Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 233; ZPO § 234; ZPO § 238 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: AG Rostock, 11 C 36/06 vom LG Rostock, 1 S 289/06 vom
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Schadensersatz in Anspruch. Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von 1.940 € nebst Zinsen gerichtete Klage mit Urteil vom abgewiesen. Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellte Urteil hat dieser am Berufung eingelegt. Nach gerichtlichem Hinweis vom , dass die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden sei, hat der Kläger mit einem am beim Landgericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, Rechtsanwalt H. habe seine Büroangestellte G. nach Eingang des Urteils angewiesen, die Frist zur Einlegung der Berufung mit der dazugehörenden Vorfrist zu notieren. Nach Vorlage der Akte zur notierten Vorfrist sei am selben Tag Berufung eingelegt worden. Sodann habe Rechtsanwalt H. seine Büroangestellte G. per Aktennotiz angewiesen, die Frist zur Begründung der Berufung mit der dazugehörenden Vorfrist im Fristenkalender zu notieren. Durch Unachtsamkeit und aus ihr unerklärlichen Gründen habe Frau G. weder die Vorfrist noch die eigentliche Ablauffrist notiert. Der Fehler sei erst aufgrund des gerichtlichen Hinweises bemerkt worden.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, die er wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig hält (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar hat der Kläger die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Auf seinen rechtzeitigen Antrag ist ihm jedoch gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
a) Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004).
b) Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Fristversäumung beruhe auf einem Sorgfaltsverstoß seines Prozessbevollmächtigten, dessen Verschulden der Kläger sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne ein Rechtsanwalt zwar die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen, doch habe er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert würden. Insbesondere müsse sichergestellt sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgenommen würden. Hierzu zähle insbesondere das unverzügliche Notieren der Berufungs- als auch der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender noch vor der Vorlage der Akte an den Rechtsanwalt. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass die Büroangestellte G. selbstständig mit dem Notieren der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist bei Eingang des Urteils beauftragt gewesen sei. Vielmehr habe Rechtsanwalt H. ihr nach Vorlage der Akte die Einzelanweisung erteilt, die Berufungsfrist zu notieren, und Frau G. nach erneuter Vorlage der Akte angewiesen, die Berufungsbegründungsfrist mit einer Vorfrist zu notieren. Um Fehlerquellen zu vermeiden, seien jedoch beide Fristen so früh wie möglich zu vermerken, damit der Rechtsanwalt nach Vorlage der Akte seiner Nachberechnungs- und Kontrollpflicht nachkommen könne. Erteile er zur Eintragung Einzelanweisungen, sei er grundsätzlich verpflichtet, die Eintragung der Fristen zu kontrollieren. Dieser Pflicht sowie der Pflicht, spätestens bei der ersten Vorlage der Akte auch das Notieren der Berufungsbegründungsfrist mit einer Vorfrist zu veranlassen, sei Rechtsanwalt H. nicht nachgekommen.
c) Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg. Das Berufungsgericht übersieht, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei dann nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 13/95 - VersR 1996, 348; vom - XII ZB 180/96 - NJW-RR 1998, 1360 f.; vom - VII ZB 4/00 - NJW 2000, 2823; vom - II ZB 28/00 - NJW-RR 2002, 60 und vom - II ZB 11/01 - NJW-RR 2002, 1289 f.). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt ( - NJW 1997, 1930). Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185 f.; Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 38/02 - VersR 2003, 1462 und vom - VI ZB 26/03 - VersR 2005, 138; - aaO).
So liegt der Fall hier, denn nach dem durch eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten G. glaubhaft gemachten Vortrag des Klägers hat sein Prozessbevollmächtigter Frau G. konkret mittels einer Aktennotiz aufgetragen, die Frist zur Begründung der Berufung mit der dazugehörenden Vorfrist im Fristenkalender zu notieren. Hätte Frau G. diese Einzelanweisung befolgt, wäre ihm die Akte rechtzeitig vorgelegt und die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass sich Mängel bei der allgemeinen Organisation des Anwaltsbüros in einer die Wiedereinsetzung ausschließenden Weise ausgewirkt haben könnten (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom - VI ZR 399/01 - NJW 2003, 435 f. und - NJW-RR 2001, 782 f.). Zwar gilt der Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt nicht verpflichtet ist, die Ausführung einer Einzelanweisung zu kontrollieren, nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung z. B. einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 399/01 - aaO; vom - VI ZB 50/03 - NJW 2004, 688 f.; vom - VI ZB 10/04 - VersR 2005, 383 und vom - VI ZB 76/06 - Tz. 8, juris; v. Pentz, NJW 2003, 858, 863 f.). Vorliegend hat Rechtsanwalt H. die Anweisung jedoch nicht mündlich, sondern in schriftlicher Form, nämlich mittels einer Aktennotiz erteilt. Da in einem solchen Fall die Gefahr, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist deshalb unterbleibt, wesentlich niedriger ist als bei einer nur mündlich erteilten Anweisung, ist eine Kontrolle hinsichtlich der Ausführung einer auf diese Weise erteilten Einzelanweisung im Regelfall nicht erforderlich.
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Rechtsanwalt, der seiner Büroangestellten das Notieren der Fristen nicht zur selbstständigen Erledigung überträgt, sondern jeweils Einzelanweisungen zum Notieren der Fristen erteilt, auch nicht verpflichtet, spätestens bei der Vorlage einer Akte mit Rechtsmittelfristen auch das Notieren der Rechtsmittelbegründungsfrist mit einer Vorfrist zu veranlassen.
aa) Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen ( - BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 22 m.w.N.). Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit aber weder vorgeschrieben noch allgemein üblich ( - BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 11; vom - XII ZR 44/92 - NJW-RR 1993, 1213, 1214). Auf welche Weise er sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei (vgl. - FamRZ 1992, 1058). Ein Prozessbevollmächtigter kann Fristwahrungen auch durch genaue Einzelanweisungen an zuverlässige Angestellte gewährleisten ( - VersR 1999, 1386; - NJW 1990, 2707).
bb) Hat ein Rechtsanwalt das Fristenwesen in seiner Kanzlei dergestalt organisiert, dass er seiner Büroangestellten jeweils Einzelanweisungen zur Eintragung von Fristen erteilt, ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass mit der Eintragung der Frist zur Rechtsmitteleinlegung gleichzeitig auch schon die Frist zur Rechtsmittelbegründung nebst Vorfrist im Fristenkalender eingetragen wird. Zwar würde eine solche Fristbehandlung die Zahl der erforderlichen Einzelanweisungen verringern, doch wäre damit allein keine größere Gewähr für eine Fristwahrung gegeben. Wie die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend macht, kommt es für die Einhaltung der anwaltlichen Sorgfaltspflicht entscheidend darauf an, dass Anweisungen an das Büropersonal klar und präzise erfolgen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 43/87 - aaO; Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 10/04 - aaO und vom - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269; - NJW-RR 2001, 209). Die letztlich nicht zu beseitigende Gefahr, dass auch einem ansonsten zuverlässigen Mitarbeiter im Umgang mit Fristen ein Fehler unterläuft (vgl. - VersR 1999, 1386), wird bei mehreren einzutragenden Fristen nicht allein dadurch beseitigt, dass die Anzahl der dazu erteilten Anweisungen verringert wird. Das Notieren der Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist kann auch dann aufgrund eines Versehens unterbleiben, wenn diese Fristen gleichzeitig mit der Frist zur Rechtsmitteleinlegung eingetragen werden sollen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WAAAC-79869
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein