BGH Beschluss v. - VIII ZB 127/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 234 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 234 Abs. 2; ZPO § 520 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 522 Abs. 1; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2; ZPO § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug: AG Berlin-Schöneberg, 107 C 602/05 vom LG Berlin, 63 S 283/06 vom

Gründe

I.

Die Beklagten haben gegen das am verkündete und ihrem Prozessbevollmächtigten erster Instanz am zugestellte Urteil des Amtsgerichts am Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung ist bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht zu den Akten gelangt.

Das Landgericht hat die Berufung deshalb durch Beschluss vom , den Beklagten zugestellt am , verworfen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbeschwerde. Außerdem haben sie am beim Berufungsgericht wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, über den das Berufungsgericht noch nicht entschieden hat.

II.

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, § 575 ZPO). Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass noch eine Entscheidung des Berufungsgerichts über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aussteht. Dem die Berufung verwerfenden Beschluss wird im Falle der Bewilligung der Wiedereinsetzung die Grundlage entzogen, damit wird er gegenstandslos. Das Berufungsgericht ist deshalb zwar nicht gehindert, über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden. Das steht einem Rechtsschutzbedürfnis der Beklagten für die Rechtsbeschwerde jedoch nicht entgegen, weil dieses Rechtsmittel gegen die Verwerfung der Berufung unabhängig von der zu bewilligenden Wiedereinsetzung schon bei Verletzung eines Verfahrensgrundrechts Erfolg hat (, NJW-RR 2007, 1718, unter II 1).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist rechtsfehlerhaft ergangen, weil das Berufungsgericht die Beklagten vor seiner Entscheidung nicht angehört und damit deren Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör verletzt hat.

Zwar sieht § 522 Abs. 1 ZPO im Gegensatz zu § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Partei nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des aaO, unter II 2 b m.w.N.) unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG. Danach haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auch auf diesem Fehler, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es nach Anhörung der Beklagten und einem gegebenenfalls von diesen daraufhin noch vor der Entscheidung gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist anders entschieden hätte.

3. Im Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen einen das Rechtsmittel mangels rechtzeitig eingegangener Begründung verwerfenden Beschluss ist regelmäßig nicht zu prüfen, ob Wiedereinsetzungsgründe vorliegen, die der Rechtsmittelführer mit einem nach der Verwerfung seiner Berufung beim Berufungsgericht gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung geltend gemacht hat, solange das Berufungsgericht - wie hier - über das Wiedereinsetzungsgesuch noch nicht entschieden hat (Senatsbeschluss vom - VIII ZB 42/05, www.bundesgerichtshof.de, unter II 2; aaO, unter II 2 a, jeweils m.w.N.). Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn die Wiedereinsetzung nach dem Aktenstand ohne weiteres zu gewähren ist ( IVb ZR 625/80, NJW 1982, 1873, unter II 1; Beschluss vom - IVb ZB 25/89, NJW-RR 1989, 962, unter 3 a; Beschluss vom - X ZB 17/00, www.bundesgerichtshof.de, unter II 2 b).

So liegt der Fall hier. Die Beklagten haben innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zugleich die versäumte Prozesshandlung nachgeholt. Sie haben dargelegt und durch eidesstattliche Versicherungen ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten sowie von dessen Mitarbeiterinnen Z. und Sch. glaubhaft gemacht, dass weder sie selbst noch den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO), sondern dass die Berufungsbegründungsschrift von diesem bereits am - also lange vor Ablauf der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO am - gefertigt und noch am selben Tag zur Post aufgegeben worden ist. Dass sie nicht zu den Akten der Berufungskammer gelangt ist, kann deshalb nur durch den Postlauf begründet sein oder auf einem Versehen des Gerichts beruhen.

III.

Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NAAAC-79872

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein