vom Bundesgerichtshof hervorgehobene Notwendigkeit, eine "Hauptsache" für erledigt zu erklären, was vor Entstehung des erst durch die Klagezustellung zustande kommenden Prozessrechtsverhältnisses nicht möglich sei, besteht nach der für das Beschlussverfahren maßgeblichen Vorschrift nicht. Ein "Verfahren" hat vielmehr schon mit Eingang einer Antragsschrift bei Gericht begonnen. Von diesem Zeitpunkt an kann es sich "erledigen" und für erledigt erklärt werden.
(2) Zwischen den an einem Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG Beteiligten entsteht, anders als zwischen den Parteien des Zivilprozesses, kein kontradiktorisches Prozessrechtsverhältnis (vgl. - Rn. 16, NZA 2008, 372). Das Beschlussverfahren kennt keinen förmlichen Antragsgegner. Es gibt neben dem Antragsteller nur beteiligte Personen und "Stellen", die in ihren Rechtspositionen durch das vom Antragsteller reklamierte Recht betroffen sind. Ihre Beteiligung folgt unabhängig von den Intentionen und Vorstellungen des Antragstellers aus dem Gesetz. Sie wird vom Gericht von Amts wegen und lediglich deklaratorisch festgestellt. Diese Besonderheit verstärkt die aus dem Wortlaut des § 83a Abs. 2 ArbGG folgende Berechtigung darauf abzustellen, dass im Beschlussverfahren nicht "der Rechtsstreit in der Hauptsache", sondern "das Verfahren" für erledigt erklärt wird.
(3) Mögliche kostenrechtliche Wertungswidersprüche im Falle einseitiger Erledigterklärung vor Rechtshängigkeit können im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht auftreten. Zum einen erstreckt sich im Beschlussverfahren die gerichtliche Prüfung des Vorliegens eines erledigenden Ereignisses nicht darauf, ob der ursprüngliche Antrag zulässig und begründet war. Zum anderen ergeht im Beschlussverfahren eine Kostenentscheidung nicht ( - Rn. 11, NZA 2008, 372 mwN). Jeder Beteiligte trägt seine Kosten grundsätzlich selbst. Soweit ein Beteiligter von einem anderen nach materiellem Recht - etwa nach § 20 Abs. 3 BetrVG, § 40 Abs. 1 BetrVG - die Erstattung seiner Kosten verlangen kann, ist auch dieser Anspruch im Regelfall nicht davon abhängig, wie erfolgversprechend sein ursprüngliches Sachbegehren war ( - Rn. 21, aaO mwN; - 1 ABR 79/89 - BAGE 65, 105, zu B I 4 a der Gründe).
(4) Soweit das Bundesarbeitsgericht auch für das Beschlussverfahren ausgesprochen hat, ein erledigendes Ereignis seien "nach Rechtshängigkeit eingetretene" tatsächliche Umstände (etwa - BAGE 65, 105, zu B I 5 der Gründe; - 1 ABR 1/05 - Rn. 18, BAGE 117, 123), war dies nicht als notwendige Voraussetzung zu verstehen.
Es fehlte stets der Anlass für eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein erledigendes Ereignis schon in die Zeit zwischen bloßer Anhängigkeit und Rechtshängigkeit fallen könne.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2008 S. 1924 Nr. 35
YAAAC-80174
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein